Wahlen/Bund/2013/Analyse/Disziplin und Fairness

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Problembeschreibung

  • Philipp Banse spricht: Die Piraten holten das Internet in die Politik – und gingen an dessen Schattenseiten zugrunde. Mit den digitalen Werkzeugen wollten sie Politik transparenter machen, bürgernäher, kollaborativer. Doch statt respektvoll auf Augenhöhe Argumenten zu tauschen, übernahmen Trolle die Diskussion. Jeder konnte mitmachen, jeder konnte kaputtmachen. Die Piraten haben sich zerfleischt; Parteifreunde haben sich öffentlich den Tod gewünscht, öffentlich, da regten sich bei mir erste Zweifel. Auch die Grünen haben sich gestritten, aber sie hatten kein Twitter und Facebook. Die permanente, hemmungslose und öffentliche Schlammschlacht der Piraten hat Einigung, Konsens und Professionalisierung verhindert. Führende Piraten litten schnell an Filter-Versagen, die Flut der Beschimpfungen beschädigte ihre Psyche, sie loggten sich aus.
  • Anett und Fabian sagen: Auch wenn im Moment Shitstorm-Pause herrscht, haben die Piraten durch Dauergezeter an der Spitze und Zank über Nichtigkeiten Vertrauen verspielt. Zu viele Menschen, egal wie unzufrieden sie mit den Etablierten sind, nehmen die Piraten nicht mehr ernst. Die Piraten erreichen nur noch ihre harten Kernwähler - eben nicht mehr als zwei, höchstens drei Prozent.
  • Khuê Pham stellt fest:
Die Piraten hatten das Misstrauen in die Politik so verinnerlicht, dass sie Politiker mit Mandat ablehnten – auch ihre eigenen. So wurden die Abgeordneten in den vier Landtagen von der Basis bald als "Pöstcheninhaber" verachtet. Letztlich hat also die Parteiwerdung die Partei von sich selbst entfremdet. […] Im Grunde agierten sie wie eine Internetkampagne: schnell und kreativ, wenn es darum ging, für einen Wahlkampf, ein Projekt zu mobilisieren. Weil es aber nicht wie bei anderen Parteien ein überwölbendes Weltbild gab, wurde aus dem Schwarm nie ein Kollektiv.
Auch deshalb hat die Transparenz, die Domscheit-Berg wollte, das Gegenteil des Erhofften erzielt. Statt den Bürgern die politische Arbeit näherzubringen, haben die Piraten sie abgeschreckt. Durch Live-Streaming, Dauer-Twittern und jede Menge Leaks offenbarten sie zwei Dinge: erstens, dass die Details einer Fraktionssitzung so spannend nun doch nicht sind. Und zweitens, dass auch Amateurpolitiker keine besseren Menschen sind als Berufspolitiker. Domscheit-Berg, eine bekennende Feministin und ehemalige Managerin bei Microsoft, wurde oft als "Feminazi" oder "Karrieristin" beschimpft.
Ausgerechnet die Partei, die den Deutschen zeigen wollte, wie politisch wirksam das Internet ist, hat demonstriert, wie leicht es dazu dienen kann, Hass und Häme zu verbreiten. Die Piraten hätten vorleben können, wie man Meinungsfreiheit im Netz fördert, indem man sie reguliert. Stattdessen kamen parteiinterne Trolle mit Beleidigungen oft davon, weil die Führung sich hinter dem Satz "Wir zensieren doch nicht" versteckte.
Die Entzauberung der Piraten ist auch eine Entzauberung der Idee, das Internet könne die Politik revolutionieren. Das ist, leider, das größte Erbe der Piraten.
"Dass andere Parteien bestimmte Dinge hinter verschlossenen Türen besprechen, ist gut so", sagt Lauer. "Die Vorstellung, dass der Politiker von einer Heerschar von aufgeklärten Bürgern überwacht wird, stimmt nicht." Eine Aussage, die aus dem Mund eines Piraten ungefähr so klingt, als würde ein Vegetarier seine Liebe für Steaks verkünden. Die Hoffnung, man könne eine modernere, menschlichere Politik machen, hat sich vor aller Augen als Illusion erwiesen.
