Benutzer:Michael Ebner/Antwort auf @kpeterlBW und Johannes Lichdi

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Antwort auf @kpeterlBW und Johannes Lichdi

@kpeterlBW hat eine längere Kritik meines Textes auf Pastebin gestellt (http://pastebin.com/rgHFcJCU). Damit die Diskussion nicht auf unterschiedliche Orte verstreut wird, antworte ich mal hier - Anmerkungen dazu gerne auf der Diskussionsseite.

Im Folgenden ist erst mal der komplette Text von @kpeterlBW unkommentiert zitiert (damit die Aussagen im Zusammenhang stehen), dann kommt nochmal der Text abschnittsweise und meine Anmerkungen dazu. Dessen Aussagen zur Rechtslage sind entnommen der Erklärung des Angeklagten Johannes Lichdi in der Hauptverhandlung am 31.3.2014, die aber nicht vollständig übernommen wird. Da die Erklärung von Johannes Lichdi darüber hinaus interessante Aspekte enthält, gehe ich hier dann auch noch auf den restlichen Text ein (ohne unterstellen zu wollen, dass @kpeterlBW sich auch diese Passagen zu eigen machen möchte).

Der Originaltext von @kpeterlBW

„Die Blockade einer nicht verbotenen Demonstration ist eine Straftat.“.[1] Dies behautet Michael Ebner als Fazit seiner Betrachtungen unter der Fragestellung „Ist eine Blockade eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit?“ [2] und irrt damit meines Erachtens nach.

Michael Ebner führt insbesondere den Strafrechtlichen Begriff der „groben Störung“ ins Feld u m seine Meinung zu untermauern. Dazu mal einige Anmerkungen, die aufzeigen, dass es sich hier nur um seine, aber nicht um die allgemeine Juristisch anerkannte Meinung handelt. Diese sind hier [3] entnommen.


Der strafrechtliche Begriff der "groben Störung"

1. Tatbestandsaufbau

§ 21 BVersG lautet: „Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Der Gesetzgeber hat im objektiven Tatbestand drei Tatbestandsalternativen nebeneinander gestellt: die Vornahme oder Androhung von Gewalttätigkeiten sowie die Verursachung grober Störungen. Eine Versammlung ist im Sinne des § 21 BVersG vereitelt oder "gesprengt", wenn die Teilnehmer gezwungen sind, das Versammlungsgelände zu verlassen.[4]

Aus der gleichrangigen Nebeneinanderstellung der drei Tatbestandsalternativen ist zu schließen, dass der Gesetzgeber ein vergleichbares Unrecht, eine vergleichbare Belastungswirkung für das Schutzgut des Tatbestands sowie eine vergleichbare kriminelle Energie beim Täter gesehen hat. Zudem zeigt das Kriterium der „Grobheit“ der Störung, dass die "einfache" Störung nicht strafbar sein soll.


2. Gewalttätigkeit als physische Gewalt in Parallele zum Landfriedensbruch


"Gewalttätigkeit" im Sinne des § 21 Bundes-Versammlungsgesetzes wird einhellig wie der Begriff der „Gewalttätigkeit“ im Tatbestand des Landfriedensbruchs in §125 StGB ausgelegt. „Gewalttätigkeit“ meint "ein aggressives, gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen oder fremden Sachen gerichtetes aktives Tun von einiger Erheblichkeit unter Einsatz bzw. In-Bewegung-Setzen physischer Kraft". [5]

Insbesondere sind "Sitzstreiks, Sitz- u.a. Blockaden, die sich in passiver Resistenz erschöpfen" nach ganz herrschender Ansicht keine Gewalttätigkeiten iSd § 125."[6]

Auch der Standardkommentar zum Versammlungsrecht von Dietel / Gintzel / Kniesel vermerkt ausdrücklich:

"Keine Gewalttätigkeit im Sinne des § 21 liegt vor, wenn Personen in der Absicht, eine Versammlung zu verhindern, lange vor Beginn der Veranstaltung alle Plätze eines Saales besetzen. Auch die Anwendung psychischen Zwanges ist keine Gewalttätigkeit."[7]


3. Störung als Schaffung einer "unüberwindlichen Sperre"


Die Rechtsprechung geht zur Definition einer "groben Störung" davon aus, dass sie

"solche Einwirkungen, auf den ordnungsgemäßen Ablauf einer Versammlung(meint), die als besonders schwere Beeinträchtigung des Veranstaltungs- und Leitungsrechts empfunden werden. Grob stört, wer durch sein Verhalten das Teilnahmerecht friedlicher Teilnehmer besonders schwer beeinträchtigt."[8]

Die neuere Rechtsprechung fußt auf einer Entscheidung des BayObLG von 1995, die aufbauend auf diese Formel eine "besonders schwere Beeinträchtigung" erkennt, "die auf eine Vereitelung des Aufzugs hinauslaufen". Dies sei der Fall, wenn eine "unüberwindliche Sperre" geschaffen werde. [9]

Allerdings hat das BayObLG eine Vereitelung durch Schaffung einer „unüberwindbaren Sperre“ bereits angenommen, wenn ein nicht verbotener Demonstrationszug für 10 Minuten aufgehalten wurde, ohne dass eine Umgehung möglich war. Diese Entscheidung wird allerdings zu Recht als im Ergebnis unzutreffend kritisiert.[10]

Diese Entscheidung des BayObLG ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Gericht die Strafbarkeit nach § 21 VersG mit der damaligen Rechtsprechung zur Nötigung nach § 240 StGB harmonisieren wollte. Diese Rechtsprechung ist aber bekanntlich mittlerweile verabschiedet worden.


