Benutzer:Johannesponader/ALGII

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Ein paar Hintergründe zum ALG-II-Bezug von Freiberuflern

In letzter Zeit nimmt die Berichterstattung über meinen ALG-II-Bezug zu. Es wird hinterfragt, ob es gerechtfertigt ist, dass ein politischer Geschäftsführer einer 10%-Partei zumindest teilweise von Sozialleistungen leben muss. Einige Medien beginnen derzeit, das Thema im Sinne einer Kampagne auszuschlachten.

Da das Thema komplex ist und ein berechtigtes Interesse an klaren Informationen besteht, möchte ich hier etwas Aufklärung betreiben.

Freiberufler und ALG II - wie funktioniert das?

Ich arbeite als freiberuflicher Pädagoge, Schauspieler, Regisseur und Theaterpädagoge.

Selbständige - dazu zähle ich - zahlen im Gegensatz zu Angestellten nicht in die Arbeitslosenversicherung ein. Daher haben sie in Zeiten ohne eigenes Einkommen auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Statt dessen rutschen sie sofort in Arbeitslosengeld II, das von der konservativen Presse gern "Hartz IV" genannt wird. Es ist dazu da, damit Menschen, die nicht genug eigenes Einkommen haben, genug zum Leben haben.

In den letzten dreißig Monaten habe ich neun Monate lang zumindest teilweise Sozialleistungen bekommen und einundzwanzig Monate von eigenem Einkommen gelebt. In den Zeiten ohne ausreichendes eigenes Einkommen melde ich mich beim Jobcenter und gebe eine Einkommensprognose ab. Auf Grundlage dieser Prognose wird ein vorläufiger Anspruch auf Arbeitslosengeld berechnet und ausbezahlt.

Am Ende des Sechs-Monats-Zeitraums muss ich dann eine Einnahmen-Ausgaben-Aufstellung analog zur Steuererklärung abgeben. Hieraus errechnet sich rückwirkend mein Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Anders als die arbeitssuchenden ALG-II-Empfänger werden Freiberufler normalerweise auch nicht mit oftmals unsinnigen Maßnahmen drangsaliert.

Je nach Einkommensituation passiert dann Folgendes: Verdiene ich in einem Jahr durchschnittlich mehr als den Steuerfreibetrag, muss ich Einkommenssteuer bezahlen. Verdiene ich in einem Sechs-Monats-Zeitraum weniger als das Existenzminimum, habe ich Anspruch auf ALG II.

Damit läuft das System für einen Freiberufler wie mich, der nicht als arbeitssuchend gemeldet ist (und daher auch nicht in der Arbeitslosenstatistik des Jobcenters auftaucht), grundsätzlich ähnlich wie bei Angestellten, mit dem Unterschied, dass ich in Zeiten ohne ausreichendes Einkommen ALG II statt ALG I bekomme, und damit zum „Hartz-IV-Piraten“ abgestempelt werden kann.

2011 beispielsweise habe ich acht Monate lang ausreichend Einkommen gehabt, das ich ganz normal versteuern muss, und vier Monate lang Arbeitslosengeld bezogen.

Sobald ich Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe (also immer dann, wenn aufgrund meiner Einkommensprognose zu vermuten ist, dass ich rückwirkend einen Anspruch zuerkannt bekommen werde) und mich beim Jobcenter melde, bekomme ich einen persönlichen Ansprechpartner, der mit mir meine berufliche Perspektive bespricht. Grundsätzlich bin ich verpflichtet, alles zu tun, womit ich für eigenes Einkommen sorgen kann. Der Arbeitsvermittler legt nun unter Würdigung meiner Persönlichkeit und der Lage am Arbeitsmarkt mit mir zusammen fest, was ich dafür konkret tun soll. Dabei berücksichtigt er nicht nur die kurzfristigen Möglichkeiten, um schnell zu Einkommen zu kommen, sondern blickt auch auf eine mittel- und langfristige Perspektive. Kommt der Arbeitsvermittler zu dem Schluss, dass die bisher gewählte Strategie nicht aufgeht, bestellt er mich wieder zum Gespräch und bespricht, was statt dessen sinnvoll sein könnte. Halte ich mich nicht an Auflagen oder Vereinbarungen, kann er mich sanktionieren und dabei meinen Anspruch bis unter das Existenzminimum kürzen.

Wenn du in den letzten 30 Monaten nur neun Monate ALG II bezogen hast, warum rückst du das nicht stärker in den Vordergrund?

Verglichen mit vielen anderen freiberuflichen Künstlern geht es mir relativ gut. Etwa zwei Drittel meiner Zeit konnte ich in letzter Zeit mein Einkommen selbst bestreiten. Ich gehe davon aus, dass ich in absehbarer Zeit kein ALG II mehr brauchen werde. Warum promote ich das nicht aggressiver?

Der Grund ist einfach: Ich sehe keinen Anlass, mich für meine Einkommenssituation zu schämen oder mich dafür zu rechtfertigen, dass ich immer wieder auch Arbeitslosengeld beziehen muss. Wenn ich genug verdiene, muss ich Steuern zahlen und finanziere damit unter anderem auch das Sozialsystem für andere mit. Wenn ich nicht genug verdiene, profitiere ich vom Sozialsystem. Nicht mehr, und nicht weniger.

Ich habe auch nicht vor, dauerhaft Arbeitslosengeld zu beziehen, auch wenn das in der Presse an der einen oder anderen Stelle so dargestellt wird. Ich freue mich über jeden Auftrag, den ich annehmen kann, und fahre gerne in der ganzen Republik herum, um künstlerisch oder pädagogisch zu arbeiten.

