HB:Landesverband Bremen/Landespolitik/ÖPNV

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Fahrscheinloser und umlagefinanzierter ÖPNV im Land Bremen

In ihrem Programm für die Wahl des Abgeordnetenhauses am 18.09.2011 in Berlin forderten die Berliner Piraten einen fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr. Dieser darf aber nicht mit der Forderung nach einem kostenlosen ÖPNV verwechselt werden, denn der fahrscheinlose ÖPNV soll durch eine Umlage in Form von kommunalen Abgaben gemeinschaftsfinanziert werden[1].

Dieses Konzept lässt sich auch auf Bremen übertragen:

Meine Vision ist hierbei die fahrscheinlose Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel im Bundesland Bremen.

Wie lässt sich das aber finanzieren?

Einfacher als erwartet!

Lasst uns das mal durchrechnen!

Die BSAG hat im Jahr 2010 € 73.128.165,- und die Verkehrsgesellschaft Bremerhaven AG (VGB) € 15.584.000,-, also insgesamt € 88.712.165,- durch Fahrgelderträge eingenommen.

Hinzu kommen noch Ausgleichsbeträge für reduzierte Tarife für Auszubildende und für den kostenlosen Transport von Schwerbehinderten u.ä. in Höhe von insgesamt € 12.744.209,-. bei der BSAG und € 903.000,- bei der VGB, also insgesamt € 13.647.209,-.

Ein fahrscheinloser Nahverkehr sollte aber nicht nur die Umsatzerlöse durch eine Gemeinschaftsfinanzierung austauschen, sondern zugleich die Verschuldung Bremens und Bremerhavens reduzieren.

Allein 2010 musste Bremen Verluste der BSAG in Höhe von € 52.600.053,32,- und Bremerhaven € 4.500.000,-, also von insgesamt € 57.100.053,32,- übernehmen.

Zusammen müsste daher eine Summe von ca. € 159.459.427,32,- gegenfinanziert werden[2].

Wer soll das bezahlen?

Im Land Bremen lebten am 01.06.2011 insgesamt 660.009 Menschen[3]. Wenn jetzt jeder einen gleichen Anteil hieran zahlen soll, wären das pro Person jährlich € 241,60,-, also monatlich € 20,13,-.

Jetzt könnte man natürlich überlegen, bestimmte Bevölkerungsgruppen hiervon auszunehmen und andere hinzuzurechnen:

Was ist mit Minderjährigen?

Zum Beispiel könnte man Familien entlasten, indem man Minderjährige nicht zu einem Kostenanteil heranzieht. Am 31.12.2010 lebten im Land Bremen 100.374 Minderjährige[4]. Damit blieben noch 559.635 Personen übrig, die eine Nahverkehrsabgabe leisten müssten, die sich dann auf ca. € 284,93,- jährlich und € 23,74,- monatlich belaufen würde.

Sollen jetzt die Schwerbehinderten auch zahlen?

Schlechter ständen sich allerdings Schwerbehinderte, die derzeit kostenlos (bzw. zum Teil gegen einen Jahresbeitrag von € 60,- zum Erwerb einer Berechtigungsmarke an die nach § 69 Abs. 5 SGB IX zuständige Behörde) den öffentlichen Nahverkehr gegen eine staatliche Ausgleichsleistung nach §§ 145 ff. SGB IX nutzen dürfen. Dies betraf im Jahre 2009 einen Personenkreis von insgesamt 59.734 Einwohnern[5], von denen 1340 minderjährig waren[6]. Es verbleiben also noch ca. 58.396 zahlungspflichtige Schwerbehinderte. Wenn man diese weiterhin von einem finanziellen Beitrag zum ÖPNV befreien will, bleiben nur noch 501.239 Zahlungspflichtige übrig, die jährlich einen Beitrag von ca. € 318,13,-, also monatlich € 26,51,- zahlen müssten.

Im Land Bremen lebten 2009 zudem 21.730 Pflegebedürftige, die Leistungen nach dem SGB XI erhielten[7], von denen viele auch langfristig nicht in der Lage sein werden, den ÖPNV überhaupt zu nutzen. Diese sollten ebenfalls von der Zahlung der ÖPNV-Abgabe ausgenommen werden. Da es hier zu großen Überschneidungen mit dem Kreis der Schwerbehinderten (und der Hartz-IV-, Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger) kommen dürfte, muss eine konkrete Berechnung unterbleiben.

