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Europäischer außenwirtschaftlicher Ausgleichs- und Stabilitätspakt

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Bisher lehnen die Piraten mehrheitlich den ESM ab vor allem mit Fokus auf seine demokratischen Defizite und seinen institutionalisiertem Charakter der eine Aufgabe staatlicher Souveränität in Geldpolitischen Fragestellungen bedeutet. Die AG Europa stimmt diesen grundlegenden Bedenken zu. Was in den bisherigen Diskussionen bisher nicht betrachtet wurde ist das Aufzeigen einer für Gesamteuropa tragbaren Lösung die anstelle des ESM treten könnte.

Die Europäische Staatsschuldenkrise ist zurückzuführen auf einen bereits bei Bildung der gemeinschaftlichen Währungsunion Konstruktionsfehler, die langfristig aufgelaufenen Leistungsbilanzungleichgewichte. Es ist daher naheliegend bei einer Alternative zum ESM genau hier anzusetzen. Zwei Vorschläge, wie so etwas zu erreichen wäre wird in zwei Modellen dem sog. „Außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt“ sowie das „Makroökonomische Scoreboard“ diskutiert.

Ich persönlich möchte an dieser Stelle für einen Außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt „werben“ und dies als Vorschlag in die AG einbringen. Neben dieser Wikiseite gibt es natürlich auch ein entsprechendes Arbeitspad: https://squad-zukunft_europa.piratenpad.de/EAAS?

Für die, die sich zum „Makroökonimschen Scoreboard“ näher informieren möchten, habe ich ein entsprechendes Infopad (-> https://squad-zukunft_europa.piratenpad.de/Info-Makroboard ) eingerichtet.

Der „Außenwirtschaftlicher Stabilitätspakt“

Schlechte Haushaltsführung ist nur eine Ursache für die Schuldenkrise im Euroraum. In den Fällen Spaniens und Irlands stehen hinter der rasant steigenden Staatsverschuldung staatliche Maßnahmen zur Stabilisierung des Bankensektors. Dies hat dazu geführt, dass die irische Schuldenstandquote von seit 2007 exorbitant angestiegen ist. Damit wurden innerhalb weniger Jahre alle Konsolidierungserfolge zunichte gemacht. Solche Erfolge konnte auch Spanien bis zur Finanzkrise vorweisen. Auffällig dabei war jedoch, dass der Abbau der spanischen Staatsverschuldung einherging mit dauerhaften Leistungsbilanzdefiziten. Die Ursache dafür war die Verschuldung des Privatsektors.

Auf diesen Zusammenhang haben bereits im Jahr 2009 Sebastian Dullien und Daniela Schwarzer hingewiesen [Dullien, Sebastian und Scharzer, Daniela gt(2009): Die Eurozone braucht einen außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt, SWP-Aktuell 27, Berlin.] Demnach besteht eine Schwäche des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes darin, dass er sich nur auf die Staatsverschuldung konzentriert, aber für die Verschuldung des Privatsektors blind ist. Ein Umstand, der sich im ESM wiederholen würde!! Demnach ist per se der ESM kein geeignetes Instrument zur längerfristigen Stabilisierung in Europa! Im Zentrum des auch von den Piraten angestrebten Außenwirtschaftlichen Stabilitätspakts steht der Saldo der Leistungsbilanz als klares Stabilitätskriterium.

Nach Dullien / Scharzer soll dieser drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten. Innerhalb dieser Bandbreite seien Leistungsbilanzdefizite und -überschüsse zulässig. Unter der Annahme eines nominalen Wirtschaftswachstums von fünf Prozent können die kumulierten Außenhandelsüberschüsse bzw. -defizite rechnerisch auf maximal 60 Prozent des BIP anwachsen.

Bis zu diesem Maß an Auslandsverschuldung, so wird angenommen, ergeben sich keine Zahlungsbilanzrisiken. Zieht man den Vergleich der der Leistungsbilanzdefizite von Spanien und Irland heran so wies Irland vergleichsweise geringe Leistungsbilanzdefizite in der Phase der Konsolidierung der Staatsfinanzen auf. Jedoch weiteten die irischen Banken ihre Kreditvergabe an den Privatsektor aus. Aus diesem Grund empfehlen Dullien und Schwarzer auch die Verschuldung des Finanzsektors zu beobachten, um Risiken, die sich nicht in den Leistungsbilanzsalden abbilden, erkennen zu können.

