AG Geldordnung und Finanzpolitik/Zins/Die drei Hauptprobleme mit dem Zins

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Vorbemerkung Vorbemerkung:
Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied Thomas Schindler vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel.


Einleitung

Dieser Text soll nicht nur die (aus Sicht des Autors) entscheidenden Kritikpunkte bezüglich des Zinses behandeln, sondern stellt gleichzeitig einen Versuch dar, diese Problematik auf eine so allgemeinverständliche Art und Weise zu erläutern, dass sie auch für wirtschaftswissenschaftliche Laien gut lesbar und verständlich ist. Eine Partei, die gewählt werden will, muss schließlich nicht nur gute Lösungen/Programme anbieten, sondern muss diese auch dem Wähler erklären können. Feedback zu diesem Aspekt dieses Artikels ist also - neben der rein inhaltlichen Auseinandersetzung - ebenfalls ausdrücklich erwünscht.

Die drei Hauptprobleme mit dem Zins

Warum Zinskritik?

Die Kritik am Zins führt im Bereich der Wirtschaftswissenschaften die Existenz eines Exoten. Wer sich damit befasst, stellt sich außerhalb des Mainstreams und bezieht eine Position, die nicht nur vom wirtschaftswissenschaftlichen Establishment sondern sogar auch von der politischen Linken nicht geteilt wird. Angesichts dieser Lage erscheint es sinnvoll, sich zunächst die Frage zu stellen, ob sich die kritische Beschäftigung mit dem Zins überhaupt lohnt. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist eine Betrachtung über die Eigenschaften, die ein Geld- bzw. Wirtschaftssystem idealerweise besitzen sollte. Als drei Hauptpunkte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) wären hier z.B. zu nennen

1. Gerechtigkeit

2. Stabilität

3. Effizienz

Der Wunsch nach Gerechtigkeit war schon immer treibender Faktor für politische Bewegungen und Revolutionen (sowohl gescheiterte, wie zur Zeit der Bauernkriege, als auch zunächst erfolgreiche, wie die französische Revolution). Gerechtigkeit ist nicht immer leicht definierbar, wird aber niemals unwichtig sein.

Dass wirtschaftliche Stabilität für das Leben jedes einzelnen Menschen von herausragender Bedeutung ist, dürfte wohl allgemeiner Konsens sein. Insbesondere in Deutschland dürfte man sich spätestens seit 1945 dessen bewusst sein, dass schwere Wirtschaftskrisen - vorsichtig ausgedrückt - Probleme nach sich ziehen können.

Der Begriff der Effizienz scheint für manche Kreise inzwischen mit negativen Assoziationen behaftet zu sein, sofern man ihn mit Wirtschaft und der Arbeitswelt in Verbindung bringt. Dies ist jedoch eigentlich nicht gerechtfertigt, denn salopp gesagt, bedeutet Effizienz zunächst nichts anderes als zum Beispiel statt 8 Stunden nur 6 Stunden am Tag zu arbeiten und dennoch den gleichen Lebensstandard zu haben, weil die Produktionsmittel, die man benutzt, und die Abläufe, in die man eingebunden ist, effizienter geworden sind. Die Erhöhung des Arbeitsoutputs durch erhöhten Druck auf die Arbeitnehmer hat hingegen mit Effizienz im gesamtwirtschaftlichen Sinne nichts zu tun und ist hier ausdrücklich nicht gemeint.

In den folgenden Betrachtungen werden wir nun sehen, dass der Zins ein Wirtschaftssystem

1. ungerechter

2. instabiler und

3. ineffizienter

macht. Somit liegt wohl nahe, dass eine nähere Betrachtung der Zinsproblematik eine durchaus sinnvolle Angelegenheit sein könnte.


Begriffsdefinition

Bevor wir uns nun intensiver mit dem Zins auseinandersetzen, sollten wir zunächst definieren, was mit „dem Zins“ eigentlich genau gemeint ist. Wenn jemand bei einer Bank einen Kredit aufnimmt, dann enthält der dafür zu entrichtende Zins bekanntlich mehrere unterschiedliche Anteile.