Wenn man auch noch andere Personen von der Zahlung der ÖPNV-Abgabe befreit, die diesen langfristig nicht nutzen können, wie Strafgefangene oder Koma-Patienten, könnte auch hier eine Einzelfallgerechtigkeit herbeigeführt werden.

Ist das nicht sozial ungerecht?

Eine Abgabe in Höhe von etwa € 20,- pro erwachsenem, nicht schwerbehindertem Einwohner Bremens ist auch nicht unsozial. Ein Stadtticket, dass Hartz-IV-, Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger erwerben können, kostet monatlich bereits € 25,- pro Person und gilt nur für den Stadtbereich Bremen[8].

Vom Hartz-IV-Regelsatz sind derzeit gemäß § 5 Regelsatz-Ermittlungsgesetz € 22,78,- für Verkehr vorgesehen, von diesem Betrag sind € 18,41,- für fremde Dienstleistungen (ohne Reisen mit auswärtiger Übernachtung und ohne Flüge) vorgesehen[9]. Eine Nahverkehrsabgabe von etwa € 20,- pro Person läge damit aber zumindest nahe am dafür vorgesehenen Anteil von Hartz IV.

Da es sich aber bei § 20 SGB II, in dem die Höhe des Regelsatzes festgelegt wird, um eine abschließende bundesrechtliche Regelung handelt, kann Bremen nicht hiervon eine ÖPNV-Abgabe oder auch nur den Regelsatzanteil für den ÖPNV einbehalten. Denn der hierin bestimmte Regelsatz muss vollständig an den Leistungsempfänger (soweit keine bundesgesetzlichen Regelungen etwas Abweichendes bestimmen) ausgezahlt werden, so dass dieser die Verwendung selbst frei bestimmen und wenn nötig, bestimmte Anteile des Regelsatzes auch für andere Ausgaben als vorgesehen verwenden (substituieren) kann. Da aber eine Regelung, die den Leistungsempfänger auf Dienst- und Sachleistungen oder Gutscheine (siehe neuerdings die Bildungsgutscheine) verweist, verfassungsrechtlich unbedenklich ist, solange hiervon nicht der ganze Regelsatz erfasst wird, kann der Bundesgesetzgeber durch eine Öffnungsklausel oder eine konkrete Regelung für ÖPNV-Leistungen aktiv werden. Der Regelsatz nach § 20 SGB II gilt nach Maßgabe des § 23 SGB II auch für Sozialgeldempfänger. Der Regelsatz nach dem SGB XII wird gemäß § 28 SGB XII in vergleichbarer Weise bestimmt wie der in § 20 SGB II und beträgt für eine erwachsenen Einzelperson seit 1.1.2011 auch € 364,-.

Für alle Leistungsempfänger nach dem SGB II (Hartz-IV- und Sozialgeldempfänger)und dem SGB XII (Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung)gilt aber § 28 Abs. 4 S. 2 SGB XII, der landesgesetzliche Leistungsansprüche, die der Finanzierung einzelner Verbrauchspositionen der Sonderauswertungen dienen, aus dem Regelsatz herauszunimmt. Wenn also in Bremen der ÖPNV umlagefinanziert und ohne Fahrscheine erwerben zu müssen, genutzt werden kann, wird dessen Anteil am Regelsatz aber von Gesetzes wegen nicht mehr mitberücksichtigt, so dass solche Leistungsempfänger dann einen entgsprechend reduzierten Regelsatz erhalten, wodurch nur der Bund Ausgaben einspart. Bremen könnte auch dann nicht die Leistungsempfänger zu einer Abgabe heranziehen oder den entsprechend reduzierten Anteil vom Bund verlangen.

Nach derzeitigem und allein durch die Bremische Bürgerschaft änderbarem Recht können daher die im Land Bremen wohnenden Leistungsempfänger von ALG II, Sozialgeld, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht zu der ÖPNV-Abgabe herangezogen werden. Grundsicherung nach dem SGB XII erhielten im März 2007 im Land Bremen 6.397 Personen, von denen 2.042 über 18, aber unter 65 Jahre alt sind und 4.355 über 65 Jahre alt sind[10]. ALG II und Sozialgeld erhielten 2009 93.703 Personen, die in 50.169 Bedarfsgemeinschaften lebten[11]. Im Land Bremen lebten zum 30.6.2009 rund 24.893 Kinder unter 15 Jahren auf Hartz-IV-Niveau[12]. Zahlen für die 15 bis 17-Jährigen konnte ich nicht finden. Wenn man hier aber das statistische Mittel der übrigen Minderjährigen pro Jahr zugrunde legt, kommen nochmals 5.334 weitere Minderjährige aus den Altersklassen 15-17 hinzu, so dass von den Leistungsempfängern 30.227 Personen abzuziehen sind, da Minderjährige nach diesem Modell sowieso von der Abgabe befreit sind.

