Benutzer:Roere/Das Vertrauen der Finanzmaerkte

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Das Vertrauen der Finanzmärkte

Wir müssen das Vertrauen der Finanzmärkte wieder herstellen. Wir alle haben diesen Satz schon oft gehört und vielfach wird akzeptiert, dass dies unsere vordringliche Aufgabe ist.

Aber warum brauchen wir das Vertrauen der Finanzmärkte? Kommen wir dann aus der Krise? Löst das unsere Probleme? Ist Griechenland dann gerettet und müssen die Menschen dann nicht mehr um ihr Vermögen und ihre Existenz bangen?

Die Staaten des Euro-Raums haben im Maastricht-Vertrag geregelt, dass sie sich kein Geld bei der EZB leihen dürfen. Als Geldgeber für Kredite kommen deshalb im Wesentlichen die privaten Banken in Frage. Alle Euro-Staaten sind im großen Umfang bei privaten Banken verschuldet. Die Kredite der Staaten haben unterschiedliche Laufzeiten, so dass immer wieder Kredite fällig werden. Im Gegensatz zu privaten Schuldnern tilgen Staaten ihre Kredite aber nicht, sondern zahlen nur die jeweils vereinbarten Zinsen. Bei Fälligkeit des Kredits müssten die Staaten die Kreditsumme zurückzahlen oder einen neuen Kredit aufnehmen, um damit die alten Schulden zu tilgen. Da die Euro-Staaten jedes Jahr mehr Geld ausgeben als sie einnehmen, kommt eine Rückzahlung des Kredits nicht in Frage, so dass nur die Umschuldung durch Aufnahme neuer Kredit als Möglichkeit verbleibt.

Die privaten Banken bewerten die Kredite an Staaten genauso, wie Kredite an Privatpersonen oder Unternehmen. Sie schätzen ihr Risiko ein, dass ein Kredit ausfällt und bestimmen danach die Höhe des Zinssatzes oder treffen die Entscheidung einem Staat keine Kredite (oder nicht in der gewünschten Höhe) zu geben. Das Vertrauen herzustellen heißt also den Banken die Sicherheit zu geben, dass der vergebene Kredit nicht ausfällt. Da Länder wie Griechenland diese Sicherheit nicht mehr aus eigener Kraft geben können, kann das Vertrauen in dem Fall nur über eine Haftungszusage der Länder hergestellt werden, die noch Solvent sind und eine gute Bonität haben.

Aus Sicht der privaten Banken ist es absolut verständlich, dass sie nur Kredite vergeben, mit deren Rückzahlung sie rechnen können und dass sie das Risiko der Kreditvergabe in den Zinsen einpreisen. Die Regelung im Maastricht-Vertrag, nach der die EZB keine Kredite an Staaten vergeben darf, ist ebenso nachvollziehbar. Viele der vergangen Hyperinflationen sind darauf zurückzuführen, dass Regierungen direkten Zugriff auf die Druckerpressen für ihre Währung hatten und sich somit mit beliebig viel Geld versorgen konnten. Dem sollte im Euro-Raum vorgebeugt werden. Gleichzeitig sollten Staaten mit unsolider Haushaltspolitik und zu hoher Verschuldung automatisch diszipliniert werden, in dem sie gemäß der Risikoeinschätzung der privaten Banken höhere Zinsen bezahlen sollten. Weiterhin hat man den drei großen amerikanischen Ratingagenturen im Rahmen der Basel II Gesetzgebung die Deutungshoheit über die Kreditwürdigkeit eines Schuldner inkl. der europäischen Staaten übertragen. Hierdurch sollte die Qualität und Neutralität der Risikobewertung gesteigert werden. Da die privaten Banken durch die Basel II Regelungen quasi verpflichtet sind, Ratings der drei großen Agenturen in ihre Risikobewertung einfließen zu lassen, haben die drei Agenturen großen Einfluss darauf welcher Euro-Staat Kredite bekommt und welche Zinsen er dafür zahlt. Die gesetzliche Grundlage für diesen Einfluss haben die Euro-Staaten selbst geschaffen.

