AG Geldordnung und Finanzpolitik/Grillfeste/Positionspapier zur Zinskritik
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Vorbemerkung: Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied lootssl vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel. |
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Dies ist ein Positionspapier für die in der AG strittige Zinskritik, erstellt von Lootssl (ggf. weitere Namen einfügen). Auf dieser Seite wird die Meinung vertreten, dass Zinsen negative Effekte aufweisen; dies wird im folgenden genauer erläutert. Die Gegenposition wird hiervon getrennt unter Kontrapapier zur Zinskritik behandelt.
Grundlagen
Positionierung
Der Begriff Zinskritik weist leider keine einheitliche Definition auf. Auch die Menge der Personen, die dem Zins kritisch gegenüberstehen, ist sehr breit und reicht von Personen, die Zinsen als systemisches Problem bestimmter geldpolitischer Gestaltungsformen ansehen bis hin zu Gruppen, die Zinsen als religiöses Problem behandeln, darunter in der Menschheitsgeschichte Christen, Juden und Moslems. Die Zinskritik wurde auch oftmals als Politikum benutzt, unter anderem im Marxismus und von den Nationalsozialisten. Solch ideologisierender oder moralisierender Position soll hier nicht gefolgt werden; vielmehr ist eine wertungsneutrale Darstellung der Effekte von Zinsen im Geldsystem angestrebt.
Hierzu wird auf Basis folgender Definition gearbeitet: Die Zinskritik im Verständnis dieses Positionspapiers versteht den Zins als systemisches Problem, da er deterministische Effekte im Geldsystem auslöst. Die Zinskritik wird also als spezifische Kritik des (vorherrschenden) Geldsystems verstanden.
Was sind Zinsen?
Wikipedia sagt uns, dass Zins das Entgelt für ein über einen bestimmten Zeitraum zur Nutzung überlassenes Sachgut oder Finanzinstrument (Geld) ist. Das erfordert hier eine Eingrenzung: Diese Zinskritik befasst sich nur mit Zinsen auf Geld, die, vereinfacht ausgedrückt, den Effekt haben, dass man beim sich-leihen von Geld über einen Zeitraum am Ende mehr zurückbezahlen muss, als man sich geliehen hat. Noch einfacher ausgedrückt sind Zinsen der Preis für Geld (bzw. korrekter der Preis für eine temporäre Überlassung von Geld). Während dies zwar die Frage aufwirft, warum hat Geld einen Preis?, nehmen wir es hier einfach als Datum des bestehenden Geldsystems hin (welches wir ja kritisieren wollen) und widmen uns den philosophisch-moralischen Aspekten erst am Ende. Eine weitere Frage, die sich ergibt ist allerdings
Was ist Geld?
Hier erklärt uns die Bundesbank das Geld anhand dreier Funktionen: Geld ist ein Tausch- und Zahlungsmittel, eine Recheneinheit und ein Wertaufbewahrungsmittel. Weiterhin erläutern die Zentralbanker, dass diese Funktionen nur dann durch "Geld" erfüllt werden können, wenn "das Geld gut teilbar, wertbeständig und allgemein akzeptiert" ist.
Diese drei Punkte sind zwar wichtig zum Verständnis des aktuell vorherrschenden Geldsystems (unten), machen aber ein bisschen den Eindruck, dass die Bundesbank nicht so genau sagen will, was Geld ist, da es ein bisschen so klingt, als würde ich eine Kuh dadurch definieren, dass sie Milch und Fleisch produziert, was nur dann funktioniert, wenn sie Gras frisst.
Die deutsche Wikipedia hilft uns mit der Beschreibung "Geld ist ein Begriff für ein Wertäquivalent" auch nicht weiter, da wir dann erstmal "Wert" definieren müssten, aber netterweise liefert die englische Wikipedia etwas brauchbares: Geld ist ein Objekt oder Beleg, der innerhalb eines sozioökonomischen Kontexts (beispielsweise einem Land) als Zahlungsmittel für Güter und Leistungen sowie zur Begleichung von Schulden akzeptiert wird.
Was sind Schulden?
Die Frage "was sind Schulden" klingt einfacher, als sie ist. Schulden sind Verbindlichkeiten, und Verbindlichkeiten sind offene Verpflichtungen, die der Höhe nach definiert sind.[1] Einfaches Beispiel: Wenn ich eine Flasche Milch haben will, kann ich dieses Gut mit Geld bezahlen. Tue ich dies nicht, sondern benutze beispielsweise meine Kreditkarte, dann bezahlt der Kreditkartenanbieter für mich, im Gegenzug schulde ich diesem jetzt Geld, bis ich ihn bezahlt habe. Schulden sind also der Effekt einer zeitlichen Verzögerung der Bezahlung.