Jeder, der schon einmal ALG II bekommen hat und dann irgendwann beim Jobcenter anrufen konnte und um Einstellung der Zahlungen bitten konnte, kennt das beglückende Gefühl, vom eigenen Geld zu leben und nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft. Jemand, der allerdings zeitweise oder dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen ist und sie auch in Anspruch nimmt, zu stigmatisieren oder zu einem Menschen zweiter Klasse zu machen, widerspricht jedoch unserem solidarischen Gesellschaftsverständnis genauso wie unserem Grundgesetz.

Viele ALG-II-Empfänger teilen mir mit, dass sie sich freuen, dass jemand so selbstbewusst zu seinem ALG-II-Bezug steht. Sie schöpfen dadurch neuen Mut und überwinden dabei vielleicht auch manche Blockade, die sie dabei behindert, vom ALG-II-Bezug unabhängig zu werden.

Bloß, weil die Auftragslage oder die Einkommenssituation eines Menschen schlecht ist, verliert er nicht das Recht, sich ehrenamtlich und politisch zu engagieren.

Ich bin der Überzeugung, dass in einer Demokratie jeder das Recht hat, sich ehrenamtlich und politisch zu engagieren. Die Auffassung, als Bezieher von ALG II habe man nicht das Recht, sich politisch in einer Partei zu engagieren, wie ich dies tue, offenbart eine tiefsitzende Geringschätzung und Ignoranz vor elementaren demokratischen Rechten. Ein geringes Einkommen darf nicht zur Rechtfertigung einer Zwei-Klassen-Demokratie instrumentalisiert werden.

Warum bezahlt die Piratenpartei ihre Vorstände nicht?

Bei den Piraten hat das ehrenamtliche Engagement eine große Tradition. Das liegt an mehreren Dingen: Zum einen wollen wir möglichst wenig Hierarchien etablieren - und solche Hierarchien entstehen, wenn man einzelne Posten (v. a. Vorstandsposten) bezahlt. Ehrenamtliche Vorstände hingegen haben es leichter, auf Augenhöhe zu bleiben und sich nicht abgehoben zu fühlen.

Zum anderen geschieht viel Arbeit, die anderswo bezahlte Vorstände machen, bei uns durch viele engagierte Mitglieder, so dass eine Aufgabe im Vorstand (noch) neben einem Vollzeit-Job zu leisten ist. Bezahlte Vorstände bergen hingehen die Gefahr, dass eine Dienstleistungskultur stärker um sich greift: Wenn es bezahlte Vorstände gibt, sollen die doch die Arbeit machen, schließlich werden sie dafür bezahlt.

Zum Dritten hat die Piratenpartei schlicht nicht genug Geld. Die verfassungswidrigen Regelungen der Parteienfinanzierung führen dazu, dass wir derzeit nur ein Drittel des Geldes bekommen, das uns anhand der letzten Wahlergebnisse zustehen würde. Aufgrund einer Deckelungsvorschrift für Parteien mit niedrigen Eigeneinnahmen werden uns statt rund 1,6 Millionen Euro nur 600.000 Euro zuerkannt. Die verbleibende Million teilen die anderen Parteien, die mehr Großspender haben, unter sich auf.

Hätten wir diese Million jährlich zur Verfügung, die sich an sich aus den Wahlergebnissen unserer Partei als angemessener Betrag für unsere Arbeit berechnet, dann könnten wir in der IT, der Geschäftsstelle und der Presse mehr Hauptamtliche einstellen. Wir könnten die inhaltliche Arbeit und die Weiterentwicklung unseres Programms besser fördern, die komplett ehrenamtlich läuft und wo zumeist selbst die Fahrtkosten zu den Veranstaltungen, auf denen dann inhaltlich gearbeitet wird, von jedem Piraten selbst getragen werden. Und wir könnten den Vorständen vielleicht Aufwandsentschädigungen zahlen - keine Gehälter, aber vielleicht 1.000 Euro im Monat, die es einem Bundesvorstand ermöglichen, im Hauptberuf einen Tag pro Woche weniger zu arbeiten - oder in meinem Fall, dauerhaft von Sozialleistungen unabhängig zu sein.

Da sind wir aber noch nicht, und daher werde ich wohl auch weiterhin noch in Monaten, in denen ich nicht über ausreichend eigenes Einkommen verfüge, auf Sozialleistungen zurückgreifen müssen.

Wieviel Einkommen hast du denn inzwischen indirekt durch deine Tätigkeit im Bundesvorstand erzielt?

Ich habe derzeit folgende Einnahmen erzielt, die ich ohne meine ehrenamtliche Tätigkeit nicht bekommen hätte:

  • Insgesamt 750 Euro Gage für zwei Auftritte bei Markus Lanz.
  • 300 Euro für einen Piloten einer Sendung, der bisher nicht ausgestrahlt wurde.

Eine detailliertere Aufstellung entsteht derzeit im Piraten-Wiki.

Kurze Anmerkung zu einer vom Spiegel angestoßenen dpa-Meldung zu meinem Alg-II-Bezug:

Dass ich Ärger mit dem Jobcenter haben soll, weil ich Talkshow-Honorare beziehe, ist völliger Quatsch. Nicht nur der Steuerzahler, auch mein Arbeitsvermittler freut sich, wenn ich Einnahmen habe, weil dadurch mein Bedarf an ALG II sinkt. Ob und wenn ja warum das Jobcenter dem Spiegel, der dpa oder der Welt gegenüber behauptet haben soll, ich würde meine Honorare nicht angeben, kann ich bisher nicht nachvollziehen.