Die internetaffine Kernwählerschaft der Piraten schätzen Politologen auf etwa 2,5 Prozent ein. Die übrigen fünf bis sechs Prozent, die bei den Landtagswahlen in Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland erzielt wurden, stammten vor allem von Protest- oder früheren Nichtwählern. Dass diese Klientel nicht bei der Stange gehalten werden konnte, liegt im Konzept der Piratenpartei selbst begründet. Sie wirbt mit dem Charme des Dilettantischen, Direkten und Undisziplinierten. Doch genau das ist es, was viele Bürger nach einer ganzen Reihe von Skandalen und Skandälchen sowie der Querelen um Exvorstandsmitglied Johannes Ponader wieder hat auf Distanz gehen lassen. "Sehr viele in der Bevölkerung halten die Partei schlicht für einen Chaosclub", sagt der Berliner Politikforscher Oskar Niedermayer zu Golem.de. Zudem sei der anfängliche Medienhype sehr rasch in eine negative Berichterstattung umgeschlagen. Gerade für eine kleinere Partei sei die Medienaufmerksamkeit jedoch sehr wichtig.
Auffallend bei den Piraten ist die Tatsache, dass sie viele politikferne Menschen angezogen hat. Die Aussage: "Ich wollte nie was mit Politik zu tun haben, bis ich die Piraten kennenlernte", ist häufig von Parteimitgliedern zu hören. Politikroutiniers wie der Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, die zuvor schon in anderen Parteien Erfahrung gesammelt haben, wird eher mit Skepsis begegnet und zunächst Karrierismus unterstellt. Typisch für die Partei ist daher das Kandidaten-Mikado: Wer zuerst seine Ambitionen erklärt, hat schon verloren.
Es geht dabei nicht darum, als Pirat die Regeln des durchaus kritikwürdigen Politikbetriebs abzulehnen. Gerade auf Bundesparteitagen ist bei vielen Teilnehmern häufig der Wille zu spüren, sich einem politischen Denken und Handeln komplett zu verweigern. Versammlungsleiter beklagen eine fehlende politische Bildung und aggressive Grundhaltung. Der Blick fürs Ganze ist nicht einmal für die eigene Partei gegeben. Dies ist umso gravierender, weil wegen des bewussten Verzichts auf ein Delegiertensystem jedem Piraten der immer noch mehr als 30.000 Piraten möglich ist, durch Geschäftsordnungsschlachten konstruktive Sitzungen zu verhindern. Die Partei sei nicht in der Lage, "Meinungsfreiheitsarschgeigen, Rechtsauslegern, Technokraten, Herrenrechtlern, Schreihälsen und Klugscheißern eine nachvollziehbare und verbindlich abgestimmte Mehrheitsposition um die Ohren zu hauen", benannte die Piratin Katja Dathe das Problem vor einigen Monaten.
Die Piraten erscheinen somit von außen wie ein Fußballverein, bei dem jedes Mitglied nicht nur über die Mannschaftsaufstellung entscheidet, sondern sich auch noch selbst ins Spiel einwechseln kann, um dann möglichst viele Eigentore zu schießen. Das wirkt auf den ersten Blick sympathisch und amüsant, doch auf die Dauer ist ein politischer Erfolg damit eher unwahrscheinlich. Auch im DFB-Pokal schlagen die Underdogs in den ersten Runden häufig die Profimannschaften. Ins Finale hat es bislang aber nur eine Amateurmannschaft je geschafft.
Zweitens erinnert der jetzige Streit schon von Weitem an alles, was zum Untergang der Partei beigetragen hat: mangelnde Kompromissfähigkeit, das Austragen von Fehden in der Öffentlichkeit, fehlender Respekt im persönlichen Umgang. En détail nach Schuldigen zu suchen, kann man sich ersparen, wenn das gegenseitige Bewerfen mit Dreck Normalzustand ist. Selbst Anke Domscheit-Berg, eine der Klügeren unter den Piraten, verwendet diesen verletzenden Stil in ihrer Austrittserklärung.