4. Parallele: “Störung“ im Sinne des § 11 BVersG


Das Bundes-Versammlungsgesetz verwendet auch in § 11 den Begriff der "Störung". Gemäß § 11 BVersG kann "der Leiter ... Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen". Die Vorschrift gilt nur für Versammlungen in geschlossenen Räumen.[11]

Teilnehmer der Versammlung im Sinne der Vorschrift sind auch solche, die dem kommunikativen Zweck der Versammlung widersprechen. Die Äußerung von Meinungen, die der Intention der Veranstalter widersprechen, sind ausdrücklich zulässig und dürfen nicht als "Störung" angesehen werden. [12]

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung von 1991 zu einer Saalveranstaltung der Republikaner entschieden: "Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.". [13]

Eine Störung im Sinne des § 11 BVersG liegt erst dann vor, wenn das Verhalten der opponierenden Teilnehmer die Versammlung nach Form und Inhalt so schwer beeinträchtigt, "dass nur die Beseitigung der Störung als Alternative zur Unterbrechung oder Auflösung der Versammlung in Betracht kommt". [14]

Mit anderen Worten: Eine Störung im Sinne des § 11 und auch des § 21 BVersG liegt erst vor, wenn diese den kommunikativen Zweck der Veranstaltung derart beeinträchtigt, dass nur noch ein Abbruch der Veranstaltung oder die Beseitigung der Störung in Betracht kommt.


Kern des Versammlungsrechts als Schutzgut des § 21 BVersG ist die Möglichkeit der gemeinsamen kommunikativen Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung. Eine „Sprengung“ ist die vollständige Vereitelung einer Kommunikation. Eine „Störung“ meint daher eine Verhaltensweise, die zwischen der zulässigen opponierenden Teilnahme und der Totalvereitelung liegt. Das Kriterium der „Grobheit“ der Störung zeigt, dass nicht jede Störung, mag sie auch rechtswidrig sein, strafbar sein soll. Dies zeigt den Willen des Gesetzgebers, den Tatbestand nicht ausufern zu lassen. Da der tatbestandliche Normalfall die "Gewalttätigkeit" ist, möchte er keine allzu weite Entfernung von der körperlich wirkenden Gewalt zulassen.


Letztendlich lässt sich zur Behauptung, das Blockaden per se Straftaten sind noch das folgenden sagen: „Dass es auch Versammlungsstörungen unterhalb der Schwelle des § 21 VersG gibt bzw. geben kann, zeigt ein Blick auf § 29 Abs. 1 Nr. 4 VersG, der solche Fälle lediglich als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. Voraussetzung ist jedoch auch dort, dass mit der Störung trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortgefahren wird. Wenn der Gegendemonstrant jedoch mangels „Erststörung" mit einer solchen weder fortgefahren hat noch zurechtgewiesen wurde, scheidet auch die Ahndung als Ordnungswidrigkeit aus. Ähnliches gilt auch im Hinblick auf die allgemeine Ordnungswidrigkeitsnorm des § 113 Abs. 1 OWiG (unerlaubte Ansammlung).“[15]


Die Frage einer Blockade von Demonstrationen ist eine Politische und sie muss auch Politisch entschieden werden. Diese politische Entscheidung wird aber durch die, meines Erachtens falsche Behauptung, Blockaden seine per se Straftaten verhindert. Denn wer sich doch noch für Blockaden ausspricht wird so als Befürworter von Straftaten hingestellt.

Dies beendet aber jede Politische Diskussion.[16]


[1] https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Michael_Ebner/NaziDemos#Sollen_die_Piraten_.C3.BCberhaupt_demonstrieren

[2] https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Michael_Ebner/NaziDemos#Sollen_die_Piraten_.C3.BCberhaupt_demonstrieren

[3] http://www.johannes-lichdi.de/position+M5461306d9cd.html

[4] Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21 R.8.

[5] BGHSt 20.305/308. BGHSt 23, 46/52.

Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21 R.8.

Ott / Wächtler / Heinhold, Versammlungsgesetz, R.2.

Schöncke / Schröder - Lenckner/Sternberg-Lieben, StGB, 28. Auflage, 2010, § 125 R.5.

[6]Schöncke / Schröder - Lenckner/Sternberg-Lieben, StGB, 28. Auflage, 2010, § 125 R.5, 6.

Ebenso Ott / Wächtler / Heinhold, Versammlungsgesetz, R.2.

[7]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21 R.8.

[8]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21. R.10.

[9]BayObLG, Urteil vom 16.10.1995, 4St RR 186/95, R.14 - juris.

OLG Hamm, Beschluss vom 17.02.2011 , 4 RVs 12/11, III-4 RVs 12/11, R.15.

OLG Dresden, Beschluss vom 25. Mai 2012, 1 Ss 184/12, S.4.

[10]Münchner Kommentar - Altenhain, Strafrechtliche Nebengesetze, § 21 VersG, Anm.48.

[11] Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 11. R.1.

[12]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 11. R.5.

[13] BVerfG Beschluss vom 11.06.1991, 1 BvR 772/90, R.16 = BVerfGE 84, 203-212 - Repubikaner-Saalveranstaltung

[14]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 11. R.5.

[15] http://www.anwalt.de/rechtstipps/legaler-widerstand-gegen-rechte-demonstrationen_018574.html

[16] in der ersten Version konnte man den Eindruck gewinnen, das er Michael Ebner mind. zweimal unterschwellig unterstellt, dass es um Nazi-Sympathie geht. Das war niemals meine Absicht.


Meine Antwort auf @kpeterlBW und Johannes Lichdi

Der Fall Lichdi

<Zitat>„Die Blockade einer nicht verbotenen Demonstration ist eine Straftat.“.[1] Dies behautet Michael Ebner als Fazit seiner Betrachtungen unter der Fragestellung „Ist eine Blockade eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit?“ [2] und irrt damit meines Erachtens nach.

Michael Ebner führt insbesondere den Strafrechtlichen Begriff der „groben Störung“ ins Feld u m seine Meinung zu untermauern. Dazu mal einige Anmerkungen, die aufzeigen, dass es sich hier nur um seine, aber nicht um die allgemeine Juristisch anerkannte Meinung handelt. Diese sind hier [3] entnommen.

