AG Geldordnung und Finanzpolitik/ThemaGeldpolitik

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Vorbemerkung Vorbemerkung:
Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied Patrik vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel.


Populärerer Irrtum: Die Zentralbank und die Geldpolitik

Vorwort

Wenige Menschen fragen sich wahrscheinlich, warum es überhaupt eine Zentralbank gibt. Häufige Antworten werden wohl sein:

  1. Sie gibt das Geld heraus
  2. Sie steuert die Geldmenge
  3. Sie legt das Zinsniveau fest

Warum sie das überhaupt tun sollte, werden vermutlich die meisten Menschen so begründen:

  1. Irgendwer muss ja das Geld herausgeben
  2. Sie muss Inflation verhindern bzw. die Geldwertstabilität sicherstellen
  3. Über die Zinspolitik wird die Konjunktur gesteuert

Tatsächlich beruht diese Vorstellung auf einer grundlegend falschen Annahme über die Funktionsweise unseres Geldsystems. Die Wahrheit ist:

  1. Die Geldmenge wird fast ausschließlich durch Kreditvergabe bei den Geschäftsbanken geschöpft
  2. Es gibt keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation
  3. Das Zinsniveau der Zentralbank hat nur sehr begrenzten Einfluss auf die Investitionsentscheidungen und damit auf die Konjunktur

Geldmengensteuerung

All dieses ist in den vergangenen Jahren empirisch umfangreich untersucht worden, und selbst die Zentralbanken mussten einsehen, dass sie weder maßgeblichen Einfluss auf die Geldmenge haben, noch dass die Geldmenge wiederum entscheidend für das Preisniveau und damit die Inflationsrate ist.

„Our paper studies the relationship between money growth and consumer price inflation in the euro using wavelet analysis. Wavelet analysis allows to account for variations in the money growth - inflation relationship both across the frequency spectrum and across time. Our results indicate that over the sample period 1970-2012 there was no stable significant relationship between fluctuations in money growth and consumer price inflation at low frequencies.
In contrast, most of the literature, by failing to account for the effects of time variation, estimated stable long-run relationships between money growth and inflation well into the 2000s. We also analyze the relationship between loan growth and inflation in the euro area, since bank loans represent the most important counterpart to monetary developments but find no evidence for a stable relationships between loan growth and inflation at any frequency.

Übersetzung:

„Unsere Arbeit untersucht den Zusammenhang von Geldmengenwachstum und Inflation der Verbraucherpreise in der Eurozone unter Anwendung der "wavelet analysis". Diese Methode ermöglicht es, die Varianz der Geldmengen-Inflation-Beziehung sowohl über das Frequenzspektum [Anm. Periode zwischen der Veränderung einer Größe (Geldmenge) und der Reaktion der anderen (Inflation)] als auch über der Zeitverlauf zu untersuchen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es innerhalb unserer Daten aus dem Zeitraum 1970-2012 keine stabile signifikante Beziehung zwischen den Schwankungen der Geldmenge und der Verpraucherpreisinflation bei niedrigen Frequenzen gibt.
Hingegen findet man in anderen Quellen einen unterstellten langfristigen Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, aber diese Studien berücksichtigen die Varianz über die Zeit nicht. Wir haben ebenfalls die Beziehung zwischen Kreditwachstum und Inflation in der Eurozone untersucht, da Bankkredite die wichtigste Einflussgröße für monetäre Entwicklungen sind; auch hier konnten wir bei keiner Frequenz irgendeinen Hinweis auf eine stabile Beziehung zwischen Kreditvolumen und Inflation erkennen.

Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit haben die Zentralbanken dieses bereits erkannt und haben es faktisch aufgegeben, die Geldmenge steuern zu wollen. Die FED hat aus diesem Grunde auch aufgehört die Geldmenge zu erfassen und zu veröffentlichen.