Domscheit-Berg versucht, das Scheitern der Piraten der Parteirechten anzulasten. Aber das ist falsch. Die Piraten sind, alle zusammen, an sich selbst gescheitert: an der mangelnden Bereitschaft, wenigstens ein paar Grundregeln von der politischen Konkurrenz zu übernehmen, was die Strukturierung von Debatten und den Umgang mit dem innerparteilichen Gegner betrifft. Wer die Piraten und ihren Hang zum schnellen Twittern erlebt hat, lernt das Schmieden von Bündnissen in Hinterzimmern und die stille Suche nach einem Konsens wieder schätzen.
Die Grünen etwa mögen von außen betrachtet in den 80er Jahren ähnlich chaotisch begonnen haben wie die Piraten. Aber vor allem ihre Ex-K-Gruppen-Mitglieder wussten wenigstens, wie man die inneren Debatten so führt, dass sich die Partei dadurch nicht zerlegt. Zugespitzt könnte man sagen: Die Piraten besaßen zu wenige Kader – und zu viele Individualisten mit schlechten Umgangsformen.
  • Der Tagesspiegel berichtet über Martin Delius' Abschiedstweet: „Ich habe keine Lust mehr, mich für das Gebahren von Piraten zu rechtfertigen. Das ist nicht mehr auszuhalten.“ und zitiert "kneumi": „Viele Piraten sind ja als Idealisten gestartet und dürften umso frustrierter sein, wenn sie merken, dass auch in ihrer Partei die gleichen Mechanismen greifen, wie sie überall dort greifen, wenn sich Menschen in Organisationen zusammen tun, die Macht, Geld und Karrierechancen verteilen.“
Der schleichende Tod seiner Partei war es aber nicht, der Delius zum Austritt bewegte. Da hätte er schon früher gehen können – oder müssen. Es gab für ihn, das betont er selbst, auch keinen inhaltlichen Dissens. Es war wohl eher der politische Stil und der zwischenmenschliche Umgang, den einschlägig bekannte Piraten pflegen. Parteimitglieder, die vor nichts zurückschrecken, um innerparteiliche Gegner mit brutaler Rhetorik zuzukübeln. Einer von denen ist Gerwald Claus- Brunner, auch Mitglied der Piratenfraktion. Er regte sich per Twitter über die soeben aufgestellte Kandidatenliste in Friedrichshain-Kreuzberg für die Bezirksverordnetenversammlung auf. „Vollhonks“ und „Deppen“ seien nominiert worden. Für ihn heiße der Bezirk jetzt „Friedrichsfail-Scheißeberg“. Zwar wurde der Tweet am Montag gelöscht, aber die Zitate waren nicht mehr aus der Welt zu kriegen. Es war nicht die erste Entgleisung von Claus-Brunner, der beispielsweise die Frauenquote als „Titten-Bonus“ bezeichnete. Auch jetzt gab es wieder vereinzelte Kritik, aber es sieht nicht so aus, als müsse der Abgeordnete mit Konsequenzen rechnen. Nur der Piraten-Abgeordnete Morlang forderte am Dienstag: „Da muss etwas passieren“. Er erwarte vom Landesvorstand, dass der Kollege deutlich in die Schranken gewiesen werde. „Ein solches Verhalten ist keines Demokraten würdig.“ Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, weisen die Berliner Piraten im Internet darauf hin, dass die Schwesterpartei in Island auf gutem Weg sei, stärkste Kraft zu werden – und bitten um Spenden für den Berliner Wahlkampf.
  • Fulleren sagt: Dabei wollen [die Wähler] Geschlossenheit sehen. Streit in einer Partei schreckt sie ab. Fraktionen die zum Teil für oder gegen etwas stimmen, vermitteln dem Wähler das Gefühl „Die wissen selber nicht was sie wollen!“. „Themen statt Köpfe“, die transparente innerparteilichen Meinungsbildung (öffentlich und zum Teil in rüdem Ton), das freie Mandat und die Ablehnung des Fraktionszwangs mit uneinheitlichem Abstimmverhalten der Abgeordneten, all dies sehen Piraten als positiv. Es entspricht aber nicht den üblichen Spielregeln und wird vom Wähler nicht honoriert. Wir stellen keine Piraten in den Vordergrund, die Beispielhaft für uns sind und offiziell für die Partei sprechen, und wundern uns dann, dass aus der Menge der Piraten von der Öffentlichkeit die wahrgenommen werden die am lautesten schreien.