[1] und [2] https://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Michael_Ebner/NaziDemos#Sollen_die_Piraten_.C3.BCberhaupt_demonstrieren

[3] http://www.johannes-lichdi.de/position+M5461306d9cd.html</Zitat>

Der Link unter [3] ist die Erklärung des Angeklagten Johannes Lichdi in der Hauptverhandlung am 31.3.2014. Jedem Angeklagten in einem Strafprozess sei natürlich seine individuelle Rechtsmeinung zugestanden - dies muss jedoch nicht zwingend die "allgemeine juristisch anerkannte Meinung" (kurz "herrschende Meinung") sein. Die Staatsanwaltschaft hat er mit dieser Erklärung jedoch nicht beeindruckt - sie hat danach nicht auf Freispruch plädiert. Das Gericht hat er damit auch nicht beeindruckt - das hat ihn verurteilt. Die Sache wird wohl in die Berufung gehen, wenn's dann auch noch eine Revision gibt, haben wir vielleicht demnächst mehr Klarheit darüber, was "herrschende Meinung" ist.

Ein "vielleicht" deshalb, weil in diesem Fall auch die Beweislage gegen den Grünen-Abgeordneten Lichdi recht zweifelhaft ist (die Feststellung der Personalien erfolgte nach Ende der Demo, dass der Personenkreis sich zwischenzeitlich nicht geändert hat, dürfte schwer nachzuweisen sein). Das Gericht hätte mit guten Gründe "in dubio pro reo" sagen können - ein solcher Freispruch hätte dann jedoch auch nicht zur Klärung der hier diskutierten Rechtsfrage beigetragen.



Der strafrechtliche Begriff der "groben Störung"

<Zitat>1. Tatbestandsaufbau

§ 21 BVersG lautet: „Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Der Gesetzgeber hat im objektiven Tatbestand drei Tatbestandsalternativen nebeneinander gestellt: die Vornahme oder Androhung von Gewalttätigkeiten sowie die Verursachung grober Störungen. Eine Versammlung ist im Sinne des § 21 BVersG vereitelt oder "gesprengt", wenn die Teilnehmer gezwungen sind, das Versammlungsgelände zu verlassen.[4]

Aus der gleichrangigen Nebeneinanderstellung der drei Tatbestandsalternativen ist zu schließen, dass der Gesetzgeber ein vergleichbares Unrecht, eine vergleichbare Belastungswirkung für das Schutzgut des Tatbestands sowie eine vergleichbare kriminelle Energie beim Täter gesehen hat. Zudem zeigt das Kriterium der „Grobheit“ der Störung, dass die "einfache" Störung nicht strafbar sein soll.

[4] Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21 R.8.</Zitat>

Soweit d'accord.

Hier haben wir dahingehend eine gewisse Schwierigkeit, da der Fokus des Abgeordneten Lichdi auf der ihm zur Last gelegten Tat liegt, bei der die Nazi-Demo ja nicht völlig blockiert wurde. Mein Fokus liegt beim Aufruf zu Blockaden durch juristische Personen (noch gar nicht mal so bei den Blockaden selbst, da ich hier ein Rechtfertigungsgrund über die Gewissensfreiheit sehe - dieser Rechtfertigungsgrund ist jetzt tatsächlich alles andere als herrschende Meinung, aber nach meinem Kenntnisstand auch noch nicht höchstrichterlich verworfen).

Bei einem Aufruf zu einer Blockade wird üblicherweise dazu aufgerufen, einen Nazi-Aufmarsch vollständig zu blockieren ("kein fußbreit"), das auch künftig zu tun, und zwar so lange, bis die Betreffenden ihr Grundrecht auf Demonstrationen nicht mehr wahrnehmen. Dies ist an "Grobheit" - zumindest ohne die Begehung ganz anderer Straftaten - nicht mehr steigerungsfähig. Was auch immer der Gesetzgeber von dieser Regelung mit erfasst haben wollte und was nicht - eine erfolgreiche Totalblockade (und zu der wird ja aufgerufen) ist da auf jeden Fall dabei.


<Zitat>2. Gewalttätigkeit als physische Gewalt in Parallele zum Landfriedensbruch

"Gewalttätigkeit" im Sinne des § 21 Bundes-Versammlungsgesetzes wird einhellig wie der Begriff der „Gewalttätigkeit“ im Tatbestand des Landfriedensbruchs in §125 StGB ausgelegt. „Gewalttätigkeit“ meint "ein aggressives, gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen oder fremden Sachen gerichtetes aktives Tun von einiger Erheblichkeit unter Einsatz bzw. In-Bewegung-Setzen physischer Kraft". [5]

Insbesondere sind "Sitzstreiks, Sitz- u.a. Blockaden, die sich in passiver Resistenz erschöpfen" nach ganz herrschender Ansicht keine Gewalttätigkeiten iSd § 125."[6]

Auch der Standardkommentar zum Versammlungsrecht von Dietel / Gintzel / Kniesel vermerkt ausdrücklich:

"Keine Gewalttätigkeit im Sinne des § 21 liegt vor, wenn Personen in der Absicht, eine Versammlung zu verhindern, lange vor Beginn der Veranstaltung alle Plätze eines Saales besetzen. Auch die Anwendung psychischen Zwanges ist keine Gewalttätigkeit."[7]

[5] BGHSt 20.305/308. BGHSt 23, 46/52.

Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21 R.8.

Ott / Wächtler / Heinhold, Versammlungsgesetz, R.2.

Schöncke / Schröder - Lenckner/Sternberg-Lieben, StGB, 28. Auflage, 2010, § 125 R.5.

[6]Schöncke / Schröder - Lenckner/Sternberg-Lieben, StGB, 28. Auflage, 2010, § 125 R.5, 6.

