Diskussion:Bundesparteitag 2012.1/Antragsportal/Programmantrag - 051

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Änderungen zur Durchsetzung der Trennung von Staat und Religion müssen möglich bleiben

https://lqfb.piratenpartei.de/pp/suggestion/show/5376.html Beim BPT 2011.2 in Offenbach wurde eine umfassende Trennung von Staat und Religion ins Grundsatzprogramm der Partei aufgenommen. In der jetzigen Form widerspricht der vorliegende Antrag diesem Grundsatz. Es muss möglich bleiben, den Gottesbezug in der Präambel und Art.7 Abs.3 "Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach" zu verändern bzw. zu streichen.

Antwort:
Art. 19(2) GG: "(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden." (Wikipedia-logo.pngWesensgehaltsgarantie). Wenn der BPT also wirklich etwas beschlossen hätte, was Art. 7(2+3) GG entgegensteht, dann ist das ein Fall fürs Bundesschiedsgericht.
Das Recht auf Religionsunterricht "Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes" ist eine Konkretisierung der Grundrechte nach Art. 4 GG (Freiheit der Religionsausübung) in Verbindung mit Art. 6(2) GG (Recht auf Erziehung der Kinder), welche - wie alle Grundrechte Art. 2-19 GG - wiederum eine Konkretisierung von Art. 1 GG (Menschenwürde) ist.
Damit gibt es da nichts dran zu ändern. Die Wahlfreiheit, das Kind in Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach unter dem staatlichen Aufsichtsrechtes zu stellen, ist und bleibt ein Grundrecht der Eltern - wie es ebenso ein Grundrecht der Eltern und genauso Konkretisierung derselben Artikel ist, nach Art. 7(2) GG ihre Mündel vom Religionsunterricht abzumelden.
Es wird weder der Piratenpartei, noch irgendeiner anderen Partei gelingen, dieses Wahlrecht der Eltern zu kippen und sie zu zwingen, ihr Kind entweder gar nicht in ihrer ausgeübten Religion zu erziehen, oder es in Hinterzimmern von Geistlichen intransparent und ohne unter das staatliche Aufsichtsrecht zu fallen, unterweisen zu lassen.
Die guten Gründe, den Religionsunterricht unter staatlicher Kontrolle als Grundrecht zu verankern (was z.B. in den USA von den Glaubensgemeinschaften als unerhörte Einmischung in kirchliche Angelegenheiten scharf zurückgewiesen wird), sind in der Geschichte Ereignisse wie die Wikipedia-logo.pngZerstörung Löwens im Ersten Weltkrieg, in der Gegenwart die Islamophobie und Intransparenz des islamischen Religionsunterrichts, weshalb das Wikipedia-logo.pngZentrum für Islamische Theologie in Tübingen gerade die ersten islamischen Religionslehrer ausbildet. Hierdurch wurde ein Weg gefunden, dieses Grundrecht auch für moslemische Gläubige zu wahren.
"Ein bißchen schwanger" geht also nicht; die Anregung wird nicht umgesetzt werden, weil damit das Bekenntnis zum Grundgesetz gegen geltendes Recht verstoßen würde. Entweder, die PIRATEN sind die "Verteidiger des Grundgesetzes" für 80 Millionen Menschen, wie im Wahlprogramm 2009 und in jeder Außendarstellung kommuniziert; oder, sie vertreten die Partikularinteressen von ca. 5 Millionen Laizisten mit Sendungsbewußtsein.
Der "Offenbach-Stunt", jeder Grundsatzdiskussion im Vorfeld auszuweichen, Gegenargumente zu ignorieren und auf einem BPT dann die Teilnehmer dazu zu bringen, mit teilweise falscher Begrifflichkeit ("Trennung von Staat und Religion" ungleich Laizismus) und/oder reißerischen Falschaussagen ("Die Trennung von Staat und Religion muß in Deutschland umgesetzt werden" - was sie seit Ende des 19. Jahrhunderts bzw. der Weimarer Reichsverfassung (WRV) ist) aus einer Laune heraus einen Antrag anzunehmen, ohne sich auch nur annähernd der Tragweite und Konsequenzen bewußt zu sein, war hoffentlich eine Ausnahme und wird durch das Bekenntnis der Partei ersetzt, den deutschen Säkularismus konstruktiv und im Rahmen der Grundrechte, wie sie in Art. 1-19GG niedergelegt sind, zu verbessern, aber (nach Wesensgehaltsgarantie sowieso rechtswidrige) Einschränkungen von Grundrechten nicht zu fordern.
Für eine sehr gute Zusammenfassung der Problematik siehe ipir.at/religionsfreiheit.
--Dingo 23:34, 31. Mär. 2012 (CEST)