  • Fabio rügt: Getroffene Beschlüsse müssen korrekt und selbstbewusst nach außen getragen werden. Beispiel BGE: Wer nach außen kommuniziert, diese Forderung sei ein “Linksruck” o.ä. der Partei, verweigert sich der Wahrheit, dass eine Mehrheit der Partei dies offensichtlich als guten Kompromiss zwischen klassischen linken sozialpolitischen Forderungen und humanistisch-liberalen Forderungen nach der Entfaltung des/r Einzelnen abseits staatlicher Intervention ansieht und darin – wenn überhaupt – eine sozialliberale/linksliberale Forderung sieht. Eine selbstbewusste Außenkommunikation der Hintergründe dieses Beschlüsses ist hier angebrachter als die Weiterführung einer jahrelang gepflegten Kränkung und damit einer Perpetuierung einer (von der der Mehrheit so empfundenen) Falschbehauptung.
  • Ein Mitkrieger: Das größte Problem der Piraten ist meiner Meinung nach die mangelnde Kongruenz zwischen 1.beschlossenem Programm (und dessen objektive, wissenschaftliche Einordnung, in die politische Landschaft) und 2.Kommunikation der Inhalte nach außen (abweichend, falsch, über das Programm hinaus, unterschiedlich interpretiert, Wichtigkeit, Reihenfolge) sowie 3. der gewünschten Ernsthaftigkeit, mit der wir Politik betreiben wollen und 4. der Darstellung der Partei nach außen (Personen, Gruppen, Parteitage, Optik, Sprachwahl, Kommunikationsverhalten). Dadurch gibt es kein klares Bild, weder nach innen, noch nach außen. Nach außen wirken wir extrem unglaubwürdig und großteils unsympathisch. Es fehlt das Management seitens der Bu- und LaVos darauf hinzuweisen und die Bemühung eine Deckung zu erreichen. Nur BuBernd hat in Ansätzen unser beschlossenes Programm recht neutral nach außen vertreten. Alle anderen, vor allem die medial präsenten Abgeordneten machen daraus, was sie wollen. Wir brauchen Vorstände, die das von der Basis beschlossene Programm vertreten, so wie es geschrieben steht und nach innen und außen stärker vertreten.
  • Pavel Meyer hierzu: [...] sobald man als Vorstand eine Entscheidung trifft, wird man lautstark öffentlich angegangen. Außerdem trägt man generell die Verantwortung für alle Missstände. Man sollte sich auch hüten, sich zu sehr für die Einhaltung der Ordnung in der Partei einzusetzen, denn das gilt dann schnell als Machtmissbrauch, wenn man als Vorstand gegen einzelne Mitglieder vorgeht, die über die Stränge schlagen. Das gilt nicht, wenn ein Mitglied in der Partei allgemein verhasst ist, dann soll der Vorstand solche Mitglieder möglichst ohne die Beachtung rechtlicher Grundsätze schleunigst rauswerfen. Ich habe hier jetzt bewusst etwas übertrieben, denn meist ist es nur eine lautstarke Minderheit, die sich gegenüber Vorständen derart gebärdet, aber die Mehrheit lässt diese Minderheiten meist gewähren, es herrsche ja schließlich Meinungsfreiheit. In einem gewissen Rahmen trifft das auch zu, und es wäre sicher überzogen und unzulässig, bei öffentlicher Kritik an Organen, der Partei oder an anderen Mitgliedern gleich zu Ordnungsmaßnahmen zu greifen. Die Partei hat allerdings kein Konzept, wie sie im Innern die Einhaltung allgemeiner menschlicher Umgangsregeln gewährleisten will. Schlimmer noch: Wenn man als Vorstand Ordnungsmaßnahmen verhängt, ist man ganz schnell der Böse. Die Konsequenz ist, dass die meisten Vorstände sich raushalten und einzelne Mitglieder mit schweren Persönlichkeitsstörungen die Arbeit ganzer Verbände zum Erliegen bringen oder kaputtmachen, weil ihnen im Namen der Partei niemand entgegentritt. [...] Eine stattgefundene Kulturveränderung wird man daran ablesen können, dass die Partei [...] konsequent gegen Mitglieder vorgeht, die sich unsolidarisch verhalten, andere Mitglieder öffentlich beleidigen oder mit unerträglichem Sozialverhalten die gemeinsame Arbeit stören.
  • Christopher sieht auch die Medien in der Schuld: Bei den Piraten lief es immer so: Mandatsträger oder Vorstandsmitglied XY macht irgendetwas, auf Twitter gibt es einen Shitstorm, klassische Medien greifen das Thema auf und zitieren wahllos irgendwelche Tweets, die wenig mit dem eigentlichen Sachverhalt zu tun haben. Genauso gut könnte man jede Aussage Horst Seehofers noch mal von irgendeinem Stammtisch im hintersten Bayern kommentieren lassen, diese Aussagen neben Seehofers stellen und so tun, als hätte hier nicht der hinterste Stammtisch, sondern der Parteitag gesprochen. Komplett ad absurdum wurde diese Form der Berichterstattung immer dann geführt, wenn es nach einem Bericht noch mal einen Bericht darüber gab, wie das Internet auf den ersten Bericht reagiert hatte. Es ist eine Lust an der Neutralisierung, die sich da manifestiert. Neutralisierung geht so: Helmut Schmidt sagt über Peer Steinbrück: "Er kann es" – und sofort findet sich irgendjemand, der "nicht" sagt. Dieses "nicht" steht dann gleichberechtigt neben der Aussage eines Altkanzlers. Je größer die Fallhöhe zwischen der aussagenden und der konternden Person, desto besser. Neutralisierung ersetzt Standpunkte und Haltung. Sie ist das "aber" mit dem Zeigefinger, ohne selbst den Zeigefinger heben zu müssen. Warum einen Politiker noch inhaltlich kritisieren, wenn man irgendwelche Behauptungen aus dem Internet zitieren kann? Auf diese Weise liefern sich Politik und Berichterstattung ein race to the bottom, denn durch Berichte über Pseudoskandale wird für Politiker auch eine Anreizstruktur geschaffen, diese Mechanismen zu bedienen. Meine Erfahrung aus fünf Jahren Parteipolitik und drei Jahren Parlament ist, dass es immer einfacher ist, irgendeine Indiskretion über Parteifreunde oder den politischen Gegner in den Medien zu platzieren als ein ausgearbeitetes politisches Konzept. Natürlich habe ich mich einer solchen Form der Berichterstattung angepasst. Als über die Piraten noch berichtet wurde, hatte ich Angst davor, dass Belanglosigkeiten skandalisiert werden, dass eine unbedachte Äußerung genutzt wird, um den nächsten Shitstorm loszutreten. Eine Konsequenz daraus war mein zeitweiser Rückzug von Twitter. Ich fürchtete aber nicht das unberechenbare Internet und den Shitstorm, sondern eine Berichterstattung, die jede noch so doofe Geschichte aufbauscht. Für einen Politiker ist es schwierig, mit den Medien hierüber in einen Dialog zu kommen. Journalisten quittierten meine Kritik meist mit dem pampigen Satz: "Ach, jetzt sind die Medien also schuld, dass die Piraten untergegangen sind." […] Ich erlebte das anfängliche Wohlwollen vieler Journalisten gegenüber den Piraten als Ausdruck einer Hoffnung, jetzt könnte sich wirklich mal etwas ändern. Diese Hoffnung schlug mit derselben Wucht in Verbitterung um, als klar wurde, dass die Piratenpartei die selbst gesetzten Erwartungen nicht mal im Ansatz erfüllen konnte.