Der Anteil, der bei der Bank verbleibt (Bankmarge), setzt sich zusammen aus dem Risikoanteil, mit dem die Bank die Verluste aus Kreditausfällen kompensiert, den Personal- und Sachkosten und dem Überschuss vor Steuern. Letzterer setzt sich zusammen aus dem, was man die „Bezahlung der unternehmerischen Leistung“ der Bank nennen könnte, und der Verzinsung des Eigenkapitals der Bank.

Der Anteil, der an die Besitzer der Bankeinlagen geht (Guthabenzins), besteht aus dem Inflationsaufschlag, mit dem der inflationsbedingte Kaufkraftverlust des Guthabens kompensiert wird, und dem Realzins, welcher den tatsächlichen Kaufkraftzuwachs des Guthabens darstellt.

Wenn im folgenden von „dem Zins“ die Rede ist, der kritisiert wird, dann sind damit lediglich der Realzins und die Verzinsung des Eigenkapitals der Bank gemeint, denn lediglich diese stellen ein leistungsloses Einkommen aus Eigentum dar.


Zins und Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist ein Begriff, der angesichts der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion, die sich meist um Derivate, Bankenbailouts, Finanzmärkte und Zinsniveaus dreht, schon fast etwas angestaubt und antiquiert wirkt. Dennoch verliert der Wunsch nach Gerechtigkeit niemals an Aktualität. Und die große Masse der Bürger einer jeden Demokratie wird sich gegen Gesetze, Maßnahmen oder Systeme, die sie als ungerecht empfindet, stets zur Wehr setzen, sofern sie eine Chance dafür sieht.

Die Meinungen darüber, was denn nun genau gerecht sei, können jedoch erheblich voneinander abweichen. Die Diskussion über Gerechtigkeit kann gegebenenfalls mit Zahlen und Statistiken untermauert werden, kann aber letztlich nie zu einem endgültigen Beweis, sondern bestenfalls zu einem Konsens führen, dessen Beschaffenheit stets in hohem Maße vom GerechtigkeitsEMPFINDEN der Diskutanten abhängt. In diesem Sinne müssen wir also den Zins vor dem Hintergrund dessen beleuchten, was die große Mehrheit der Menschen heutzutage als gerecht betrachtet:

Hier hätten wir zum Beispiel das wichtige und weit verbreitete Ideal der Chancengleichheit: Dieses fordert, dass alle Menschen, unabhängig von der sozialen Schicht, in der sie geboren wurden, die gleichen Möglichkeiten haben sollten, sich durch eigenen Fleiß Bildung und berufliche Qualifikation anzueignen, welche bekanntlich sehr häufig bestimmende Faktoren für das spätere Einkommensniveau sind. Bereits die beruflichen Perspektiven sollten also idealerweise das Resultat eigener Leistung sein. Eine Bevor- oder Benachteiligung von Kindern nur aufgrund der Einkommenssituation ihrer Eltern wird allgemein als ungerecht empfunden.

Wenn sogar schon der Erwerb der Voraussetzungen für die Erzielung von Einkommen dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden nach möglichst nur von der eigenen Leistung abhängen sollte, so gilt dies natürlich erst recht für das Einkommen selbst. Ein Mensch, der an seinem Arbeitsplatz wahrnimmt, dass Kollegen, die nicht mehr leisten als er, deutlich besser bezahlt werden, wird sich ungerecht behandelt fühlen (eine Situation, die vielen Zeitarbeitern bekannt vorkommen dürfte). Einkommen – das ist breiter gesellschaftlicher Konsens – sollte erarbeitet werden. (Das stellt natürlich keineswegs in Abrede, dass jedem Bürger, unabhängig von seinem Leistungsvermögen, ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht werden sollte. Mindestlöhne und angemessene Leistungen der Sozialsysteme sollten dies sicherstellen.)

Zinseinkünfte sind nun jedoch gerade nicht Einkünfte aus eigener Arbeit sondern Einkünfte aus Eigentum. Diese widersprechen ganz klar nicht nur dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden sondern sogar auch den vor allem von liberalen und konservativen Parteien verbreiteten Parolen ("Leistung muss sich wieder lohnen"). Im rein juristischen Sinne kann als Leistung zwar auch die leihweise Überlassung von Kapital betrachtet werden. Im umgangssprachlichen Verständnis meint "Leistung" jedoch geleistete Arbeit. Keine Partei würde je auf die Idee kommen, Plakate mit dem Slogan "Kreditvergabe muss sich wieder lohnen" zu drucken.

