Bildungspolitische Illusionen/Kompetenzfeststellung
FG Bildungspolitik - Bildungspolitische Illusionen |
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"Kompetenzfeststellung" meint Tests... im weitesten Sinne.
(Der Begriff klingt mir selbst etwas zu schwerfällig, aber ich will die bereits üblichen Begriffe bewusst vermeiden, um zu betonen, dass ich hier was anderes will).
Mündliche, schriftliche und praktische Tests, Multiple-Choice Verfahren und ausformulierte Arbeiten und was auch immer...
Ziel ist es, ganz konkrete Fähigkeiten nachweisen und attestieren zu können. Und das möglichst selbst bestimmt (ohne Zwang zur Teilnahme!) und in überschaubaren Portionen.
Im Prinzip orientiert sich das Schema ein wenig am System, das jetzt für Führerscheinprüfungen genutzt wird.
Allerdings - und genau das ist ein entscheidender Unterschied: Ohne die Voraussetzung vorher so und so viele Pflichtstunden abgesessen zu haben. Entscheidend soll sein, was man tatsächlich kann - und nicht, wie in Deutschland üblich, ob man es auf vorgeschriebenem Weg durch die vorgeschriebenen Personen erlernt hat.
Es gibt dabei wichtige Grundsätze:
- Kompetenzfeststellungen stehen völlig außerhalb des Schulalltags. Sie sind Angebote (also keine Pflicht-Termine!), die grundsätzlich allen Personen offen stehen. Auch Nicht-SchülerInnen.
- Kompetenzfeststellungen werden nicht von den eigenen LehrerInnen durchgeführt (der verbreitete Grundsatz: "Wer lehrt, der prüft." wird aus gutem Grund außer Kraft gesetzt). Dies dient einerseits der Fairniss, andererseits wird die LehrerInnen-Rolle von ihrer Schizophrenie geheilt: Jetzt dürfen LehrerInnen offen für ihre SchülerInnen Partei ergreifen.
- Kompetenzfeststellungen orientieren sich an sachlichen Anforderungen. Nicht am "sozialen Vergleich". Es besteht kein Problem damit, dass z.B. alle SchülerInnen einer Klasse oder Gruppe einen Test bestehen. Oder dass sie alle scheitern. Allerdings... wenn SchülerInnen einer bestimmten Schule regelmäßig an grundlegenden Tests scheitern (oder sie gar nicht erst ablegen), sollte das Anlass geben, nach den Ursachen zu fragen und gegebenfalls Unterrichtsstrategien zu überdenken und weiter zu entwickeln (hier könnte sich die "Schulaufsichtsbehörde" beratend einbringen.)
- Kompetenzfeststellungen sollen auch Personen, die Schulen im Ausland besucht haben, ermöglichen, ihre tatsächlichen Fähigkeiten nachzuweisen. Die gegenwärtige Praxis ausländische Zeugnisse letztlich nach politischen Aspekten irgendwie anzuerkennen oder nicht anzuerkennen hat zuviel Willkür an sich. Und speziell standardisierte Tests (z.B. in Mathe) können durchaus auch in anderen Sprachen gestellt und bearbeitet werden.
- Komplexere Kompetenzfeststellungen können einfachere als Voraussetzung definieren. Wer sich an "Integralrechnung in komplexen Anwendungen" versuchen will, sollte sich zuvor mal mit "Grundlagen der Algebra: Gleichungen und Funktionen" beschäftigt haben. Bei Personen, die Schulen im Ausland besucht haben, kann man hier Ausnahmen machen.
Um es mal plastisch zu machen:
An einer Schule gibt es jeden Samstag von 9:00 bis 13:00 Uhr einen größeren Raum, in dem schriftliche Tests abgelegt werden können. "Aufsicht" führen zwei oder drei LehrerInnen einer benachbarten Schule.
Der Schüler Thomas B. kommt etwa um 9:30 Uhr und meldet sich bei der Aufsicht. Er würde gerne den Nachweis für den "Phytagoras in Anwendungen" erbringen. (Dieser spezielle Test könnte z.B. ein international standardisierter Test sein, der von einer OECD-Kommission erstellt wurde). Die Aufsicht greift auf die Datenbank für Tests zu, ein Zufallszahlengenerator legt eine bestimmte Test-Version fest (es sollte für jeden Test eine breitere Auswahl geben, damit stumpfsinniges Auswendiglernen von Ergebnissen sich nicht wirklich lohnt) und zwei bis drei Blätter werden ausgedruckt. Die Zeitvorgabe für diesen konkreten Test ist 60 Minuten, Startzeitpunkt 9:42 Uhr, also Abgabe bis spätestens 10:42 Uhr. Es sind Multiple-Choice Aufgaben, die für die korrekte Antwort aber reichlich Rechnerei erfordern.