Daher sind insgesamt ca. 69.873 Personen wegen Leistungsbezugs nach dem SGB II und XII von der Abgabenpflicht auszunehmen, so dass nur noch 431.366 Einwohner des Landes Bremen eine ÖPNV-Abgabe leisten müssen. Zwar wird es hier sicherlich zumindest bei den Grundsicherungsempfängern zu Überschneidungen bei der Befreiung von der Abgabenpflicht mit der Befreiung wegen einer Schwerbehinderung bzw. wegen Pflegebedürftigkeit kommen, doch lässt sich die genaue Höhe hier nicht ermitteln, so dass ich diese bei der Berechnung nicht abziehen werde.

Auf dieser Grundlage ergibt sich dann eine ÖPNV-Abgabe von jährlich ca. € 369,66,- und monatlich ca. € 30,81,-.

Ich spreche mich zwar ausdrücklich für eine Einbeziehung von Leistungsempfängern nach dem SGB II und XII aus, aber erst nachdem der Regelsatz auf eine tatsächlich den einfachen Lebensbedarf deckende Höhe angehoben wurde. Aber selbst dann bedarf es einer Gesetzesänderung auf Bundesebene.

Was Hartz-IV-Empfängern zugemutet wird, sollte man aber auch von Studenten verlangen können. Der Beitrag zum Semesterticket in Bremen ist im Verhältnis zu dem an anderen Universitäten in anderen Städten sehr niedrig. In Berlin zahlt man als Student beispielsweise bereits heute € 336,- jährlich und damit € 28,- monatlich für das Semesterticket[13]. Hier könnte man lediglich über einen reduzierten Abgabensatz nachdenken.

Der Normalpreis für eine Monatskarte im Bereich Bremen-Stadt kostet im Jahresabo zudem € 43,70,-, einschließlich Bremen-Nord sogar € 60,30,-[14] und in Bremerhaven € 38,50,-[15].

Minderjährige zwischen 6 und 17 Jahren, Hunde und Fahrräder blieben nach dem neuen System im Gegensatz zu den derzeitig gültigen Beförderungsbedingungen[16] gänzlich von derzeit geltenden Fahrkosten verschont.

Sollen auch Berufseinpendler zahlen?

Jetzt könnte man diesen Betrag wieder reduzieren, indem man Berufseinpendler ebenfalls zu einer solchen Abgabe verpflichtet, die dann über deren Arbeitgeber mit Firmensitz in Bremen eingezogen werden könnte. 2008 sind 103.206 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in die Stadt Bremen und 21.626 in die Stadt Bremerhaven zum Arbeiten eingependelt[17] - insgesamt also 124.832 Personen. Wenn man diesen Personenkreis, der bisher den öffentlichen Nahverkehr noch nicht einmal durch Steuerzahlungen im Lande Bremen mitfinanziert, ebenfalls zu einer Nahverkehrsabgabe heranzieht, wird diese dann von ca. 556.198 Personen finanziert, so dass die Abgabe wieder auf jährlich ca. € 286,70,-, also monatlich ca. € 23,89,- sinken würde. Hinzu nehmen könnte man auch noch einpendelnde Beamte, Freiberufler und andere Selbständige, deren Anzahl mir aber nicht bekannt ist, so dass ich diese nicht in die Berechnungen miteinbeziehen kann. Alternativ könnte man auch versuchen, mit den Einpendlerkommunen Verträge über eine Einziehung der ÖPNV-Abgabe oder einer Umlage für alle in der jeweiligen Kommune ansässigen Pendler vereinbaren. Hierdurch wird die Wirtschaft von der Erhebung der Abgabe entlastet. Allerdings dürfte der Abschluss von Verträgen mit den umliegenden Kommunen aufgrund deren entgegenstehender Interessen schwierig werden. Auch die genaue Anzahl der Berufseinpendler in den einzelnen Kommunen lässt sich vermutlich nur schwer ermitteln. Sinnvoll wäre es für diese Gruppe dann unter persönlichen und ökologischen Gesichtspunkten hier sicherlich auch, die Park & Ride-Möglichkeiten im Land Bremen auszubauen.

Wie ist das mit Zweitwohnungsinhabern?

