AG Geldordnung und Finanzpolitik/ThemaExPostExAnte

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Vorbemerkung Vorbemerkung:
Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied Patrik vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel.


Ex Post und Ex Ante

Bei der Diskussion um Schulden und ihrer Verwendung - bspw. Konsum oder Investitionen - gibt es oft unvereinbare Positionen. Oftmals beruht der Unterschied in der Wahrnehmung darin, vergangenes oder zukünftiges zu betrachten. In der Fachsprache unterscheidet man "Ex post" also "hinterher betrachtet" und "Ex ante" als "vorher betrachtet". Man kann sich nun fragen, ob das denn überhaupt einen Unterschied macht? Und die Antwort: In der Tat.

Da dies intuitiv nicht jedem sofort einleuchtet, will ich den Versuch unternehmen, dieses anschaulich zu erörtern.

Ex post

Die übliche Betrachtung in der VWL ist die "ex post"-Betrachtung. Das leuchtet unmittelbar ein, denn man untersucht oft Daten - aus der Vergangenheit. Alle amtlichen Statistiken können sich aus der Natur der Sache heraus nur auf vergangene Perioden beziehen, oftmals mit erheblichem Verzug.

Dies erweckt den Eindruck, dass die Analyse vergangenheitsbezogener Daten notwendigerweise richtig sind - aber das ist nur zum Teil so. Ich will dies anhand von Aussagen der Saldenmechanik zeigen.

Saldenmechanisch gibt es zwei Zusammenhänge, die nicht zu leugnen sind:

  1. Die Einkommen des einen sind die Ausgaben des anderen
  2. Die Schulden (Verbindlichkeiten) des einen sind die Guthaben (Forderungen) des anderen

Dies gilt auch und insbesondere für die sektorale Betrachtung, also z.B. Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland.

Eine Schlussfolgerung dieser Betrachtung ist:

  1. Die Überschüsse des einen sind die Defizite des anderen
  2. Es können also nicht alle gleichzeitig einen Überschuss haben

Die Betrachtung vergangener Daten wird diese Sätze immer bestätigen, denn sie sind mathematisch zwingend. Es gibt aber auch eine andere Betrachtungsweise.

Ex ante

Die klassische Ökonomie ist sehr realwirtschaftlich orientiert, gerne wird bspw. Ricardos "Kornmodell" bemüht.

In Kürze: In einem Land wird nur Korn produziert, dieses kann man entweder essen oder wieder aussäen. Essen ist natürlich Konsum, Säen ist Investition.

Einem "Klassiker" leuchtet nicht ein, warum nicht alle einfach weniger Korn essen können, und jeder einzelne mehr sät, und es so im nächsten Jahr für alle mehr Korn gibt.

Versteht man "Sparen" (im Sinne von "nicht konsumieren") als "Überschuss" - es wurde mehr geerntet als verbraucht - dann können offensichtlich alle gleichzeitig Überschüsse erzielen.

Es handelt sich hier um eine Ex ante Betrachtung. Man geht davon aus, dass es bezüglich der Zukunft eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber der nächsten Ernte gibt, und der Bauer sich also überlegen kann, ob er es sich leisten will in diesem Jahr zu schwelgen, oder - je nach Präferenz - mehr oder weniger zu säen und so das Risiko (oder die Chance) einer höheren oder niedrigen Ernte einzugehen. Diese Entscheidung wird auf individueller Ebene getroffen und kann - z.B. bei günstigen klimatischen Bedingungen - für alle gleichzeitig gut ausgehen.

Was stimmt?

Dagegen kann man schwer argumentieren, allerdings hat dieses Modell wenig mit der realen Welt zu tun.

In einer steinzeitlichen Welt in der versprengte Sippen ohne Austausch leben und gemeinsam jagen und sammeln gehen, mag so ein Modell zutreffen. Jede Sippe kann für sich entscheiden, wie viel Nahrung sie ranschaffen will, und wie viel sie verbrauchen und wie viel sie zurücklegen oder aussäen will. Unter klimatisch günstigen Bedingungen können alle Sippen gleichzeitig gewinnen.

