Landtagswahl Hessen 2008/Wahlprogramm

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Dies ist Versuch einer Rekonstruktion des Wahlprogrammes basierend auf den im Wiki vorhandenen PDFs zur Landtagswahl 2008:

Wahlprogramm Hessen

Präambel

Dieses Programm stellt die Ziele der Piraten für die neu beginnende Legislaturperiode in Hessen dar. Es fußt auf den Prinzipien, aus denen die Piraten entstanden sind: Der Verpflichtung und Verantwortung gegenüber dem Individuum in einer sozialen ethischen Gesellschaft sowie dem Schutz des zur Entfaltung des Menschen immer erforderlichen privaten und unantastbaren Lebensraumes, sowohl in geistiger als auch in materieller Hinsicht.

Gleichzeitig erkennen die Piraten die Regeln eines demokratischen und sozialen Staates als notwendige Grundlage des gesellschaftlichen Lebens. Werden staatliche Regeln erstellt, die ein Abwägen zwischen öffentlichem und privatem Interesse erfordern, sind jedoch die zur Entfaltung der Persönlichkeit notwendigen Räume der privaten Lebensführung jederzeit zu achten. Kultur und Bildung sind die besten Garanten für eine gefestigte Gesellschaftsstruktur, in der jeder Einzelne sein Tun beurteilen und abwägen kann. Verantwortung und Respekt gegenüber der Gesellschaft und damit auch gegenüber dem Einzelnen sind Grundwerte denen wir uns verpflichtet fühlen.

Die Piraten sind der noch jungen Tradition der digitalen Kommunikation verpflichtet, in deren basisdemokratischen Ausrichtung die Wurzeln der Partei liegen und mit deren selbstordnenden Prinzipien ihre Denkweise in weiten Teilen beschrieben ist.

Aus diesem Hintergrund kommend verfügen die Piraten über sehr hohe Kompetenzen in den von ihnen vertretenen Themen. In anderen landespolitischen Themen, in denen keine ausdrückliche Expertise vorhanden ist, werden die Piraten Vorschläge anderer Parteien unterstützen, sofern diese mit den Grundsätzen vereinbar sind.

Dabei vertreten die Piraten die Haltung, dass der einzelnen Abgeordnete der Piraten vor allem seinem Gewissen und im Sinne der in der Präambel genannten Prinzipien dem Schutz der Würde des Menschen verpflichtet ist. Es wird zur Erzielung eines politischen Gewichtes und zur Stabilisierung von Mehrheiten ein Empfehlungsrahmen angestrebt, der aber den einzelnen Abgeordneten nicht von seiner Gewissensentscheidung entbinden kann und darf. Politischem Diskurs ist gegenüber parteipolitischem Druck der Vorrang einzuräumen.

Informationelle Selbstbestimmung

Die informationelle Selbstbestimmung muss sowohl in der hessischen Verfassung als auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als Grundrecht verankert werden. Jeder Mensch hat eine Privatsphäre, die frei von Überwachung bleiben muss. Ohne begründeten Anfangsverdacht darf es keine Bewegungsprofile, keine staatlichen Übergriffe, keine Lauschangriffe und keine Rasterfahndungen geben.

Die Unterwanderungen der Bürgerrechte durch den Staat in Form von Massendatenspeicherung, Rasterfahndungen, Erhebung von biometrischen Daten und Online-Durchsuchungen erfordern ein politisches Gegengewicht. Der Einführung von Überwachungsgesetzen, wie es in Deutschland zur Zeit der Fall ist, treten die Piraten entschieden entgegen. Durch die angedachten und teilweise bereits verabschiedeten Gesetzesvorhaben werden Bürgerrechte aufgehoben; der Rechtsstaat wandelt sich in einen Überwachungsstaat, wie wir es nur von totalitären Regimen kennen.

Die Piraten fordern, dass der Staat diese Werkzeuge deinstalliert und unsere Gesellschaft dabei unterstützt, sich weiter zu entwickeln.

Der Staat muss verpflichtet werden, jedem Bürger auf Verlangen Informationen über die ihn betreffenden Daten Auskunft zu geben, und bei Überwachung ohne konkreten Verdacht den Bürger von sich aus auf diese Überwachung hinzuweisen. Über die angelegten Datenbanken und die Art und Weise wie mit den Daten umgegangen wird, muss sich die Öffentlichkeit ungehindert informieren können.

Die Überprüfbarkeit der gespeicherten Daten soll unverzüglich ohne Terminvorgabe zu den üblichen Öffnungszeiten ermöglicht werden. Die Löschung unberechtigterweise erhobener Daten muss auf Antrag jederzeit möglich sein. Die Löschung muß den betroffenen Bürgern unverzüglich und überprüfbar bestätigt werden.

