Diskussion:Bundesparteitag 2012.1/Antragsportal/Satzungsänderungsantrag - 037
Inhaltsverzeichnis
Verstoß gegen geltendes Bundeswahlrecht
Das Wahlrecht ist das wichtigste aller Bürgerrechte; es umfasst nicht nur das Recht zu wählen, sondern nach ganz herrschender Meinung auch das Recht jedes einzelnen Bürgers, gewählt werden zu können. Folgerichtig ist die Frage der erforderlichen Unterstützung für eine Kandidatur bereits direkt im Gesetz geregelt; einschlägig ist hier § 21 Abs.3 BWahlG, der gemäß § 27 Abs.5 BWahlG ausdrücklich auch für die Aufstellung sämtlicher Listenkandidaten gilt.
Unterstützer-Quorum:
Der Antrag (§ 10 Abs.3 Satz 1 n.F.) lautet:
- „Ein Listenbewerber muss für seine Kandidatur mindestens 23 Unterstützer gewinnen, die ihn ... unterstützen.“ (Hervorhebung von mir.)
Das Bundeswahlgesetz (§ 21 Abs.3 Satz 2 BWahlG i.V.m. § 27 Abs.5 BWahlG) lautet dagegen:
- „Jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Versammlung ist hierbei vorschlagsberechtigt.“ (Hervorhebungen von mir.)
Laut Gesetz hat also jeder Stimmberechtigte in einer Aufstellungsversammlung das ausdrückliche Recht, einen Bewerber vorzuschlagen. Im Gesetz steht gerade nichts von einem Recht, Bewerber nur „.. in Gemeinschaft mit anderen Stimmberechtigten ... vorzuschlagen“ oder Ähnliches; im Gesetz steht ausdrücklich „Jeder stimmberechtigte Teilnehmer ...“. Daraus folgt mit zwingender Logik: Das Vorschlagsrecht ist schon von Rechts wegen ein Individualrecht der stimmberechtigten Teilnehmer einer Aufstellungsversammlung; würde die Satzung dagegen mehr Unterstützer verlangen, dann wäre dieses individuelle Vorschlagsrecht der Teilnehmer rechtswidrig eingeschränkt. Das BWahlG sieht daher ausdrücklich vor, dass jeder Bewerber um eine Kandidatur genau einen Unterstützer braucht; ist ein Bewerber in der konkreten Aufstellungsversammlung dagegen selbst stimmberechtigt, dann kann er sich insoweit auch selbst vorschlagen. Würde unsere Satzung dagegen mehr Unterstützer verlangen als das BWahlG, dann wäre diese Satzungsregelung rechtswidrig und damit schon von Rechts wegen nichtig; würde dann eine Aufstellungsversammlung auch nur einen einzigen Bewerber „mangels Unterstützungsunterschriften“ nicht nicht zur Nominierungswahl zulassen, dann wären alle Kandidaten-Aufstellungen dieser Versammlung von vorn herein rechtswidrig zustande gekommen. Die rechtlich zwingende Folge einer solchen rechtswidrigen Nominierung wäre drastisch: Die Wahlausschüsse dürften schon von Rechts wegen keinen einzigen unserer Kandidaten zulassen! - Damit wäre die Wahl für uns gestorben.
Unterstützungs-Erklärung:
Antrag für § 10 Abs.3 Sätze 1 und 2 n.F. lautet:
- „Ein Listenbewerber muss ... Unterstützer gewinnen, die ihn durch Unterschrift sowie Angabe des Namens und der Mitgliedsnummer in seiner Kandidatur unterstützen. Eine Kopie der Unterstützungserklärung ist hierzu ausreichend.“ (Hervorhebungen von mir.)
Es ist wohl offensichtlich, dass hier eine schriftlich erklärte Unterstützung verlangt wird. Das Bundeswahlgesetz (§ 21 Abs.3 Satz 2 BWahlG i.V.m. § 27 Abs.5 BWahlG) lautet jedoch:
- „Jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Versammlung ist hierbei vorschlagsberechtigt.“ (Hervorhebung von mir.)
„Teilnehmer“ einer Versammlung ist schon per definitionem immer nur eine Person, die in der fraglichen Versammlung physisch anwesend ist; hat ein Bewerber dagegen nur schriftliche Unterstützungserklärungen nicht-anwesender Personen, dann ist er ipso facto der Versammlung gar nicht vorgeschlagen – und kann schon deshalb auch gar nicht zum Kandidaten gewählt werden. Zwingende Rechtsfolge schriftlicher Unterstützungserklärungen: die Wahlbeteiligung ist für uns geplatzt; wie oben.
