Interview Falkvinge

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche
Go-next.svg Siehe auch: Interview_Falkvinge2

Piraten-Vorsitzender Falkvinge:

"Unsere Gegner haben kein geistiges Kapital, das sie in den Kampf einbringen könnten"

In diesem Interview spricht Rick Falvinge, Gründer und Vorsitzender der schwedischen Piratenpartei, über seine persönlichen Ansichten in der erhitzten politischen Debatte über Filesharing. Er erläutert die politischen und technologischen Möglichkeiten von P2P und äußert sich zu den Gefahren der Bürgerüberwachung und einer Big Brother-Gesellschaft. Das Interview liegt zwar bereits ein paar Monate zurück, dennoch hat es aber eine ungebrochene Aktualität, da die Debatte um diese Themen nicht abgerissen ist und erst kürzlich ihren vorläufigen Höhepunkt im Europaparlament hatte, wo eine Vollüberwachung des Internets und privater Rechner glücklicherweise nochmals verhindert werden konnte.

Filesharing-Debatte

Frage: In den letzten Monaten scheint die Copyright-Debatte in Schweden hitziger denn je geworden zu sein. Besonders die Entstehung der Reformistengruppe innerhalb der 'Gemäßigten Partei' lässt die Lage wie den Beginn einer 'finale Schlacht' vor der Legalisierung von Filesharing aussehen. Wie empfinden Sie die Situation? Ist es möglich, dass die Reinfeldt-Regierung am Ende tatsächlich die Reformer-Position annimmt und Filesharing entkriminalisiert? Oder ist es zu optimistisch zu erwarten, damit vor Ihren Wahlen 2010 zu rechnen?

Rick Falkvinge: Gandhi sagte einmal etwas, das zu einem berühmten Zitat wurde: "Erst ignorieren sie dich, dann lachen sie dich aus, dann bekämpfen sie dich, und dann gewinnst du" Ich interpretiere die momentane Situation als eine definitive Verlagerung zu Phase 3. Dass heutige Abgeordnete der größten Regierungspartei unsere Ideen aufgreifen und für sie kämpfen, legitimiert diese in hohem Maße. Unsere Ideen sind noch nicht aus den Randgebieten heraus, wir waren unserer Zeit nur ein wenig voraus.

Bemerkenswert war, dass die Gegner - Kräfte, die Kultur und Wissen auf Kosten zum Preis der totalen Überwachung reglementieren und begrenzen wollen - zu diesem Zeitpunkt erkannten, dass sie einer ernsthaften Bedrohung gegenüberstanden. Also brachten sie jede Verteidigung in Stellung, die sie aufbringen konnten. Zum ersten Mal sahen wir alles, was sie in den Kampf einbringen können.

Und es war... nichts. Absolut nichts. Alles was sie sagen können ist "Dieb, wir haben unsere Rechte, wir wollen unsere Rechte, nichts muss sich ändern, wir wollen mehr Geld, Dieb, Dieb, Dieb". Und treiben ein paar arme Künstler vor sich her, um die Botschaft zu überbringen. Wir hingegen reden von Mangel gegenüber Überfluß, Monopolen, dem Wesen von Besitz, 500-jährigen historischen Sichtweisen zu Kultur und Wissen, Anreizstrukturen, Wirtschaftstheorie, zerstörerischer Technologie, usw. Der Unterschied im geistigen Niveau zwischen den beiden Fronten ist erstaunlich.

Jetzt wissen wir also, was der Gegner hat, und dass er absolut nichts in Bezug auf geistiges Kapital in den Kampf einbringen kann. Er hat allerdings enge Verbindungen zur momentanen Führungsschicht. Das ist im Moment die größte Bedrohung für uns.

Ich denke nicht, dass die etablierten Parteien schon das Verständnis auf der nötigen Ebene haben. Manche Parteien vertreten legales Downloaden, während das Uploaden weiterhin illegal bleibt. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass sie die gegenwärtigen strukturellen Veränderungen der Gesellschaft nicht im Geringsten verstanden haben. Sie haben nur eine Ahnung, dass etwas getan werden muss. Natürlich ist das alleine schon mal gut, aber es reicht nicht.