Wir leben aber in einer MARKTwirtschaft; diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen Handel betreiben.

Bei jedem Handel gewinnt aber einer (macht einen Überschuss) und einer verliert (macht einen Verlust). Erfolgt die Begleichung nicht sofort, entsteht ein Schuldverhältnis, sprich die Verbindlichkeit des einen ist die Forderung des anderen.

Ein Beispiel

A meint, dass das Wetter im nächsten Jahr gut sein wird und will deshalb mehr aussäen als er aktuell an Korn zur Verfügung hat, B ist anderer Ansicht, hat aber mehr Korn als er verbrauchen kann. Er geht also davon aus, dass er sein Korn im Falle einer Aussaat zum Teil verlieren würde, daher macht es für ihn mehr Sinn, den Status quo zu bewahren als mehr auszusäen.

A und B treffen sich also auf dem Markt und A kauft B den Überschuss ab. Dafür muss A dem B nach der nächste Ernte eine höhere Menge Korn zurückgeben.

Offensichtlich ist das, was A gekauft hat, genau das, was B verkauft hat, oder anders gesagt, das, was A nun schuldet, ist genau das, was B nun fordern darf. Dies ist eine Ex post-Betrachtung, denn die Höhe der Einahmen und Ausgaben und der daraus resultierenden Forderungen und Verbindlichkeiten steht nun fest.

Wie sieht es aber ex ante aus? Ex Ante kann man nicht genau sagen, wer denn nun gewinnt und verliert. Das hängt davon ab, ob A oder B recht hatte.

Sollte A recht haben, war seine (Investitions-)Entscheidung richtig, da er mehr eingenommen hat als er ausgegeben hat - er hat also gegenüber der Entscheidung nicht zu kaufen einen Zusatzgewinn erzielt. B hätte aber DEN SELBEN Gewinn gehabt, wenn er nicht verkauft hätte; seine Entscheidung war also ungünstig und er hat insofern einen Verlust in gleicher Höhe.

Auch hier gilt also fundamental die Aussage des ex post-Betrachtung, aber die Höhe ist nicht festgelegt.

Ein anderes Beispiel

Man kann es aber vielleicht auch einfacher erklären; je nach Entscheidung und Wetterlage gibt es für A und B zwei Ergebnisse: Sie erzielen im nächsten Jahr einen Überschuss oder einen Mangel. Nun gibt es drei Fälle:

  1. Beide erzielen einen Überschuss
  2. Beide erzielen einen Mangel
  3. Einer hat einen Überschuss, der andere einen Mangel

In den ersten beiden Fällen kommt kein Handel zustande, denn wenn beide einen Überschuss haben, wird keiner kaufen wollen, wenn beide einen Mangel haben, wird keiner verkaufen. Im dritten Fall wird derjenige mit dem Überschuss an denjenigen mit dem Mangel verkaufen.

Ex ante kann man nicht sagen, welcher Fall eintreten wird, was man aber in jedem Fall ex-post sagen kann, ist, dass am Ende des Jahres der Verkauf des einen der Kauf des anderen sein wird, und die daraus resultierende Forderung des Verkäufers der Verbindlichkeit des Käufers entsprechen wird.

Dieses Beispiel ist nun sehr holzschnittartig aber vielleicht geeigneter den Unterschied herauszustellen.

Ergebnis

Es ist also beides richtig.

Ex Ante: Wenn A recht hatte und die Ernte gut ausfällt, wird er mehr ernten als er abführen muss (also einen Überschuss erwirtschaften) und B wird auch mehr erhalten als er abgeführt hat (einen Überschuss erwirtschaften).

