Benutzer:Semon/Abstimmungsverfahren

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Auf dieser Seite möchte ich meinen Argumente zu der Diskussion um Abstimmungsverfahren sammeln. Die Kernfrage ist meiner Ansicht nach, welche Arten von elektronischen Abstimmungsverfahren sind möglich und welche Kriterien sollte man dafür anlegen.

Bei der Lektüre des bisherigen Beiträge zum Thema habe ich mitunter den Eindruck gewonnen, daß wenn man das Wort Abstimmungsverfahren in der Piratenpartei verwendet, man a) automatisch ein LiquidFeedback Kritiker ist (ja bin ich) b) für Wahlcomputer ist (nein, bin ich nicht) c) Intransparenz und Manupilation mag (nein, auch nicht).

Im folgenden beschäftige ich mich mit zwei Aspekten, die getrennt voneinander bewertet und entschieden werden können: A) Die Liquid Democracy-Idee B) Das Wahlverfahren.

Das Ziel

Ich sehe den Einsatz elektronischer Abstimmungsverfahren in der Piratenpartei als ein Alleinstellungsmerkmal, welches und von allen anderen Parteien abhebt.

Trotzdem sehe ich die innerparteiliche Nutzung nur als großes Experiment auf dem Weg eine stärkere Bürgerbeteiligung auch gesamtgesellschaftlich zu ermöglichen und zu fördern. Experiment heißt dabei nicht unverbindlich. Ein Verankerung von Liquid Democracy in der Satzung der Piratenpartei ist für mich Teil des Experiments (manche Experimente sind größer als andere: z.B. Atomenergie oder auch das hier).

Meine Vision ist eine Gesellschaft, in der alle Bürger online sind, aber trotzdem die Privatsphäre derjenigen, die das wünschen, gewahrt wird. In dieser Gesellschaft beschäftigen sich im Schnitt nicht mehr Leute mit Politik als heute. Bei wichtigen Fragen kann man jedoch innerhalb kurzer Zeit (<< 4 Jahre) und mit minimalen Kosten (im Vergleich zu heute) einfach eine Urabstimmung aller Wahlberechtigten (Bundesurabstimmung) durchführen um z.B. solche Sachen wie Atomaustieg oder Gentechnik oder Pränatale Diagnostik zu entscheiden.

Geheime Abstimmungen

Es muss nicht alles geheim abgestimmt werden, ich bin sogar der Meinung, daß die allermeisten Abstimmungen und Meinungsbilder in der Partei offen erfolgen können. Wenn man aber - wie ich - den innerparteilichen Einsatz elektronischer Abstimmungen als einen Schritt zur Vision einer Bürgerabstimmung auf Bundesebene sieht (wobei offen ist ob und wann dieses Ziel zu erreichen ist), so müssen wir auch für geheime Abstimmungen eine Lösung finden!

Wenn man geheime Abstimmungen auf elektronischem Wege grundsätzlich ablehnt, so torpediert man damit meiner Ansicht nach den gesammten Ansatz. Man kann sich als Partei eventuell darauf verständigen (soweit rechtlich möglich) alle Abstimmungen namentlich durchzuführen, nach dem Motto: Wem das nicht gefällt, der soll doch seine eigene Partei gründen. Fordert man dies aber auf Kreis-, Landes- oder Bundesebene für Abstimmungen aller Bürger, ist dies nicht mit demokratischen Grundsätzen vereinbar. Die geheime Abstimmung ist ein essentieller unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie. Wenn also eine geheime elektronische Abstimmung unmöglich wäre, so wäre die Umsetzung einer echten demokratischen Bundesurabstimmung auf elektronischem Wege auch unmöglich.

Es gibt auch bereits ein Verfahren welches alle Bedingungen für eine korrekte Wahl erfüllt. Das Verfahren stammt von David Chaum und wurde auf der Datenspuren 2010 von Dr. B. Kellermann sehr gut vorgestellt: E-Voting Crashkurs. Eine gute Darstellung gibt es auch hier: (Wie aus Liquid Feedback ein Vollwertiges Abstimmungstool wird - INKLUSIVE nachprüfbarer geheimer Abstimmung).

Pseudonyme Abstimmung

Die Abstimmung unter Pseudonym wie Sie aktuell in Liquid Feedback realisiert ist, benachteiligt Personen, welche wirklich anonym abstimmen wollen im mehrfacher Weise und mach gleichzeitig die Überprüfbarkeit der Wahl extrem schwierig.