Karl Sigfrids eigene Partei, die 'Gemäßigte Partei', ist gemäß ihrem offiziellen Parteiprogramm technophob bis zum Rand der Steinzeit. Obwohl Abgeordnete dieser Partei als Erste die Problematik durch und durch verstanden haben, rechne ich nicht mit einer Änderung der Parteilinie vor der nächsten Wahl.

Karl Sigfrid und Konsorten haben allerdings dafür gesorgt, dass dies ganz sicher ein Hauptthema bei den Parlamentswahlen 2010 wird, vielleicht sogar bei den Europawahlen 2009. Das ist genau das, was wir wollen. Wir wollen, dass so viele wie möglich über das Thema nachdenken, es diskutieren, versuchen zu verstehen, was passiert. Sie sollen erkennen, dass es wichtig ist - wichtiger als, zum Beispiel, Plänkeleien über Zuschüsse zur Kinderbetreuung. Je mehr das tun, desto mehr gewinnen wir.

Und je mehr wir gewinnen - sowohl in Bezug auf die Idee als auch die Unterstützung für die Piratenpartei -, desto mehr Druck wird auf die etablierten Politiker ausgeübt.

Die globale Revolution des geistigen Eigentums

Frage: Während Ihrer Vortrags-Tour durch die USA letzten Sommer äußerten Sie die Idee, dass die globale Revolutiondes geistigen Eigentums in Schweden beginnt, sich auf andere europäische Staaten ausweitet und von dort in die ganze Welt verbreitet. Bisher scheint alles wie in Ihrem Plan zu laufen. Wie sehen Sie selbst die weltweite Situation? Welche Länder und Kräfte halten Sie für die größte Bedrohung Ihrer Vision von einer positiven Entwicklung? Möchten Sie irgendwelche ermutigenden Entwicklungen außerhalb Schwedens nennen?

Rick Falkvinge: Politiker auf allen Ebenen haben noch nicht verstanden haben, dass der Gegner international arbeitet. Wenn er in einem Land einen Sieg erringt, werden seine Kräfte in jedem anderen Land auf dieses positive Beispiel zeigen und jammern, dass sie bei sich nicht die gleichen Vorteile genießen.

Frankreich beispielsweise stellte vor kurzem eine Gesetzesvorlage vor, die den Internetzugang für Filesharer sperren soll. Dies ist ein Beispiel für eine drakonische orwellschen Maßnahme, das der IFPI (Weltverband der Phonoindustrie, Anm. d. Ü.) und der MPA (US-amerikanischer Filmverband, Anm. d. Ü.)den Mund wässrig macht. Der Europäischen Kommission, die regelmäßig vom Gegner hofiert wird, wurde nicht genug Zeit oder Gelegenheit gegeben, über die Gesamtsituation nachzudenken. Daher drängt sie ebenfalls auf weitere drakonische Maßnahmen, von denen ein Europa-weites DRM als neueste große Dummheit ist.

Schweden war seinen Nachbarn in Sachen Durchdringung mit Breitbandzugängen ein bisschen voraus. Ich hatte 1998 einen 10/10 MBit/s-Zugang, heute einen 100/100 MBit/s, keines von beidem ist außergewöhnlich. Wenn man den Leuten Technik in die Hand gibt, entdecken sie wozu sie benutzt werden kann. Man kann darüber streiten, ob das der Grund für Schwedens Vorsprung ist, aber ich sehe ganz ehrlich Schweden als führend im Kampf für legales Filesharing. Wenn ich im Ausland mit Journalisten rede, fragen sie mich immer: "Woher bekommen bei Ihrem Vorschlag die Künstler ihr Geld?". Zuhause kommt das fast gar nicht mehr vor.

Nach meiner Erfahrung haben positive Entwicklungen ihren Ursprung in Schweden und breiten sich dann aus, meistens zuerst im Untergrund und in der Subkultur. Im Silicone Valley ist man sich auf signifikante Weise der Situation bewusst, aber sie können im politischen System der USA den Politikern nicht den gleichen Druck machen wie wir.

Ich nutze auch ganz eigennützig die Gelegenheit und bitte die Leute, uns finanziell zu helfen. Wir haben ein Programm aufgelegt, mit dem man monatlich einen kleinen Betrag per PayPal spenden kann. Jeder Cent an regelmäßigem Einkommen hilft uns die Ideen zu verbreiten, mehr Politiker weiterzubilden und die jetzige Führungsschicht rauszuwerfen.