Zinskritik: Der zentrale Systemfehler
Wenn (und nur wenn, das ist wichtig) alle obigen Punkte als gegeben angesehen werden, ist ab hier eine Erläuterung der Zinskritik möglich. Es wird weiterhin von einem reinen Schuldgeldsystem ausgegangen.
Geldschöpfung
Wir wissen ja nun, was Geld ist, aber leider noch nicht, wo es herkommt. Die Bundesbank erklärt ziemlich kompliziert, wie das heute funktioniert, aber fangen wir mal einfach an. Wir wissen ja nun, dass quasi alles, was als Zahlungsmittel (bzw. Tauschmittel) für Leistungen oder zur Begleichung von Schulden akzeptiert wird, Geld ist; zumindest, wenn das für einen größeren sozialen Kreis gilt. Wenn ich also auf einer kleinen Insel für Wattestäbchen (die hätten durch ihre Langlebigkeit eine Wertaufbewahrungsfunktion, und zählen kann man sie auch, also sind sie eine Recheneinheit im weitesten Sinne) mir Fische, Holz und die Tochter des Stammeschefs kaufen kann, dann sind Wattestäbchen Geld. Theoretisch. In der Praxis braucht man dafür eher etwas weniger nützliches, beispielsweise Kupferringe, wie David Graeber sehr ausführlich beschreibt. Oder, wenn wir uns jetzt aufs Festland bewegen (wo das mit der Tochter schwieriger wird), Edelmetalle wie Gold und Silber. Soweit die früheren, einfachen Geldkonzepte im Überblick.
Da ist ganz klar, wo das herkommt: Das Wattestäbchen hab ich aus einem Pappröllchen und ein bischen Watte, welche ich beide vorher hergestellt habe, zusammengebastelt; die Edelmetalle irgendwo ausgegraben.
Nun brauche ich aber heute, wenn ich Fische und Holz haben will, Bargeld oder eine EC-Karte. Bargeld sind ein paar sehr aufwändig bedruckte Stücke Papier oder Münzen aus weitgehend unedlen Metallen, und die EC-Karte verändert einen Zahlenbetrag auf meinem Girokonto. Woher die kommen? Selber machen geht ja nicht, und da kommen wir zur modernen Geldschöpfung: Die Zahlen und die Papierfetzen hat wer anderes gemacht, der darauf ein Monopol beansprucht (theoretisch der Staat). Der Staat darf das mit dem "Geld machen", wenn es dafür ein Gesetz gibt. Das gibt es so ähnlich; der Staat selber darf das nicht, aber die Zentralbank. Das Gesetz erlaubt aber auch auch privaten Banken, "Geld" zu machen, zumindest Zahlen auf meinem Girokonto. Dafür müssen die nicht beeindruckend viel machen, wenn ich Geld von meiner Bank will und keines habe, gehe ich hin, sage, ich brauche 1000 Euro, und dann gibt mir die Bank einen Kredit. Und dann habe ich 1000 Euro auf dem Girokonto und kann mit meiner EC-Karte Milch kaufen. In Wirklichkeit ist das ein bischen komplizierter, aber für hier reicht es, zu wissen, dass ich nur dann an Geld komme, wenn ich einen Kreit aufnehme.
("Ich" sind hier "alle" - natürlich kann ich von jemand anderem Geld bekommen, ohne mich zu veschulden (beispielsweise, weil ich ihm einen Fisch verkaufe), aber irgendwer hat sich erstmal verschulden müssen, um das Geld zu bekommen, der jemand anderes, der mir das Geld gibt, oder noch jemand anderes vor ihm).
Das Problem des Zinses I
So weit, so gut, dann haben ja alle, die Geld wollen, einfachen Zugriff auf Geld. Und das funktioniert ja auch eigentlich supert. Zumindest solange, bis sie es zurückgeben müssen - ist ja nur ein Kredit, also Geld, was auf Schulden basiert, und das muss man zurückgeben. Wäre ich jetzt der einzige, der sich Geld geliehen hat, hätte ich ein großes Problem: Meine Bank will nämlich nicht nur das Geld wieder haben, was ich mir geliehen habe, sondern auch noch Zinsen dafür. Die gibt es aber nicht (wie gesagt, noch bin ich ganz alleine).