Was sind die Benachteiligungen:

  1. Themen einstellen: Wenn man als ANONYM ein Thema einstellt, so kann man für diese Thema außerhalb von LQFB keinerlei Werbung machen ohne letztlich sein Pseudonym aufzugeben. Ist eine Verknüpfung des Pseudonyms aber einmal erfolgt, sind alle bisherigen und alle zukünftigen Abstimmungen nicht mehr geheim. Im Gegensatz dazu können die KLARNAMEN beliebig viel Werbung für ihre Themen machen. Dies ist eine erhebliche Verzerrung der Abstimmungen!
  2. Delegation: Bei Delegation geht es um vertrauen: Ich delegiere meine Stimme an jemanden, dessen Kompetenz ich vertraue und von dem ich der Meinung bin das er meine politischen Überzeugungen teilt. Jemand der geheim abstimmt hat kaum eine Chance von anderen als Delegierter gewählt zu werden. Gibt es überhaupt Delegierte, deren Identität nicht bekannt ist - wenn überhaupt, dann nur in sehr geringem Maße.

Das Bundesverfassungsgericht

Eines der Hauptargumente gegen (geheime) elektronische Abstimmungsverfahren ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von Wahlcomputern zu Bundestagswahlen.

Die meistzitierte Stelle ist dabei:

  1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.
  2. Beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.

(http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/cs20090303_2bvc000307.html)

Wichtig an dieser Stelle: Es geht mir nicht darum dieses Urteil zu relativieren (würde ich nie tun, das Bundesverfassungsgericht gehört zu den GUTEN - Gandalf, Obi Wan Kenobi und das Bundesverfassungericht sind meine großen Vorbilder ;-)

Aber dieses Urteil bezieht sich auf den Einsatz von Wahlcomputern bei Bundestagswahlen und das dazugehörigen Wahlgesetz. Es bezieht sich nicht auf den Einsatz von elektronischen Abstimmungen in Vereinen oder Parteien.

Es sagt außerdem nicht: "Bei elektronischen Abstimmungen muss auf das Prinzip der geheimen Wahl verzichtet werden."

Delegationen

Die Grundidee von Liquid Democracy demokratische Delegationen nicht mehr nur alle 4 Jahre vorzunehmen (und dann nicht mal genau bestimmen zu können an wen), sondern die Delegation ständig anpassen zu können ist ein ganz wichtiger Beitrag. Alle Kritik an den Delegationsverfahren ist meiner Ansicht nach gegen die Alternativen abzuwägen: Parlamentarische Demokratie und Basisdemokratie.

In aller Kürze: In der parlamentarischen Demokratie sind die Beteiligungsmöglichkeiten absolut unzureichend und die Basisdemokratie funktioniert im praktischen Einsatz nicht wirklich. Jedenfalls nicht, wenn man pro Tag 50 Sachen abstimmen möchte. Egal welcher Form man wählt, es läuft immer darauf hinaus, das sich manche Menschen politisch beteiligen und viele einfach nur wollen das es funktioniert.

Ein ganz wichtiger Aspekt ist dabei, das es bei vielen Abstimmungen durchaus reicht, wenn ein Delegierter meine grundsätzlichen politischen Überzeugungen teilt (z.B. würde ich Renate Künast durchaus meine Stimme zum Verbraucherschutz anvertrauen :-). Liquid Democracy ermöglicht mir aber bei strittigen oder besonders wichtigen Themen jederzeit meine Stimme selbst abzugeben. Aus diesem Grund kombiniert das Verfahren aus meiner Sicht die Vorteile der beiden klassischen Ansätze (siehe oben).

Delegation und Stimmenhäufung

Ein häufig gegen liquide Delegation vorgebrachtes Argument ist, die Delegierten unterschiedliches Stimmengewicht haben. Inbesondere, dass ein einzelner Pirat kaum noch Einfluss auf einen Abstimmung hat, wenn "Superdelegierte" mit vielen Stimmen im Spiel sind.

Klassische Delegierte haben im Gegensatz dazu alle genau eine Stimme und sollten idealerweise jeder eine etwas gleich große Gruppe von Parteimitgliedern vertreten. Dies kann z.B. die Anzahl der Delegiert pro Kreisverband geregelt werden.

