Benutzer:Julia/BuVo/Kandidatur/Interviewgeschichte
Ich bekam nun diese Mail und antwortete ihr inline. Viel Spass!
Die Mail und die Antwort ist bereits vom 6. März. Es gab jedoch noch ein paar Anpassungen.
Hallo Julia, anlässlich deiner Kandidatur für den Bundesvorstand möchte ich dich auch etwas ausfragen. Für Formspring es zu lang, daher per Email. Du hast geschrieben, dass du inwzischen, vor allem durch ein Gespräch mit Gerhart Baum [1] [2], die Thematik des Datenschutzes sehr viel differenziert siehst. Mich interessiert nun vor allem, wass genau sich in deiner Einstellung geändert hat?
Ok, es scheint Zeit zu werden die Geschichte des Interviews bei Spiegel Online zu erzählen. Dafür muss man meinen damaligen Zustand kennen: Post-Examens-Depressionen, neue Stadt, neues Leben, schlechtes Wetter, Zukunftsangst, krasse Frustration über die Piraten (Mitgliederauftstellung in Berlin war unangenehmn) und die Entscheidung erstmal nichts mehr zu machen in der Partei. Deswegen erfreute ich mich an Twitter und den Menschen, mit denen ich viel Spass hatte und mit denen ich neue Ideen und Philosophien austauschte. Vor allem die Beiträge von mspro und plomlompom inspirierten mich meine Datenschutzvorstellungen zu hinterfragen und über den Wert des Privaten nachzudenken.
Was ist Privatsphäre? (Anmerkung: Ich schreibe über diese Frage an einer Doktorarbeit, also aus politikwissenschaftlicher Sicht.) Welche Rolle spielt sie in der Gesellschaft? Und natürlich stieß ich auf mannigfaltige Probleme, die mein kleines Piratenhirn erschütterten. Abgesehen davon: Streisand, etc.
Und so diskutierten wir fröhlich auf Twitter und irgendwann kam es dann zur Gründung der datenschutzkritischen Spackeria. Wir tüftelten an Texten, an Ideen, an Kritik gegenüber konservativen Datenschützer, die den Krieg gegen die Cloud führten. Soweit, so unspektakulär. (Ich immer noch post-examens-depressiv) An einem Tag nun kam Spiegel Online auf mich zu. Wut? Ich war total überfordert, überrollt und auch einfach gespannt dieses Interview zu machen. Auch hatte ich Angst SpOn abzusagen: ich meine, das macht man doch nicht, oder? (Heute bin ich da zum Glück weiter! ;))
Die Ideen, die wir haben, sind ja bedenkenswert! dachte ich mir. Und es war eine Möglichkeit mal andere Perspektiven abseits der Piraten aufzuzeigen. Ich kontaktierte also die Spackos und wir schrieben in einem Pad die Argumente zusammen. Ich selbst war aufgeregt, neu in der Materie und unbedarft - also gab ich stur die Meinung der Gruppe wieder, wie sie in dem Pad gesammelt worden war. Ich glaube, dass das die eigentliche Ironie an der Geschichte ist.
SpOn muss sich gefreut haben, so eine naive Krawalltante gefunden zu haben, die bereit ist der Netzgemeinde(tm) den Stinkefinger zu zeigen, ohne das es ihr bewusst ist. (Obwohl ich das Interview freigegeben habe und sogar noch ergänzt hatte - absolut unprofessionell und naiv halt m)) Und das habe ich dann auch getan - einen deutlichen Kontrapunkt gesetzt gegenüber einer Welt, die ich bis dahin nicht kannte. Ich kannte diese ganzen Datenschützer und (Gamma-) Blogger nicht, die CCC-Granden und paranoide Empörungsindustrie, überhaupt diese ganze Berliner Klitsche, die sich einbildet, dass das Netz ihnen gehört. Ich kannte das alles nicht. Vielmehr habe ich mich mit Internet und Politik abseits dieser Szene beschäftigt und war der Meinung, dass es doch klar sei, dass verschiedene Meinungen zu verschiedenen Themen existierten. Weit gefehlt. Achja und die Reichweite von Spiegel Online habe ich auch unterschätzt. Eine wirklich krude Mischung aus Dingen, die ich im Nachhinein in Kontext setzten kann, damals jedoch keinesfalls. Der Shitstorm ist hinlänglich bekannt.