Da die Einwohnerzahl nur die Personen enthält, die mit ihrer Hauptwohnung in Bremen gemeldet sind, könnte man die ÖPNV-Abgabe noch auf solche mit einem Nebenwohnsitz in Bremen ausdehnen und hierdurch entweder die ÖPNV-Abgabe für alle reduzieren oder das Angebot verbessern. Eine Berechnung kann ich hierfür nicht vornehmen, da mir die genaue Zahl der Personen, die im Land Bremen mit einem Nebenwohnsitz gemeldet sind, unbekannt ist.

Und was ist mit Studenten?

Jetzt könnte man noch auf die Idee kommen, Studierende, die ja bereits mit dem Semesterticket eine Pauschalgebühr für den ÖPNV zahlen, hiervon auch auszunehmen. Diese zahlen jährlich € 225,84,-[18], also monatlich € 18,82,- für das Semesterticket. Dieses gilt aber nicht nur im Land Bremen, sondern auch auf weiteren Strecken. Welcher Anteil hiervon aber an die BSAG und die VGB geht, konnte ich nicht herausfinden.

Es gab im Wintersemester 2010/2011 in Bremen 31.848 Studierende[19], wobei aber ein nicht näher bestimmbarer Anteil kein Bremer Landeskind ist. Ich spreche mich gegen eine Herausnahme aus, was zumindest für die in Bremen lebenden Studenten mit einer Erhöhung unbekannten Ausmaßes des Beitrags zum Semesterticket verbunden sein wird. Es sollte aber weiterhin aus verwaltungstechnischen Gründen ein einheitlicher Beitrag zum Semesterticket von allen Studierenden, ob sie nun in Bremen wohnen oder nicht, verlangt werden, wodurch auch die einpendelnden Studenten die gleiche ÖPNV-Abgabe zahlen würden. Wieviele Studenten einpendeln, ist mir aber nicht bekannt, so dass einer Berechnung hierdurch auch noch eine zweite Unbekannte im Wege steht.

Was ist mit den Touristen?

Im Jahr 2010 verzeichnete das Land Bremen gut 1,8 Millionen Übernachtungen. Um das Angebot im ÖPNV zu verbessern, könnte von den Hotels für jede Übernachtung eine Abgabe zugunsten des ÖPNV geleistet werden müssen. Diese kann dann auf die Übernachtungspreise addiert werden. Wenn man nur € 1,- pro Übernachtung veranschlagt, bedeutet das Mehreinnahmen von mehr als € 1,8 Mio. pro Jahr, die ebenfalls für den Ausbau des ÖPNV-Angebots eingesetzt werden können. Touristen haben dafür den Vorteil den ÖPNV in Bremen ohne Extrakosten nutzen zu können.

Was ist mit Großveranstaltungen?

Für viele Großveranstaltungen, wie z.B. Werderspielen, werden Sonderfahrten erforderlich. Auch die normalen Fahrten werden stärker genutzt als üblich. Deshalb sollte auch von den Veranstaltern solcher Veranstaltungen eine ÖPNV-Abgabe eingezogen werden und ebenfalls für einen Ausbau des ÖPNV-Angebots eingesetzt werden.

Werden hierdurch Nichtnutzer des ÖPNV, wie z.B. Autofahrer oder Radfahrer ungerecht behandelt?

Wenn jetzt die Autofahrer aufschreien und sagen, sie nutzen den ÖPNV ja gar nicht und sollen jetzt trotzdem dafür zahlen, kann diesen entgegen gehalten werden, dass sie bereits heute den ÖPNV im Land Bremen mitfinanzieren. Jeder der 313.444 im Jahre 2007 in Bremen Steuerpflichtigen[20], hat 2010 bereits jährlich durchschnittlich € 182,17,-, also monatlich ca. € 15,18,- aus Steuermitteln zur Verlustfinanzierung der BSAG und VBG aufgebracht – und das ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten! Denn Fahrkarten musste dieser Personenkreis noch zusätzlich bezahlen. Für eine zusätzliche Leistung von ca. € 6,04,- kann dieser Personenkreis jetzt den ÖPNV im Land Bremen ohne weitere Kosten nutzen. Bereits ein Tagesticket nur für die Stadt Bremen kostet allein € 6,30,-.

Zudem würde durch einen Umstieg auch nur eines Teils der Autofahrer auf den ÖPNV die Anzahl der Staus gesenkt und die Anzahl der verfügbaren Parkplätze in den Städten erhöht, wovon die verbliebenen Autofahrer profitieren würden. Alternativ könnte durch eine Umwandlung von Parkflächen im innerstädtischen Bereich die Wohn- und Lebensqualität im Land Bremen gesteigert werden.