Diese Auskunftspflicht gilt auch für juristische Personen, und muss kostenlos erfolgen.

Daten dürfen nicht unberechtigterweise erhoben werden; sollten sich nachträglich Daten als unberechtigt erhoben herausstellen, sind diese unverzüglich und vollständig zu löschen und die Betroffenen in Kenntnis zu setzen.

Onlinedurchsuchung

Die freie Meinungsäußerung ist ein Eckpfeiler unserer Demokratie und darf nicht durch Onlinedurchsuchungen untergraben werden. Das Missbrauchspotenzial dieser Technik ist so immens, dass die Verantwortbarkeit nicht gegeben ist. Onlinedurchsuchungen stellen zudem eine massive Bedrohung für die Sicherheit der informationellen Infrastruktur dar. Wenn Sicherheitslücken in bestehenden System nicht geschlossen und aufgedeckt oder neue aufgebrochen werden, wird damit die IT-Sicherheitsforschung ad absurdum geführt. Nicht die Begehren der Überwacher, sondern das Interesse des Einzelnen an Informationssicherheit hat Vorrang zu haben.

Vorratsdatenspeicherung

Die Sicherung des Fernmeldegeheimnises ist ein wichtiger Grundpfeiler zum Erhalt der Demokratie. Das Fernmeldegeheimnis ist unter anderem durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung bedroht.

Die Vorratsdatenspeicherung in der derzeit beschlossenen Form muss ersatzlos gestrichen werden, da diese ein eklatanter Verstoß gegenüber Art. 10 GG darstellt, in dem systematisch und unter der Annahme einer Kollektivschuld aller an der öffentlich zugänglichen Telekommunikation beteiligter Bürger ausgegangen wird. Auch die Umstände der Telekommunikation sind nach den Leitsätzen im Urteil BvR 1611/96 des Bundesverfassungsgerichtes von Artikel 10 GG geschützt.

Datensicherheit und Wahrung der Privatsphäre

Zur Gewährleisung von Datensicherheit und Privatsphäre müssen unterstützende Technologien in besonderem Maße gefördert werden. Dazu sollen öffentliche Forschungsprojekte mit dem Ziel gestartet werden, solche Technologien zu entwickeln und einsetzbar zu gestalten. Die Informationsinfrastruktur muss von unabhänigen Fachleuten überprüft werden.

Elektronische Ausweisdokumente

Biometrische Merkmale dürfen nicht im Zusammenhang mit offiziellen Dokumenten zur Identifikation eines Bürgers gespeichert werden, bereits erhobene Daten müssen gelöscht werden.

Die Speicherung von biometrischen Daten im Zusammenhang mit Personaldokumenten bringt in der eigentlichen Sache, der besseren Erkennbarkeit von gesuchten Personen, keinen Sicherheitsgewinn, da dieser von der Zielgruppe dieser Maßnahme umgangen werden kann. Eine erhöhte Fälschungssicherheit, die diese Maßnahmen rechtfertigen würde, ist ebenfalls nicht gegeben. Der einzige Zweck dieser Dokumente ist eine möglichst lückenlose Überwachbarkeit großer Teile der Bevölkerung und ein großer Schritt hin zur systematischen staatlichen Überwachung. Dieser Schritt wird vor allem durch die Möglichkeit der RFID-Technik, Daten berührungslos aus mittlerer Entfernung und ohne Einflußnahme des Trägers abzurufen, ermöglicht.

Videoüberwachung

Der Ausbau der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen muss gestoppt werden, da er nur scheinbar Sicherheit vermittelt, und eine Verschwendung von Steuergeldern darstellt.

Bildung

Es ist erforderlich, die in anderen Ländern erfolgreichen Maßnahmen zu erkennen und für Hessen zu adaptieren. Schulen müssen dazu beitragen, soziale Kluften zu überwinden, statt sie zu verstärken. Hierbei müssen Konzepte wie Ganztagsschule, Betreuung durch Pädagogen in freien Nachmittagszeiten aber auch gezielte Förderung leistungsschwacher Schüler diskutiert werden. Möglichkeiten des gemeinsamen Schulweges und die Bevorzugung öffentlicher Transportmittel einerseits im sozialen Kontext, anderseits aber auch im Sinne des Umweltschutzgedankens sind zu prüfen und umzusetzen.

