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Die Entzauberung der Piratenpartei

von Eberhard Zastrau

Roma locuta – und alle Fragen offen. Am 18. September 2011 hat der Wähler die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg gewählt. Das Ergebnis ist eindeutig: Seite der Landeswahlleiterin, bitte Friedrichshain-Kreuzberg auswählen. Danach hat die Piratenpartei einen Anspruch auf 9 Bezirksverordnete, den sie aber nicht ausüben kann, da nur 8 Kandidaten zur Verfügung stehen. Auf der Basis der tatsächlichen 9 Bezirksverordneten ergäbe sich auch der Anspruch, einen Stadtratsposten zu besetzen.

Die reale Mandatsverteilung in der BVV

Doch nicht nur das Fehlen eines neunten Kandidaten spielt den Piraten hier einen Streich. Auch die Tatsache, dass drei Kandidaten für die BVV zugleich Kandidaten für das Abgeordnetenhaus sind und dort ebenfalls ein Kandidaten-Engpass besteht, erschwert die Ausgangslage. Nach ihrem erklärten Willen, nehmen die drei Kandidaten das Mandat im Abgeordnetenhaus an und stehen damit als Bezirksverordnete nicht zur Verfügung. Auf diese Weise schrumpft die reale Fraktion der Piraten in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg auf fünf Mandate zusammen. Die Fraktion der PDL in der BVV ist daher mit sieben Bezirksverordneten größer als die Fraktion der Piraten. Das spielt für das Vorschlagsrecht eines Stadtrates eine wichtige Rolle und wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags erörtert.[1]

Damit ergibt sich als verbindliche Mandatsverteilung in der BVV vor der Berechnung der Vorschlagsrechte für die Stadträte:

Bündnis'90/Grüne: 22 · SPD: 13 · PDL: 7 · Piraten: 5 · CDU: 4

Die Berechnung der Vorschlagsrechte für die fünf Stadtratsposten

Erst nachdem die Mandatsverteilung auf die Fraktionen feststeht, kommt § 35 (2) des Bezirksverwaltungsgesetzes zum Tragen, der regelt, wie sich aus den Mandatszahlen die Vorschlagsrechte errechnen lassen. Eine Interpretation, die aus dem Wortlaut des § 35 (2) BezVerwG darauf schließen will, dass für die Berechnung doch noch (und in jedem Fall) das Wahlergebnis heranzuziehen wäre, widersprechen der expliziten Formulierung in § 35 (2) Satz 3 BezVerwG.

Divisor B'90/Grüne SPD PDL Piraten CDU
1 22 13 7 5 4
2 11 6,5 3,5 2,5 2
3 7,3 4,3 2,3 1,7 1,3

Die fett gesetzten Höchstzahlen führen zu einem Vorschlagsrecht. Sollte sich an den Mandatszahlen bis zum Zeitpunkt der Wahl der Bezirksstadträte noch etwas ändern – z. B. durch Fraktionsübertritte – dann wären die jeweils aktuellen Mandatszahlen zu berücksichtigen. [2]

Kai aus der Kiste – oder: Warum auf einmal ein grüner Stadtratskandidat auf Piratenticket einen Sinn ergibt

Verharren wir noch für einen Moment bei dem in der obigen Fußnote geschilderten trickreichen Verfahren der Kreuzberger BVV aus dem Jahr 1992. Wäre eine solche Trickserei auch im Jahr 2011 in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg möglich? Die Antwort muss wohl ja lauten:

Um das Vorschlagsrecht für einen Stadtrat auf die Fraktion der Piratenpartei zu verlagern, ist es notwendig, dass diese Fraktion um zwei Bezirksverordnete größer wird. Denn dann sind die Höchstzahlen von PDL und Piratenpartei gleich groß und damit wird für die Berechnung des Vorschlagsrechts auf das Wahlergebnis selbst zurückgegriffen (§ 35 (2) Satz 3 BezVerwG). Woher könnten diese beiden zusätzlichen Bezirksverordneten für die Piratenfraktion kommen?