Im Laufe des letzten Jahres setzte dann ein Wandel ein. Das Interview würde ich so nicht mehr machen, alleine weil ich heute viel weiter bin, viel tiefer in der Debatte stecke und verstehe, das es hier um mehr geht, als nur Meinungen auszutauschen. Ich habe mich deswegen auch zurückgenommen die letzten Monate, mich bei der Spackeriade rausgehalten, den IRC gemieden, keine Texte mehr in die Richtung verfasst und alle Interviewanfragen seit Dezember konsequent abgelehnt. Warum? Zum einen, weil mich die Debatte nicht mehr so wirklich interessiert. Zum anderen, weil mir die exponierte Rolle in diesem Themengebiet unangenehm geworden ist. Ja, ich lebe sehr post-privacy, aber ich habe das niemals als Ideologie gesehen, zu keinem Zeitpunkt. Nun als Ideologin hingestellt zu werden ist ... anstrengend, weil ich das nicht bin. Das Ganze war somit eher ein Denkprozess, der live gestreamt wurde :o)
Die Aussage "Privatsphäre ist sowas von eighties" war auch niemals so gemeint, wie sie interpretiert wurde. Leider wurde das (lacht) in dem Zusammenhang konsequent ignoriert. Und für die Aussage "Keine Macht den Datenschützern" habe ich mich bereits entschuldigt. Jemand, der so viel redet wie ich, redet manchmal auch Blödsinn!
Die Missverständnisse in der Debatte waren für mich so anstrengend, dass ich mich da seit der Berliner Wahl im September ziemlich konsequent versucht habe rauszuhalten. Ich habe einen Kontrapunkt gesetzt, Peter Schaar auf Hipsterpodien gebracht - next.
Ende Januar war ich auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Politcamps. Dort wurde ich dezent darauf hingewiesen, dass eine BuVo-Kandidatur von mir alternativlos sei. Das erste Mal seit Monaten beschäftigte ich mich wieder mit der Frage: BuVo? Parteisoldat? Will ich das? Am nächsten Tag folgte nun das Gespräch mit Gerhart Baum. Wir sprachen auch über die Herausforderungen der digitalen Ära und er beschrieb, wie er das BDSG damals auf den Weg brachte. Und plötzlich machte es Klick in meinem Kopf und ich verstand, was Datenschutz ist und welche Rolle er in unserer Gesellschaft spielen muss. Nicht, dass der Prozess nicht schon länger im Gang war - aber dieses Gespräch war nur der Tropfen, der dass Fass zum Überlaufen brachte. Nun können natürlich ein paar Leute sagen "Ha, habe ich es doch gewusst!" aber .. naja, alles unter 30 fällt unter Jugendsünde, richtig? ;)
Nicht falsch verstehen: Ich denke immer noch, dass Datenschutz ein gesellschaftliches Teilelement ist, dass der Name nicht angemessen für das Ziel erscheint (aber das tut der Feminismus auch nicht :o)) und dass wir systemische Probleme haben, kein "Datenproblem". Ich denke auch immer noch, dass privat nicht per se gut ist. Aber das Ganze hat sich ausdifferenziert. Ich denke, dass die Idee hinter Datenschutz wichtig ist, dass wir aber vorsichtig sein müssen, dass aus Liebe zum Datenschutz nicht die Überwachung der Bürger wird.
Und erst am Ende dieses Prozesses konnte ich für mich mit guten Gewissen sagen: Ja, ich will BuVo werden und ja, ich kann meine Partei und den Datenschutz mit gutem Gewissen vertreten. Ohne diesen Denkprozess hätte ich es niemals gewagt mich für den BuVo aufzustellen. Siehe 2011, wo ich sogar vorgeschlagen wurde, es aber ablehnte.
Desweiteren würde ich gerne wissen:
Was ist für dich Datenschutz?
Menschenschutz.
Wofür ist er angebracht und wofür ist er in deinen Augen ungeeignet?
Angebracht als Idee für den Schutz der Menschenwürde. Ungeeignet um digitale Daten vollständig vor Zugriff zu schützen.
Was ist für dich Transparenz?
Die Möglichkeit politische Prozesse nachzuvollziehen.
Wo ist sie notwendig und wo falsch (verstanden)?
Überall da, wo Verantwortung für die komplette Gesellschaft getragen wird und viel Macht gebündelt wird, ist sie notwendig. Falsch verstanden wird sie von vielen - Datenmengen ins Netz kippen ist zum Beispiel keine Transparenz. Transparenz bedeutet auch die Daten aufzuarbeiten. Auch muss man bei den Institutionen mit Transparenz anfangen, nicht beim Bürger. (Wobei ich eben sehe, dass das nicht so leicht zu trennen ist, wie wir das gerne hätten!)
Wo siehst du die Grenze im Spannungsfeld Transparenz und Datenschutz (in der Poltik)?