Als Radfahrer erhält man die Möglichkeit, sein Fahrrad kostenfrei mitzunehmen und so den Mobilitätsradius mit dem Fahrrad auszuweiten. Zudem wird man witterungsunabhängiger, da man bei Regen in den ÖPNV wechseln kann.

Das Ganze ist natürlich in gewisser Weise eine Milchmädchenrechnung, denn durch eine ÖPNV-Abgabe würde die Steuerlast für den Einzelnen nicht sinken. Allerdings ist ein weiteres Ziel hier auch die Entschuldung des Landes Bremen, indem eine Verlustübernahme in Höhe von jährlich € 57.100.053,32,- den Haushalt nicht mehr länger belastet. Meiner Ansicht nach kann eine Entschuldung des Landes und seiner beiden Kommunen nicht allein durch Einsparungen bei den Ausgaben, sondern nur durch eine gleichzeitige Erhöhung der Einnahmen erfolgen. Das mag unpopulär sein, ist aber meiner Meinung nach unvermeidlich, um dauerhaft den Haushalt zu sanieren.

Auch viele andere Einrichtungen und die Daseinsvorsorge werden durch Abgaben zumindest teilweise finanziert. Man denke hier nur an Schwimmbäder, Theater, Autobahnen, Sozialleistungen und vieles mehr, die auch nicht von jedem, der Abgaben leistet, auch genutzt werden. Es wird, wie beim ÖPNV, lediglich die Möglichkeit einer Nutzung durch die staatliche Finanzierung gewährleistet. Zudem hat eine Zweckabgabe gegenüber einer Steuer den Vorteil, dass sie zweckgebunden ist und daher auch nur für die Finanzierung des ÖPNV verwendet werden darf.

Bei einer ÖPNV-Abgabe von etwa € 20,- werden allerdings diejenigen Hartz-IV-Empfänger benachteiligt, die statt des ÖPNV bisher andere Verkehrsmittel benutzt haben und nun ihren Regelsatz-Anteil für Verkehr allein für den ÖPNV aufwenden müssen. Ob hierzu eine Sonderregelung, vielleicht ein reduzierter Beitragssatz zur ÖPNV-Abgabe oder eine geringfügige Erhöhung des Regelsatzanteils für Verkehr (was aber nur der Bund und nicht das Land Bremen entscheiden kann), getroffen werden sollte, müsste noch diskutiert werden. Das Gleiche gilt für andere Personen mit besonders niedrigem Einkommen.

Aufgrund des Sonderabgabencharakters einer solchen ÖPNV-Abgabe kann man nur hoffen, dass der Druck der Abgabenzahler und damit eines Großteils der wahlberechtigten Bevölkerung auch dafür sorgen wird, das die Versorgung wegen fehlendem Wettbewerbsdrucks sich nicht verschlechtert, sondern bedarfsgerecht bleibt und wird. Da dies aber auch in anderen Bereichen, wie bei der GEZ-Abgabe, nur teilweise funktioniert, sollte überlegt werden, wie die bedarfsgerechte (Grund-)Versorgung mit ÖPNV nach Einführung eines fahrscheinlosen, umlagefinanzierten ÖPNV sichergestellt werden kann (z.B. über Abdeckungsgarantien oder demokratische Beteiligungsmöglichkeiten für Fahrgäste). Wichtig wäre hier sicherlich auch, dass die Organisationsform der Verkehrsbetriebe keine privatrechtliche, gewinnorientierte mehr sein darf, also z.B. keine Aktiengesellschaft wie derzeit die BSAG und VGB. Ziel muss auch sein, die ÖPNV-Abgabe möglichst lange auf einem möglichst niedrigen Niveau und damit die Belastung des Einzelnen möglichst gering zu halten.

Was ist denn mit den Zugstrecken und dem VBN?

Außerdem müsste noch eine Lösung für die Nutzung der Bahnstrecken innerhalb des Landes Bremen und den Anschluss an das niedersächsische Umland (Verkehrsverbund Bremen-Niedersachsen - VBN) gefunden werden.

Was ist mit Schwarzfahrern?