Im Sinne des oben gesagten ist der Zins ganz sicher als Ungerechtigkeit zu betrachten. Wenn seitens der breiten Masse der Bevölkerung dennoch kaum Forderungen nach einer Umgestaltung der heutigen Wirtschaft zu einem zinsfreien System erhoben werden, dann dürfte dies hauptsächlich zwei Gründe haben:

1. Den meisten Menschen ist überhaupt nicht bewusst, dass es zum aktuellen System überhaupt Alternativen gibt. Üblicherweise wird eine sozialistische Planwirtschaft als einziger Gegenentwurf zur heutigen zinsbelasteten Marktwirtschaft gesehen, und hauptsächlich aufgrund der Erfahrungen in den osteuropäischen Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (wenig überraschenderweise) abgelehnt.

2. Die zinsbedingte Umverteilung von Arm zu Reich erfolgt weit gehend unsichtbar. Diejenige Erscheinungsform des Zinses, mit der die meisten Menschen am häufigsten konfrontiert werden, sind die Guthabenzinsen auf ihrem Sparkonto, welche sicherlich eher positive Assoziationen wecken. Kreditzinsen werden schulterzuckend als ganz normal hingenommen – man kennt es ja nicht anders. Man stelle sich jedoch vor, auf jedem Preisschild und auf jeder Rechnung wäre der Zinsanteil aufgeführt, um den der betreffende Preis in einem zinsfreien System niedriger läge. Jedermann könnte sich relativ mühelos ausrechnen, wie viele in Steuern und Preisen versteckte Zinsen er monatlich zahlt, und diese mit den Guthabenzinsen, die er regelmäßig erhält, vergleichen. Die Bilanz würde vermutlich der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung die Zornesröte ins Gesicht treiben, denn spätestens in diesem Augenblick würde vielen Menschen klar, dass sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitsleistung nur zur Aufbringung von Zinskosten erbringen müssen. Eine breite Diskussion über die Abschaffung des Zinses gibt es nur deshalb nicht, weil sich die überwiegende Mehrheit der Menschen des oben geschilderten Umstandes und der darin innewohnenden Ungerechtigkeit nicht bewusst ist.


Zins und Stabilität

Zinsen, oder allgemeiner: Einkommen aus Eigentum, werden logischerweise nur dort erzielt, wo auch (nicht ausschließlich privat genutztes) Eigentum vorhanden ist. Je größer das Eigentum, desto größer auch das Einkommen. Mit wachsendem Einkommen sinkt allerdings bekanntlich die Konsumquote, also der Anteil des Einkommens, der wieder verkonsumiert wird, was dazu führt, dass Vermögen tendenziell umso schneller wachsen, je größer sie sind (jedenfalls dort, wo Einkommen aus Vermögen die überwiegende Einkommensform sind). Wenn in einem Wirtschaftsraum die Summe der Vermögen wächst, dann bedeutet dies, dass nicht alle Einkommen direkt wieder verkonsumiert wurden. Daraus resultiert ein gesamtwirtschaftliches Nachfragedefizit (nicht alle angebotenen Produkte und Dienstleistungen wurden nachgefragt), es sei denn, dieses wird dadurch kompensiert, dass sich entweder die Privathaushalte oder der Staat verschulden und den "fehlenden" Konsum aus Kreditmitteln bestreiten. Liegt das prozentuale Wachstum der Schulden über dem Wirtschaftswachstum, so muss ein immer größerer Anteil des BIP zum Bestreiten der Zinszahlungen aufgewendet werden, was natürlich nicht bis in alle Ewigkeit fortgeführt werden kann. Lange bevor ein solches System einen rein ökonomisch bedingten Kollaps erleidet, können bereits politische Instabilitäten auftreten. Denn das Anwachsen der Schulden auf der einen und der Vermögen auf der anderen Seite führt zu einer immer weiteren Öffnung der Einkommensschere zwischen Arm und Reich. Irgendwann wird dies auch größeren Teilen der Bevölkerung bewusst, die dann, je nach Reaktion der politischen Machthaber, versuchen werden auf friedlichem oder gewaltsamem Wege eine Änderung des Systems herbeizuführen.