Ab jetzt wird alles grafisch veranschaulicht, dabei sind die Zinsforderungen, die nicht als Geld existieren, immer rot. Die "Geldmenge", also das existierende Geld, bekommt andere Farben. Was zurückgezahlt werden muss, sind immer alle Kästchen. Die Zinsen sind bei 10%. Geld, was die Bank hat, ist orange (und existiert auch). Geliehenes Geld wird bei Rückzahlung "vernichtet", das ist mehr oder weniger wirklich so. Hier also der soeben geschilderte Fall 1, an dem schön deutlich wird, dass der Zins fehlt.
Das Problem ist, dass die Bank mir 10 graue Kästchen Geld geliehen hat, also eine Geldmenge von 10 geschaffen hat. Die Rückforderung ist aber 11, 1 mehr, als geschaffen wurde. Dies ist der zentrale Kritikpunkt der Zinskritik: Der Zins wird nicht mitgeschöpft.
Das Problem des Zinses II
Nun könnte man - was viele tun - sagen, dass ich ja nicht alleine bin, und das dann nicht mehr so prägnant wäre. Also nehmen wir 9 weitere Leute dazu, die sich jeweils gleich viel Geld leihen (in Wirklichkeit sind das in der EU mehrere hundert Millionen, aber das würde unübersichtlich). Und weil ich Fischer bin und jemandem für ein graues Kästchen Geld einen Fisch verkauft habe, habe ich genug, um meine Schulden zurückzubezahlen:
Jetzt hat die Bank Geld, und ich bin schonmal schuldenfrei. Gut für mich. Nicht so gut für die anderen, die haben immer noch Schulden. Nachdem bevor wir angefangen haben keiner Schulden hatte, versuchen wir doch mal, ob alle ihre Schulden wieder loswerden:
Damit das oben dargestellte funktioniert, musste einer der Marktteilnehmer den anderen neun jeweils ein graues Kästchen abgeben. Der hat nun kaum noch Geld, dafür die Bank recht viel, und, wie schon bei Fall 1 gezeigt - selbst wenn der Mann bei der Bank arbeitet und die gesamten Bankgewinne einstreicht, kann er seinen Kredit nicht mit Zinsen zurückbezahlen; wir wären nur wieder bei Fall 1 mit dem Ergebnis: Der Zins fehlt.
Das Problem des Zinses III
Nun könnte man - was viele tun - sagen, dass es keine gute Idee ist, die Geldmenge zu reduzieren, da man das Geld ja zum "Wirtschaften" braucht, was sicher ein berechtigter Einwand ist. Ausserdem brauche ich (so wie alle anderen auch) ja Geld zum Leben und Wirtschaften. Insofern spielen wir das mal so durch, dass "mein" Geld jetzt lila ist - und ich "immer" welches habe:
Umverteilung die erste
Auch hier musste ich, was grafisch nicht dargestellt ist, zur Tilgung von irgendwem ein graues Kästchen bekommen, aber das könnten alle so machen wie ich und das System würde ewig weiter funktionieren. Davon können zwar die Schulden nicht getilgt werden, aber zumindest funktioniert das soweit; zumindest wenn die Banken ihre Gewinne wie oben wieder ausgeben. Das Problem an dieser Situation ist, dass quasi alle nur für die Bank arbeiten - die ist der einzige, der wirklich Geld "bekommt", alle (!) anderen müssen tauschen, wahrscheinlich ihre Arbeitsleistung. Nun erfüllt die Bank mit der Geldschöpfung zwar eine wichtige, nein, vitale Funktion für das Funktionieren des Systems, die man durchaus auch entlohnen muss (die Banken haben ja auch einen gewissen Arbeitsaufwand), aber einige Zinskritiker - prominent die Nazis[2], aber auch Attac - finden hier, dass die Banken ein bischen zu viel dafür bekommen, was sie leisten, und titulieren das Ganze "Zinsknechtschaft".
Knechtschaft, an dieser Stelle, bedeutet einen Zustand der Ausbeutung, und diese ist nach §138 BGB verboten: "Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage ... eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen".
Nun, die Zwangslage ist klar: ohne Banken kein Geld, ohne Geld keine Wirtschaft, ohne Wirtschaft keine Steuern, ohne Steuern kein Staat, ohne Staat Chaos. Muss man nicht so eng sehen, machen aber wohl die meisten. Der Knackpunkt ist damit das auffälligen Missverhältnis zur Leistung - und das kann man so und so sehen. Ist aber ein anderes Thema, also zurück zum Zins.