Unterstützer-Person:
Antrag für § 10 Abs.3 Satz 3 n.F. lautet:
- „Ein Unterstützer muss Mitglied der Piratenpartei Deutschland sein, jedoch nicht dem jeweiligen Gebietsverband oder der Gliederung angehören, für den der Bewerber kandidiert.“ (Hervorhebungen von mir.)
Hier wird es rechtlich etwas komplizierter; § 21 Abs.3 Satz 2 BWahlG lautet:
- „Jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Versammlung ist hierbei vorschlagsberechtigt.“ (Hervorhebung von mir.)
Die Stimmberechtigung in Mitgliederversammlungen zur Aufstellung von Kandidaten zur Bundestagswahl ist geregelt in § 21 Abs.1 Satz 2 BWahlG, der in Verbindung mit § 27 Abs.5 BWahlG ausdrücklich auch für die Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten gilt; § 21 Abs.1 Satz 2 BWahlG lautet:
- „Mitgliederversammlung ..[zur Aufstellung eines Direkt- oder eines Listen-Kandidaten].. ist eine Versammlung der zum Zeitpunkt ihres Zusammentritts im Wahlkreis [bzw. im Bundesland] zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Mitglieder der Partei.“ (Hervorhebungen von mir.)
Aufstellungsversammlungen sind von Rechts wegen schon prinzipiell keine Parteitage, sie sind vielmehr rein wahlrechtliche Versammlungen eigener Art;[1] in der Presse fällt das allerdings nur deswegen nicht auf, weil die Altparteien (einschließlich der Bündnisgrünen) ihre Kandidaten ausschließlich in Delegierten-Versammlungen aufstellen, und diese Aufstellungs-Delegierten in Personalunion fast immer zugleich auch Parteitags-Delegierte sind. Ein Bewerber kandidiert auch niemals für einen Gebietsverband einer Partei; ein Bewerber, der in einer wahlrechtlichen Aufstellungsversammlung zu einer staatlichen Wahl aufgestellt werden will, ein solcher Bewerber um eine Kandidatur macht vielmehr nur von seinem individuellen Bürgerrecht Gebrauch, auch gewählt werden zu können. Das Aufstellungsverfahren ist daher schon Teil des gesetzlichen Wahlverfahrens – und gerade keine Parteiversammlung (statt vieler: BVerfGE 95,335). Richtig im Antrag ist also, dass die gliederungsmäßige Zugehörigkeit eines Piraten schon von Rechts wegen keinerlei Rolle spielt; maßgeblich für die Stimmberechtigung in einer Aufstellungsversammlung ist vielmehr ausschließlich die Wahlberechtigung zur staatlichen Wahl. Daraus folgt mit zwingender Logik: Stimmberechtigt in in einer konkreten Aufstellungsversammlung sind immer nur Personen, die:
- am Tag der jeweiligen Aufstellungsversammlung
- Parteimitglieder sind; und
- wahlberechtigt sind zum Bundestag; hierbei gilt:
- bei Landeslistenaufstellung: wahlberechtigt im jeweiligen Bundesland;
- bei Direktkandidatenaufstellung: wahlberechtigt im jeweiligen Bundes-Wahlkreis
für den jeweils die Kandidaten aufgestellt werden sollen. Dabei ist völlig belanglos, ob sie Rechte aus der Mitgliedschaft (z.B. wegen Beitragsrückstand) nicht ausüben können. Nur wer stimmberechtigt ist, der ist auch vorschlagsberechtigt; so aber, wie der Antrag formuliert ist, könnte jeder Aspirant 23 Piraten aus beliebigen Bundeswahlkreisen zur schriftlichen Unterstützung überreden. Wird aber ein Bewerber nicht von einem stimmberechtigten Teilnehmer vorgeschlagen (sondern von jemand anderem), dann kann ihn die Versammlung schon von Rechts wegen auch nicht zum Kandidaten wählen. Tut es die Versammlung trotzdem, dann sind alle ihre Nominierungen rechtswidrig zu stande gekommen; zwingende Rechtsfolge: Zulassung aller „Kandidaten“ zur staatlichen Wahl wird abgelehnt, Wahlbeteiligung geplatzt, wie oben.
