AG Geldordnung und Finanzpolitik/ThemaSammlungReformansätze

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Vorbemerkung Vorbemerkung:
Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied Cosmic vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel.


Vorwort

Dieses Kapitel über die bestehenden, bekannten Reformansätze in der Geldordnung ist dem Buch "Die Vollgeldreform" (Edition Zeitpunkt, Hrsg. Verein Monetäre Modernisierung) entnommen. Verfasst wurde es von Prof. Joseph Huber. Das Buch gibt es im Buchhandel oder hier zu kaufen: [1]

Der Text stellt die bestehenden Reformansätze vor, kann der AG Geldordnung als Übersicht dienen, um ggfls. in das programmatische Konzept der AG einzufließen.

Einleitung

Die moderne Wirtschaft beruht auf dem Finanzsystem, und dieses beruht auf der Geldordnung. Damit ist eine klare Systemhierarchie gegeben: Geld konditioniert und kontrolliert die Finanzwirtschaft ebenso wie diese die Realwirtschaft. Für jede realitätsbasierte Wirtschaftswissenschaft – sei sie historisch, institionalistisch oder verhaltensbezogen – ist es evident, ja geradezu trivial, dass Geld das zentrale Steuerungs- und Kontrollmedium der Wirtschaft darstellt. Trotzdem wird in der Diskussion über die aktuelle Banken- und Staatsschuldenkrise die Rolle der Geldordnung als Kernkomponente des Finanzsystems kaum berücksichtigt. Die schlimmste Krise seit der Großen Depression der 1930er Jahre hat bisher nicht dazu geführt, die Aufmerksamkeit von Wissenschaft, Fachmedien und Politik auf monetäre Grundfragen zu lenken und eine Reform der Geldordnung zum Bestandteil aktueller Finanzreformen zu machen.


Aktuelle Maßnahmen der Banken und Finanzmarktreform

Die aktuelle Reformdebatte kreist typischerweise um gewisse Praktiken des Investmentbanking und um Strukturen der Finanzmärkte. Eine erste Gruppe solcher Analysen sieht die Schuld für die Krise hauptsächlich in der Deregulierung der Devisen-, Kapital- und Wertpapiermärkte und einem Trend zum „Kasinokapitalismus“. Die als Antwort darauf vorgeschlagenen Maßnahmen zielen auf mehr als Finanzaufsicht und eine Eindämmung des Hochfrequenz-Handels. Zu derartigen Maßnahmen gehören

1.die Erhebung einer Finanztransaktions-Steuer,

2.die Überführung von außerbörslichen Wertpapiergeschäften in den registrierten Börsenhandel,

3.die Austrocknung von Off-Shore-Finanzzentren bzw. „Steuerparadiesen“.

Im Mittelpunkt anderer Analysen steht ein fahrlässig gewordener Umgang mit den Risiken des Kredit- und Investmentbanking. Diesbezüglich vorgeschlagene Maßnahmen beinhalten

4.eine Begrenzung von Bonuszahlungen an Händler und Topmanager,

5.Das Verbot des Eigenhandels der Banken (die so genannte Volcker-Regel),

6.striktere Vorgaben für Ratingagenturen und die Gründung konkurrierender staatlicher Ratingagenturen,

7.das Verbot von speziellen Wertpapieren, etwa strukturierten Produkten wie forderungsbesicherten Wertpapieren in Form von gut-schlecht-gemischten Hypotheken-Sand-wiches; oder das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen,

8.transparente Bilanzierung, insbesondere die Rücknahme der Erlaubnis, gewisse Risiken außerbilanziell zu führen, zum Beispiel in Zweckgesellschaften, die als Verkaufskanäle für strukturierte Wertpapiere dienen; darüber hinaus auch strengere Vorgaben für andere Schattenbanken wie Hedgefonds.

Eine dritte Gruppe von Reformmaßnahmen beruht auf der Annahme, dass die seit Jahrzenten übliche geringe Eigenkapitalbasis der Banken als Sicherheitspuffer nicht ausreiche, um das Überleben der Banken unter dem Stress von faulen Krediten und Vermögensverlusten bei Geld anlagen zu sichern. Als nahe liegende Antwort auf dieses Problem wird vorgeschlagen,

9.die Eigenkapitalausstattung der Banken gemäß Übergang vom Regelwerk Basel II zu Basel III zu erhöhen, einschließlich

10. eines Liquiditätsvorrats für mindestens 20 Tage sowie

11.einer Kreditvergabe-Bremse in Form einer maximalen Quote der ausstehenden Darlehen zum Kernkapital und zu Posten im Handelsbuch einer Bank.