Denken Sie daran, wir machen das alles in unserer Freizeit.

Privatsphäre, Integrität und P2P-Technologie

Frage: Vor kurzem haben Sie verstärkt damit begonnen sich den Themen um den Schutz der Privatsphäre und die personelle Integrität zu widmen. In der Filesharing-Debatte scheint es so, dass das Thema personelle Integrität allein schon ein ausreichend starkes Argument dafür ist, die Legalisierung von Filesharing zu rechtfertigen. Nehmen wir einmal an, dass allgemeines Peer-2-Peer-Anonymisieren nur noch ein paar Jahre in der Zukunft liegt. Dann wäre es möglich, über einen Status der totalitären Kontrolle und der Überwachung von PCs von innen erlauben, Copyrights in digitaler Kommunikation durchzusetzen und zu erzwingen. Teilen Sie diese Ansicht?

Rick Falkvinge: Ja. Die Leute, die glauben, dass Filesharing mit einem minimalen Eingriff zu stoppen ist, haben einen Knall.

Schon früh in der Debatte haben wir sämtliche wirtschaftliche Argumente fallen gelassen und uns auf Bürgerrechte und das Recht auf Privatsphäre konzentriert. Dies hat sich als Gewinnstrategie erwiesen. Mein Grundgedanke "Copyright Regime vs. Civil Liberties" wird als bahnbrechend gelobt.

Die wirtschaftlichen Argumente sind stark, aber man kann darüber streiten. Es gibt so viele Studien wie Interessen am Copyright, und jede Studie kommt zu einer neuen Schlussfolgerung. Wenn man nur ruft und dem anderen Team Studien über das Volleyballnetz zuspielt, wird das zu einer Frage der Glaubwürdigkeit der Studien. Wenn man zu Bürgerrechten übergeht, kann man diese ganze Diskussion über Bord werfen.

Anonymes, verschlüsseltes P2P ist nur ein paar Jahre entfernt (und verschlüsseltes BitTorrent (Filesharing-Protokoll, Anm. d. Ü.) wird bereits allgegenwärtig). Viel interessanter ist, dass unsere Mobiltelefone dramatisch an Kapazität zulegen. Als P2P im Jahr 2000 mit Napster sein Debüt feierte, passte auf eine durchschnittliche Festplatte so viel wie auf meinen Handy-Speicher heute. Mittels vorhandener Technologie (Bluetooth 2) kann ich Inhalte auf meinem Handy anonym teilen, z. B. in einem Café. Das wird sich wahrscheinlich noch beschleunigen, mit immer leistungsfähigeren Handies, die mehr und mehr Daten speichern und sich für individuelle Anwendungen öffnen. Ich wette, dass zum Beispiel eine Bluetooth-P2P-Anwendung für das iPhone nicht mehr lange auf sich warten lässt. Stellen Sie sich nur das anonyme Sharen vor, das im Hintergrund in einem durchschnittlichen U-Bahn-Zug vor sich geht! Die Möglichkeiten sind sehr, sehr ermutigend.

Filesharing wird neue Wege finden - jede Maßnahme es zu unterbinden, wird in dem Moment, in dem sie eingeführt wird, nutzlos sein.

Kurz und bündig: Man kann Filesharing nicht aufhalten, ohne die gesamte digitale Kommunikation zu unterbinden und/oder sie komplett zu überwachen. Das Internet wurde als der weltgrößte Kopierer erschaffen, wie es die Macher von "Steal This Film II" so treffend formulieren. Filesharing passiert einfach deshalb, weil es möglich ist, wie es schon immer bei Kultur und Wissen der Fall war, nur mit anderen Medien.

Was mich allerdings wirklich ärgert ist, wie Politiker jeder Forderung der Copyright-Industrie hinterherlaufen. Die Copyright-Lobby macht eigentlich nur ihren Job: Das Fordern von besseren Bedingungen für ihre Industrie zu Lasten anderer Teile der Gesellschaft. Es sind die Politiker, die abgrundtief darin versagt haben, das Gesamtbild ihrer Forderungen zu verstehen.