Ebenso Ott / Wächtler / Heinhold, Versammlungsgesetz, R.2.

[7]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21 R.8.</Zitat>

Das können wir jetzt einfach mal übergehen, da Blockadeaufrufe üblicherweise keine Gewaltaufrufe enthalten.


<Zitat>3. Störung als Schaffung einer "unüberwindlichen Sperre"

Die Rechtsprechung geht zur Definition einer "groben Störung" davon aus, dass sie "solche Einwirkungen, auf den ordnungsgemäßen Ablauf einer Versammlung(meint), die als besonders schwere Beeinträchtigung des Veranstaltungs- und Leitungsrechts empfunden werden. Grob stört, wer durch sein Verhalten das Teilnahmerecht friedlicher Teilnehmer besonders schwer beeinträchtigt."[8]

Die neuere Rechtsprechung fußt auf einer Entscheidung des BayObLG von 1995, die aufbauend auf diese Formel eine "besonders schwere Beeinträchtigung" erkennt, "die auf eine Vereitelung des Aufzugs hinauslaufen". Dies sei der Fall, wenn eine "unüberwindliche Sperre" geschaffen werde. [9]

Allerdings hat das BayObLG eine Vereitelung durch Schaffung einer „unüberwindbaren Sperre“ bereits angenommen, wenn ein nicht verbotener Demonstrationszug für 10 Minuten aufgehalten wurde, ohne dass eine Umgehung möglich war. Diese Entscheidung wird allerdings zu Recht als im Ergebnis unzutreffend kritisiert.[10]

Diese Entscheidung des BayObLG ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass das Gericht die Strafbarkeit nach § 21 VersG mit der damaligen Rechtsprechung zur Nötigung nach § 240 StGB harmonisieren wollte. Diese Rechtsprechung ist aber bekanntlich mittlerweile verabschiedet worden.


[8]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 21. R.10.

[9]BayObLG, Urteil vom 16.10.1995, 4St RR 186/95, R.14 - juris.

OLG Hamm, Beschluss vom 17.02.2011 , 4 RVs 12/11, III-4 RVs 12/11, R.15.

OLG Dresden, Beschluss vom 25. Mai 2012, 1 Ss 184/12, S.4.

[10]Münchner Kommentar - Altenhain, Strafrechtliche Nebengesetze, § 21 VersG, Anm.48.</Zitat>

Es kann hier dahingestellt bleiben, wie ein Aufhalten einer Demo für 10 Minuten zu beurteilen ist. (Soweit ich orientiert bin, werden Demos aus anderen Gründen - z.B. Belange des Straßenverkehrs, oder weil es der Polizei gerade in ihr Einsatzkonzept passt - teilweise deutlich länger als 10 Minuten aufgehalten, ohne dass da gleich von einer Straftat auszugehen ist. Um hier eine grobe Störung und damit die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten zu sehen müsste meiner Meinung nach schon eine besondere Konstellation vorliegen.)

Blockadeaufrufe aber rufen bekanntlich nicht dazu auf, eine Demo um 10 Minuten oder einen anderen Zeitraum aufzuhalten. Sie rufen dazu auf, eine Demo komplett zu blockieren, sie soll also vollumfänglich nicht stattfinden. Da eine schwerere Beeinträchtigung nicht vorstellbar ist (zumindest nicht gegen die Demo - gegen die Teilnehmer schon, das wären dann jedoch andere Straftaten), sind wir bei dem, zu was die Blockadeaufrufe aufrufen, eindeutig im Bereich der schweren Störung.


<Zitat>4. Parallele: “Störung“ im Sinne des § 11 BVersG

Das Bundes-Versammlungsgesetz verwendet auch in § 11 den Begriff der "Störung". Gemäß § 11 BVersG kann "der Leiter ... Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen". Die Vorschrift gilt nur für Versammlungen in geschlossenen Räumen.[11]

Teilnehmer der Versammlung im Sinne der Vorschrift sind auch solche, die dem kommunikativen Zweck der Versammlung widersprechen. Die Äußerung von Meinungen, die der Intention der Veranstalter widersprechen, sind ausdrücklich zulässig und dürfen nicht als "Störung" angesehen werden. [12]

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung von 1991 zu einer Saalveranstaltung der Republikaner entschieden: "Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.". [13]

Eine Störung im Sinne des § 11 BVersG liegt erst dann vor, wenn das Verhalten der opponierenden Teilnehmer die Versammlung nach Form und Inhalt so schwer beeinträchtigt, "dass nur die Beseitigung der Störung als Alternative zur Unterbrechung oder Auflösung der Versammlung in Betracht kommt". [14]

Mit anderen Worten: Eine Störung im Sinne des § 11 und auch des § 21 BVersG liegt erst vor, wenn diese den kommunikativen Zweck der Veranstaltung derart beeinträchtigt, dass nur noch ein Abbruch der Veranstaltung oder die Beseitigung der Störung in Betracht kommt.


Kern des Versammlungsrechts als Schutzgut des § 21 BVersG ist die Möglichkeit der gemeinsamen kommunikativen Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung. Eine „Sprengung“ ist die vollständige Vereitelung einer Kommunikation. Eine „Störung“ meint daher eine Verhaltensweise, die zwischen der zulässigen opponierenden Teilnahme und der Totalvereitelung liegt. Das Kriterium der „Grobheit“ der Störung zeigt, dass nicht jede Störung, mag sie auch rechtswidrig sein, strafbar sein soll. Dies zeigt den Willen des Gesetzgebers, den Tatbestand nicht ausufern zu lassen. Da der tatbestandliche Normalfall die "Gewalttätigkeit" ist, möchte er keine allzu weite Entfernung von der körperlich wirkenden Gewalt zulassen.

[11] Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 11. R.1.

[12]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 11. R.5.