Gegen gerechnet werden müssen auch noch die Kosten, die derzeit noch bei Polizei und Justiz für die Verfolgung und Bestrafung von Schwarzfahrern entstehen, da es bei einem fahrscheinlosen System des ÖPNV per definitionem keine Schwarzfahrer mehr gibt, so dass es in Bremen Verstöße gegen § 265a StGB (Leistungserschleichung), die nach der PKS Bremen 2010 von 4228 Schwarzfahrern begangen wurden (=4,75% aller Straftaten)[21], größtenteils nicht mehr geben wird.

Auch wenn die derzeit von erwischten Schwarzfahrern zu entrichtende Vertragsstrafe in Höhe von € 40,- wegfällt, dürfte dies keine finanzielle Belastung bedeuten, da Kosten für Kontrolleure, die Bearbeitung des Vorfalls in der Verwaltung, die Beitreibung der Forderung und die Kooperation mit Polizei und Justiz ebenfalls wegfallen. Es würde mich wundern, wenn die € 40,- überhaupt kostendeckend sind und nicht vielmehr einer Kostenreduzierung und noch wichtiger der Abschreckung von potentiellen Schwarzfahrern dienen.

Wie ist das mit anderen Kriminellen?

Da die Fahrer kein Bargeld mehr benötigen, lohnen sich auch keine Raubüberfälle auf diesen mehr, so dass sich auch die Sicherheit der Fahrer der Fahrer gerade in den Abend- und Nachtstunden erhöht.

Wie ist das mit Störern?

Durch Verzicht auf einen Fahrschein wird nicht gleichzeitig eine Benutzungsordnung außer Kraft gesetzt. Das Hausrecht bleibt insoweit erhalten, als eine Nutzung, die andere Passagiere übermäßig belästigt und/oder die Fahrzeuge beschmutzt auch weiterhin verboten werden kann.

Entstehen durch die Abgabeneinziehung nicht neue Kosten?

Durch die Einziehung der ÖPNV-Abgabe entstehen in der Verwaltung natürlich neue Kosten, die in der Rechnung noch nicht berücksichtigt sind.

Da aber auch die Reduzierung von Kosten im ÖPNV durch den Wegfall des Verkaufs von Fahrscheinen, der Wartung von Fahrkartenautomaten, der Vorhaltung von IT-Einrichtungen zur Abrechnung und der Verfolgung von Schwarzfahrern noch nicht eingerechnet wurde, spricht vieles dafür, dass sich diese Kosten vermutlich annähernd ausgleichen werden, zumindest wenn der Aufwand, der durch die Systemumstellung nötig wird und sicherlich einmalige höhere Kosten verursacht, heraus gerechnet wird.

Im Unterschied zu der Beitreibung der GEZ-Abgabe, ist die ÖPNV-Abgabe nicht an die tatsächliche Nutzung gebunden, so dass ähnlich des neuen Systems einer Haushaltsabgabe für die öffentlich-rechtlichen mediale Grundversorgung keine Abgabenschnüffler (mehr) an der Haustür klingeln werden.

Hilft das bei der Entschuldung Bremens?

Außerdem wird der Landeshaushalt entlastet, da hierdurch auch eine Verlustübernahme durch die Kommunen des Landes Bremen nicht mehr nötig ist, so dass Bremen und Bremerhaven jährlich über € 57 Millionen an Ausgaben einsparen würde.

Wenn dieses Ziel nicht verfolgt werden soll, müssten nur € 102.359.374,- gegenfinanziert werden. Bei einer Zugrundelegung von 626.071 Abgabepflichtigen müssten diese jährlich nur € 163,49,- und monatlich nur € 13,62,- zahlen.

Ist eine solche ÖPNV-Abgabe rechtlich überhaupt zulässig?

Bei der Vorhaltung eines ÖPNV handelt es sich um eine kommunale Aufgabe, so dass für die Erhebung einer ÖPNV-Abgabe die beiden Gemeinden des Landes Bremen, die Städte Bremerhaven und Bremen, zuständig wären[22].

Bei einer ÖPNV-Abgabe handelt es sich um eine kommunale Abgabe in Form eines Beitrags.