Neben einer ausreichenden Zahl von Lehrern ist die Fortbildung der schon vorhandenen Lehrer zu fördern. Gerade Lehrer brauchen Kompetenz im Umgang mit neuen Medien. Es kann nicht sein, daß Kinder, Schüler und Auszubildende diese Aufgabe indirekt wahrnehmen, wie es heute an manchen Bildungseinrichtungen der Fall ist. Hierzu zählt auch die Forderung nach Benutzung von offenen, nach DIN oder ISO zertifizierten Standards zum Datenaustausch sowohl im Unterricht als auch in der Verwaltung.

Unterrichtsgarantie Plus darf kein Modell für Unterricht durch unqualifiziertes Lehrpersonal und verschwendete Schulzeit bleiben. Der Festanstellung von Lehrern zu Pufferung krankheits- und fortbildungsbedingter Unterrichtsausfälle ist der Vorzug zu geben. Unterrichtsmaterialien müssen wieder kostenfrei zu Verfügung gestellt werden. Für Ganztagsschulen oder bei Nachmittagsunterricht ist es erforderlich, eine kostenlose Verpflegung mit vollwertigen Mahlzeiten anzubieten. Daß diese auch eher ökologischen Maßstäben entsprechen und nicht von minderwertiger Kantinenqualität sein sollte, ist selbstverständlich. Die Umsetzbarkeit dieser Forderungen zeigen zahlreiche Modelle.

Die Einführung der Studiengebühren zur Erhöhung der Effizienz in Hochschulen und Universitäten verfehlt klar ihr Ziel und muss zurückgenommen werden. Es sind Finanzierungsmodelle umzusetzen, die eine Benachteiligung sozial und finanziell schwächer gestellter Studenten aussschließen. Als Finanzierungsmodelle für Hochschulen sind neben der öffentlichen Hand auch private und gewerbliche Stiftungen anzustreben. Die freie und uneingeschränkte Zugänglichkeit zu Wissen und Werken, die in Hochschulen erarbeitet wurden, muß für alle öffentlichen Einrichtungen gewährleistet sein. Wirtschaftlich verwertbare Forschungsergebnisse und daraus erzielte Erlöse sollen in den Ausbau von Bildungseinrichtungen fließen.

Sicherheitspolitik

Der Bereich Inneres ist für die Piratenpartei von zentraler Bedeutung. Das massive Missbrauchspotenzial durch die installierten Überwachungstechniken und -werkzeuge erfordert allerhöchste Wachsamkeit bei den Beamtinnen und Beamten, die diese Werkzeuge bedienen. Ethische und moralische Grundsätze dürfen nicht übergangen werden. Die Möglichkeit der Nötigung durch Vorgesetzte, gegen geltendes Recht oder gegen ihr eigenes Gewissen zu handeln, muss bei Beamtinnen und Beamten ausgeschlossen sein. Diese und viele andere denkbare Konflikte tauchen im Zusammenhang mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland im Januar 2008 auf.

Sicherheit entsteht durch Nähe und Vertrauen. Die Piratenpartei Hessen setzt sich für die Aus- und Weiterbildung der Polizei in Hessen ein und will das öffentliche Bild der Polizei als kritisch und bürgernah stärken. Wir brauchen soziale Kompetenz und Persönlichkeit im Polizeidienst. Der Stellenabbau bei der Polizei muss rückgängig gemacht werden, die Finanzierung wird durch freigesetzte Mittel der zu streichenden verfassungswidrigen Projekte Antiterrordatei sowie lebenslang gültige Steuernummer unterstützt.

Eine vertrauensbildende Maßnahme kann der Einsatz von freiwilligen Hilfspolizisten für den Ordnungsbereich sein, die in Ihrem jeweiligen Wohnviertel den eigenen Bekanntheitsgrad nutzen und so eine Zwischeninstanz zur Berufspolizei bilden. Diese ergänzen die normale Polizeiarbeit und tragen zur Entlastung der Berufspolizei bei.

Informationsfreiheit und Transparenz

Ein wesentlicher Teil der Politik der Piraten stellt die Durchsichtigkeit und Nachvollziehbarkeit politischer Vorgänge dar. Genauso wie parlamentarische Abstimmungen in aller Regel offen und für jedermann nachvollziehbar sind, müssen politische Entscheidungen für den Bürger als Souverän des Staates offen und nachvollziehbar sein. In den wesentlichen Teilen unserer Demokratie dürfen technische Hilfsmittel, die untergeordneten Zwecken dienen, demokratische Strukturen nicht beeinträchtigen. Die Piraten fordern die Rückkehr zu Techniken bei Wahlen, die den Grundsätzen des Wahlrechts genügen. Insbesondere ist die Nachprüfbarkeit von Wahlen durch Jedermann sicherzustellen, um die der indirekten Demokratie innewohnenden Einschränkungen nicht auch noch durch vermeintliche oder tatsächliche Technikfehler oder Manipulationen zu verstärken. Die Piraten sind offen für einen Diskurs über die Einführung direkter Demokratie in (kleineren) Teilbereichen wie Kommunen und Gemeinden sowie organisatorischer Bereiche z.B. im Bildungsbereich.

