Benutzer:Etz/Regierungs-Beauftragte als Polit-Placebos
Inhaltsverzeichnis
- 1 Warum Beauftragte im politischen Alltag zumeist sinnfreie Placebos sind
- 1.1 Fundament unserer politischen Ordnung ist die Gewaltenteilung / Gewaltengliederung
- 1.2 Die »Beauftragten« durchbrechen das Prinzip der Gewaltengliederung
- 1.3 Die klare staatspolitisch-strukturelle Positionierung als mögliches Alleinstellungsmerkmal der Piraten
Warum Beauftragte im politischen Alltag zumeist sinnfreie Placebos sind
Ja, ich kann mich mit pragmatischen Lösungen oftmals anfreunden und sie – vielleicht zumindest – als vorübergehende Lösung akzeptieren.
Allerdings möchte ich gern für dauerhafte politische Lösungen solche finden, die einen entstandenen Konflikt lösen und zugleich mit grundlegenden Struktur-Entscheidungen fürs politische Geschäft vereinbar sind.
Fundament unserer politischen Ordnung ist die Gewaltenteilung / Gewaltengliederung
Die Gewaltengliederung ist eine zutiefst demokratische und rechtsstaatliche Errungenschaft. Die Aufteilung in
- Legislative
- Exekutive / Verwaltung und
- Judikative
bezeichnet zugleich die einzigen Staatsgewalten, die auf der Basis einer demokratischen Legitimation handeln können.
Eine rechtsphilosphische Ableitung dieser Grundlage kann man in dem kleinen und populären Buch von Christoph Möllers lesen: Demokratie – Zumutungen und Versprechen. Wers etwas wissenschaftlicher mag, kann sich mit Die drei Gewalten des gleichen Autors auseinandersetzen.
Der Versuch, neben diesen drei Gewalten noch die Publizistik und die Nichtregierungs-Organisationen in ein System staatlicher Entscheidungen einbeziehen zu wollen, muss scheitern, weil weder die Medien noch die gesellschaftlichen Pressuregroups über eine entsprechende demokratische Legitimation verfügen. Beide Kräfte sind allerdings für den gesellschaftlichen Diskurs von unschätzbarer Bedeutung.
Das ist Bestandteil meines Antrags PA051 – Gewaltenteilung und demokratische Legitimation, bzw. gleichgerichtet wenn auch allgemeiner: PA040 – Grundlagen und Ziele piratiger Politik (im dritten Absatz des Antrags).
Präferenz der Legislative
Von den drei demokratisch legitimierten Gewalten hat formal das Parlament (die Legislative) die stärkste Stellung. Das Parlament ist hierzulande die einzige staatliche Institution, die sich auf ein unmittelbares Votum der Bürger berufen kann.
Die Aufgabe der Legislative ist es, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Zusammenleben im Staat festzulegen. Es ist dabei allgemeiner Konsens, dass Gesetze, die einen Einzelfall regeln sollen, unzulässig sind, da Gesetze einen allgemeingültigen Charakter haben sollen. Die Ausarbeitung detaillierterer – und schließlich auf einen Einzelfall bezogener Regeln und Entscheidungen ist Aufgabe der Exekutive – der Regierung für die Festlegung von Verordnungen, und in einem Differenzierungsprozess schließlich eines Sachbearbeiters, der aus unmittelbarer Kenntnis der konkreten Umstände den ihm verbleibenden Abwägungsspielraum im Einzelfall entscheidet.
Die nachträgliche Kontrolle dieser Verwaltungsentscheidungen obliegt dann den Gerichten, die jede Entscheidung überprüfen und erforderlichenfalls aufheben können.
So bauen die drei Gewalten aufeinander auf und ergänzen sich in ihren Funktionen.
Alles schöne Theorie?
Der Einwand zählt durchaus. Aber solange es keine gleich überzeugungskräftige Alternative zu diesem System der drei Gewalten gibt, möchte ich sie gern bewahren und dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Aufgaben auch wieder spezifisch erfüllt werden.