Neben Thomas sitzt eine ältere Schülerin an einem größeren Englisch-Test. Auf der anderen Seite kämpfen drei jüngere wohl auch gegen Mathe. Bruchrechnen vielleicht. Ein Erwachsener ist auch da, er braucht den Wisch wohl, um sich für einen bestimmten Arbeitsplatz zu bewerben. Und ganz vorne sitzt Frank. Ein Mitschüler, der in den letzten Wochen regelmäßig her kommt, um die einzelnen Tests platt zu machen, die die Elektriker-Innung selbst gestrickt hat und sie gerne in Bewerber-Portfolios sehen würde. Einige Tests in Mathe und in Physik, einen recht einfachen in Englisch (speziell zum Fachwortschatz, weil Gebrauchsanweisungen für Werkzeuge häufig auf Deutsch völlig unbrauchbar sind). Frank fällt das nicht schwer, weil er die Tests für die KFZ-Elektriker ja vorher auch schon gemacht hat und sie sich inhaltlich oft entsprechen. Sein Portfolio ist schon recht dick. Er wird viel Auswahl haben, wenn er Bewerbungen schreibt.
Thomas ist nach 40 Minuten fertig und gibt ab. Eine Aufsicht checkt die Ergebnisse schnell durch. 19 von 25 Punkten. Passt. Bestanden. Der Nachweis wird ausgedrückt und zur Sicherheit in der Datenbank registriert (falls mal was verloren geht).
Hm... und wenn ich grad schon da bin...
Thomas entscheidet sich für einen weiteren Test. "Englische Korrespondenzbriefe". Englisch ist er allgemein recht gut, aber mit Briefen hat er es nicht so. Nicht mal auf deutsch. Trotzdem, ein Versuch schadet nicht. Wenn es schief geht, weiß er zumindest, was er können müsste. Und er weiß, welchen Lehrer er ansprechen muss, wenn er beim Englisch-Lernen Hilfe braucht.
Nuja. So etwa könnte dieses System in der Praxis aussehen. Zumindest für schriftliche Tests.
Mündliche und praktische Tests erfordern mehr Aufwand. Hier müssen Termine mit PrüferInnen vereinbart werden.
Um hier beide Seiten vor Frustrationen zu schützen, könnten kurze schriftliche Tests vorgeschaltet werden, die sicherstellen sollen, dass die nötigen Grundlagen auch wirklich vorhanden sind. Es wäre schon recht doof, wenn ein Schüler sich für ne Konversations-Prüfung in Chinesisch anmeldet und die Schule nen Prüfer aus 200 km Entfernung anreisen lässt, der dann feststellen muss, dass der Schüler kein Wort Chinesisch kann (und es einfach mal kennen lernen wollte). Nach einem schriftlichen Vortest (der ja einfach ausgedruckt werden kann und - weil Multiple-Choice - auch keine Chinesisch-Kenntnisse zur Korrektur erfordert) sieht das schon deutlich besser aus.
Und ja: Es soll möglich sein, dass SchülerInnen sogar Kompetenzen nachweisen, die an ihrer Schule gar nicht unterichtet werden.
Standardisierte Tests können von sehr unterschiedlichen Institutionen entwickelt werden. Kammern, Innungen, Fachbereiche an Universitäten usw. können damit jeweils ihre eigenen Anforderungen festlegen. Und damit klar demonstrieren, was sie von EinsteigerInnen tatsächlich erwarten und was nicht. Das macht es für beide Seiten transparenter.
Natürlich sollten unbedingt auch allgemein-bildende Standards definiert werden. Kenntnisse in Politik, Geschichte, Ethik, Ökologie, Psychologie usw. spielen heute nur für wenige Berufe eine konkrete Rolle. Aber für eine funktionierende und zukunftsfähige Gesellschaft sind sie von zentraler Bedeutung.
Selbstverständlich kann eine Schule zusätzlich auch völlig eigene Standards entwickeln. Eigenständig oder in freiwilliger Kooperation mit anderen Schulen oder Institutionen. Es soll sogar zulässig und erwünscht sein, dass LehrerInnen Tests speziell für einzelne SchülerInnen "maßschneidern". Hier denke ich speziell an SchülerInnen mit besonderen Schwierigkeiten oder mit besonderen Begabungen. Auch z.B. die Herausgabe einer Schülerzeitung oder die Organsiation einer Schulveranstaltung kann als praktische Leistung anerkannt und attestiert werden.
Letztlich sollte es möglich sein, dass ALLE SchülerInnen ein breites Spektrum an Nachweisen erwerben können. Nicht alle müssen die Selben haben. Und keiner wird sie alle holen. Denn: Jeder Mensch kann etwas. Und kein Mensch kann alles.