Wichtig ist, dass die Kriterien des „Außenwirtschaftlichen Stabilitätspaktes“ sollen sowohl für Überschuss- als auch für Defizitländer gelten sollen. Staaten, welche die Kriterien nicht einhalten, sollen abgemahnt werden. Bei wiederholter Verletzung könnten auch Zahlungen aus dem EU-Budget gekürzt oder Strafzahlungen angeordnet werden. Um die Vetomöglichkeiten der Mitgliedstaaten zu begrenzen, soll die EU-Kommission mehr Befugnisse erhalten. Der „Außenwirtschaftliche Stabilitätspakt“ weist aus meiner Sicht absolut in die richtige Richtung. Insbesondere werden nicht allein Defizitländer bestraft, vielmehr drohen auch Überschussländern Sanktionen bei Vertragsverletzung. Der Pakt schwenkt von der rein fiskalischen Sichtweise hin zu einer mehr makroökonomischen Perspektive. Es sind weniger die Staatsschulden maßgeblich dafür, ob ein Land sich auf einem nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklungspfad bewegt, sondern die Gesamtbilanz der Wirtschaft wird zum Maßstab der politischen Bewertung.


Der Europäische Außenwirtschaftliche Ausgleichs- und Stabilitätspakt

Die AG Europa sollte daher einen entsprechenden Alternativvorschlag bei der Ablehnung des ESM vorstellen und einen „Europäischen Außenwirtschaftlichen Ausgleichs- und Stabilitätspakt“ vorstellen Ein neuer Anlauf für ein stabiles Europa: Europäischer Außenwirtschaftlicher Ausgleichs- und Stabilitätspakt (EAAS) Als wichtigste Lektion aus der aktuellen Krise ist in einer reformierten EU das Leitbild eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen den Mitgliedsstaaten zu verankern.

Die Piratenpartei fordert daher eine Neufassung der Spielregeln der Europäischen Währungsunion

In einer so stark verflochtenen Wirtschaftsregion wie der EU ist es natürlich absolut unmöglich, von jedem Land in jedem Jahr eine vollständig ausgeglichene Leistungsbilanz zu erwarten, da es immer kurzfristige Schwankungen der Außenwirtschaft geben wird. Das Leitbild ausgeglichener Leistungsbilanzen in der EU und der Eurozone ist daher auf einen mittelfristigen Durchschnitt z.B. über drei bis fünf Jahre zu beziehen.

Konkret sollte unser Vorschlag eines „Europäischen Außenwirtschaftlichen Ausgleichs- und Stabilitätspakts“ die verbindliche Einrichtung einer kurzfristigen und einer mittelfristigen Obergrenze für Leistungsbilanzungleichgewichte in der EU definieren.

Kurzfristig, d.h. innerhalb eines Jahres, wird – anknüpfend an den Vorschlag eines „außenwirtschaftlichen Stabilitätspakts“ von Dullien und Schwarzer – eine Schwankungsbreite für außenwirtschaftliche Überschüsse bzw. Defizite von drei Prozent des BIP des jeweiligen Landes festgelegt. Diese Schwankungsbreite soll dabei vor allem als Puffer für konjunkturelle Schwankungen dienen. Diese treten z.B. auf, wenn ein Land eine gute Binnenmarktkonjunktur mit wachsenden Importen erlebt, aufgrund einer gleichzeitigen Rezession in anderen Ländern Europas die Exporte dorthin aber fallen oder stagnieren.

In der langen Frist hingegen sollten die Leistungsbilanzen ausgeglichen sein. Als Vorbild dazu kann Keynes‘ Vorschlag einer sog. Clearing-Union dienen (siehe hierzu auch das separate Infopad -> https://squad-zukunft_europa.piratenpad.de/Clearing-Union )

Alle Länder hätten neben der kurzfristigen Schwankungsbreite von drei Prozent des BIP eine Obergrenze für kumulierte Ungleichgewichte von 50 Prozent ihrer durchschnittlichen jährlichen Exporterlöse einzuhalten. Dieser Schwellenwert würde dann die sog. „langfristige Obergrenze“ (Wobei wir über die tatsächlich Zahlen natürlich diskutieren sollten).

Exkurs: Ein Zahlenbeispiel soll das Modell veranschaulichen. Ein Land A hat ein BIP von 100 Euro. Davon werden – ähnlich wie in Deutschland – 50 Prozent, also 50 Euro, für den Export produziert. Die kurzfristige Schwankungsbreite für Leistungsbilanzungleichge-wichte beträgt also 3 Euro, die langfristige Obergrenze entsprechend 50 Prozent von 50 Euro, also 25 Euro. Wenn dieses Land A nun über vier Jahre den maximal zulässigen jährlichen Leistungsbilanzüberschuss von drei Prozent erzielt, dann haben sich diese Überschusse nach vier Jahren auf 12 Euro, d.h. 12 Prozent des BIP bzw. 24 Prozent der jährlichen Exporterlöse addiert. Bei einer langfristigen Obergrenze von 50 Prozent der Exporterlöse dürfte klar sein, dass das Land A auf die Dauer so nicht weitermachen kann, weil es ansonsten im siebten Jahr diese Obergrenze verletzt