Die politische Realität (oder jedenfalls die vermeldete Realität) unterscheidet sich von diesen Grundsätzen viel zu stark. Das bezieht sich z.B. auf die Nominierung der erfolgversprechenden Kandidaten für die Parlamente, die immer stärker allein engen parteipolitischen Kriterien folgen; die Wahlkämpfe machen statt der zu wählenden Abgeordneten die scheinbare Wahl eines Regierungschefs zum Thema; auch die Presse kommt ihrer aufklärerischen Pflicht nicht nach, wenn sie Beschlüsse über Gesetzentwürfe, die dem Parlament vorgelegt werden sollen, bereits als Beschluss über das Gesetz verkündet.
Unabhängigkeit des Mandats und Wahlrechtsreform
Piraten halten als einzige Partei an den Bestimmungen des Art. 38 GG (Unabhängigkeit des Parlamentsmandats) fest und versuchen zudem mit Vorschlägen für ein reformiertes Wahlrecht neue Wege zu beschreiten: So lagen dem BPT in Offenbach drei einschlägige Anträge vor: von dem sehr begrenzten Antrag Andi Popps PA014 über einen Antrag Burkhard Masseidas aus Hamburg Q037 bis hin zum Berliner Antrag Q011, der im Berliner Landesverband bereits als Positionspapier beschlossen wurde: Positionspapier demokratischeres Wahlrecht.
Bundesverfassungsgericht erzwingt mehr Rechte fürs Parlament
Die grassierende Entmachtung des Parlaments hat inzwischen bereits mehrfach das Bundesverfassungsgericht auf den Plan gerufen:
Bedauerlich ist allerdings, dass diese Entscheidungen zugleich eine anti-europäische Komponente aufweisen, da sie die Rechte des nationalen Parlaments stärkt, aber eine bessere demokratische Legitimation europäischer Entscheidungen nicht zum Thema machen. Es ist aber auch ein kaum lösbares Dilemma, da das Bundesverfassungsgericht eben allein eine bundesdeutsche Legitimation hat.
Die Bandbreite von Exekutive und Verwaltung
Auch für die Regierung gilt, dass sie grundsätzlich keine Einzelfallentscheidung treffen soll, sondern aus den Gesetzen detailliertere Regeln ableiten soll (Rechtsverordnungen). Andererseits gibt es hier durchaus auch mögliche Einzelfall-Entscheidungen – etwa bei der Ministererlaubnis im Kartellrecht.
Doch der klassische Normalfall ist die Entscheidung in Einzelfällen durch nachgeordnete Instanzen, die oftmals z.B. im Rahmen der Kommunalverwaltung oder als landesrechtliche Verwaltung (Finanzämter) tätig werden.
Damit ist eine außerordentliche Bandbreite im Exekutiv/Verwaltungshandeln festgelegt, wobei der Entscheidungsspielraum um so enger wird, je dezentraler entschieden wird.
Rechtsprechung als Prüf- und Korrektur-Instanz
Die Judikative wird immer nur im Nachhinein tätig. Für einen Prozess ist eine Klage des Bürgers nötig, der sich durch einen Verwaltungsakt in seinen Rechten beschnitten fühlt.
Noch mal: Alles schöne Theorie?
Ja, ohne Zweifel. Aber die beschriebene Theorie scheint mir die sinnvollste zu sein, wenn ich ein System von Gewaltengliederung und wechselseitiger Kontrolle realisieren will. Erst die Zuordnung der verschiedenen Aufgaben zu verschiedenen Institutionen macht eine wirksame rechtliche Kontrolle möglich.