Zwischenbemerkung zum Gerechtigkeits- und Stabilitätsproblem

Sowohl das Gerechtigkeits- als auch das Stabilitätsproblem können im Prinzip auch ohne eine grundlegende Systemänderung gelöst werden. Das permanente Anwachsen von Schulden auf der einen und Vermögen auf der anderen Seite ließe sich vermutlich bereits durch eine ausreichend hohe Erbschaftssteuer in den Griff bekommen. Das Gerechtigkeitsproblem hätte dann allerdings noch Bestand, denn eine Person, die in relativ jungen Jahren zu Vermögen gekommen ist, könnte daraus immer noch für den Rest ihres Lebens ein leistungsloses Einkommen beziehen. Eine Vermögenssteuer jedoch würde auch dieses Problem eliminieren können.

Dennoch gibt es zwei gewichtige Argumente, welche eine grundlegende Systemänderung angeraten erscheinen lassen. Das eine ist ein politisches, das andere ein ökonomisches.

1. Erbschafts- und Vermögensteuern sind Größen, die je nach politischer Großwetterlage variiert werden können. Selbst wenn man eine ganze Generation über die Ungerechtigkeit eines Zinssystems und die Folgen zinsbedingten Schuldenwachstums aufklärt, so besteht die Gefahr, dass die nachfolgende Generation durch entsprechende Propaganda der Macht- und Vermögenseliten dermaßen desinformiert wird, dass sie einer Senkung oder gar Abschaffung dieser Steuern nichts entgegensetzt. Ein Wechsel zu einer Wirtschaftsordnung, welche das Entstehen von Einkommen aus Eigentum in ihrer Grundkonstruktion ausschließt, ist mit Sicherheit die politisch beständigere Maßnahme.

2. Noch viel bedeutender ist jedoch der Umstand, dass Zinsen zu einer gesamtwirtschaftlichen Fehlsteuerung führen, wie im folgenden dargelegt werden soll.


Zins und Effizienz

Um dieses – letztlich entscheidende – Argument der Zinskritik nachvollziehen zu können, muss man sich zunächst klarmachen, welche Funktion Märkte eigentlich haben: An Märkten bilden sich zum einen Preise durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, zum anderen treten dort Anbieter vergleichbarer Produkte miteinander in Konkurrenz. Dort, wo eine hohe Nachfrage vorherrscht, steigen die Preise und damit die Renditen, was dazu führt, dass in diesem Bereich mehr Kapital investiert wird und sich somit das Angebot vergrößert. Unternehmen, deren Produkte am ehesten den Wünschen der Kunden entsprechen, bzw. die bei vergleichbarer Qualität am günstigsten Angeboten werden, können ihre Marktanteile erhöhen und ihre Konkurrenz zurückdrängen. Dadurch setzen sich stets die besten Produkte und die effizientesten Produktionsprozesse durch - jedenfalls in der Theorie. Das Ziel ist dabei, die endlichen zur Verfügung stehenden Ressourcen (z.B. menschliche Arbeitskraft, Energie, Rohstoffe, Boden, Umwelt) so einzusetzen, dass damit maximaler Wohlstand erzeugt wird. Dies wird üblicherweise als effiziente bzw. optimale Ressourcenallokation bezeichnet.

In einer zinsbelasteten Wirtschaft geht nun aber neben den Kosten für die beanspruchten Ressourcen noch ein weiterer Faktor in die Preise ein: Der Zins. Dieser repräsentiert keine Kosten für Ressourcenverbrauch, sondern stellt lediglich einen Umverteilungsfaktor dar. Dadurch kann es vorkommen, dass ein Produkt, für welches bei gleicher Qualität weniger Ressourcen aufgewendet werden müssen, als für ein Konkurrenzprodukt, dennoch zu einem höheren Preis angeboten werden muss, weil es über eine zeitliche Kostenstruktur verfügt, welche zu höheren Zinskosten führt.

Das bedeutet, dass es in einem zinsbelasteten Wirtschaftssystem prinzipiell keine optimale Ressourcenallokation geben kann, weil der Zins zu einer zinsbedingten Fehlallokation von Ressourcen führt!