Antwort von Bvo: Ob Änderungen von Art.7 Abs.3 wirklich ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt antasten würde, ist zumindest umstritten. Wenn sich der Antragsteller selbst da völlig sicher wäre, dann wäre ja sein Antrag weitgehend überflüssig. Die Religionsfreiheit würde bei Änderungen von Art.7, Abs.3 jedenfalls nicht eingeschränkt, denn Religionsfreiheit beinhaltet auch Freiheit von Religion. Solange der Staat über den Religionsunterricht für irrationale Weltanschauungen wirbt, ist er nicht wirklich neutral und die Trennung von Staat und Religion unvollständig. Zur Erinnerung, der Slogan der Piratenpartei ist "Klarmachen zum Ändern". Für das Bewahren und die Pflege von Religion gibt es genügend andere Parteien.

Richtig. Klarmachen zum ändern. "Klarmachen zum Kentern" wären GRÜ und FDP. Wie BVo bekannt sein dürfte, "wirbt" der Staat nicht für Religionen und Weltanschauungen, sondern stellt ihre Unterweisung unter staatliche Aufsicht.
"Überflüssig" ist es offenbar nicht, weil das Grundsatzprogramm unsere Grundsätze für die Wähler über Wahlen hinaus erklären soll; des weiteren scheint auch innerhalb der PIRATEN hier Klärungsbedarf zu bestehen.
Was sind die "Kernthemen" der PIRATEN?
  1. Bürgerrechte
  2. Transparenz im Staatswesen
  3. Freier Zugang zu Bildung
  4. Reform des Urheberrechts
Man kann argumentieren, das sei früher gewesen, und mittlerweile habe sich die Partei programmatisch erweitert. Was bedeutet das für das wahrgenommene Programm?
    1. BGE
    2. De-Prohibition/Legalisierung von Drogen
    3. Vielfalt in der Gesellschaft durch Akzeptanz anderer Lebensformen
Dieses Programm hat uns nach ipir.at/6e nahezu den Wähler- und Mitgliederquerschnitt einer "Mikro-Volkspartei" gegeben.
Wo ist da Laizismus in dieser Auflistung? Wo ist die Minderheit der 5% Radikal-naturalistischen Atheisten, die plötzlich das Programm einer 5-10%-Partei bestimmen dürfen? Ich finde sie in dieser Auflistung nicht.
Wohl aber finde ich sie in ipir.at/religionsfreiheit:
Allen Fundamentalisten ist eines gemeinsam: die Überzeugung, allein im Besitz der Wahrheit vom Sinn menschlicher Existenz und von dem Weg zu sein, der zur Erfüllung dieses Sinnes führt. Darum bekämpfen Fundamentalisten Vertreter anderer Wertordnungen, und manche halten sich sogar für berechtigt, das mit Gewalt zu tun.
  • Überzeugung, allein im Besitz der Wahrheit zu sein: Symbol OK.svgOK 
  • Überzeugung, der eigene Weg sei der alleinseligmachende: Symbol OK.svgOK 
  • Vertreter anderer Wertordnungen, d.i. der Religionen, bekämpfen: Symbol OK.svgOK 
Damit, und durch die Verweigerung einer konstruktiven, aber auch kontroversen Diskussion, wie man die in Deutschland herrschende und von der überwiegenden Mehrheit der Menschen getragene "aufgeklärte Säkularität" verbessern kann, sieht man: die radikal-laizistische Strömung innerhalb der Partei ist fundamentalistisch.
Daß ein Kompromiß von Säkularisten, die die Trennung von Kirche und Staat konkretisieren wollen, und anderen möglich ist, zeigt sich z.B. an meinem angenommenen Antrag zum Saar-LPT 2012.1, religionsmündigen Minderjährigen die selbständige An- und Abmeldung vom Religionsunterricht zu ermöglichen.