Die »Beauftragten« durchbrechen das Prinzip der Gewaltengliederung
Meiner Meinung nach gibt es genau zwei Aufgabenfelder, in denen es vernünftig ist, einen parlamentarisch abgesicherten Beauftragten zu institutionalisieren:
- der Wehrbeauftragte des Bundestags – vernünftigerweise müsste man die Aufgabe wohl als Ombudsman für die einzelnen Soldaten verstehen. Diese Aufgabe kann nur beim Parlament angesiedelt sein.
- die Datenschutzbeauftragten auf Bundes- und Länderebene – die hier zu erledigenden Aufgaben erfordern einen schnellen direkten Zugriff in die verschiedensten Verwaltungen, deshalb bin ich hier als »Ausnahme, die die Regel bestätigt,« für eine solche Konstruktion.
Die meisten anderen »Beauftragten«, die in den letzten dreißig Jahren kreiert wurden, sind politische Verlegenheitslösungen. So wurde der Beauftragte für Kultur und Medien beim Bundeskanzler einst eingerichtet, weil es keine Kompetenz des Bundes in diesem Aufgabenfeld gab. Mir scheint dieses »Beauftragtenunwesen« ein typisches Resultat grüner Politik zu sein. Man will dann mal eine Aufgabe definieren, scheut sich aber davor, die Aufgabe in den bestehenden Strukturen der Exekutive erfolgversprechend zu verorten.
Integrationsbeauftragte für Berlin ist die Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen
Die Aufgabe, für die Integration gerade zu stehen, wird bereits im Titel der Senatsverwaltung hervorgehoben. Für die praktische Arbeit ist vernünftigerweise eine Abteilung in der Senatsverwaltung: aktuelles Organigramm (PDF)] zuständig. Diese Abteilung mit dem Titel »Beauftragter« zu versehen, ist vielleicht wenig sinnvoll. Denn es ist gerade die Aufgabe dieser Abteilung, die entsprechenden Aktivitäten zu entfalten. Dieser Abteilung sind drei Referate zugeordnet, die die Bandbreite des Aufgabenfeldes abdecken und beschreiben.
Damit ist die Aufgabe in der Exekutive höchstrangig abgesichert. Wenn es politische Konflikte (mit der Innenverwaltung (Ausländerbehörde) oder mit Bezirkspotentaten gibt, dann müssen diese Konflikte politisch gelöst werden. Eventuelle Konflikte mit bezirklichen Populisten halte ich allerdings für vergleichsweise unbedeutend, andererseits wird sich kein Populist durch eine andere Visitenkarte des »Integrationsbeauftragten« vom schnellen publizistischen Erfolg abhalten lassen.. Viel wichtiger sind die Konflikte mit der Innenverwaltung (Aufenthaltsrecht, Zuflucht etc.) Diese Konflikte werden durch die schwarz-rote-Koalition eher verstärkt. Sie bedürfen aber wesentlich dringender einer politischen Lösung! Mit diesem Konfliktfeld hat der bisherige Integrationsbeauftragte auch sein Ausscheiden aus dieser Funktion zur Jahresmitte begründet: Bericht des epd.
Ich hatte in der Diskussionsseite zur LQPPBE-Initiative schon auf Problematik kosmetischer Veränderungen hingewiesen.
Die klare staatspolitisch-strukturelle Positionierung als mögliches Alleinstellungsmerkmal der Piraten
Die politischen Ziele in den hier diskutierten Feldern sind zwischen Piraten, Grünen und PDL nur geringfügig verschieden. Ich sehe in den strukturellen Positionen allerdings genau das Alleinstellungsmerkmal für die Piraten. Das setzt voraus, dass Piraten ein wenig gründlicher denken, bevor sie politische Forderungen erheben und die Trampelpfade des Populismus vermeiden.
Ich verweise auch auf die vom Landesverband beschlossene Position zu »Unabhängigen Beschwerdestellen für Polizeiübergriffe«. Die Idee wurde auch im Bundes-Liquid diskutiert und führte zu diesem erfolgreichen Ergebnis: Initiative 1640.