Um diese Aussage etwas leichter nachvollziehbar zu machen, möchte ich hier einmal ein stark vereinfachtes Beispiel dafür darstellen, wie man sich das Zustandekommen von zinsbedingten Fehlallokationen vorstellen kann:


Beispiel: Die Energieversorgung von A-Land und B-Land

Die Ausgangssituation

Die beiden gleich großen Staaten A-Land und B-Land planen ihre zukünftige Energieversorgung, weil das Öl immer knapper wird und sie ihre Ölkraftwerke in den nächsten Jahren mehr und mehr stilllegen wollen. Beide haben einerseits große Kohlevorräte, andererseits große Flächen auf denen sich gut Windenergie erzeugen ließe. A-Land hat ein zinsfreies Wirtschaftssystem, B-Land ein zinsbelastetes.

Die Energieversorger beider Länder wollen nun herausfinden, ob sie in Zukunft mehr auf Windenergie oder auf Kohlekraftwerke setzen sollten, und berechnen, welche Art der Energieversorgung für sie mit geringeren Kosten einhergeht. Dabei gelten der Einfachheit halber folgende Annahmen:


- Die Laufzeit eines Kohlekraftwerks ist identisch mit der eines Windkraftwerks (20 Jahre).

- Die Bezahlung aller in der Energieindustrie arbeitenden Personen ist gleich.

- Alle Rohstoffe, die für den Bau der Kraftwerke erforderlich sind, werden jeweils im Inland abgebaut und verarbeitet, so dass letztlich alle zum Bau der Kraftwerke und zum Abbau der Kohle erforderliche Arbeit im Inland geleistet wird.

- Kosten für die Wartung und Personalkosten für den Betrieb der Kraftwerke werden vernachlässigt.

- Benötigt werden entweder 10 Kohlekraftwerke oder 1000 Windräder.

- A-Land und B-Land haben sich über der Zinsfrage so zerstritten, dass sie keinerlei Handel miteinander treiben. Die Arbeitnehmer in A-Land verdienen im Durchschnitt genauso viele A-Land-Taler, wie die Arbeitnehmer in B-Land B-Land-Taler.

- In diesem Beispiel wird nur der Realzins berücksichtigt, die anderen Zinsanteile werden weggelassen, um die Rechnung nicht zu verkomplizieren. An dem Prinzip, das deutlich gemacht werden soll, ändert sich dadurch aber nichts.

- Kosten, die für die Beschaffung der Produktionsmittel anfallen, sowie die dafür notwendigen Zinsen, sind klein gegenüber den Gesamtkosten und außerdem bei beiden Lösungen etwa gleich groß, so dass sie vernachlässigt werden können.


Die Berechnung

A-Land berechnet (zinsfrei):

10 Kohlekraftwerke kosten zusammen 10 Millionen Taler, während ihrer Laufzeit von 20 Jahren verbrauchen sie für 40 Millionen Taler Kohle. Gesamtkosten 50 Millionen Taler in zwanzig Jahren. 1000 Windkraftwerke kosten zusammen 40 Millionen Taler

Die Sache ist klar: A-Land entscheidet sich für die Windkraft.


B-Land berechnet (zinsbelastet):

10 Kohlekraftwerke kosten zusammen 10 Millionen Taler für den Bau der Kraftwerke und 5,84 Millionen Taler Zinsen bei einem Zinssatz von fünf Prozent und einer Laufzeit von 20 Jahren. Dazu kommen Kosten für die Kohle von 40 Millionen Talern (ohne Zinsen, weil die Kohle erst in dem Moment, in dem sie zur Energieerzeugung benutzt wird, und somit praktisch direkt aus den Einnahmen der Energieerzeuger und nicht auf Kredit bezahlt wird.) Gesamtkosten 55,84 Millionen Taler. 1000 Windkraftwerke kosten 40 Millionen Taler, plus 23,36 Millionen Taler Zinsen (ebenfalls 20 Jahre Laufzeit). Gesamtkosten 63,36 Millionen Taler.

Aufgrund dieser Rechnung entscheidet sich B-Land für die Energieerzeugung aus Kohle.