„On March 23, 2006, the Board of Governors of the Federal Reserve System will cease publication of the M3 monetary aggregate.
...
M3 does not appear to convey any additional information about economic activity that is not already embodied in M2 and has not played a role in the monetary policy process for many years. Consequently, the Board judged that the costs of collecting the underlying data and publishing M3 outweigh the benefits.“

Übersetzung:

„ Am 23. März 2006 hat der "Board of Governors" [Gouverneursrat] des "Federal Reserve System" [FED] die Veröffentlichung der Geldmenge M3 eingestellt.
...
M3 scheint keinen Informationsbeitrag zu liefern, der nicht schon in M2 enthalten ist und hat schon seit vielen Jahren keine Rolle bei der Bestimmung der Geldpolitik gespielt. Folglich hat der Rat eingeschätzt, dass die Kosten zur Erhebung der Ausgangsdaten den Nutzen M3 zu veröffentlichen übersteigen.“

Hinzu kommt, dass "die" Geldmenge ein höchst schwammiger Begriff ist, der sehr unterschiedlich interpretiert werden kann und wird:

„Da die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Einlagearten und kurzfristigen Finanzinstrumenten fließend sind, lässt sich die Geldmenge nicht eindeutig definieren. Letztlich hängt es beispielsweise von der Fragestellung einer Untersuchung ab, welche Einlagearten man zum Geld rechnet und welche nicht bzw. welche Geldmenge man in der Untersuchung verwendet. Vor diesem Hintergrund haben andere Länder ihre Geldmengen nach anderen Kriterien definiert, beispielsweise die Schweiz und die USA.
In der praktischen Geldpolitik steht in der Regel derjenige Geldmengenbegriff im Vordergrund, der zur Erfüllung der geldpolitischen Ziele am besten geeignet erscheint. Für das auf Preisstabilität verpflichtete Eurosystem steht die weit abgegrenzte Geldmenge M3 im Vordergrund seiner monetären Lageeinschätzung.“

Der adäquate Geldmengenbegriff ist also das, was am besten zu den gesetzten Zielen und Annahmen passt. Zirkellogik. Will ich also nachweisen, dass eine bestimmte Aktion der Zentralbank einen bestimmten Effekt erzielen soll, definiere als Geldmenge genau die Untermenge, die am besten zur Prognose passt; dieses nennt man dann Core Money:

„Wie die vorangegangene Diskussion gezeigt hat, treten immer wieder temporäre Geldmengenschwankungen auf, die nicht mit einer gleichgerichteten Preisentwicklung einhergehen. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, inflationsrelevante Geldmengenbewegungen von solchen zu trennen, die nur auf kürzerfristige Geldnachfrageeffekte oder Portfolioumschichtungen zurückzuführen sind.“

Man könnte auch sagen: Wenn sich partout kein Zusammenhang finden lässt, dann filtert man eben alle Daten weg, die nicht passen, und schon hat man den Beweis für seine Theorie. Ohne Worte.

Während die EZB immer noch vorgibt, die Inflation über die Geldmenge M3 zu kontrollieren, erklärt die FED sie für schlicht irrelevant - womit sie mehr Einsichtsfähigkeit als die europäischen Institute zeigt - dies gilt im Besonderen Maße für die Bundesbank, die immer noch autistisch dem Mythos der Quanitätstheorie nachhängt:

„Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen bildet die Grundlage für einen der beiden Pfeiler der geldpolitischen Strategie des Eurosystems. Monetäre Aggregate dienen als wichtige Indikatoren für die Einschätzung der mittel- bis langfristigen Preisentwicklung und damit der Risiken für die Preisstabilität. Ihre besondere Rolle in der geldpolitischen Strategie des Eurosystems verdanken sie dem relativ engen empirischen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen.“

Diesen "empirischen Zusammenhang" gibt es schlicht nicht - insbesondere nicht für die Eurozone:

„This paper investigates whether the quantity theory of money is still alive. We argue that it is, but that the slippage is not negligible. For countries with low inflation, the relationship between average inflation and the growth rate of money is tenuous at best. A correction for variation in output growth and the opportunity cost of money, using theory implied elasticities, helps explain the slippage. For the period since 1990, inflation targeting at low rates of inflation makes it harder to establish the long run relationship between monetary growth and inflation.“

Übersetzung:

„Diese Arbeit untersucht, ob die Quantitätstherie immer noch Gültigkeit besitzt. Wir kommen zu Ergebnis, dass dies der Fall ist, allerdings mit erheblichen Abweichungen. Für Länder mit niedriger Inflation ist die Beziehung zwischen Inflation und Geldmengenwachstum äußerst dürftig. Korrigiert man die Varianz um die Wirtschaftsleistung und die Opportunitätskosten der Geldhaltung, indem man theoretisch abgeleitete Elastizitäten unterstellt, kann man die Abweichungen teilweise erklären. Im Zeitraum seit 1990 ist es aufgrund der niedrigen Inflationsziele schwerer geworden, eine langfristige Beziehung zwischen Geldmengenwachstum und Inflation nachzuweisen.“

Diese Studie bestätigt die Ergebnisse der vorherigen. In Zeiten "normaler" Inflationsraten gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Preisentwicklung. Sie kommt zu dem Schluss, dass es allenfalls langfristig einen Zusammenhang geben könnte, allerdings mit sehr großen Unsicherheiten:

„Quantity theory is still alive, but there are some brown spots, which merit serious attention. The slippage between explained long run inflation rates and actual inflation rates can reasonably be as high as six percent, which should be considered dangerously high to base long-term monetary policy upon without taking into account more information.“

Übersetzung:

„Die Quantitätstheorie gilt weiterhin, allerdings gibt es bedeutende blinde Flecken, die ernsthafte Beachtung verdienen. Die Abweichungen zwischen der vorausgesagten langfristigen Inflation und der tatsächlichen Inflation betragen bis zu 6 Prozentpunkten, was gefährlich hoch ist, um auf dieser Basis langfristige Ziele der Geldpolitik festzulegen.“

Auf gut deutsch: Kaffeesatzleserei.

Steuerung des Zinsniveaus

Aufgrund dieser Tatsache haben sich die Zentralbanken weitestgehend auf die Beeinflussung des Zinsniveaus verlegt.

Auch hier herrscht die mittlerweile weltfremde Theorie vor, dass sich die Geschäftsbanken hauptsächlich bei den Zentralbanken refinanzieren würden, und diese also durch ihre Zinsniveau-Vorgaben maßgeblichen Einfluss auf die Marktzinsen und damit die Kreditvergabe hätten. Auch diese Vorstellung ist von der Realität längst überholt, aber nichts hält sich so hartnäckig wie früh erlernte Glaubenssätze.

Die Banken finanzieren sich mittlerweile weitestgehend gegenseitig über den sog. Interbankenmarkt und legen ihren Referenzzinssatz - z.B. den Libor oder Euribor - selbst fest. Die Folgen sind bekannt:

„Die großen Banken der Welt haben in einem beispiellosen Kartell über Jahre hinweg den Zins manipuliert, die wichtigste Stellgröße der Wirtschaft. Sie haben ihn mit üblen Tricks nach unten und oben getrieben - genauso, wie es ihnen gerade passte. Und keiner konnte sich ihrer Machenschaften entziehen. Während man bei Zertifikaten oder komplizierten Finanzprodukten immer noch selbst entscheiden kann, ob man sie kauft, entkommt der Macht des Zinses keiner.

Ein wichtiger Grund dafür, dass es zu den Manipulationen überhaupt kommen konnte, war offenbar, dass man die Libor-Meldungen in den Banken nicht besonders ernst nahm. Obwohl der Zins für die Weltwirtschaft so wichtig ist, war das Risikobewusstsein gering. Entsprechend schlecht waren die Kontrollen, entsprechend wenig Überwachung gab es.“

Na so ein Zufall, hat wahrscheinlich jahrelang keiner gemerkt oder gewusst...

Dass den Zentralbanken aufgrund des wachsenden Interbankenmarktes die Kontrolle weitgehend entglitten ist, hat unlängst sogar Mario Draghi bestätigt:

„Draghi wies den Vorwurf zurück, die EZB-Politik niedriger Leitzinsen gehe zu Lasten der Sparer. Dass die Rendite entsprechender Anlagen teilweise nicht einmal die Inflation ausgleiche, sei "nicht die Schuld der EZB", sagte er. "Insbesondere in den vergangenen Jahren konnten wir die langfristigen Zinsen gar nicht kontrollieren, weil die Investoren wegen der Euro-Krise hochgradig verunsichert waren." Stattdessen würden die langfristigen Kapitalrenditen auf den globalen Finanzmärkten bestimmt.“

Nachdem also in der Vergangenheit die Zentralbanken schon eingeräumt haben, dass sie keinen Einfluss auf die Geldmenge haben und sich stattdessen auf die Beeinflussung der Zinsen verlegten, räumt nun Draghi ein, dass die Zentralbank auch keine Kontrolle über das für Investitionen maßgebliche langfristige Zinsniveau hat.