Sind denn die Radikal-Laizisten wirklich in der Mehrheit, wie behauptet? Von 81 Millionen Deutschen sind 63,4% in einer christlichen Kirche www.ekir.de/ekir/dokumente/Tab01.pdf, ca. 5% bekennen sich zum Islam www.remid.de/remid info zahlen.htm, und selbst von denen, die sich als "nicht religiös" angegeben haben (28%, davon aber auch ca. 20% in jeder christlichen Gemeinde - "nur" 66% der Konfessionslosen bezeichnen sich als "nicht religiös" www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-D3C2B1E1-D190416D/bst/detailergebnisse deutschland.pdf) sind bei weitem nicht alle bekennende naturalistische Atheisten, die weit überwiegende Mehrheit dürften Agnostiker sein. - Man kann also bei geschätzt 5% Radikal-Laizisten von einer "gefühlten Mehrheit" sprechen.
Ich bin ziemlich überzeugt, daß der BPT die Abwägung zwischen den in ipir.at/6e beschriebenen breiten Wähler- und Mitgliederschichten und der radikal-laizistischen Minderheit gegen letztere entscheiden, und damit das Kernthema der Bürgerrechte vor das Partikularinteresse einer kleinen weltanschaulichen Schicht stellen wird.
Und damit stehe ich nicht alleine: Wenn man sich die Anträge der Radikal-Laizisten ansieht, dann stellt man sehr schnell die verschleiernde und verklausulierende Sprache fest. Sie behaupten, eine "Trennung von Kirche und Staat" überhaupt erst zu fordern, die es jedoch seit langem schon genauso gibt, und stellen ihre Vorstellung des "Laizismus" nicht als einseitige Benachteiligung religiöser Gruppen gegenüber allen anderen Gruppen und Erhebung des Atheismus zur "Staats-Weltanschauung", sondern als "Umsetzung des Willens der 'Mehrheit'" und "Ende der Benachteiligung von Religionsgemeinschaften" dar.
Was schlicht und einfach falsch ist: Sie werden selbst unter Religionsgemeinschaften außerhalb der beiden Großkonfessionen (je ~25 Mio. Mitglieder in Deutschland!) kaum Unterstützer für ihre Linie finden. Was man auch am auffälligen Fehlen von Mitgliedern dieser "benachteiligten Religionen" unter ihren Fürsprechern sehr schnell sehen kann.
Damit führen diejenigen Laizisten, die gar kein Interesse haben, auf Basis der bestehenden und bewährten Verfassung die Trennung von Kirche und Staat zu optimieren und die "aufgeklärte Säkularität" Deutschlands zu verbessern, bewußt die Parteibasis in die Irre - und, weit schlimmer, verlangen nicht nur, eine Position, mit der die PIRATEN vor drei(!) Jahren in den Wahlkampf gegangen sind, aufzugeben, sondern diese Position ist ein Kernthema, das die PIRATEN an allen Ecken und Enden als Alleinstellungsmerkmal angeben.
Die ist nicht hinnehmbar. --Dingo 13:54, 1. Apr. 2012 (CEST)


Antwort von Bvo:

Du siehst das alles zu verbissen. Ich selbst würde mich eher (wie Richard Dawkins) als Agnostiker an der Grenze zum Atheismus einordnen und ich würde (insbesondere als Naturwissenschaftler) nie behaupten, im Besitz absoluter Wahrheiten zu sein (im Gegensatz zu den meisten Religionsvertetern). Wenn man gegen den Fundamentalismus ist, dann sind Denkverbote, wie sie mit diesem Antrag durchgesetzt werden sollen, genau der falsche Weg.

In den entwickelten Ländern geht der langfristige Trend eindeutig weg von den Religionen. Zu meinem eigenen Erstaunen ist das nun sogar in den USA der Fall, siehe z.B.: Ein Drittel der US-Bevölkerung nicht religiös. Wir sollten uns als moderne Partei diesem Trend nicht verschliessen.

siehe dazu auch: Macht Altern vernünftig?

Für alle, die das Thema Religion emotional stark berührt, hier noch mal was für die Emotionen: Andreas Altmann Autor des Buches "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend"

...und hier kann man abstimmen: Nicht-Christen als große Mehrheit anerkennen