Die Konsequenzen

Über zwanzig Jahre hinweg wird der Umbau des Energiesektors beider Länder durchgeführt. A-Land baut jedes Jahr fünfzig neue Windräder, B-Land alle zwei Jahre ein neues Kohlekraftwerk. Danach besucht der Präsident von B-Land A-Land und wundert sich, dass man dort auf Windenergie gesetzt hat, wo man in B-Land doch errechnet hat, dass diese Art der Energieerzeugung teurer ist als Energie aus Kohle.

„Da habt ihr sicherlich einen Fehler gemacht“ meint er zum Präsidenten von A-Land. „Das kommt bestimmt von eurem komischen zinsfreien Wirtschaftssystem.“ Als ihm der Präsident von A-Land entgegnet, dass die Energieversorgung A-Land nur 40 Millionen Taler in zwanzig Jahren kostet (bei gleichem durchschnittlichem Stundenlohn von A-Ländlern, bezahlt in A-Land-Talern und B-Ländlern, bezahlt in B-Land-Talern), während B-Land doch dafür 63,36 Millionen ausgibt, erwidert der Präsident von B-Land ausweichend, das könne man aufgrund der verschiedenen Wirtschaftssysteme so nicht vergleichen. Entscheidend sei die Effizienz der Ressourcenallokation.

„Dann wollen wir mal sehen, welches Land für seine Energieversorgung bei gleichem Bedarf mehr Ressourcen aufwendet: Ihr oder wir“ entgegnet da A-Land-Präsident. „Also, bei uns sieht das so aus, dass sich die 40 Millionen Taler in zwanzig Jahren – also zwei Millionen jährlich - auf zweitausend Arbeiter verteilen, die jeweils tausend Taler im Jahr verdienen. Die bauen uns pro Jahr 50 Windkraftwerke, vom Abbau der Rohstoffe dafür bis zur Installation. Da ab sofort jedes Jahr 50 Windkraftwerke ersetzt werden müssen, reichen uns also diese zweitausend Arbeiter, um unsere Energieversorgung dauerhaft sicherzustellen.“ „Dann schauen wir doch mal, wie das bei uns aussieht“ meint da B-Land-Präsident. „Wir müssen alle zwei Jahre ein Kohlekraftwerk ersetzen, was uns eine halbe Million Taler pro Jahr für die Bezahlung der fünfhundert Arbeiter kostet, die das erledigen. Dazu kommen noch zweitausend Arbeiter, die den Kohleabbau übernehmen und zusammen 2 Millionen Taler pro Jahr bekommen. Bei uns arbeiten also 2500 Menschen dafür genau den gleichen Energiebedarf zu decken, den ihr mit der Arbeitsleistung von 2000 Menschen deckt. Hm! Da muss doch was faul sein.“

Nach längerem Grübeln kommt B-Land-Präsident auf den entscheidenden Unterschied: „Ha, jetzt hab ich’s. Ihr A-Ländler habt in den letzten zwanzig Jahren doch mehr Ressourcen für die Deckung eures Energiebedarfs genutzt als wir. Bei euch haben nämlich alle 2000 Arbeiter, die eure Windräder produzieren, vom ersten Tag der letzten zwanzig Jahre an gearbeitet, bei uns dagegen fangen gerade jetzt erst die letzten Arbeiter in der Kohleproduktion an zu arbeiten, weil jetzt erst das zehnte Kohlekraftwerk in Betrieb genommen worden ist und wir deshalb erst jetzt die volle Förderleistung benötigen. Rechnet man die Gesamtarbeitsleistung zusammen, die für unsere Energieversorgung in den letzten zwanzig Jahren erbracht wurde, so ist die geringer als die bei euch.“ „Das stimmt“ entgegnet der Präsident von A-Land. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir ab jetzt in der Lage sein werden, unsere Energieversorgung mit 500 Arbeitern weniger zu bewerkstelligen als ihr, und das theoretisch bis in alle Ewigkeit. Und wenn vielleicht eines Tages eine bessere Energiequelle als Windkraft zur Verfügung steht, und wir anfangen, eine andere Art von Kraftwerken zu bauen, dann bekommen wir genau die Arbeit, die wir in den letzten zwanzig Jahren mehr geleistet haben als ihr wieder zurück, denn unsere Windkraftwerke werden dann noch eine ganz Weile Energie liefern, ohne dass wir dafür irgendwelche Ressourcen aufwenden müssen, während ihr noch viele Leute in der Kohleförderung beschäftigen müsst. Und wenn man dann am Ende der Kohle- oder Windkraftära einmal ausrechnet, wie viele Ressourcen welches Energiesystem verschlungen hat, wird man feststellen, dass unsere Windkraft zwanzig Prozent weniger Ressourcen gebraucht hat, als eure Kohlekraft.“

Da musste der Präsident von B-Land schließlich zugeben, dass in seinem Land aufgrund dessen zinsbelastetem Wirtschaftssystems in Bezug auf die Energieversorgung die falsche Entscheidung getroffen worden war und man sich für die weniger effiziente Lösung entschieden hatte.