[13] BVerfG Beschluss vom 11.06.1991, 1 BvR 772/90, R.16 = BVerfGE 84, 203-212 - Repubikaner-Saalveranstaltung

[14]Dietel / Gintzel / Kniesel, Versammlungsgesetz, § 11. R.5.</Zitat>

Lichdi sieht hier in der Totalvereitelung und zumindest in Tathandlungen "ganz knapp drunter" die grobe Störung als erreicht. Die Totalvereitelung ist es jedoch, wozu die Blockadeaufrufe aufrufen.

HINWEIS: An dieser Stelle endet der von @kpeterl übenommene Teil, zu seinen übrigen Ausführungen nehme ich am Anschluss noch Stellung - zunächst noch einige Anmerkungen zu den restlichen Ausführungen des Johannes Lichdi.


<Zitat>5. Rechtspolitische Überlegungen im Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes 2011

Insgesamt fällt auf, dass es kaum veröffentlichte Urteile zur "groben Störung" gibt und auch die Kommentarliteratur seltsam vage bleibt. Dies ist kein Zufall, denn die Zusammenspannung der "Gewalttätigkeit" und der "groben Störung" in einen Tatbestand ist nicht überzeugend und missglückt. Mit überzeugenden Gründen wird rechtspolitisch die Abschaffung des Straftatbestands der "groben Störung" verlangt. Ebendiese Abschaffung haben etwa die Fraktionen der Linken, der SPD und von Bündnis 90 / Die GRÜNEN im Sächsischen Landtag im Jahre 2012 vergeblich beantragt.

Auch der Musterentwurf der führenden deutschen Versammlungsrechtler für ein Versammlungsgesetz aus dem Jahre 2011 verneint die Strafwürdigkeit einer "groben Störung" und streicht diese daher. Zudem reduziert der Musterentwurf die Höchststrafandrohung des Bundes-Versammlungsgesetzes von drei auf zwei Jahre. Die "Störung" soll nach § 28 Abs.1 Nr.4 des Musterentwurfs nur noch als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, und zwar dann, wenn jemand "trotz einer Androhung dies zu unterlassen, die Zufahrtswege zu einer Versammlung oder die für einen Aufzug vorgesehene Strecke blockiert oder die Versammlung auf eine andere Weise mit dem Ziel stört, deren Durchführung erheblich zu behindern oder zu vereiteln." Allerdings engt der Musterentwurf den Begriff der "Störung" weiter ein: Die Störung muss ein Ausmaß erreichen, dass einem Abbruch der gestörten Versammlung gleichkommt.

Enders / Hoffmann-Riem / Kniesel / Poscher / Schulze-Fielitz, Musterentwurf zu einem Versammlungsgesetz, 2011, S.27f und S.79.


Nach all diesen Maßstäben ist eine Platzbesetzung nicht strafbar. Sie kann allenfalls strafbar werden, wenn sie die gestörte Versammlung vollständig vereitelt. Dies ist offensichtlich bei der Platzbesetzung der Kreuzung Löfflerstraße / Reichenbachstraße am 19. Februar 2011 nicht der Fall.</Zitat>

In wieweit eine Änderung des § 21 sinnvoll ist, kann ja durchaus diskutiert werden. Natürlich hat der Gesetzgeber zwar auch eine Schutzpflicht bezüglich der Grundrechte seiner Bürger, dabei aber auch einen gewissen Ermessensspielraum. Denkbar wäre z.B., den §21 auf Gewalt und Androhung derselben zu reduzieren und die groben Störungen auf die Stufe einer Ordnungswidrigkeit zurückzustufen.

Nach der jetzigen Rechtslage sind grobe Störungen - und das sieht Johannes Lichdi auch nicht anders - und er sieht auch die Totalvereitelung im Bereich der groben Störung - Straftaten.


V. Verfassungskonforme Auslegung des Begriffs der "groben Störung" im Lichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit

<Zitat>Da die Platzbesetzung am 19. Februar 2011 unter dem Schutz des Art. 8 GG stand, ist eine Bestrafung nach § 21 BVersG unzulässig.

1. Platzbesetzungen als Versammlung

a) Rechtsprechung

Der Schutz der Versammlungsfreiheit ist keineswegs auf verbale Äußerungsformen beschränkt. Bereits die bloße körperliche Anwesenheit kann aufgrund der spezifischen Umstände den Charakter einer Meinungsbekundung haben. Daher fallen auch sogenannte "Sitzblockaden", der Begriff der Platzbesetzungen trifft den Sachverhalt besser, in den Schutzbereich des Art. 8 GG. So hat das BVerfG 2001 ausgesprochen:

"Geschützt sind nicht allein Veranstaltungen, bei denen Meinungen in verbaler Form kundgegeben oder ausgetauscht werden, sondern auch solche, bei denen die Teilnehmer ihre Meinungen zusätzlich oder ausschließlich auf andere Art und Weise, auch in Form einer Sitzblockade, zum Ausdruck bringen (vgl. BVerfGE 87, 399 <406>)."

BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, 1 BvR 2173/93, 1 BvR 433/96 , R.39 und R.42 - juris = BVerfGE 104, 92-126 - Selbstankettung vor Wackersdorf und Autobahnblockade.

Dazu Benjamin Rusteberg, Die Verhinderungsblockade, NJW 2011, S.2999ff.</Zitat>

Dass Sitzblockaden grundsätzlich unter Schutz des Art 8 GG fallen können, sehe ich nicht anders.


<Zitat>Das OVG Münster hat 2012 diese Rechtsprechung für Platzbesetzungen gegen Nazidemonstrationen aktualisiert:

"Im Gegensatz hierzu wollten die Teilnehmer an der Blockade durch ihre bloße Präsenz auf friedliche Weise verhindern, dass rechtsextreme Demonstrationen an bestimmten Orten durchgeführt werden und dort ihr Gedankengut verbreiten. Dies ist im Interesse einer offenen kommunikativen Auseinandersetzung im Rahmen der geltenden Gesetze gestattet, soweit die Friedlichkeit gewahrt bleibt. Zwar gebietet § 2 Abs. 2 VersammlG jedermann, bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Jedoch kann die bloße friedliche Präsenz einer Gegenversammlung nicht ohne Weiteres als zu unterlassende Störung im Sinne dieser Vorschrift aufgefasst werden."

OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.09.2012, 5 A 1701/11, R.55 und 75.

b) Versammlungseigenschaft der Platzbesetzung am 19.2.2011

Der Strafbefehlsantrag meint, dass auf der Kreuzung Fritz-Löffler-Straße / Reichenbachstraße keine Versammlung im Sinne des Art.8 GG stattgefunden habe. Dort habe sich lediglich eine "Ansammlung" von Menschen befunden. Die Platzbesetzung am 19. Februar 201, an der ich teilgenommen habe, war aber nicht nur eine unspezifische Zusammenkunft von Menschen, sondern "Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung" ihrer Teilnehmer und auf die öffentliche Meinungsbildung gerichtet. Dies zeigen die verbalen Äußerungen der Teilnehmer der Platzbesetzung, die sehr wohl einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet haben. So hat das Oberlandesgericht Dresden festgestellt, dass die Platzbesetzer "kein Meter den Nazis" skandierten.

OLG Dresden vom 25.Mai 2012, 1 Ss 184/12, S.5.

Die Platzbesetzer und auch ich wandten sich gegen den geplanten Naziaufmarsch, die Verhöhnung der Opfer des Bombenangriffs vom 13. Februar 1945 durch die politischen Nachfahren der dafür Verantwortlichen und den Missbrauch der Opfer für die geschichtsrevisionistischen Thesen der rechtsradikalen Aufzüge. Die Platzbesetzer wollten hier am 19. Februar 2011 auf der Kreuzung Löfflerstraße / Reichenbachstraße zum Ausdruck bringen, dass sie sich den Nazis mit ihrer ganzen Persönlichkeit, also auch ihren Körpern, in den Weg stellen, um so im buchstäblichen Sinne den Nazis den Raum für ihre zutiefst anstößige Propaganda und Machtdemonstration zu nehmen. Die Platzbesetzer brachten zum Ausdruck, dass sie in ihrer Heimatstadt Dresden einen Naziaufmarsch nicht unwidersprochen hinnehmen und dulden wollten.

Dies muss in einer Demokratie möglich sein und darf nicht kriminalisiert werden!

2. Die Notwendigkeit einer rechtmäßigen Auflösung einer Versammlung

Die Anwendung der Strafvorschriften des Versammlungsgesetzes kommt nur in Betracht, wenn die Teilnehmer nicht oder nicht mehr unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stehen.

BVerfG 1. Senat 1. Kammer , Beschluss vom 10.12.2010, 1 BvR 1402/06, R 28 und 30 - juris.

Eine wirksame Auflösungsverfügung der Platzbesetzung ist aber weder vorgetragen noch ergangen. Die polizeilichen Räumungsaufforderungen zwischen 14.27 und 14.37 können schon mangels Zuständigkeit keine Auflösungsverfügung gewesen sein.

Offenbar geht die Staatsanwaltschaft aber davon aus, dass die Platzbesetzung, die von der Anmelderin Katja Kipping angemeldete Versammlung gewesen sei. Dies ist aber nicht der Fall. Ich selbst habe Frau Kipping nur in einiger Entfernung bemerkt. Was sie mit der Polizei besprochen hat und dass dies für die Versammlung gewesen sein soll, ist mir umbekannt. Nach meiner sicheren Wahrnehmung hat sich auch niemand sonst in der Versammlung von Frau Kipping vertreten gefühlt. Auch aus der Ermittlungsakte geht hervor, dass Frau Kipping keinerlei Einfluss auf die Versammlung hatte.</Zitat>

Hier argumentiert Lichdi - für eine Erklärung in einer Strafsache gegen ihn ja sowohl sinnvoll als auch legitim - eng am ihm vorgeworfenen Verhalten. Das hat zur Folge, dass diese Passagen für die Betrachtung der grundsätzlichen Fragestellung wenig hergeben.


<Zitat>3. Beachtung der grundrechtlichen Konfliktlage

Die gesamte Konstruktion der Staatsanwaltschaft Dresden beruht auf der Annahme, dass die Versammlung in Form der friedlichen Platzbesetzung am 19.2.2011 im Bereich der Löfflerstraße / Reichenbachstraße nicht unter dem Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 des Grundgesetzes gestanden hätte. Daher verkennt die Staatsanwaltschaft auch, dass eine grundrechtliche Konfliktlage zwischen dem Versammlungsrecht der Neonazis und der friedlichen Platzbesetzer entstanden war. Diese Konfliktlage ist nach den Regeln der praktischen Konkordanz aufzulösen. Dies bedeutet, dass im Wege der Abwägung jedes der beiden widerstreitenden Versammlungsrechte möglichst umfänglich zur Geltung gebracht werden muss.

Ist aber versammlungsrechtlich die grundrechtliche Konfliktlage zu beachten, dann kann strafrechtlich solange keine "grobe Störung" vorliegen, solange diese Konfliktlage im konkreten Fall nicht im Wege praktischer Konkordanz zugunsten der einen und zulasten der anderen Seite aufgelöst worden ist. Die bloße Herbeiführung der Konfliktlage mit einer Versammlung durch eine andere kann somit nicht bereits als "grobe Störung" bestraft werden. Weiterhin kann eine Versammlung, die sich in der Konfliktlage befunden hat, erst dann als "grobe Störung" bestraft werden, wenn sie rechtmäßig verboten oder aufgelöst worden ist.</Zitat>

Die praktische Konkordanz ist üblicherweise eine Methode, bei Konflikten zwischen verschiedenen Grundrechten einen Ausgleich zu finden, und zwar in der Form, dass beide (ggf. alle) Grundrechte möglichst umfänglich zur Geltung gebracht werden. Die Methode der praktischen Konkordanz nun auf diese Fragestellung anzuwenden, ist ein wenig unüblich, aber meiner Ansicht nach legitim und sinnvoll.

