Bildungspolitische Illusionen/Methoden
FG Bildungspolitik - Bildungspolitische Illusionen |
---|
Analysen: Jahrgangsklassen | Der Begriff "Leistung" | Ziffernoten | Sozialer Vergleich | Messbares und Unmessbares | Methoden | Aufsichtspflicht |
Lösungsansätze: Strukturen im Überblick | Zentrum für Bildung und Freizeit | Kolleg | Portfolios | Kompetenzfeststellung | Coaching | ExpertInnen | Die Mediothek | Die Elementarstufe | Mathematik |
"Methode" meint "Nachgehen, Verfolgen". Konkret: Ein Weg zum Ziel...
Es gibt "Methoden", die irgendwie besser sind als andere. Mal ganz allgemein betrachtet.
Aber... Menschen sind "Individuen". Und jeder Mensch hat seine ganz eigene Biographie und seine eigene Lebenswirklichkeit. Hat eigene Begabungen und eigene Handicaps. Und hat das Recht, für sein eigenes Leben auch eigene Ziele zu definieren. Das gilt auch für SchülerInnen.
Comenius "omnes omnia omnino excoli" wird leider allzu oft missinterpretiert (was unterbleiben würde, wenn man ein paar Zeilen weiter lesen würde...).
Konkret: Es gibt nicht DIE Methode, die für jede Person, jeden individuellen Ausgangspunkt und jedes beliebige Ziel gleichermaßen optimal ist.
Die Methode "mit der U-Bahn fahren" ist sicher recht gut, wenn man in München möglichst schnell vom Hauptbahnhof zum Maximilianeum kommen will. Auf dem flachen Land taugt sie eher weniger.
Leider ist für deutsche Schulen ein "Methoden-Fetischismus" sehr typisch. Viele LehrerInnen wissen genau, wie MAN etwas optimal zu machen hat. Sie wissen wie MAN richtig lernt, wie MAN einen Hefteintrag anzufertigen hat, welche Hausaufgaben MAN machen sollte und wie MAN bestimmte Aufgaben richtig löst.
Und MAN meint dann ALLE. Abweichungen vom alleine selig-machenden Weg bereiten Probleme. Wenn sie nicht zum richtigen Ziel führen. Aber noch mehr, wenn sie zum Ziel führen.
"So macht MAN das nicht" habe ich als Schüler oft hören dürfen. "Wir machen das nicht so!" bekam eine meiner NachhilfeschülerInnen am Dienstag zu hören, weil sie in einer Klassenarbeit mit dem Gauß-Algorithmus nach Gauß gearbeitet hat. So wie er in ihrem Schulbuch steht, so wie ich ihn mit ihr geübt habe, so wie ihn der Lehrer in der Parallelklasse erwartet. Aber eben nicht ihr eigener Klassenaufsichtsbeamter (für den Titel "Lehrer" hat er sich disqualifiziert). Ihr Ergebnis war richtig. Trotzdem Punktabzug. Und damit schlechtere Note.
(Eigentlich sollte man solche Fälle regelmäßig durch Verwaltungsprozesse bzw. Anfragen im Landtag klären lassen, um solchen BeamtInnen mal ein elementares Berufsverständnis beizubringen. Wären meine Schülerin Tochter von Anwälten, würde sicher was passieren. Aber "NormalbürgerInnen" scheuen oft davor zurück, sich mit Ämtern und Behörden anzulegen und verzichten lieber auf ihr Recht).
Hier ging es nur um Schreibweisen.
Methoden-Fetischismus beherrscht und verkrustet aber auch grundlegende Unterrichtsprinzipien.
Dogmatische Montessori-Fans z.B. setzen eben rein auf Montessori-Methoden. Ideen von anderen Personen könnten die "reine Lehre" verwässern - und würden eigenständige Reflexion erfordern. Und ja: Montessori-Ansätze sind oft sehr hilfreich und wertvoll, wenn es gilt die Fähigkeiten zu "konkreten Operationen" (vgl. Jean Piaget) zu entwickeln. Aber sie versagen genau deshalb auch völlig, wenn ne Stufe weiter geht und auch "abstrakte Operationen" fördern will (also die Fähigkeit, Dinge rein im Hirn durchzuspielen).
Dass es vielen SchülerInnen hilft, Dinge aufzuschreiben, um sie leichter zu lernen ist richtig. Bei mir und vielen anderen SchülerInnen war aber genau das Gegenteil der Fall. Ich musste mich im Prizip entscheiden, ob ich Dinge ins Heft ODER ins Hirn schreibe. Ab der 9. Klasse habe ich nichts mehr mitgeschrieben (Jup: Das führte zu Ärger. Aber auch zu deutlich besseren Noten und damit zu einer Art "Narrenfreiheit" für mich. Weil einige Lehrer geistig beweglich genug waren, akzeptieren zu können, dass ich anders "ticke" und meine eigenen Methoden ihren Zweck erfüllen). Es ist jetzt 30 Jahre her, aber ich denke, ich kann genau deshalb sehr viel heute noch abrufen.
Wir brauchen "Methoden-Kompetenz". Bei LehrerInnen und SchülerInnen.
Die wichtigste Kompetenz in diesem Bereich ist eben die Erkenntnis, dass es DIE - für alle und alles - perfekte Methode nicht gibt.
Das bedeutet Arbeit. Eigenständiges Erforschen von und Experimentieren mit unterschiedlichsten Methoden. Und die anschließende Reflexion: "Führte mich dieser Weg zum meinem Ziel?" - "Hätte ich es auch bequemer oder schneller erreichen können?" - "Kann ich mit dieser Methode auch noch ähnliche oder sogar auch völlig andere Probleme lösen?"
Das OEPS (Open-Ended-Problem-Solving) im japanischen Mathematik-Unterricht (TIMSS hat das ausführlich dokumentiert) macht genau dieses Vorgehen zum grundlegeden Prinzip. SchülerInnen werden mit Problemen konfrontiert und suchen - alleine oder im Team - nach geeigneten Lösungsstrategien. Dann erfolgt eine gemeinsame Auswertung und Reflexion. Dabei entwickelt sich Kreativität und ein breites Methoden-Repertoire. Und hin und wieder entstehen dabei auch wirkliche Innovationen.
Meine Überlegungen beziehen sich auch auf die grundsätzliche Form des Unterrichts. Frontalunterricht im Klassenverband ist eben nur eine Methode. Ich will sie nicht verteufeln. Sie kann sehr gut funktionieren. Bei bestimmten Themen, bestimmten SchülerInnen und bestimmten LehrerInnen kann sie hervorragend sein. Aber es gibt reichlich Alternativen.
Keine diese Formen ist immer für alle optimal. Und entsprechend sollte keine als für alle verbindliche Norm zementiert werden.
Bildung braucht Gestaltungs- und Entfaltungsspielraum. Wo gleichzeitig die zu erreichenden Ziele und die zu beschreitenden Wege allgemein verbindlich festgelegt werden, bleibt kein Raum mehr für Bildung.