Ich bin dennoch der Ansicht, das die ungleichmäßige Stimmgewichtung richtig ist. Für mich entspricht die Delegation in Liquid Democracy der Erteilung einer Abstimmungsvollmacht z.B. bei einer Eigentümer- oder Aktionärsversammlung. Auch dort kann ich jederzeit mein Stimmrecht wieder selbst übernehmen und je mehr Eigentümer/Aktionäre jemand vertritt, desto höher ist sein Stimmgewicht.

Für demokratische Prozesse ist dieses Verfahren zugegeben eher unüblich. Ich finde es jedoch gerechter: Bei normaler Delegation werden Minderheitsmeinungen sehr früh ausgefiltert: Wenn ein Delegierter in seinem Kreis von 60 der 100 Mitglieder gewählt wird vertritt er danach trotzdem alle 100. Im Gegensatz dazu müssen sich bei Liquid Democracy eben nicht alle auf einen Delegierten einigen. Es kann eben zwei Delegierte geben. Einen mit 60 Stimmen und einen mit 40 Stimmen.

Delegation und geheime Abstimmung

Delegation und geheime Abstimmung sind meiner Meinung nach keine sich ausschließenden Prinzipien. Warum delegiert man seine Wahl:

  • Niemand kann sich um alles kümmern und über alles informiert sein. Die Zeiten der Universalgelehrten sind schon ein paar hundert Jahre vorbei.
  • Proxy-Prinzip: Am einen Ende des Spektrums steht der Wunsch, dass mein Delegierter genau so abstimmt, wie ich es auch machen würde. Dann möchte ich das Abstimmungsverhalten meines Delegierten natürlich komplett kontrollieren können.
  • Experten-Prinzip: Am anderen Ende steht meiner Ansicht nach die Delegation an Personen mit Sachkenntnis in dem jeweiligen Gebiet, wobei dieser Delegierte meine politischen Ansichten im großen und ganze Teilen sollte.

Für das Proxy-Prinzip brauche ich nicht unbedingt die Identität meines Delegierten zu Wissen, ich muss aber sein gesamtes Abstimmungsverhalten überprüfen können. Dabei möchte ich allerdings anmerken - weil ja auch an anderer Stelle der Diskussion explizit auf des GG verwiesen wird - das Artikel 3 Abs. 1 des GG für Abgenordnete festlegt: "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen"

Für das Experten-Prinzip muss ich jedoch die Person, deren Position und Wissen zum Thema beurteilen können nicht die Abstimmungen der Person! Ich persönlich halte das Expertenprinzip eindeutig für nützlicher als das Proxy-Prinzip.

Qualität durch Quoren-Delegation

Ein häufiges Problem in Abstimmungssystemen bei denen jeder Antragsberechtigt ist, sind Anträge von sehr niedriger Qualität. Jemand hat irgendwo etwas gelesen oder gehört und findet: Das muss sofort ins Parteiprogramm! Nun kann man für die Qualität eines Antrags nur schwer feste Regeln definieren und will das als Pirat auch nicht.

Mein Vorschlag zur Lösung des Problem ist eine spezielle Art von Delegation: die Quoren-Delegation. Wenn man die Unterstützung für das Erreichen des Quorum delegieren könnte (und nur diese - ohne die Abstimmung zu delegieren!), dann könnten sich Qualitätsbeauftragte etablieren. Dabei kann jeder Quoren-Delegierter seine eigenen Kriterien definieren. Zum Beispiel:

  • Thema muss im richtigen Themenbereich stehen.
  • Belege für die enthaltenen Aussagen enthalten.
  • Aussagen zu Kosten und Nebenwirkungen des Antrags machen

Wenn mir nun die Regeln eines Delegierten gefallen, dann übertrage ich Ihm meine Quoren-Delegation.

Durch die Quorum-Delegation könnten verschiedene Qualitätskriterien in Konkurrenz zueinander treten, ohne das irgend jemand zentral Regeln vorgeben müsste. Wenn es erst mal genügen Quorum-Delegierte gäbe, würden sich die Antragsteller automatisch mehr Mühe geben.

Ich bin noch nicht fertig

Wenn man sieht, wie viel Aufwand die bei der FDP für eine einzige Abstimmung (Sichwort: ESM) treiben musste, ...

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