LiquidFeedback/Themendiskussion/1214

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LQFB-Thema #1214 --PirateJoker 03:34, 21. Dez. 2011 (CET)

Link zum Thema: https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/2291.html


Der Bundesparteitag der PIRATEN möge an entsprechender Stelle im Grundsatz- und Wahlprogramm folgenden Antrag einfügen:


Antragstext

Die Piratenpartei versteht sich auch als Bewahrerin des Grundgesetzes. Sie setzt sich dafür ein, dass verfassungswidrige Gesetze schnell und effizient beseitigt werden. Um diesen Handlungsauftrag zu erfüllen, schlagen wir drei Anpassungen für das Bundesverfassungsgerichtsgesetz vor:

1. Automatische Nachprüfung

Gesetze, die vom BVerfG beanstandet werden und für die eine Frist zur Neuregelung oder Ausbesserung gesetzt wurde, müssen nach einem neuen Gesetzgebungsverfahren automatisch vom BVerfG überprüft werden. Eine automatische Nachprüfung soll lediglich zweimal erfolgen.

2. Öffentliche Rüge

Das BVerfG soll befähigt werden, den Gesetzgeber mittels weiterer Entscheidung darauf hinzuweisen, dass eine Frist zur Neuregelung oder Ausbesserung unverhältnismäßig überschritten wurde. Im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelungen kann das BVerfG dem Gesetzgeber eine letzte Frist setzen, innerhalb derer das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen ist.

3. Konsequentere Anwendung der einstweiligen Anordnung

Das BVerfG kann eigeninitiativ eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG erlassen, wenn ein Gesetz nach zweimaliger automatischer Überprüfung noch immer verfassungswidrig ist (Punkt 1) oder nach einer öffentlichen Rüge die Frist ohne Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens erneut überschritten wird (Punkt 2). Das BVerfG muss eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn andernfalls die durch die Ewigkeitgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG besonders geschützten Grundpfeiler der Verfassung angetastet würden. Die einstweilige Anordnung hat Bestand, bis der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Regelung beschließt.


(Das Inhaltsverzeichnis und hieran nachfolgendes ist nicht Bestandteil des Antrages, sondern dient der Darstellung, Erklärung und Begründung des selbigen.)


Stellungnahme zu Anregungen

Siehe LQFB


Diskussionsseiten:

Piratenpad

PiratenWiki


Klarstellungen

1. Das Bundesverfassungsgericht erhält durch die Regelungen im Antragstext nicht mehr Macht.

2. Die Vorschläge im Antragstext beziehen sich auf bestehende gesetzliche Regelungen. Es werden keine neuen Machtinstrumente geschaffen, die die Gewaltenteilung oder die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages oder Bundesrates "aufweichen".


Ausführliche Begründung

Urteil zu Hartz IV

Das Hartz IV-Urteil wurde am 9.2.2010 verkündet. Am 24. März 2011 wurde vom Bundestag das //Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch// beschlossen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)setzte dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2010. Die Frist, die insgesamt 325 Tage betrug, wurde um 83 Tage überschritten. Insgesamt benötigte der Gesetzgeber 408 Tage, anders ausgedrückt 1 Jahr und 43 Tage, um oben genanntes Gesetz zu beschließen.

Von Seiten des DGB wird die Verfassungskonformität weiterhin beanstandet. Der DGB hat dazu folgende [www.dgb.de/++co++7b12f62a-d2ca-11df-79ef-00188b4dc422 PDF] veröffentlicht. Auch die Hans-Böckler-Stiftung hat Zweifel bekundet, die sie in dieser PDF veröffentlicht hat.

Sollte es tatsächlich der Fall sein, dass das Verfahren zur Ermittlung der Regelsätze weiterhin verfassungswidrig sein, so entstehen für die betroffenen Leistungsempfänger erhebliche Nachteile und nicht zu entschuldigende Grundrechtsverletzungen.

Urteil zum Wahlrecht

Das Wahlrechtsurteil wurde am 3.7.2008 verkündet. Am 29.09.2011 wurde vom Bundestag das Bundeswahlgesetz geändert. Das BVerfG setzte dem Gesetzgeber damals eine Frist bis zum 30. Juni 2011. Die Frist, die insgesamt 1092 Tage betrug, wurde um 91 Tage überschritten. Insgesamt benötigte der Gesetzgeber 1183 Tage, anders ausgedrückt 3 Jahre und 88 Tage, um oben genanntes Gesetz zu beschließen.