Beispiel: Angela Merkel macht eine Party in ihrem zu Hause. Sie plaudert dort mit dem RWE-Chef. Ist das Gespräch relevant für die Öffentlichkeit? ich weiß es nicht, aber ich denke, dass das Spannungsfeld hier gut abgebildet ist. Oder: Staatssekretäre, die meistens die inhaltiche Arbeit machen. Ist es nicht relevant, was sie für Verbindungen haben? Wer sie beeinflusst (hat)? Diese Debatte: Was ist ein Politiker und wie sieht Verantwortung zu tragen aus, müssen wir dringend in Angriff nehmen.
Wie stehst du zur Klarnamenpflicht-Debatte in Liquid Feedback?
Ich bin für Accounts, die eindeutig zuzuordnen sind. Wie das passiert ist mir egal.
Würdest du bindende, namentliche Entscheidungen mittels Liquid Feedback befürworten?
Mir geht es bei der Debatte nicht um Liquid Democracy oder sogar LQFB als Selbstzweck. Mir geht es darum, dass die inhaltliche Hoheit der Partei bei den Mitgliedern bleibt. Das wird mit zunehmend mehr Mandats- und Amtsträgern schwierig. Wir können natürlich vor jedem Bundestagsplenum einen Parteitag machen ... aber ... naja ;-)
Deswegen bin ich Fan von Liquid Democracy, weil es die repräsentativen und direkten Elemente einer Demokratie vereint und eine echte Mitgliederdemokratie in der Partei ermöglicht. Wir brauchen einen Modus, mit dem die Mitglieder Parteipositionen außerhalb der Parteitage erarbeiten können. Wie wir das gestalten ist mir richtig egal, besonders als BuVo-Kandidatin. Das soll schön die Partei entscheiden.
Transparenz und Kommunalpolitik
Abgeordnete in Landesparlamenten, der Bundesvorstände wie auch die Landesvorstände sind Politiker. Für sie gilt das Gebot der transparenten Poltik ohne wenn und aber. Das ist klar. und das wird auch so gut wie niemand bei den Piraten bestreiten. Nun geht es aber weiter. Wie sieht es bei Kommunalpolitikern, Kreis- und Bezirksvorständen aus? Würdest du hier deinen Transparenzanspruch anderst definieren? Würdest du Abstriche machen? Welche? Und wie sieht es bei Parteimitgliedern aus, die keinerlei Funktionen innehaben? Gilt auch für sie der gleiche Anspruch in dieser Hinsicht für für Mandats- und Funktionsträger?
Gute Fragen, schwere Fragen! Also ich befürchte, dass es sehr kontraproduktiv ist, wenn wir das Transparenzgebot auf Bezirks- und Kreisebene aufheben, wo gerade im Vergabebereich Transparenz hilfreich wäre. Und gerade Vorstände sind da oft tief involviert (Schützenfest, Bauunternehmer, etc. #wisseschon) Generell gilt für mich: Wer Verantwortung übernehmen will, der muss sich rechtfertigen. Ich denke auch, dass die Piraten einem Trugschluss unterliegen: Wir sind keine besseren Menschen, wir sind potentiell genauso korrupt wie alle anderen auch. Deswegen ist Transparenz auch ein Kontrollmechanismus, um die Mandats- und Amtsträger zu kontrollieren, was in einer Demokratie essentiell ist! (Und ist es da nicht auch relevant, was xy VOR der Wahl sagte?)
Die Frage nach einfachen Parteimitgliedern ist sehr kompliziert. Wollen wir alle Politiker sein? Wenn ja, dann müssen wir auch zu dem stehen, was wir sagen. Wenn nein, dann machen wir es wie die anderen Parteien und lassen irgendwann die Vorstände und Mandatsträger (die dann auch irgendwann eins sind) inhaltlich arbeiten und Leitanträge formulieren etc. Ich tendiere dazu, dass wir alle Politiker sind. Aber diese Debatte haben wir in der Partei noch nicht geführt, also kann ich auch nur für mich sprechen.
Schlussendlich:
Findest du, der Anspruch an Transparenz der Entscheidungen, wie wir ihn an Repräsentanten (Vorstände, Abgeordnete) legen, ist bei einfachen Parteimitgliedern genauso richtig? Gilt der Ansprucht für jeden Poltiker (Definition mal möglichst weitgehend ausgelegt) oder nur für gewählte bzw. zu wählende Repräsentanten?
Macht muss Verantwortung bedeuten. Die sollten wir vorleben und einfordern.
Ich danke dir schon mal vorab und hoffe auf eine möglichst ausführliche und aufschlussreiche Antwort. [1] https://twitter.com/#!/laprintemps/statuses/162809708011470849 [2] http://www.formspring.me/laprintemps/q/297643029601198684 p.s.: Wenn du die Antwort in irgendeiner Art (Wiki, Blog, G+, ... suchs dir aus) veröffentlichst, wäre ich dir dankbar.