Dass dieses so ist, wird sogar offiziell von der EZB freimütig eingeräumt:

„Today, there is little debate, at least among central bankers, about what a central bank decision on monetary policy means: it means to set the level of short-term market interest rates that the central bank will aim at in its day-to-day operations during the period until the next meeting of the central bank’s decision-making body.“

Übersetzung:

„Heutzutage gibt es - zumindest unter Zentralbankern - kaum Unstimmigkeiten, was Geldpolitik bedeutet: Es bedeutet, innerhalb des Zeitraumes bis zur nächsten Sitzung des Entscheidungsgremiums der Zentralbank im Tagesgeschäft das beschlossene kurzfristige Zinsniveau anzustreben.“

Mehr nicht! Das war's! Wieso wird das nicht in aller Offenheit so kommuniziert? Vielleicht, weil Leute sonst auf die Idee kommen könnten: "Na, wenn das alles ist..."

„Today, there seems to be consensus among central banks that the short-term inter-bank interest rate is the appropriate operational target.“

Übersetzung:

„Es besteht Einigkeit, dass die angemessene operative Zielgröße der kurzfristige Interbankenzins ist.“

Also, LIBOR und EURIBOR - welch Realsatire (siehe oben).

Schlussfolgerung

Wer kontrolliert hier also wen? Wenn sich die Zentralbank den Interbankenzins als Zielgröße setzt, "die Märkte" diesen aber vorgeben, dann steuern indirekt die Märkte die Zentralbank und nicht umgekehrt. Wenn die Zentralbank bspw. als Ziel 0,5% vorgegeben hat und die Märkte den EURIBOR bei 0,6% festlegen, dann bedeutet das, dass die Zentralbank intervenieren muss, bspw. indem sie angebotene Titel zu höheren Preisen kauft. Es ist spieltheoretisch immer schlecht, wenn man in Bezug auf seine Reaktion festgelegt ist; man wird damit nur zum Spielball des Gegners - und genau DAS ist bei der Zentralbank der Fall!

Frage: Wenn eine Zentralbank - insbesondere in Zeiten von Krisen - weder Einfluss auf Geldmenge noch Zinsen hat, aber genau das ihr Instrumentarium sein soll, um das Preisniveau und die Konjunktur zu stabilisieren, wozu brauchen wir sie dann noch?

Antwort In erster Linie dient die Zentralbank als Potemkinsches Dorf. Solange man diese Institution aufrecht erhält, kann man den Bürgern weiter vorspielen, dass sie

  • das Geld schöpft,
  • die Geldmenge steuert und
  • das Zinsniveau festlegt.

Es wird also eine exogene Geldmengensteuerung wie zu Zeiten konvertibler Währungen vorgegaukelt, um so davon abzulenken, dass es faktisch die Geschäftsbanken sind, die heute all diese Macht in sich vereinigen.

Es ist leider eine Menge Fachwissen nötig, um dieses richtig zu stellen und daher ist diese Funktion von außerordentlicher Bedeutung. So lange die breite Öffentlichkeit an die Fassade glaubt, dass es am Ende die gute Zentralbank gibt, die alles richten kann und wird, können die Geschäftsbanken dahinter fast nach Belieben schalten und walten - und tun es auch.

Die einzigen effektiven Funktionen sind die des "Lender of last resort" (für die Banken) bzw. des Hauptfinanziers des Staates (in souveränen Staaten). Und selbst diese Funktion wird ihr im Falle der EZB sogar institutionell vorenthalten.

FAZIT: Die Zentralbank ist heute nichts weiter als ein Relikt aus dem Zeitalter konvertibler Währungen - eine Illusion. Faktisch kontrollieren heute "die Märkte" allein sowohl das Geld-/Kreditangebot als auch das Zinsniveau