Auf der Website www.wahlrecht.de (u.a. auf dieser Seite) findet man eine Linksammlung zum Thema Wahlrecht und Verfassungswidrigkeit. Auch bezüglich dieses Urteils bestehen große Zweifel, dass die Verfassungswidrigkeit des negativen Stimmengewichtes behoben wurde.

Im Falle der fortwährenden Verfassungswidrigkeit bestünden für die kommende Bundestagswahl 2013 erhebliche Bedenken. Es müsste mit Anfechtungsklagen gerechnet werden, zusätzlich mit einer Wiederholung der Bundestagswahl. Im schlimmsten Fall würde dem Bundestag die Legitimation für das Gesetzgebungsverfahren fehlen, was einen unermesslichen Schaden für die Demokratie in Deutschland bedeuten würde.

Der lange Weg des Rechts

Als Beispiel sei ein Grundrecht durch ein Gesetz verfassungswidrig eingeschränkt. Ein Kläger, der sich in jenem Grundrecht verletzt sieht, muss erst die Instanzen durchlaufen (solange ein Gericht sich nicht nach Art. 100 GG selbst ans BVerfG wendet) bis es nach der letzten Instanz (eines der Bundesgerichte) per Verfassungsbeschwerde, die Grundrechtsverletzung feststellen lassen kann. Nun gibt das BVerfG dem Kläger Recht und fordert den Gesetzgeber auf, das entsprechende Gesetz verfassungskonform neuzufassen. Der Gesetzgeber fasst dieses Gesetz neu, aber eben immer noch nicht verfassungskonform. Nun muss ein Kläger erneut den Instanzenweg durchlaufen und dementsprechend kann solch ein Szenario beliebig oft wiederholt werden. Ein solcher Instanzenweg kann mitunter mehrere Jahre dauern, ein solches Szenario kann im ungünstigsten Fall auch Jahrzehnte dauern.

Vorratsdatenspeicherung

Das BVerfG hat konkrete Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung gemacht. Der Chaos Computer Club (CCC) bescheinigt Politik und Gesetzgeber, dass diese Vorgaben nicht eingehalten werden. -Siehe auch:

    Datenspuren 2011 - Vortrag über den Bundestrojaner des Chaos Computer Club (CCC)
    24C3: Der Bundestrojaner (de)
    CCC Jahresrückblick 2011 [28C3]

Erklärung der Vorschläge aus dem Antrag

Das BVerfG hat die Möglichkeit entweder Gesetze komplett oder bestimmte Regelungen eines Gesetzes für verfassungswidrig zu erklären.

Wird ein Gesetz komplett für verfassungswidrig erklärt, so ist es nichtig. Es darf nicht mehr angewandt werden; es existiert also nicht mehr. Dieses Verfahren ist an sich nicht weiter zu beanstanden, da Nachteile für Bürger nicht entsehen. In dieses Verfahren sollen die Vorschläge dieses Antrages auch nicht greifen.

Werden hingegen nur bestimmte Teile eines Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, so gilt das Gesetz dennoch weiterhin. Das BVerfG setzt normalerweise eine Frist für eine Neuregelung. Nun kann das BVerfG entweder durch Urteil bestimmen, dass die verfassungswidrigen Teile vorübergehend weiter gelten oder durch einstweilige Anordnung nach §32 BVerfGG eine eigene Übergangsregelung treffen.

Nähere und weiterführende Informationen zu den Kompetenzen des BVerfG hier.

Der 1. Vorschlag bewirkt, dass Regelungen eines Gesetzes, die bereits vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurden, automatisch einer erneuten Überprüfung durch das BVerfG unterzogen werden. Der Vorteil einer solchen automatischen Nachprüfung würde dahingehend wirken, dass fortbestehende Zweifel ausgeräumt werden können und Gerichte aller Instanzen schneller Rechtssicherheit in Bezug auf die Verfassungskonformität erhalten würden. Die Entlastung der Gerichte wäre beachtenswert, da Klagen mit dem Ziel einer Verfassungsbeschwerde in ihrer Gesamtzahl vermindert werden könnten.