Die Erhebung von Beiträgen regelt das Bremische Gebühren- und Beitragsgesetz. Gemäß § 1 Abs. 2 BremGebBeitrG können die Gemeinden Beiträge erheben. Die Erhebung von Beiträgen ist, soweit Gesetze nicht etwas anderes bestimmen, nur zulässig aufgrund von Ortsgesetzen. Die Ortsgesetze müssen den Kreis der Beitragsschuldner, den den Beitrag begründenden Maßstab und den Beitragssatz sowie den Zeitpunkt seiner Fälligkeit angeben (§ 3 Abs. 6 S. 1 und 2 BremGebBeitrG). Zuständig für den Erlass der Ortsgesetze ist für die Stadtgemeinde Bremen die Stadtbürgerschaft (§ 3 Abs. 6 S. 3 i. V. m. Abs. 3 S. 1 BremGebBeitrG) und für die Gemeinde Bremerhaven die Stadtverordnetenversammlung (§ 3 Abs. 6 S. 3, Abs. 3 S. 2 BremgebBeitrG i. V. m. § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 VerfBrhv). Gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 BremGebBeitrG können Beiträge nur als Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung und Verbesserung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen im Sinne des § 12 Abs. 1, jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung, dienen, verlangt werden. Beitragsschuldner sind hier nach § 17 Abs. 2 S. 2 BremGebBeitrG die Grundeigentümer.

Da durch die ÖPNV-Abgabe aber in erster Linie der laufende Betrieb finanziert werden soll, kann nach dieser Definition die ÖPNV-Abgabe nicht als Beitrag verlangt werden. Zudem dient die ÖPNV-Abgabe dem Allgemeininteresse und nicht vordringlich den Interessen einer homogenen Gruppe.

Nach BVerfGE 92, 91 zur Feuerwehrabgabe wird dagegen ein Beitrag für die potentielle Inanspruchnahme einer staatlichen Einrichtung erhoben. Der Beitragszahler erhält also das Recht eine staatliche Gegenleistung in Anspruch zu nehmen. Hiernach kann die Definition in § 17 Abs. 2 S. 1 BremGebBeitrG nicht abschließend sein. Dafür spricht auch die zukünftig vorgesehene Haushaltsabgabe in Form eines Rundfunkbeitrags, deren Zulässigkeit nicht angezweifelt wird. Eine ÖPNV-Abgabe ist mit diesen Abgaben vergleichbar und daher als Beitrag zu erheben.

Unter Beachtung der hier genannten Vorgaben und Zuständigkeiten dürfte eine ÖPNV-Abgabe auch rechtlich zulässig sein.

Welche weiteren Vorteile bietet der fahrscheinlose, umlagefinanzierte ÖPNV?

Entlastung der Umwelt

Aufgrund des ohne weitere Kosten durch jedermann nutzbaren Angebots wird dieses mit Sicherheit auch häufiger als jetzt genutzt werden. Dies hat sich bei der Einführung von fahrscheinlosem Nahverkehr in anderen Städten, wie z.B. in Hasselt in Belgien gezeigt[23]. Hierdurch würde die Lärm- und Abgasbelastung durch den motorisierten Individualverkehr sinken, so dass hierdurch auch eine bessere Umweltbilanz erreicht werden kann. Dies würde durch den Ausbau von Park & Ride noch verstärkt werden. Wenn zugleich der Umstieg auf mehr Autos mit elektrischem Antriebsstrang gelingt, wird hierdurch bald auch die Umweltzone überflüssig und kann aufgehoben werden. Durch weniger Individualverkehr würden auch die Ölressourcen geschont und man kann Busse erheblich einfacher mit ökologisch besser verträglichen Antriebsmitteln ausstatten, als dezentral abgestellte PKWs.

Verbesserung der Versorgung mit ÖPNV-Leistungen

Aufgrund der verstärkten Nachfrage muss das Angebot insbesondere zu den Hauptverkehrszeiten erweitert werden, so dass durch eine erhöhte Taktfrequenz die Wartezeiten sinken werden. Außerdem werden auch solche Bürger, die in Randlagen (z.B. im Blockland) bisher nicht ausreichend an den ÖPNV angeschlossen sind, zu Recht verlangen, dass dort ebenfalls ein Linienverkehr eingerichtet wird. Hierdurch wird auch das Netz erweitert und die Nutzung durch alle Bürger Bremens ermöglicht. Die Mehrkosten, die hierfür entstehen, können z. B. durch Abgaben von Zweitwohnungsinhabern, Großveranstaltern und Touristen finanziert werden. Zudem würde hierdurch auch ein Personalabbau verhindert bzw. ausgeglichen, da mehr Personal als Fahrer für die zusätzlichen Bus- und Bahnverbindungen und evtl. im technischen Wartungsdienst für die zusätzlich anzuschaffenden Busse und Bahnen benötigt wird.

