Benutzer:O.tacke/PPTNDS10 Diskussionsbeitrag zu Antrag B03 (Versammlungsfreiheit 2)

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Diskussionsbeitrag zu Antrag B03 (Versammlungsfreiheit 2)

Aufforderung

Ich fordere die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Programmparteitags auf, der angeregten Initiative, den Artikel 8, Absatz 2 des Grundgesetzes abzuschaffen, nicht zuzustimmen.

Begründung

Ein Antrag auf Änderung des Grundgesetzes, dessen bedeutende Stellung die Piratenpartei Niedersachsen selbst durch Transparente auf diesem Programmparteitag hervorhebt, sollte hinreichend begründet und angemessen diskutiert werden. Der zur Entscheidung vorliegende schriftliche Antrag lässt aber nicht nur gebührende Sorgfalt vermissen - das Grundgesetz ist in Artikel gegliedert, nicht in Paragraphen - sondern zudem überhaupt eine Begründung. Diese wurde in knapper mündlicher Form geliefert. Es wurde vom Leiter des Programmparteitags (und in diesem Fall unglücklicherweise gleichzeitig Antragsteller) lediglich ein Redebeitrag zum Antrag zugelassen.

Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) des Grundgesetzes lautet in Gänze
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Absatz 2 sieht dabei die Beschränkung der Versammlungsfreiheit ausschließlich dann vor, wenn es gleichwertige Rechtsgüter zu schützen gilt. Dazu zählt insbesondere der Erhalt von öffentlicher Sicherheit und Ordnung, da Versammlungen unter freiem Himmel ein erhöhtes Konfliktpotenzial bedeuten können. Der Gesetzgeber hat hier jedoch klar die Einschränkbarkeit begrenzt durch sogenannte "Schranken-Schranken". So gelten beispielsweise bereits folgende Regelungen:

  • Eine Einschränkung muss verhältnismäßig sein, das heißt das mildeste Mittel, das zur Gefahrenabwehr zur Verfügung steht.
  • Eine geplante öffentliche Versammlung ist zwar spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe der Versammlung anzumelden, allerdings kann sie nicht allein deshalb verboten oder aufgelöst werden, weil dies versäumt wurde.
  • Es sind Spontanversammlungen ohne einen Leiter denkbar, die aus dem Augenblick heraus entstehen und nicht angemeldet werden müssen.
  • Zwar können behördliche Auflagen gemacht werden, um unverhältnismäßige Beeinträchtigung Dritter zu verhindern, doch dürfen sie nicht den Zweck der Versammlung konterkarieren (zum Beispiel die Teilnehmer an den Stadtrand verbannen, wo sie keine Aufmerksamkeit bekommen). Eine gegebenenfalls notwendige Gefahrenprognose muss von der genehmigenden Behörde erbracht und ausreichend und zuverlässig belegt werden, nicht vom Veranstalter - er muss sich dennoch kooperativ zeigen. Ein Missbrauch der Auflagen als verstecktes Erlaubnisverbot wird vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich untersagt.
  • Ein Verbot oder eine Auflösung einer Versammlung ist nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verfassungsrechtlich zulässig. Eine Berufung auf die öffentliche Ordnung reicht regelmäßig nicht für ein Verbot oder eine Auflösung aus.

Die Versammlungsfreiheit wird folglich bereits als hohes Gut gehandelt, für dessen Einschränkung bedeutungsvolle Gründe notwendig sind. Ein Versuch Bayerns, diese hohen Schranken-Schranken durch ein verschärftes Versammlungsgesetz zu senken, wurde bereits vom Bundesverfassungsgericht verhindert.

Sollte Absatz 2 des Artikels 8 jedoch abgeschafft werden, wären folgende Dinge möglich, die nicht meines Erachtens nicht im Sinne der Piratenpartei sein können:

  • Wäre keine Anmeldung notwendig, könnten durch Behörden keine Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr von Gefahren durchgeführt werden - sei es, eine sicheren Route zu planen oder Informationen an andere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben weiterzugeben. Was selbst mit Planung passieren kann, sah man vergangenen Monat auf der Love Parade in Duisburg (auch wenn dies rechtlich gesehen vermutlich keine Versammlung war).
  • Gäbe es keine Einschränkung, könnten Versammlungen anderer gezielt durch eigene blockiert oder gestört werden. Dadurch würde das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung anderer verletzt. Gewalttätige Auseinandersetzungen wären hier bei extremen Gruppen "vorprogrammiert" und stellten eine Gefährdung auch für Dritte dar.
  • Die Persönlichkeitsrechte Dritter könnten verletzt werden, indem eine psychische Drucksituation aufgebaut wird. So wäre ohne Einschränkung auch eine "öffentliche Gebetsstunde" von Abtreibungsgegnern in unmittelbarer Nähe einer Abtreibungsklinik möglich, falls die ambulant behandelten Patientinnen beim Verlassen der Klinik in ihrer Ausnahmesituation an den Pranger gestellt würden. Eine angemessene Distanz könnte hier nicht vorgeschrieben werden.
  • Es wären Einschüchterungseffekte durch paramilitärisches Auftreten denkbar, wie sie auch in der symbolischen Erinnerung an Naziaufmärsche angelegt ist.

Juristen fänden bestimmt noch bessere Beispiele.

Abschluss

Bevor also tatsächlich über eine geplante Änderung des Grundgesetzes abgestimmt wird, sollten die bestehenden Normen transparent und ehrlich dargestellt und die möglichen Konsequenzen des Antrags kritisch geprüft und diskutiert werden. Verfügt der Parteitag tatsächlich über die notwendigen Kenntnisse? Ich jedenfalls nicht.

Quellen (liegen zur Einsicht auch vor)

  • Dreier, H., Bauer, H. (Hrsg.) (2004): Grundgesetz: Kommentar, Bd. 1: Präambel, Artikel 1-19, 2. Aufl, Tübingen, S. 883-935.
  • Epping, V.; Hillgruber, C.; Axer, P. (Hrsg.) (2009): Grundgesetz: Kommentar, München, S. 282-301.
  • Hesselberger, D. (2003): Das Grundgesetz: Kommentar für die politische Bildung, 13. Aufl., S. 130-135.
  • Prantl, H. (2009): Nachhilfestunde in Demokratie, URL: http://www.sueddeutsche.de/bayern/versammlungsgesetz-gekippt-nachhilfestunde-in-demokratie-1.478317 (zuletzt abgerufen am 29.08.2010).