Wie es der Zufall so will, ist ein Kandidat mit grünem Parteibuch von den Piraten als Vorschlag für den strittigen Stadtratsposten ins Gespräch gebracht worden. Betrachten wir daher die bündnisgrüne Fraktion in der BVV etwas genauer:

Die Grünen verfügen zur Zeit über 22 Mandate. Damit haben sie ein originäres Vorschlagsrecht für drei Stadträte. Würden nun zwei grüne Bezirksverordnete in die Piratenfraktion wechseln, blieben in der grünen Fraktion 20 Mandate übrig. Am Vorschlagsrecht für drei Stadträte ändert sich dadurch nichts, weil die dritte Höchstzahl der Grünen mit 6,67 größer ist als die zweite der SPD mit unverändert 6,5:

Divisor B'90/Grüne SPD PDL Piraten CDU
1 20 13 7 7 4
2 10 6,5 3,5 3,5 2
3 6,7 4,3 2,3 2,3 1,3


Damit würde das Vorschlagsrecht der PDL ausgehebelt und entsprechend den aktuellen Vorschlägen zöge ein grüner Kandidat als Piratenstadtrat ins Bezirksamt ein. Ganz elegant hätten sich die Bündnisgrünen ein viertes Dezernat im Bezirksamt gesichert.

Genau wie bei dem Vorbild aus dem Jahr 1992 könnten die beiden nun den Piraten leihweise überlassenen Bezirksverordneten nach erfolgter Wahl des Bezirksamts ihr Mandat niederlegen und der Status quo ante mit 22 grünen Bezirksverordneten wäre wieder hergestellt.

Leider ist mir hier ein Fehler unterlaufen. Die Leihgabe zweier Bezirksverordneter der bündnisgrünen Fraktion an die Piraten würde nicht so funktionieren, wie ich es zunächst angenommen hatte, da das Vorschlagsrecht der PDL-Fraktion mit einer Höchstzahl von 7 erhalten bliebe. Ich bitte um Entschuldigung für meinen Fehler.

Aber diese taktische Volte wäre ja nur das Sahnehäubchen meiner Argumentation gewesen.

Transparenz und offene Politik – Der Anspruch der Piraten ist an der ersten Klippe zerschellt

Dass die Piratenpartei in Friedrichshain-Kreuzberg möglicherweise einen Bezirksstadtrat stellen könnte, zeichnete sich in den letzten Wochen vor der Wahl deutlich ab. Spätestens mit den Umfrageergebnissen von 4 % für die gesamte Stadt mussten die Bezirkspiraten mit einem solchen Ergebnis rechnen. Es wäre also sinnvoll gewesen, sich darauf vorzubereiten.

Sinnvolle Vorüberlegungen hätten dann sein können:

  • ein Anforderungsprofil für einen Stadtratsposten auf dem Ticket der Piratenpartei
  • Vorbereitungen für eine öffentliche Ausschreibung dieses Amtes
  • Auseinandersetzung mit den Vorschlagsrechten und dem Besetzungsverfahren der Stadträte
  • Umgang mit den in BVV und im Abgeordnetenhaus zu besetzenden Mandaten und Folgewirkungen für die Besetzung eines Bezirksstadtrats

Nichts davon hat stattgefunden. Jedenfalls fielen die Friedrichshainer Piraten am Wahltag aus allen Wolken, als sich das Vorschlagsrecht für einen Stadtrat abzeichnete.

Es gab keine Strategie, wie man mit dieser Situation umgehen wollte. Es fehlte an einer Entscheidung, die BVV-Mandate jedenfalls in dem Umfang wahrzunehmen, wie es für ein gesichertes Vorschlagsrecht erforderlich gewesen wäre. Es gab keine Optionen, wie man eventuell zwei Bezirksverordneten, die auf ein ihnen auch mögliches Mandat im Abgeordnetenhaus verzichten könnten, diese Entscheidung erleichtern könnte, um das Vorschlagsrecht für einen Stadtrat zu wahren.

Stattdessen ging man anscheinend unvorbereitet und schlecht gerüstet in die ersten Vorgespräche mit den anderen Fraktionen der BVV. Die schlechte Vorbereitung der Piraten korrespondierte aber mit schlechter Vorbereitung auch anderer Parteien: Die Position der PDL, einfach unverändert das Personaltableau der alten Wahlperiode weiterzuführen, zeugt von fehlender Bereitschaft, sich auf die neue Situation einzustellen.

Nach dem frustrierenden Erlebnis der ersten Vorgespräche versteiften sich die Piraten dann auf die ihnen vermeintlich zustehenden Förmchen im Bezirkssandkasten.

Statt Anforderungsprofil und Vorarbeiten für eine Ausschreibung: Kandidat aus der Überraschungsbox

Noch immer gibt es kein Anforderungsprofil für einen Stadtrat, der auf Piratenvorschlag gewählt werden könnte, keinen Entwurf für eine Ausschreibung, nichts, was ein transparentes Vorgehen dokumentieren würde.