Es kann im Sinne der hier zu erörternden Fragestellung unbeantwortet bleiben, zu welchem Ergebnis die Methode der praktische Konkordanz bei der Herrn Lichdi vorgeworfenen Tat führt. Es stellt sich statt dessen die Frage, wie eine erfolgreiche Totalblockade (es wird ja nicht zu einer erfolglosen Blockade aufgerufen...) im Lichte der praktischen Konkordanz zu bewerten wäre.

Bei einer erfolgreichen Totalblockade wäre das Versammlungsrecht der Nazis komplett nicht zur Geltung gebracht (sie hätten das, was sie erreichen wollen, vollständig nicht erreicht), während das Versammlungsrecht der Blockierer vollständig zur Geltung gebracht wäre (sie hätten das, was sie erreichen wollen, vollständig erreicht). Das wäre zwar aus politischen Gründen zu begrüßen, nicht jedoch aus dem Blickwinkel der praktischen Konkordanz (also "jedes der beiden widerstreitenden Versammlungsrechte möglichst umfänglich zur Geltung bringen").


Fazit: Bezüglich der konkreten Strafsache maße ich mir kein Urteil an, dazu kenne ich den konkreten Fall zu wenig. "Aus dem Bauch heraus" hätte ich eher dazu geraten, mit der Gewissensfreiheit als Rechtfertigungsgrund zu argumentieren, als zu versuchen, die grobe Störung wegzuargumentieren.

Bezüglich der mich primär interessierenden Fragestellung (Aufruf zu Totalblockaden durch Personengruppen - die sich dann auch nicht mehr auf die Gewissensfreiheit berufen können, da dies dem Wesen nach ein individualistisches Grundrecht ist) sehe ich mich von den Ausführungen von Herrn Lichdi ziemlich bestätigt, da er an keiner Stelle argumentiert, dass eine solche Totalblockade keine grobe Störung ist.


HINWEIS: Hier jetzt weiter mit den Ausführungen von @kpeterlBW:


<Zitat>Letztendlich lässt sich zur Behauptung, das Blockaden per se Straftaten sind noch das folgenden sagen: „Dass es auch Versammlungsstörungen unterhalb der Schwelle des § 21 VersG gibt bzw. geben kann, zeigt ein Blick auf § 29 Abs. 1 Nr. 4 VersG, der solche Fälle lediglich als Ordnungswidrigkeiten sanktioniert. Voraussetzung ist jedoch auch dort, dass mit der Störung trotz wiederholter Zurechtweisung durch den Leiter oder einen Ordner fortgefahren wird. Wenn der Gegendemonstrant jedoch mangels „Erststörung" mit einer solchen weder fortgefahren hat noch zurechtgewiesen wurde, scheidet auch die Ahndung als Ordnungswidrigkeit aus. Ähnliches gilt auch im Hinblick auf die allgemeine Ordnungswidrigkeitsnorm des § 113 Abs. 1 OWiG (unerlaubte Ansammlung).“[15]

[15] http://www.anwalt.de/rechtstipps/legaler-widerstand-gegen-rechte-demonstrationen_018574.html</Zitat>

Können wir uns auf die Linie einigen, dass Totalblockaden - zumindest im Regelfall - grobe Störungen und somit grundsätzlich Straftaten sind (wenn auch Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen könnten), während es "auch Versammlungsstörungen unterhalb der Schwelle des § 21 VersG gibt bzw. geben kann", z.B. wenn eine Demo eher vorübergehend aufgehalten wird?


<Zitat>Die Frage einer Blockade von Demonstrationen ist eine Politische und sie muss auch Politisch entschieden werden. Diese politische Entscheidung wird aber durch die, meines Erachtens falsche Behauptung, Blockaden seine per se Straftaten verhindert. Denn wer sich doch noch für Blockaden ausspricht wird so als Befürworter von Straftaten hingestellt.

Dies beendet aber jede Politische Diskussion.[16]

[16] in der ersten Version konnte man den Eindruck gewinnen, das er Michael Ebner mind. zweimal unterschwellig unterstellt, dass es um Nazi-Sympathie geht. Das war niemals meine Absicht.</Zitat>

Zunächst: Es freut mich, wenn mir nichts unterstellt wird, was nicht zutrifft.

Dann: Ich begrüße den Ansatz, an die Fragestellung politisch heranzugehen. Ich verweise diesbezüglich auf den folgenden Abschnitt:


Die politische Frage

Versuch eines Minimalkonsenses

Jeder Versuch, zu einer gemeinsamen Lösung für das weitere Vorgehen zu finden, setzt zumindest einen minimalen Konsens über die Bewertung des status quo voraus. Ich versuche hier mal zusammenzufassen, was ich in der Piratenpartei als solchen Minimalkonsens sehe:

  • Es ist nicht wünschenswert, die Teilnahme an friedlichen (also ohne körperliche Gewalt) Nazi-Blockaden einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen.
  • Teile der Justiz (also nicht so Hobby-Juristen wie ich, sondern Staatsanwälte und Richter, also Juristen mit Prädikatsexamen) sehen in der Blockade von (Nazi-) Demonstrationen (und nicht erst bei der Totalblockade) eine grobe Störung im Sinne § 21 VersammlG.
  • Selbst wenn es da unter Juristen unterschiedliche Bewertungen geben sollte, so wäre es dann zumindest nicht wünschenswert, dass es da solche Auslegungsspielräume gibt.
  • Eine grobe Störung im Sinne § 21 VersammlG ist nach derzeitiger Rechtslage eine Straftat.
  • Der Aufruf zu einer Straftat ist nach derzeitiger Rechtslage selbst eine Straftat.