Um die Einhaltung der entsprechenden Grenzen durchzusetzen, braucht es natürlich ein verbindliches Verfahren aus Anreizen und Sanktionen. Analog zum derzeitigen Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU würde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, wenn ein Land bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Das Verfahren würde beginnen, wenn ein Land die kurzfristige Grenze von drei Prozent des BIP verletzt oder die langfristig zulässige Obergrenze von 50 Prozent der Exporterlöse zur Hälfte ausgeschöpft hat. In den genannten Szenarien würde die EU-Kommission einen „Blauen Brief“ verschicken, welcher das Land verpflichtet, sich gegenüber dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament öffentlich dazu zu äußern, wie das Land die Ungleichgewichte abzubauen gedenkt.

Parallel zum Vertragsverletzungsverfahren bietet sich darüber hinaus ein schrittweise eskalierender finanzieller Sanktionsmechanismus an. Ähnlich wie in Keynes‘ Clearing Union sollten bereits kleinere Ungleichgewichte durch eine Besteuerung unattraktiv gemacht werden.

Wenn die EU-Mitgliedsländer ihre Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Steuer- und Strukturpolitik sinnvoll und vorausschauend aufeinander abstimmen, sollte es kein Problem sein, die Grenzwerte der Europäischen Ausgleichsunion einzuhalten und die Notwendigkeit von Vertragsverletzungsverfahren frühzeitig abzuwenden.

Somit würde mit der Umsetzung dieser Maßnahmen auch ein großer Schritt zur weiteren Integration hin zu einem gemeinsamen Europa realisiert. Kommt es dennoch zum Vertragsverletzungsverfahren, so soll der „Blaue Brief“ zugleich einen Anhang mit Vorschlägen enthalten, wie Defizit- und Überschussländer ihre Ungleichgewichte abbauen können. In der anschließenden öffentlichen Stellungnahme muss das Überschuss- bzw. Defizitland dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament einen „außenwirtschaftlichen Ausgleichsplan“ vorlegen und erläutern, welche Maßnahmen es zum Abbau der aufgetretenen Ungleichgewichte ergreifen will. Dabei ist das Land verpflichtet, auf die im Anhang des Blauen Briefes übersandten Vorschläge einzugehen. Nimmt das Land keine oder nur wenige Maßnahmen aus dem Empfehlungskatalog auf, so muss es dies detailliert begründen und erklären, warum die stattdessen gewählten Maßnahmen ebenfalls wirksam sind.

Der Rat und das Parlament müssen mit einfacher Mehrheit bestätigen, dass sie den Ausgleichsplan für tauglich halten. Kommt diese Bestätigung in mindestens einer der beiden Institutionen nicht zustande, muss das Land den Plan überarbeiten und erneut vorstellen.


Was bedeutet das für Deutschland?

Im Interesse einer außenwirtschaftlich stabileren Entwicklung in der EU ist es zweifellos notwendig, sich in Deutschland von der derzeitigen exzessiven Exportausrichtung in Richtung eines stärkeren Fokus auf die Binnennachfrage umzuorientieren. Dazu gehören demnach auch Verschiebungen vom produzierenden Gewerbe hin zu möglichst gut bezahlten und sozial abgesicherten Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor.

Das bedeutet, wir reden über einen langfristigen Strukturwandel, der ähnlich dem Ausstieg aus der Steinkohleförderung, einen langen Atem, eine große Phantasie und eine sehr aktive Strukturpolitik von Seiten aller beteiligten staatlichen (Bund, Länder und Kommunen) und nichtstaatlichen Institutionen (Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände etc.) erfordert.

In diesem Sinne stellt unser Europäischer Außenwirtschaftlicher Ausgleichs- und Stabilitätspakt nichts anderes als eine ins hier und jetzt übertragene internationale Anwendung des nach wie vor gültigen Stabilitätsgesetz von 1967 dar („Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“), in dem die Bundesregierung verpflichtet wird, zur Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts unter anderem wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht beitragen. Auch die Notwendigkeit einer internationalen wirtschaftpolitischen Koordination wurde dort bereits explizit anerkannt.


Literatur

Dullien, Sebastian und Scharzer, Daniela (2009): Die Eurozone braucht einen außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt, SWP-Aktuell 27, Berlin.

Memorandum 2011 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik "Strategien gegen Schuldenbremse, Exportwahn und Eurochaos"