Die Big Brother-Gesellschaft

Frage: Neben dem Filesharing scheint es weltweit einen großen politischen Druck zu geben, verschiedene staatliche Überwachungsstrukturen einzuführen. Das wird durch die Anti-Terrorismus-Argumente vorangetrieben. Das schwedische Parlament scheint da keine Ausnahme zu sein. Was denken Sie, warum die europäischen Politiker diese gefährliche Entwicklung so einfach akzeptieren, trotz der historisch aktuellen Erfahrungen mit der ostdeutschen Stasi usw.? Was macht sie so blind gegenüber den Risiken eines Big Brother-Staates? Leidet Europa noch immer an der Terrorismus-Hysterie oder geht hier etwas anderes vor sich? Zum Beispiel scheint die Piratenpartei in Schweden die einzige politische Kraft zu sein, die sich zumindest besorgt über die hastige Etablierung einer Orwellschen Gesellschaft zeigt. Wie kann man dieser Entwicklung entgegentreten?

Rick Falkvinge: Das ist wahr und es besorgt mich zutiefst. Die Politiker führen nicht nur einen Big Brother-Staat ein. Sie vermischen und verbinden auch Interessen des Staates mit denen großer Unternehmen.

Erinnern Sie sich an die lexikalische Definition von Faschismus: Faschismus N. Eine Verflechtung von unternehmerischen und staatlichen Interessen, üblicherweise verbunden mit einer drastischen Beschneidung der Bürgerrechte.

Wir wissen genau, wo uns das hinführt, da schon viele vor uns diesen Weg beschritten haben. Und obwohl jeder Schritt überzeugend scheint, wissen wir, wie das Ende aussieht.

Jeder Schritt wird gewöhnlich mit "effizienter Strafverfolgung" begründet. Das ist irreführend - denn wer wäre schon gegen ein Gesetz und für INEFFIZIENTE Strafverfolgung? In Wirklichkeit ist es eine Verschiebung der Macht von den Einwohnern und Bürgerrechten hin zur Strafverfolgung. Es gab viele Regierungen, historisch und gegenwärtig, für die effiziente Strafverfolgung eine Priorität war: die DDR, die Sowjetunion, Kuba, Nordkorea, Pinochets Chile, usw. Die zu stellende Frage lautet: Ist es das wert, eine solch effiziente Strafverfolgung zu haben, oder bleibt dabei etwas anderes auf der Strecke?

Als der Eiserne Vorhang fiel, freute sich der gesamte Westen, dass der Osten nun genauso frei wird wie der Westen. Niemand hätte gedacht, dass es mal andersrum kommen könnte.

Was wir tun können ist, miteinander darüber zu reden, was passiert. Die schwedische Regierung war vorsätzlich trügerisch und heimlichtuerisch bei allen neuen Orwellschen Maßnahmen. Es gibt sogar eine Gesetzesvorlage, die es der Polizei erlaubt, die PCs der Menschen zu übernehmen und unverdächtige Leute mit ihrer eigenen Webcam zu überwachen.

In den 60er Jahren gab es negativ-utopische Filme über eine Big Brother-Zukunft, in der die Regierung Kameras in jedem Haus installiert hatte. Heute sind wir beinahe dort. Der einzige Unterschied ist, dass wir die Kameras selbst gekauft haben.

Ein Vorschlag zur Massenüberwachung durch das Anzapfen jeder Kommunikation, die die Staatsgrenzen überquert, wurde 2005 eingeführt und dann - man stelle sich vor - aufgrund der großen Aufmerksamkeit wieder zurückgezogen. Er wurde von der neuen Regierung wieder vorgelegt und wird im Sommer neu abgestimmt.

Zusammengefasst lässt sich sagen, das Geheimniskrämerei, Angst, und Verschleierung die besten Freunde der Regierung bei der Einführung eines Big Brother-Staates sind. Was wir dagegen tun können, ist dem entgegenzutreten - was so einfach und zugleich so schwierig ist wie darüber zu reden. Aufmerksam sein beim Entdecken neuer Gesetze, neuer Vorschläge und über sie mit unseren Freunden, unseren Kollegen und in Foren zu reden. Zerschlagt die Geheimhaltung und zerreißt den Schleier. Schließlich wollen alle Politiker wiedergewählt werden.

Und mit nichts erregt man ihre Aufmerksamkeit besser, als mit der Bedrohung dieser Machtbasis. Das entdeckte ich, als ich die Piratenpartei gründete.