Der 2. Vorschlag bewirkt, dass der Gesetzgeber bezüglich Fristen diszipliniert wird. Es ist beschämend für den Gesetzgeber, wenn Verfassungswidrigkeiten nicht einmal in einer angemessenen Frist beseitigt werden. Zusätzlich würde der Fokus darauf gelenkt werden, dass Verfassungswidrigkeiten bestehen, zu denen sich dann wiederum Meinungen sammeln können, die dazu beitragen diese Verfassungswidrigkeiten auch zu beseitigen. Die öffentliche Rüge trägt also einerseits dazu bei, dass die Sensibilität der Öffentlichkeit erhöht wird und anderseits wird der Umgang mit Verfassungswidrigkeiten transparenter.

Der 3. Vorschlag bewirkt, dass, wenn Vorschlag 1 und 2 beim Gesetzgeber nicht wirken, das BVerfG eigenständig §32 BVerfGG anwendet und somit die Verfassungswidrigkeit von sich aus beseitigt, bis eben der Gesetzgeber es geschafft hat, eine verfassungskonforme Regelung zu beschließen.


Beispiele der Auswirkungen

Beispiel zu 1.: Ein Grundrecht sei durch ein Gesetz eingeschränkt. Ein Kläger durchläuft erfolgreich die Instanzen und reicht beim BVerfG am Schluss die Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG stellt fest, dass Teile des Gesetzes verfassungswidrig sind und gibt dem Gesetzgeber eine Frist von 365 Tage, diese Teile verfassungskonform zu gestalten. Nach besagtem Jahr hat der Gesetzgeber aus seiner Sicht das Gesetz verfassungskonform geändert; es ist also in kraft getreten; und legt es im Anschluss dem BVerfG zur erneuten Prüfung vor. Das BVerfG überprüft jenes Gesetz mittels der ursprünglichen Verfassungsbeschwerde, ob die Verfassungswidrigkeiten beseitigt wurden. Ist dies der Fall, dann gilt das Gesetz neuer Fassung unbeanstandet.

Beispiel zu 2.: Der Gesetzgeber hat obige Frist von 365 Tagen überschritten. Nach vollen 30 Tagen Fristüberschreitung fordert das BVerfG öffentlich den Gesetzgeber auf, die Forderung des Urteils, in einer letzten zu setzenden Frist von evtl. nochmaligen 30 Tagen, zu erfüllen. Der Gesetzgeber sollte demnach innerhalb der letztgesetzten Frist das Gesetzgebungsverfahren einleiten. Der Gesetzgeber hat durch die Urteilsfrist von 365 Tagen und der darauffolgenden "Schonfrist" von 60 Tagen also einen sehr begrenzten Zeitraum auferlegt bekommen.

Beispiel zu 3.: 1. Die letztgesetzte Frist wird erneut überschritten. Das BVerfG erlässt eine einstweilige Anordnung nach §32 BVerfGG, bis der Gesetzgeber entweder selbst eine Neufassung der beanstandeten Teile des jeweiligen Gesetzes beschließt oder der Gesetzgeber den Inhalt der jeweiligen einstweiligen Anordnung des BVerfG im Gesetzgebungsverfahren demokratisch legitimiert und somit übernimmt.

2. Das Verfahren im Beispiel 1. wurde zweimal durchlaufen und am Schluss stellt das BVerfG erneut die Verfassungswidrigkeit fest. Um die Verfassungswidrigkeit nicht fortbestehen zu lassen, erlässt das BVerfG eine einstweilige Anordnung nach §32 BVerfGG, die solange gilt, bis der Gesetzgeber verfassungskonforme Regelungen beschließt. Alternativ könnte das BVerfG seine einstweilige Anordnung im Wege der Volksgesetzgebung durch Plebiszite demokratisch legitimieren.


Begriffsbestimmungen

1. Rüge: Mit einer Rüge ist eine öffentliche Stellungnahme des BVerfG gemeint. Das BVerfG soll öffentlich den Gesetzgeber darauf hinweisen, dass eine Frist überschritten wurde und der Gesetzgeber nun innerhalb einer besagten letzten Frist das Gesetzgebungsverfahren beginnen muss.

2. BVerfG und BVerfGG sind die offiziellen Abkürzungen für Bundesverfassungsgericht und Bundesverfassungsgerichtsgesetz.


Änderungsprotokoll

Siehe LQFB



Edits Erstellt: --PirateJoker 03:34, 21. Dez. 2011 (CET) Zuletzt geändert: --PirateJoker 07:59, 30. Jan. 2012 (CET)