Umverteilung die zweite
Die zweite Konsequenz dessen, dass die Zinskosten innerhalb der nicht-Finanzwirtschaft durch Umverteilung erarbeitet werden müssen ist, dass die Zinsbeträge (respektive Zinskosten) auf die Preise für Produkte und Leistungen aufgeschlagen werden müssen. Ein Unternehmen muss also nicht nur per se profitabel arbeiten, sondern auch noch die Zinserträge erwirtschaften. Über die Höhe (zwischen einem und 30%, stellenweise mehr) wird heftigst diskutiert, aber die Existenz ist ein Faktum. Dies bedeutet, dass alle Konsumenten auch beim Konsum einen Anteil des Bankengewinns finanzieren. Inwiefern man diese "von unten nach oben"-Umverteilung gutheisst, ist ebenfalls an dieser Stelle von untergeordneter Bedeutung; wichtiger ist der faktische Effekt der Zinsen.
Das Problem des Zinses IV
Was bislang nicht berücksichtigt wurde, ist, was passiert, wenn jemand seine Zinsen nicht zurück bezahlt. Das passiert bei Privatkrediten häufiger, scheint aber nicht als großes Problem angesehen zu werden... ist es aber. Dafür könnte man sich an dieser Stelle ansehen, wie Banken damit umgehen, da sie das Geld nicht völlig aus der Luft, sondern mehr oder weniger auf die gleiche Art von den Zentralbanken bekommen und so auf höherere Ebene vor dem gleichen Problem stehen wie alle Privatakteure. Alle wissen, dass die Banken nach dem Platzen der "Immobilienblase", also einem massenhaften Privatkreditausfall (verschärft durch Spekulationen, aber das ist ein anderes Thema), "gerettet" wurden. Und wie wurden sie gerettet? Genau wie andere, "wichtige" Schuldner, beispielsweise Staaten wie Griechenland, durch, na?, neue Kredite.
Aber sparen wir uns die Banken und nehmen wir mal einen Staat als Beispiel, die zahlen ja Kredite nie wirklich zurück, sondern verschulden sich quasi immer neu und mehr. Das funktioniert grafisch gesehen dann so:
Naja, das ist ja jetzt nur ein bischen gewesen, aber immerhin trägt hier der Staat zum Geldmengenwachstum bei (was wir ja für Wirtschaftswachtum brauchen?!), und so wird deutlich, dass wenn nur ein "schlechter" Schuldner (in der Realität ist das de facto der Staat) immer mehr Geld bekommen, führt das schuldenbasierte Zinssystem in eine immer stärker anwachsende Verschuldung.
Die harte Realität
Nun mag man hier argumentieren, dass das alles kein "systemisches" Problem ist, sondern eines der Staatsfinanzen (welches man wie lösen könnte?, oder dass das in der Realität ganz anders aussieht (ach?), oder alles ganz andere Gründe hat - letzteres mag teilweise dazuspielen, aber es sollte gezeigt worden sein, dass die schuldenbasierte Geldschöpfung sicher ihren Anteil hat.
Zum Abschluss darf nochmal, für alle, die alles durch Umverteilung und Nicht-Sparen zu lösen vermögen denken, hier der Status Quo dargestellt werden, damit es diesen ein bischen schwerer fällt: Wenn man nun ein paar Daten von Eurostat[3] und der Weltbank[4] kombiniert (Genaue Daten als pdf hier: Datei:Zinskritik-schuldenstand.pdf), dann zeigt sich für 2010 eine Geldmenge von 9.527 Milliarden Euro[5] und dem gegenüber ein Schuldenstand von 7.940 Mrd. Euro beim Staat und 15.281 Mrd. Euro bei den privaten Haushalten. Nachdem das so schön ist, hier grafisch (ein Kästchen sind 100 Milliarden Euro):
Anmerkungen
Du führst hier die Geldmenge M3 mit 9.527 Milliarden an. Die ist zwar wirklich so groß, aber Du solltest hier schon die gesamte Geldmenge M heranziehen und nicht nur einen Teil davon. Keox 00:54, 17. Apr. 2012 (CEST)
Quellen
- ↑ http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/verbindlichkeiten.html
- ↑ http://www.gnosticliberationfront.com/Feder_Gottfried__Das_Manifest_zur_Brechung_der_Zinsknechtschaft_des_Geldes_1919_62_S..pdf
- ↑ http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/excessive_imbalance_procedure/imbalance_scoreboard
- ↑ http://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.CD
- ↑ https://stats.ecb.europa.eu/stats/download/bsi_ma_flows/bsi_ma_flows/bsi_maflows.pdf