Lobbyarbeit kann einerseits die Wissensbasis zur Entscheidungsfindung erweitern, birgt aber andererseits die Gefahr der gewollten oder ungewollten Beeinflussung. Deshalb ist die Arbeit von und mit Interessensvertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen jederzeit offenzulegen und zu dokumentieren. Sowohl für Parlamentarier als auch für Regierende und Ausführende muss eine größtmögliche Auskunftspflicht bestehen, die allerdings jederzeit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen genügen muss. Hierzu zählt auch die umfassende Offenlegung der Einkommensverhältnisse aller an der politischen Entscheidungsfindung Beteiligten. Eine ausreichende Alimentierung ist Voraussetzung für unabhängige und effektive Arbeit. Einem Verdacht auf Vorteilsnahme durch Regierende und Parlamentarier kann auf diese Weise effektiv begegnet werden.

Open Access

Aus dem Staatshaushalt wird eine Vielzahl von schöpferischen Tätigkeiten finanziert, die als Produkt urheberrechtlich geschützte Werke hervorbringen. Da diese Werke von der Allgemeinheit finanziert werden, sollten sie auch der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung stehen. Tatsächlich ist dies heute selten der Fall.

Open Access in der Forschung

Die Publikationen aus staatlich finanzierter oder geförderter Forschung und Lehre werden oft in kommerziellen Verlagen publiziert, deren Qualitätssicherung von ebenfalls meist staatlich bezahlten Wissenschaftlern im Peer-Review-Prozess übernommen wird. Die Publikationen werden jedoch nicht einmal den Bibliotheken der Forschungseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Steuerzahler kommt also dreifach (Produktion, Qualitätssicherung, Nutzung) für die Kosten der Publikationen auf, während private Verleger den Gewinn abschöpfen.

Die Piraten unterstützen die Berliner Erklärung der Open-Access-Bewegung und fordern die Zugänglichmachung des wissenschaftlichen und kulturellen Erbes der Menschheit über das Internet nach dem Prinzip des Open Access. Es ist die Aufgabe des Staates, dieses Prinzip an den von ihm finanzierten und geförderten Einrichtungen durchzusetzen.

Open Access in der öffentlichen Verwaltung

Die Piraten fordern die Einbeziehung von Software und anderen digitalen Gütern, die mit öffentlichen Mitteln produziert werden, in das Open-Access-Konzept. Werke, die von oder im Auftrag von staatlichen Stellen erstellt werden, sollen der Öffentlichkeit zur freien Verwendung zur Verfügung gestellt werden. Der Quelltext von Software muss dabei Teil der Veröffentlichung sein. Dies ist nicht nur zum direkten Nutzen der Öffentlichkeit, sondern auch die staatlichen Stellen können im Gegenzug von Verbesserungen durch die Öffentlichkeit profitieren (Open-Source­Prinzip/Freie Software). Weiterhin wird die Nachhaltigkeit der öffentlich eingesetzten IT-Infrastruktur verbessert und die Abhängigkeit von Softwareanbietern verringert.

Wahlrecht

Die Piraten fordern unbedingt die Abschaffung jeglicher Maßnahmen, durch die die Nachvollziehbarkeit demokratischer Wahlen gefährdet wird. Konkret werden Wahlcomputer adressiert, die in Hessen in neun Gemeinden eingesetzt werden sollen.

Während bei dem klassischen Papierstimmzettel die Wahl von jedermann nachvollzogen werden kann, müssen beim Einsatz von Wahlcomputern Millionen Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen, dass weder der Hersteller der Wahlcomputer, jemand aus dem Wahlvorstand noch einer der vorher bereits gewählt habenden Bürger Manipulationen vorgenommen hat. Die einzige Form des Wahlcomputers, die wir akzeptieren würden, wären Geräte, bei denen neben der elektronischen Zählung noch ein Ausdruck auf Papier erfolgt. Die elektronische Zählung darf als vorläufiges Ergebnis verkündet werden, das amtliche Endergebnis muss nachvollziehbar von Menschen ausgezählt werden.