Eine vierte Gruppe von Reformansätzen kreist um die Problematik „too big to fail“ bzw. „too interconnected to fail“ und versucht, den Sachzwang zu staatlicher Bankenrettung durch neue Geschäftsmodelle für Banken aufzulösen. Solche Überlegungen haben Forderungen genährt,

12.ein Trennbankensystem einzuführen, wie es zum ersten Mal 1933 in Form des US-amerikanischen Glass-Steagall-Acts eingeführt worden war und zum Ziel hatte, die „harmlosen“ Depositen- und Darlehensbanken (Geschäftsbanken) gegenüber den „gefährlichen“ Investmenbanken zu schützen. Einen solchen neuerlichen Vorschlag hat 2011 insbesondere die britische Independent Commision on Banking (Vickers-Kommision) gemacht.

13. Die Einführung von Abwicklungsplänen, gleichsam Geschäftstestamenten, die in guten Zeiten verfasst werden, um im Fall eines Konkurses ein geordnetes Abwicklungsverfahren zu ermöglichen, das ohne staatliche Rettungsmaßnahmen und Steuergelder durchgeführt werden kann.

Wie wirksam wäre die Umsetzung der von 1 bis 13 aufgezählten Banken- und Finanzmarkt-Reformen? Die Aufzählung erstreckt sich in einem Spektrum von kleineren Modifikationen des Status quo bis hin zu echten Strukturreformen. Ein Beispiel für eine Modifikation ist die vorgeschlagene Steuer auf Finanztransaktionen. Sie erhöht die Staatseinnahmen. Sie ändert aber strukturell nicht das Geringste an der Funktionsweise der Geld- und Kapitalmärkte und wird deshalb so wenig bewirken wie bisherige Börsenumsatzsteuern.