Obwohl diese Einzelentscheidungen nachvollziehbar sind, befinden die Staaten sich nun in einer absurden Situation. Zunächst ist ein großer Teil der Staatsschulden erst nach Beginn der Finanzkrise aufgebaut worden und ist auf die Gelder zurückzuführen, die für die Rettung der in Schieflage geratenen Banken aufgewendet wurden. Da es für die Staaten keine andere Form der Finanzierung gab, wurden also Kredite bei privaten Banken aufgenommen, um mit dem geliehenen Geld private Banken zu retten. So lag die Staatsverschuldung von Spanien beispielweise in 2007 bei 382Mrd.€ und ist bis 2012 auf 840Mrd.€ angestiegen. Woher die Schulden stammen, ist allerdings für die Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Schuldners egal. Insofern muss eine private Bank einen Staat bei gestiegenem Kreditausfallrisiko auch dann höhere Zinsen berechnen, wenn sich der Staat gerade zur Rettung der Bank verschuldet hat. Das Verbot der direkten Kreditvergabe durch die EZB führt nun dazu, dass die Banken sich günstiges Geld bei der Zentralbank leihen und hieraus Kredite zu deutlich höheren Zinsen an die Staaten vergeben. Die Euro-Staaten befinden sich also in einer massiven Abhängigkeit von den Finanzmärkten, die einerseits auf die selbst gefassten Beschlüsse zurückzuführen ist. Auf der anderen Seite ist die Abhängigkeit Folge der eigenen Verschuldung bei den privaten Banken vor der Finanzkrise und weiterhin Folge der durch die Rettung der Banken entstandenen zusätzlichen Verschuldung. Anstelle einer Rettung der Banken hätten sich die Staaten auch für ein geordnetes Insolvenzverfahren oder für eine Verstaatlichung der Banken gegen Zuführung von Eigenkapital entscheiden können. Auch der viel kritisierte Einfluss der Ratingagenturen ist durch die Basel II Gesetzgebung hausgemacht. Im Rahmen der Zulassung der Agenturen wurden zudem weder die Qualität der Ratingverfahren geprüft, noch ausreichende Transparenzanforderungen an die Agenturen formuliert, noch wurde ausreichend berücksichtigt, dass private Agenturen im Besitz von privaten Investoren kaum ein neutrales Rating, losgelöst von den finanziellen Interessen der Eigentümer abgeben werden. In Summe hat also eine Vielzahl von selbst definierten Regeln zu einer Verschärfung der Probleme geführt.

Eine weitere Verschärfung rührt daher, dass diejenigen Regeln, die sinnvoll waren, nicht gegriffen haben oder von den Euro-Staaten selbst verletzt worden sind. So wurde im Maastricht Vertrag ebenfalls die sogenannte Nicht-Beistandsklausel vereinbart, die eine Haftung der EU oder einzelner Staaten für die Verbindlichkeiten eines anderen EU-Staats ausschließt. Auch dies sollte zur Haushaltsdisziplin der Euro-Staaten beitragen. Vermutlich wurde darauf gesetzt, dass diese Regelung eine so starke psychologische Wirkung entfaltet, dass sie praktisch nicht zum Einsatz kommen muss. Nach Einführung des Euro hätten die Euro-Staaten eigentlich gemäß ihrer jeweiligen Bonität unterschiedlich hohe Zinsen am Kapitalmarkt zahlen müssen. Stattdessen kam es zu einer Zinskonvergenz und die Zinsen aller Euro-Staaten lagen auf ähnlichem Niveau. Es stellt sich die Frage, ob die Kreditgeber die individuelle Bonität der Staaten jeweils als gleich gut angenommen haben oder ob die Nicht-Beistandsklausel von den Finanzmärkten von Anfang an nicht ernst genommen wurde. Im letzteren Fall hätten die Kreditgeber letztlich recht behalten, da die Nicht-Beistandsklausel von den Euro-Staaten in der Krise sehr schnell fallen gelassen wurde. Ob den Kapitalgebern von politischer Seite schon frühzeitig signalisiert wurde, dass man die Nicht-Beistandsklausel im Zweifel ignorieren würde, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Tatsache, dass die Anleihen aller Euro-Staaten einen Sonderstatus in der Basel II Gesetzgebung genießen und bei den Banken nicht mit Eigenkapital hinterlegt werden müssen, kann aber ein Hinweis darauf sein. Auch die Aktivitäten von Goldman Sachs, die Griechenland vor dem Euro Beitritt bei der Bilanzkosmetik durch die verdeckte Vergabe von Krediten unterstützte zeigt, dass eine Bank, die sich sehr genau mit den Zahlen von Griechenland beschäftigt hatte, offenbar keine große Befürchtung hatte, der Kredit könnte ausfallen. Die nicht dem Risiko entsprechenden und damit für einige Staaten, wie etwa Griechenland, ungewohnt niedrigen Zinsen führten auf jeden Fall zur übermäßigen Kreditaufnahme und Neuverschuldung dieser Staaten. Die Aufgabe der Nicht-Beistandsklausel war dann ein klares Signal an alle Euro-Staaten, dass man eigene Verfehlungen vergemeinschaften und ein Signal an die Kapitalgeber, dass man Verluste, die in den Kreditzinsen hätten eingepreist sein müssen, sozialisieren können würde.