Sollte jemand einem dieser Punkte widersprechen, dann bitte Nachricht an mich.

Ob es jetzt eine Art Konsens ist, dass nicht leichtfertig mit Grundrechten umgegangen werden soll, vermag ich derzeit nicht zu beurteilen und unterstelle es im Folgenden nicht. Ich jedoch würde es als nicht besonders konsequent sehen, wenn wir dem Gesetzgeber immer mal wieder leichtfertigen Umgang mit den Grundrechten vorwerfen und selbst nicht weniger leichtfertig handeln.


Ausgehend von dieser Beurteilung der momentanen Lage sehe ich die folgenden Handlungsmöglichkeiten:

Änderung § 21 VersammlG

Denkbar wäre, die grobe Störung aus dem § 21 heraus zu nehmen und sie zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen, strafbar blieben dann die Gewaltanwendung und die Drohung damit (letzteres, wenn z.B. der schwarze Block skandiert "gebt den Nazis die Straße zurück - Stein für Stein").

Inzwischen haben die Bundesländer die Möglichkeit, eigene Versammlungsgesetze zu erlassen - die Piratenfraktionen könnten da durchaus die Initiative ergreifen.

Es bleibt das Risiko, von den Verfassungsgerichten dafür "ein's auf die Pfoten" zu bekommen, wenn die sich auf den Standpunkt stellen sollten, dass diese Herabstufung auch einer Totalblockade zu einer Ordnungswidrigkeit den Schutz der Versammlungsfreiheit derart verringere, dass damit eine verfassungswidrige Einschränkung der Versammlungsfreiheit erfolgt sei. Dieses Risiko sehe ich nicht als derart groß ein, als dass man das nicht riskieren könnte.

Es bleibt auch das Risiko, dass diese Herunterstufung auch für andere Zwecke verwendet wird, also z.B. die JU eine Sozialisten-Demo trollt ("wenn Kommunisten marschieren, werden wir blockieren..."), aber damit muss man dann halt leben - umsonst gibt's nix.

Von Versuchen, über eine Änderung von § 21 VersammlG gezielt nur die Blockade von Nazi-Demos zu legalisieren, halte ich wenig. Zum einen bräuchte es dann eine trennscharfe Legaldefinition von Nazi-Demos, zum anderen sind Einschränkungen von Art 8 nur über allgemeine Gesetze möglich (da - nach herrschender Meinung - Art 8 lex specialis zu Art 5 sei).

Die Gewissensfreiheit als Rechtfertigungsgrund

Das ist jetzt sehr wenig eine "Handlungsmöglichkeit" der Piratenpartei, sondern eine Möglichkeit der Justiz, im Zuge der Verfassungsauslegung einen Rechtfertigungsgrund zu schaffen. (Ein Rechtfertigungsgrund ist etwas, was dazu führt, dass eine eigentlich strafbare Handlung doch nicht strafbar ist. Klassische Rechtfertigungsgründe sind Notwehr und Nothilfe.)

Die einzige Möglichkeit, das zu befördern, wäre die, dass in Strafverfahren entsprechend argumentiert wird und die Sache dann ausreichend hoch - zur Not bis zum Bundesverfassungsgericht - eskaliert wird.

Wie chancenreich eine solche Argumentationslinie ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Üblicherweise wird die Gewissensfreiheit nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Auf der anderen Seite sagt das BVerfG auch, der Gesetzgeber hätte Raum für Gewissensentscheidungen zu lassen - und wo wäre ein solcher Raum mehr gerechtfertig als hier?

Umformulierungen der Blockadeaufrufe

Am kritischten sehe ich die Blockadeaufrufe, da die Aufrufe üblicherweise von Gruppen kommen, und die sich nicht auf die Gewissensfreiheit berufen können, da dies dem Wesen nach ein individualistisches Grundrecht ist.

Hier könnte es hilfreich sein, die Blockadeaufrufe so wie Flashmob-Aufrufe zu formulieren ("Kommt am 13. Februar nicht nach Dresden, setzt Euch nicht auf die Straße..."). Ich halte die Personenkreise, die üblicherweise solchen Aufrufen folgen, für helle genug, die erforderliche gedankliche Transferleistung zu erbringen, man wäre damit jedoch formal raus aus dem Aufruf zu Straftaten (und es wird für die Betreffenden auch leichter zu argumentieren, man habe die Nazis ja gar nicht komplett blockieren wollen - das sei also quasi nicht vorsätzlich sondern allenfalls fahrlässig erfolgt - wenn nicht explizit genau dazu aufgerufen würde).

Nachrangige Ermittlungspriorität

Eine Option, die es auch noch gibt, auch wenn ich sie sehr skeptisch sehe, wäre eine Anweisung an die Polizei (z.B. im betreffenden Polizeigesetz), Verstöße gegen § 21 VersammlG nachrangig zu anderen Straftaten (oder auch nur nachrangig zu Straftaten mit größerem Strafrahmen) zu ermitteln. Wir haben nun mal eine Überlastung der Polizei, und wenn erst alle Fahrraddiebstähle zuende ermittelt werden, dann kommen die Verstöße gegen § 21 VersammlG mit hoher Wahrscheinlichkeit nie zur Ermittlung.

Ich halte diese Option jedoch aus rechtstheoretischer Sicht für unsauber, für die Betreffenden für riskant (weil über Sonderkonstellationen wie Zufallsfunde bei Hausdurchsuchungen das doch zum Problem werden könnte, im Extremfall kommt da für den Betreffenden ein Bewährungswiderruf und somit eine Haftstrafe raus) und somit insgesamt für nicht wünschenswert.

Fazit

Ich sehe Ansatzpunkte für eine politische Lösung. Dafür ist es aber erforderlich, dass das Problem nicht rundweg geleugnet wird.