Oder betrachten wir die Maßnahmen ur Erhöhung der Eigenkapitalquote der Banken. Sie könnten einen allzu großen Kreditierungs- und Verschuldungs-Überschwang in künftigen Euphorien vielleicht dämpfen. Aber vielleicht auch nicht. Sie werden jedenfalls die Regulierungsdichte erhöhen, das heißt zu mehr Bürokratie führen. Sie werden bei Kundenkrediten die Anforderungen bezüglich Sicherheiten erhöhen also den Mittelstand, der das Gros der Realwirtschaft ausmacht, schlechter stellen. Und wahrscheinlich werden die Banken sich damit weiterhin selbst über die tatsächlichen Risiken in ihrem Kredit- und Handelsportfolio täuschen. Das Basel-II-Abkommen und die darauf beruhenden Solvenz- und Liquiditätsverordnungen haben zur Verhinderung der gegenwärtigen Banken- und Schuldenmisere nichts beigetragen. Nicht das geringste. Manche Risikoeinstufungen und damit zusammenhängende Eigenkapitalanforderungen erwiesen sich als um Größenordnungen falsch. Beim Ansatz der risikogewichteten Eigenkapitalanforderungen muss ich an John von Neumann denken, einen der Erfinder der Spieltheorie. Sein Motto lautete „Lieber ungefähr richtig als genau falsch.“ Die Basler Regeln tendieren dazu, sehr genau falsch statt ungefähr richtig zu sein. Fünf Tage vor ihrem Konkurs brüsteten sich Lehman Brothers mit einer Kernkapitalquote von 11 Prozent, fast dreimal höher als von der Regulierungsbehörde verlangt. Sagt das nicht schon alles?
Eine von mehreren Problemen ist hier die Risikogewichtung im Detail. Staatsanleihen von OECD-Ländern besaßen bisher das Risiko null. In Anbetracht chronischer Haushaltsdefizite und kumuliertet Staatsschulden ist das spätestens seit den 1980er Jahren eine Schimäre. Ähnliches gilt für Interbanken-Schulden. Sie werden nur mit einem geringen oder keinem Risikofaktor gewichtet, obwohl die Krise seit 2007 anhalten auch auf einem grassierenden Misstrauen der Banken untereinander beruht. Interbanken-Giralgelder kommen ohnedies in keiner Geldmengenstatistik vor. Im Übergang von Basel II zu Basel III sind Korrekturen an diesen Regeln im Detail bisher kaum vorgesehen. In akademischen und politischen Fachkreisen überwiegt daher die Auffassung, dass es richtiger wäre, statt einer equity ratio eine leverage ratio vorzugeben. Bei letzterer wird die gesamte Aktivasumme einer Bank ungewichtet auf ihr haftendes Eigenkapital bezogen. Dies trägt dem Sachverhalt Rechnung, dass sich das Ausmaß von Risiken schnell ändern kann.
Zudem muss man sehen, dass die Geschäftspolitiken von Banken zum einen und ein gesamtwirtschaftliche Geld- und Kreditmarktpolitik zum anderen zwei verschiedene Dinge sind. Eigenkapitalquoten, gleich ob als leverage ratio oder equity ratio, ergeben nur aus einer bestimmten banking-theoretischen Perspektive einen gewissen Sinn. Aus einer currency-theoretischen Perspektive sind sie jedoch nicht maßgeblich. Denn der Wert des Geldes, sein Kaufkraft ist nicht durch monetäre Sicherheiten gedeckt, sondern allein durch die Produktivität der Realwirtschaft. Deshalb stellt das Bruttoinlandsprodukt (BIP), nicht die Kapitalquote von Banken, den richtigen politisch-ökonomischen Referenzwert für ein angemessenes Geld- und Kredit-Gesamtvolumen dar. Einige der aufgezählten Maßnahmen we4rden in verschieden Industrieländern in näherer Zukunft eingeführt oder sind bereits umgesetzt worden. Dabei ist zu beobachten, dass die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von Maßnahmen höher ist, wenn diese nur kleine Veränderungen mit sich bringen, und wesentlich geringer, wenn sie mit Strukturveränderungen des bestehenden Systems verbunden sind. Zudem werden die Maßnahmen im Politikprozess verwässert. Beispielsweise scheint es der Bankenlobby zu gelingen, die in Basel III vorgesehenen Kreditierungsbremse, also eine relativer Beschränkung der Giralgeldschöpfung der Banken, zu kippen.
Von den vorgeschlagenen Maßnahmen würde ein Trennbankensystem die größten strukturellen Veränderungen mit sich bringen. Dazu ist anzumerken, dass alle aktuellen Geldreformansätze die Trennung der laufenden Kundenkonten und des Zahlungsverkehrs von den Kredit- und Investmentgeschäften der Banken mit sich bringen. Schon alleine deshalb ist ein Trennbankensystem zu begrüßen. Es gibt aber einen entscheidenden Punkt, den die neuen Vorschläge für ein Trennbankensystem bisher nicht beachtet haben: Solange Depositenbanken an Investmentbanken Kredite geben können, die diese für Geldanlagegeschäfte im globalen Finanzkasino verwenden, kann das Trennbankensystem seinen Zweck nicht erfüllen. Zudem führen Schieflagen im Investmentbanking bei hoher Leverage (kreditärer Aufhebelung) unweigerlich auch zu Schieflagen im Kreditgeschäft. Ein wirkungsvolles Trennbankensystem muss verhindern, dass Investmentbanken und andere Finanzinvestoren mit geliehenem Geld spekulieren und spekulieren lassen. Die Vernachlässigung der Frage der Aufhebelung von Geldanlagen per Kredit auf der Grundlage der Giralgeldschöpfung der Banken war wahrscheinlich die Hauptursache für die weitgehende Wirkungslosigkeit des inzwischen historischen Trennbankensystems in den USA. Wie weit eine Trennung von Banken, bzw. Geschäftsbereichen innerhalb von Banken, wirklich nötig ist, bleibe dahingestellt. Zwei Dinge müssen jedoch gewährleistet werden: Erstens, dass der Kunden Zahlungsverkehr einer Bank ungestört von möglichen Schieflagen der Bank weiterlaufen kann, und zweitens, dass Geldanlagen ausschließlich auf der Basis von Eigenkapital stattfinden und nicht durch Kreditaufnahme (Fremdkapital aufgehebelt werden.