Verbesserung der Wirtschaftsbilanz

Durch ein Angebot, das die Nutzung des ÖPNV in Bremen ohne zusätzliche Kosten ermöglicht, wird die Stadt auch für Besucher aus dem Umland und anderen Orten attraktiver, die dann zudem mehr Geld in den Bremer Geschäften und der Gastronomie ausgeben können, wodurch die private Wirtschaft unterstützt und die damit verbundenen Arbeitsplätze gesichert werden. Auch die durch den Verzicht auf die Nutzung eines PKWs gesparten Kosten stünden dann als zusätzliche Kaufkraft zur Verfügung.

Mehr gesellschaftliche Teilhabe

Mobilität ist notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Gerade in Ballungsräumen kann eine Umlagefinanzierung auf einem niedrigen Niveau umgesetzt werden. Besonders Familien profitieren hiervon, wenn man Minderjährige von der Abgabe ausnimmt, so dass diese auch familienfreundlich ist, da leider Kinder in unserer Gesellschaft ein Armutsrisiko darstellen. So werden Kinder und Jugendliche nicht mehr daran gehindert, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, auch wenn dieses nicht in Laufreichweite stattfindet.

Weitere Vorteile

Nach Abschluss eines Referendums am 25.03.2012, dem 75% der Bürger zustimmten[24], soll in der Stadt Tallinn ein kostenloser ÖPNV eingeführt werden, um u. a. den Verkehrsfluss zu verbessern und die Anzahl der Unfälle zu reduzieren[25].

Ergebnis

Unabhängig von den sozialen und ökologischen Gewinnen, die ein Modell des fahrscheinlosen, umlagefinanzierten öffentlichen Nahverkehrs für das Land Bremen bringen würde, würden auch die Bürger nicht übermäßig belastet und zu einem großen Teil sogar entlastet, wenn sie für etwa € 20,- pro Monat den gesamten öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen können.

Einzelnachweise

  1. http://berlin.piratenpartei.de/2011/08/05/wahlprogramm-2011-verkehr/
  2. Zahlen für die BSAG: http://www.bsag.de/pdf/GuV_2010.pdf und http://www.bsag.de/pdf/BSAG_GB_2010_www_ss.pdf und für die VGB: https://www.unternehmensregister.de/ureg/result.html;jsessionid=11CA9A08DFE9555CED7AF0DA3E8C8E47.www02-1?submitaction=showDocument&id=7768618
  3. http://www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/07_Juli.6510.pdf
  4. http://www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/AI3_2010_Bevoelkerung_Altersjahren.pdf
  5. http://www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/biz2011.pdf S. 40
  6. http://www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/jb2010.pdf
  7. www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/biz2011.pdf
  8. http://www.bsag.de/4623.php
  9. http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2010/0661-10.pdf S. 99
  10. http://soziales.bremen.de/sixcms/media.php/13/Zeitreihen%20zum%20SGB%20XII%204.%20Kap.%20a.v.E._GSiAE.pdf
  11. http://www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/jb2010.pdf S. 164
  12. http://www.statistik.bremen.de/sixcms/media.php/13/jb2010.pdf S. 170
  13. http://www.bvg.de/index.php/de/131813/name/Fuer+Schueler/article/12810.html
  14. http://www.bsag.de/4623.php
  15. http://www.bremerhavenbus.de/sixcms/list.php?page=tarifauskunft
  16. http://www.bsag.de/4623.php
  17. Arbeitnehmerkammer Bremen – Die Pendler in Bremen und Bremerhaven und „umzu“ vom September 2009: http://www.arbeitnehmerkammer.de/cms/upload/Politik/Wirtschaft_Finanzen/Pendlerzahlen_2009.pdf
  18. http://www.sfs.uni-bremen.de/semesterbeitrag.htm
  19. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/BildungForschungKultur/Hochschulen/Tabellen/Content50/StudierendeInsgesamtBundeslaender,templateId=renderPrint.psml
  20. http://www.senatspressestelle.bremen.de/detail.php?id=45235
  21. http://www.inneres.bremen.de/sixcms/media.php/13/PKS2010-Buch_LandBremen.pdf S. 9 und 43
  22. § 6 Abs. 1 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr im Land Bremen
  23. http://de.wikipedia.org/wiki/Personennahverkehr_in_Hasselt
  24. http://www.landes-zeitung.de/portal/lokales/lz-heute_Tallinn-stimmt-mit-klarem-Ja-fuer-freie-Fahrt-mit-Bus-und-B-_arid,414978.html
  25. http://news.err.ee/society/5a54da7a-79c8-4473-bc4f-1ec9e6e50db3