Hätte man sich an die Nicht-Beistandsklausel gehalten, wäre Griechenland zahlungsunfähig geworden und hätte ein geordnetes Staatsinsolvenzverfahren durchführen können. Alternativ hätte man zum damaligen Zeitpunkt einen Vergleich über einen Schuldenschnitt mit den privaten Investoren schließen können, so dass Griechenland ggf. auch ohne Insolvenz zahlungsfähig geblieben wäre. Banken, die durch den Forderungsausfall in Schwierigkeiten geraten wären, hätte man unter Zuführung von Eigenkapital teilweise oder ganz verstaatlichen und später wieder reprivatisieren können, ggf. unter gleichzeitiger Schaffung kleinerer, nicht systemrelevanter Einheiten. Dies hätte zu einem geordneten und zeitlich abgegrenzten Verfahren geführt, dass marktwirtschaftliche Grundsätze berücksichtigt, indem es eben nicht die Haftung der privaten Investoren sozialisiert, sondern dann, wenn die Rettung eines systemrelevanten Instituts erforderlich ist, dieses in Staatsbesitz überführt. Alle diese Möglichkeiten der aktiven Krisenpolitik wurden nicht genutzt, so dass sich einerseits nun die Staaten von den Finanzmärkten zunehmend treiben lassen. Andererseits haben sich die solventen Staaten, vorrangig Deutschland, von den Nehmerländern weitgehend alle Druckmittel zur Durchsetzung struktureller Reformen und einer Haushaltskonsolidierung aus der Hand nehmen lassen. Spätestens mit dem ESM wird die gemeinsame Haftung institutionalisiert. Der Einfluss Deutschlands, Gelder nur gegen wirksame Reformen bereitzustellen, fällt dann weitgehend weg. Auch wurde im ESM wieder versäumt, die nun vorgesehene direkte Finanzierung angeschlagener Banken, nur gegen eine Anteilsübernahme durch den ESM zu vergeben und notleidende Banken im Zweifel zu verstaatlichen. Die Einführung von Eurobonds zum jetzigen Zeitpunkt würde ebenfalls zu einer weiteren Moral Hazard Problematik führen, da die finanzielle Haftung für individuelles Fehlverhalten wiederum auf die Gemeinschaft der Euro-Staaten übertragen würde und der Anreiz für Reformen und eine solide Haushaltspolitik sinkt. Aus Sicht der Finanzmärkte wären Eurobonds zudem ein attraktives Instrument, um die Kreditvergabe an Krisenländer bei gleichzeitiger Risikoabsicherung wieder ausweiten zu können. Auch aus dieser Perspektive würde mit Eurobonds ein völlig falscher Anreiz gesetzt.

Ergänzend muss angemerkt werden, dass alle Maßnahmen zur Vergemeinschaftung der Haftung das Kreditausfallrisiko aus Sicht der Finanzmärkte reduzieren und somit bei den Investoren „Vertrauen“ schaffen. Vertrauen schaffen heißt hier nichts anderes, als den privaten Unternehmen im Finanzmarkt das wirtschaftliche Risiko, das jedes andere Unternehmen in jedem anderen Markt zu tragen hat, auf Kosten der Allgemeinheit zu nehmen. Die Ausrichtung aller Entscheidungen an diesem falschen Ziel, nämlich das Vertrauen der Finanzmärkte zu sichern, kann uns dem Ziel nach einem Ende der Krise, nach Stabilität und Wohlstand für alle, nicht näher bringen.

Die vorangehenden Betrachtungen zeigen, dass die bisherigen Maßnahmen Stückwerk bleiben und zu einer tiefgreifenden Lösung der Krisenursachen nicht geeignet sind. Eine Überwindung der Krise wird nur gelingen, wenn klare Regeln für alle Akteure vorgegeben und diese Regeln auch konsequent eingehalten werden. Solange die Folgen von Fehlverhalten vergemeinschaftet und Verluste aus Fehlspekulationen sozialisiert werden, profitiert jeder, der die Regeln nicht einhält. Ohne eine Lösung der Grundprobleme werden wir die Krise solange weiterbefeuern, bis auch die Reserven der letzten Länder aufgebraucht sind. Bei allen ökonomischen Fragen, bei Fragen nach der Systemrelevanz von Banken und nach Leistungsbilanzunterschieden im Euro-Raum, bei der Diskussion um Eurobonds und den ESM rückt die ursprüngliche Vision eines freien und einigen Europas der kulturellen Vielfalt in den Hintergrund.

Die eigentliche Frage muss lauten: Wie können wir das Vertrauen der Menschen wieder herstellen?