Statt dessen tauchte erst mal ein Namensvorschlag auf. Mit dem Kandidaten hatten ein paar Piraten auch bereits gesprochen. Zu diesem Kandidaten werde ich mich nicht äußern, da das nicht Gegenstand meiner Überlegungen ist. Auch kenne ich den vorgeschlagenen Menschen gar nicht und kann nichts über eventuelle Qualifikationen sagen. Dafür gibt es berufenere Kommentatoren. Mir geht es nicht um zur Auswahl stehende Personen, sondern um das Verfahren, mit dem man sich zu einem Vorschlagsrecht positioniert und wie man dann zu einem Kandidaten gelangen will.

Nachdem sich einige Friedrichshainer Piraten so positioniert hatten, kann man eigentlich ein transparentes und faires Personalauswahl-Verfahren gar nicht mehr erwarten. Sollte es doch noch zu einem Anforderungsprofil für das Stadtratsamt kommen, so stünde dieses Profil stets unter dem Verdacht, auf den bereits ins Gespräch gebrachten Kandidaten zugeschnitten zu sein. Die Lage ist also hoffnungslos verfahren.

Zurück zum Wahlverfahren der Bezirksstadträte

Die spezifische Qualifikation für ein bestimmtes Ressort innerhalb des Bezirksamts wird von den zu wählenden Bezirksstadträten nicht gefordert[3]. Damit korrespondert, dass die Stadträte nicht für einzelne Ressorts gewählt werden, sondern die Aufteilung der Aufgabenbereiche erst im Rahmen der Geschäftsverteilung des gewählten Bezirksamtskollegiums vorgenommen wird[4].

Die Auswahl eines sehr spezifisch profilierten Kandidaten für die Wahl zum Bezirksstadtrat ist insofern problematisch, als das Bezirksamtskollegium bei der Zuweisung der Aufgabenbereiche keine Rücksicht auf diese spezifische Qualifikation zu nehmen braucht.

Mit dieser Regelung wird nicht zuletzt die Geringschätzung der Bezirksämter und der Bezirksstadträte durch den Berliner Gesetzgeber deutlich. Starke Bezirksstadträte könnten von den Senatsverwaltungen als Gefahr wahrgenommen werden und ein Durchregieren der Hauptverwaltung in die Bezirke hinein infrage stellen.

Schlampige Gesetzgebung

Auch der Berliner Gesetzgeber hat sich mit den Gesetzen zur Bezirksverwaltung keine Mühe gegeben. Statt eine vernünftige und auf Dauer angelegte Lösung rechtlich zu kodifizieren, tritt von Wahlperiode zu Wahlperiode ein kleinteiliger Reparatur-Betrieb, der die Gesetze komplizierter und unverständlicher macht.

Aber auch ganz grundlegende Prinzipien der Gesetzeszuschnitte hat der Berliner Gesetzgeber vernachlässigt.

Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Verfassung von Berlin das Mandatsauszählverfahren bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung einfachgesetzlichen Regelungen überlässt, aber in Art. 74 (1) Satz 2 eine bis in die Einzelheiten festgelegte Bestimmung für die Auswahl der Bezirksstadträte trifft.


Quellen


Fußnoten

  1. Man könnte schon die Nicht-Annahme der BVV-Mandate durch die drei Kandidaten, die sich lieber für das Abgeordnetenhaus entschieden hatten, als konkludentes Verhalten zum Verzicht auf einen Stadtratsposten verstehen. Um den Anspruch zu wahren, wären 7 wahrgenommene Mandate in der BVV erforderlich – siehe dazu im Einzelnen die Ausführungen zu § 35 (2) BezVerwG.
  2. Dieser Umstand hat im Jahr 1992 durch einen Mandatstrick verhindert, dass die Fraktion der Republikaner ein ihr zunächst zustehendes Vorschlagsrecht ausüben konnte. Ein Bezirksverordneter der Fraktion Grüne/Alternative Liste trat vor der Wahl der Stadträte zur SPD über, damit verloren die Republikaner das Vorschlagsrecht. Nach der erfolgreichen Wahl eines Bezirksamtskollegiums ohne Republikaner-Vertreter legte der neusozialdemokratische Bezirksverordnete sein Mandat nieder und es rückte ein Kandidat der Grünen/Alternativen Liste nach, wodurch der ursprüngliche Mandatsverteilungszustand wieder hergestellt wurde. Der Fraktionswechsler wurde mit einem Mandat als Bürgerdeputierter abgefunden. Dieses trickreiche Vorgehen wurde vom OVG bestätigt, auch eine Klage vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof hatte keinen Erfolg. Ottenberg, a.a.O., Rdnr. 4 zu § 35 BezVerwG
  3. Ottenberg a.a.O., Rdnr 5 zu § 34 BezVerwG
  4. § 37 BezVerwG

Ergänzende Veröffentlichungen und Presseberichte