Unterstützung durch die Versammlung selbst
Antrag für § 10 Abs.4 Satz n.F. lautet:
- „Die Wahlordnung kann vorsehen, dass eine Kandidatur auch ohne ausreichend Unterstützerunterschriften zulässig ist, wenn die Mehrheit der Versammlung beschließt, die Kandidatur zu unterstützen.“
Der Antragsteller stellt sich hier offensichtlich vor, die Kandidatur eines Bewerbers ohne genügend Unterstützungsunterschriften zunächst durch eine offene Abstimmung in der Versammlung festzustellen, der dann die eigentliche Wahl erst folgen soll. Das beantragte Verfahren schließt damit einen mündlichen Vorschlag erst in der Versammlung selbst definitiv aus, was wie schon erklärt eindeutig rechtswidrig ist. Weiter sagt § 21 Abs.3 BWahlG:
- „Die Bewerber und die Vertreter für die Vertreterversammlungen werden in geheimer Abstimmung gewählt.“
Eine Vorauswahl der Bewerber – wessen Kandidatur wird nun zugelassen, und wer nicht – auch das ist eine Wahl eines Kandidaten im Sinne des Gesetzes; jegliche offene Abstimmung über die Zulassung eines Bewerbers zur Kandidatur ist folglich schon deswegen auch eine „Wahl“ im Sinne des Gesetzes. Daraus folgt mit zwingender Logik: Die „Unterstützung“ einer Kandidatur durch die Versammlung selbst würde rechtlich zwingend zur Nichtigkeit aller Nominierungen dieser Aufstellungsversammlung führen; Rechtsfolge: Wahlzulassung geplatzt.
Zusammenfassung:
Die einschlägigen Regelungen des Bundeswahlgesetzes sind nicht nur sprachlich so klar und völlig eindeutig, dass sie auch juristische Laien ohne Weiteres richtig verstehen müssten. Das Aufstellungsverfahren ist bereits Teil des Wahlverfahrens, das im Wesentlichen gesetzlich geregelt ist; bei seinem Antrag allerdings hat der Antragsteller offensichtlich die Formenstrenge des staatlichen Wahlrechts ganz einfach ignoriert. Wie gezeigt verstößt der Antragstext gegen gesetzliche Regelungen im Bundeswahlgesetz; er ignoriert also zwingendes Recht. So, wie der Antragstext lautet, ist er gar nicht beschlussfähig; er würde als Satzungsregelung ganz einfach nichtig sein. Weil die vorgeschlagene Regelung ohne die eindeutig rechtswidrigen (und schon deshalb nichtigen) Passagen keinen Sinn macht, brauchen wir uns mit dem Antragstext nicht weiter zu befassen; der Antrag ist ganz einfach gar nicht beschlussfähig. Würde der Bundesparteitag diesen Antrag jedoch annehmen, und würde eine Aufstellungsversammlung den beantragten Regeln dann folgen, dann wäre die Kandidatur aller Kandidaten, die eine so verfahrende Aufstellungsversammlung nominiert, schon aus gesetzlichen Gründen rechtswidrig. Die rechtlich zwingende Folge einer solchen rechtswidrigen Nominierung wäre drastisch: Die Wahlausschüsse dürften schon von Rechts wegen keinen einzigen unserer Kandidaten zulassen! - Damit wäre die Wahl für uns gestorben.[2]
Oliver T. Vaillant 13:21, 21. Apr. 2012 (CEST)
- ↑ So schon BVerfGE 89,243; deswegen sind auch alle Satzungsregelungen, die sich auf Parteitage beziehen, von vorn herein nicht anwendbar auf die Auftsellungsversammlungen, auch nicht analog.
- ↑ BVerfGE 89,243 (251); vgl. statt vieler Kersten in Kersten/Rixen (ed.): Parteiengesetz und europäisches Parteienrecht, Kommentar (2009), § 1 Rn.78; Hbg VerfG in NVwZ 1992,1083; Kunig in vMünch/Kunig: GG, Art.21 Rn.57; Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG Art.21 Rn.86
Vollständige Gesetzes-Zitate:
§ 21 Abs.3 BWahlG lautet vollständig:
- „Die Bewerber und die Vertreter für die Vertreterversammlungen werden in geheimer Abstimmung gewählt. Jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Versammlung ist hierbei vorschlagsberechtigt. Den Bewerbern ist Gelegenheit zu geben, sich und ihr Programm der Versammlung in angemessener Zeit vorzustellen. Die Wahlen dürfen frühestens 29 Monate nach Beginn der Wahlperiode des Deutschen Bundestages stattfinden; dies gilt nicht, wenn die Wahlperiode vorzeitig endet.“
§ 27 Abs.5 BWahlG lautet vollständig:
- „§ 21 Abs. 1, 3, 5 und 6 sowie die §§ 22 bis 25 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass die Versicherung an Eides statt nach § 21 Abs.6 Satz 2 sich auch darauf zu erstrecken hat, dass die Festlegung der Reihenfolge der Bewerber in der Landesliste in geheimer Abstimmung erfolgt ist.“