Kommentar zur Geschichte von A-Land und B-Land

Dieses Beispiel ist selbstverständlich extrem vereinfacht, die Zahlen sind – auch was ihre Proportionen zueinander angeht – frei ausgedacht, und das Ganze soll definitiv kein Beweis dafür sein, dass wir ab sofort nur noch Windkraftwerke bauen sollten! Dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass die Tatsache, dass wir praktisch weltweit ein zinsbelastetes Wirtschaftssystem haben, den ökologischen Umbau der Weltwirtschaft nicht unerheblich behindert. Bei den meisten umweltfreundlichen Energieformen (Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft) oder Energiesparmaßnahmen (vom der Energiespartechnik im Auto bis zur Wärmeisolation), steht zu Beginn eine hohe Anfangsinvestition mit daran anschließenden geringen Betriebskosten, während konventionelle Energieerzeugung (Kohle, Gas, Öl) meist mit einer vergleichsweise geringen Anfangsinvestition, dafür aber höheren laufenden Kosten (eben für die benötigten Brennstoffe) einhergeht. Dass die Zinsen, die für die hohen Anfangsinvestitionen anfallen, die alternativen Energieformen und die Energiesparmaßnahmen dann ineffizienter erscheinen lassen, als sie realwirtschaftlich sind, wurde in dem obenstehenden Beispiel gezeigt. Dieser Effekt ist denn auch mit schuld daran, dass manche alternativen Energieformen, insbesondere aber Energiesparmaßnahmen, heute subventioniert werden müssen, um gegenüber der fossilen Energieerzeugung konkurrenzfähig zu sein, obwohl dies in einem zinsfreien System eventuell gar nicht nötig wäre. Die zinsbedingte Fehlallokation von Ressourcen beschränkt sich dabei selbstverständlich nicht auf den Energiesektor, sondern zieht sich durch die gesamte Wirtschaft.

Da unterschiedliche Währungen bei Ländern mit unterschiedlichem Wirtschaftssystem bezüglich ihrer Kaufkraft nicht ohne weiteres vergleichbar sind, wurde der Ressourcenverbrauch in diesem Beispiel auf eine einzige Größe – nämlich die menschliche Arbeitskraft – herunter gebrochen, welche somit als Vergleichsparameter benutzt werden kann. Die richtige Antwort auf die Frage: „Was ist effizienter, Windkraft oder Kohle?“ hätte in diesem Fall „Windkraft“ gelautet, weil hier das gleiche Produkt - nämlich die Energieproduktion für ein ganzes Land - mit der Arbeitskraft von nur 2000 Personen hergestellt werden konnte, für welche bei der Energieproduktion durch Kohle 2500 Personen benötigt würden. Das zinsbelastete Wirtschaftssystem hat jedoch dabei versagt, die Entscheidung für die effizientere Lösung herbeizuführen.

Dabei handelt es sich keineswegs um einen marginalen Effekt, der lediglich von rein akademischem Interesse ist. Für den Zinsanteil z.B. in Mieten kursieren Angaben von bis zu 80%. Selbst wenn wir einmal annehmen, dass der Anteil des Realzinses daran – also der Anteil, der in einem zinsfreien System wegfiele – deutlich geringer ist, lässt sich ganz grob abschätzen, dass die Mieten heutzutage etwa doppelt so hoch sind, wie sie in einem zinsfreien System sein könnten. Wir haben es hier also mit einer ganz massiven Verzerrung des Preisgefüges zu tun, welche die gesamtwirtschaftliche Effizienz signifikant senkt und für deren weitere Hinnahme es keinerlei Grund gibt.

Thomas Schindler