Ex post: Am Ende des jeden Jahres, werden sich die Salden entsprechen. Im ersten Jahr sind Forderungen und Verbindlichkeiten in genau gleicher Höhe entstanden, und im zweiten Jahr sind sie in genau gleichem Maße gesunken. Das, was im ersten Jahr an Korn von B abgeflossen ist, ist genau das, was dem A zugeflossen ist, und gleiches gilt im zweiten Jahr entsprechend andersherum.

FAZIT

Es ist müßig darüber zu diskutieren, wer in dieser Frage Recht oder Unrecht hat.

Blickt man in die Zukunft, so hängt es vom Wetter ab, ob sich die gesamtwirtschaftliche Investition (also aller zusammen) rentiert oder nicht. Es ist egal ob A oder B das Korn pflanzen. Tatsache ist, dass das Korn, das nicht gegessen wird, gepflanzt wird. In Summe gewinnen oder verlieren alle zusammen. Die eigentliche fundamentale Frage ist also eigentlich nicht, wie viel Korn A leihen sollte, sondern wie viel gegessen werden soll.

Gleichzeitig ist es unzweifelhaft so, dass die Verbindlichkeiten des einen die Forderungen des anderen sind, und die Einnahmen des einen die Ausgaben des anderen sind. Wenn man also will, dass A mehr Korn bekommen soll, dann muss man hinnehmen, dass B etwas abgibt. Die wesentliche Frage ist hier also, wie viel Korn A leihen soll.

Man muss also klar trennen, worüber man sich unterhält.

Der typische Fehler ist, beide Fragestellungen zu vermengen. Dieses ist unmittelbare Folge eines Fehlers der etablierten Ökonomie, nämlich keinen Unterschied zwischen Finanz- und Realinvestition zu machen.

In der realen Wirtschaft, können alle gleichzeitig investieren, ohne sich zu verschulden und es können alle gleichzeitig Überschüsse erzielen. Setzt man also in klassischer Manier "Sparen" und "Investieren" gleich, können alle gleichzeitig sparen und in der Folge können auch alle gleichzeitig einen Überschuss erzielen.

Dieses ist bei Finanzinvestitionen aber anders. Jede "Investition" bedeutet für den einen eine Forderung und für den anderen eine Verbindlichkeit in gleicher Höhe; ebenso entspricht die Einnahme durch den Verkauf der Verbindlichkeit des einen der Ausgabe des anderen durch den Kauf der Forderung.

Bezeichnet man nun als "Sparen" den Kauf eines Finanztitels ("Finanzinvestition"), dann können nie alle gleichzeitig gewinnen. Das, was der eine gewinnt, ist notwendigerweise genau das, was der andere verliert. Es ist wie bei jeder Wette, einer gewinnt, der andere verliert - und zwar in genau gleicher Höhe.

Bei der Frage, ob das Volk FINANZvermögen aufbauen können soll ("Sparen" im Sinne von "in Finanztitel investieren"), muss man akzeptieren, dass jemand anderes Schulden macht (ex post-Betrachtung).

Anders verhält es sich bei der Frage, ob insgesamt mehr REAL investiert oder konsumiert werden soll (ex ante). Hier können im günstigsten Fall alle gleichzeitig gewinnen.

Vorschlag

Es führt vielleicht zu Verwirrung, wenn "Sparen" und "Investieren" gleichgesetzt werden und bei "Investieren" nicht zwischen Realinvestition und Finanzinvestition unterschieden wird. Um die Diskussion zielführender zu machen, sollten wir die Worte wie folgt verwenden:

  • "Sparen": in Finanzvermögen anlegen.
  • "Investieren": in Realvermögen anlegen.

So wird deutlich, dass sich beim "Sparen" notwendigerweise ein anderer verschulden muss, so dass die Zuflüsse des einen notwendigerweise die Abflüsse des anderen sind, während beim "Investieren" durchaus alle gleichzeitig reale Überschüsse haben können.

Weiterhin wird deutlich, dass es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass "Sparen" und "Investieren" gleich hoch sein müssten. Im Gegenteil, das, was gespart wird, kann nicht mehr investiert werden.