Problemlösungsvorschläge

Mehr Flausch

  • <lynX> ... haben wir versucht, ist gescheitert. Jeder von uns hat eine Meinung und so legitim sie ist, wenn wir sie alle äussern stehen wir als Chaostruppe da. Die Öffentlichkeit begreift die Vielseitigkeit einer Partei nicht und erwartet konsistentes Auftreten. Stolperfallen gibt es auch so schon.
  • Wika dazu: Intern für Geschlossenheit sorgen. Eine Fehlerkultur zulassen, die menschlich ist. Shitstorm schon in den Ansätzen stoppen. Twitter nicht als Piraten-Instrument zulassen. Vernetzung durchs Wiki verstärken. Die emotionale Ebene zugelassen wird. Emotionen erreichen Menschen.

Von anderen Parteien lernen: Gewaltenteilung anwenden

<lynX> Wir wollten and3rs sein, und das sind wir in vieler Hinsicht auch, aber die Lektion, die wir jetzt lernen müssen, hätten wir auch einfach in der Geschichte der Grünen nachlesen können. Es muss der Leitsatz gelten, wenn wir keinen klar formulierbaren oder technologisch fundierten anderen Ansatz haben, können wir nicht meinen, alles and3rs machen zu wollen. Eine Software, die Personalfragen in Realtime nachjustieren kann, haben wir so nicht. Öffentliches Zerfleischen ist Unsinn. Meines Erachtes hätten wir die innerparteiliche Gewaltenteilung ausbauen müssen. Schiedsgerichte müssen nicht nur bei gravierenden Satzungsverstössen aktiviert werden, sondern auch im Alltag in der Partei präsent sein, und zwischen Mitgliedern vermitteln. Das Prinzip geht so: Mit der Wahl hat jeder Vorstand das Mandat die operative Arbeit zu gestalten und für Ruhe im Karton zu sorgen, somit muss er Querschiesser absägen. Wenn das klar ist, wird das hoffentlich bald keiner mehr herausfordern. Wer den Verlauf der Operationen kritisieren will, kann sich an den Vorstand wenden. Wer sich stattdessen direkt an die Presse wendet, löst ein Ticket zum eigenen Parteiaustritt ein. Wenn er ein Interview auf eigene Kappe geben will, soll die Piratenpartei nicht erwähnt werden. Kritik soll stattfinden, und sie soll demokratisch ihren Weg finden, aber nicht aussenrum. Wer sich vom Vorstand inkorrekt behandelt fühlt, kann sich an das Schiedsgericht wenden. Dieses kann versuchen, Missverständnisse und Paranoia aufzulösen, und hat den Auftrag Gerechtigkeit sicherzustellen. Sollte der Vorstand oder seine Beauftragten aber eine gewisse Richtung eingeschlagen haben, so hat diese Vorrang. Man ist somit an die Grenzen der repräsentativen Demokratie gelangt. Das letzte, was dann noch geht, ist Unterstützer für einen Antrag an den Vorstand zu sammeln, in einer geeigneten Plattform.

Update 2015: In der italienischen Piratenpartei haben wir die Vorstandsarbeit auf mehrere unabhängige und sich gegenseitig kontrollierende Organe verteilt: SMV, Arbeitsgruppe zur Wahrung der legalen Integrität der SMV-Entscheidungen, SMV-Umsetzungsverantwortliche, generell Verantwortliche für das Zusammenleben. Letzere sind in der Satzung wie folgt definiert:
„Im Rahmen jeglicher Aktivität der Partei, welche mehr als zwei Piraten einbezieht, muss eine(r) unter ihnen als Verantwortliche(r) für das Zusammenleben ausgewiesen werden. Diese(r) wird die Aufgabe haben, einzugreifen, entsprechend dem vorgesehenen Regelwerk, immer dann wenn diese(r) es für angemessen hält, um die reguläre Umsetzung der Aktivitäten der Partei zu unterstützen und das zivile Zusammenleben der Piraten zu garantieren.“
Update 2016: Der vollständige Text der Convivenza-Reform ist inzwischen auch auf deutsch vorhanden unter http://my.pages.de/convivenza.de

Kollektivintelligente Vorstandsanträge

<lynX> Und nun komme ich zum zweiten Problemlösungsvorschlag: Eine Schnittstelle für kollektivintelligente Vorstandsanträge.

Die Zwei-Phasen-Partei

<lynX> Zusätzlich zu oben genannten Ideen würde ich auch ein Zwei-Phasen-System einführen, weswegen das diskutieren und zerfleddern von kommenden und ganz besonders von bereits verabschiedeten Programminitiativen TABU ist während der Wahlkampfphase. Während eines Wahlkampfes halten wir das Maul, vertreten nur die offiziell gemeinsam erarbeitete und verabschiedete Position und tun unser Bestes, die Wahlen zu gewinnen. Nach den Wahlen können wir uns dann wieder alle kloppen und wild streiten, auf dass wieder richtig gute Programminhalte aus dem Streit heraus geboren werden.

Weiterführende Links