Version Antragsformular: 1.05
Antragsnummer
Einreichungsdatum
Antragstitel
Kundenrechte sind ein Grundrecht freier Bürger!
Antragsteller
Antragstyp
Art des Programmantrags
Antragsgruppe
Verbraucherschutz„Verbraucherschutz“ befindet sich nicht in der Liste (Arbeit und Soziales, Außenpolitik, Bildung und Forschung, Demokratie, Europa, Familie und Gesellschaft, Freiheit und Grundrechte, Internet und Netzpolitik, Gesundheit, Innen- und Rechtspolitik, ...) zulässiger Werte für das Attribut „AntragsgruppePÄA“.
Antragstext
Kundenrechte sind ein Grundrecht freier Bürger
Die Piratenpartei ist die Partei der Grundrechte aller Menschen im umfassenden Sinne. Dazu gehört das Recht auf einen wesentlich umfassenderen Kunden- und Verbraucherschutz, als bislang gesetzlich verankert ist. Zurzeit gibt es leider viele juristisch zulässige Möglichkeiten, irreführende Begrifflichkeiten und Formulierungen in der Werbung bzw. sogar in Vertragstexten zu verwenden; gesundheitsrelevante oder umweltrelevante Produktinhalte grob lückenhaft oder gar irreführend zu kennzeichnen; bei essentiellen Eigenschaften von Finanzprodukten wie Verlustrisiko völlig falsche Tatsachen zu suggerieren; Diagnose- und Therapieverfahren intransparent und interessengeleitet auszuwählen; Portale so zu gestalten, dass sehr leicht unbeabsichtigt ein Vertrag abgeschlossen werden kann; und vieles andere mehr. Millionen Menschen in Deutschland haben mit dem einen oder anderen Punkt schlechte Erfahrungen gemacht oder kennen Fälle aus ihrem Umfeld.
Menschen- und Gesellschaftsbild der Piratenpartei implizieren das Recht auf transparente, nichtirreführende Information und faire, nichtmanipulative Behandlung auch durch Anbieter von Produkten und Dienstleistungen. Verständige, sorgfältig sich informierende, mündige Menschen - nicht nur die juristisch und fachlich versierten Expert(innen) - sollen alle relevanten Aspekte für ihre Entscheidungen mit zumutbarem Aufwand auffinden und verstehen. Insbesondere sollen sie sich auf Aussagen von Anbietern weitgehend verlassen können, was nur gewährleistet ist, wenn die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass der alltäglichen Desinformation und Manipulation deutlich stärker als bisher mit juristischen und politischen Mitteln entgegengewirkt wird.
Antragsbegründung
Prägnant zugespitzt: der Kunde, der systematisch irregeführt und manipuliert wird, kann nicht mündig und selbstbestimmt gemäß dem Ideal der Piratenpartei sein. Daher gehört das Thema zu den Kernthemen der Piratenpartei. Bislang ist es allerdings noch nicht im Programm berücksichtigt.
In welcher Gesellschaft wollen wir leben?
Nicht allein der Staat beschneidet seine Bürger(innen) (inkl. ausländische Mitbürger(innen)) potentiell in ihren Rechten durch Intransparenz, irreführende Information und manipulatives Vorgehen, sondern sogar noch mehr die Wirtschaft, der der Bürger als (End-)kunde gegenübertritt, oftmals in einer sehr schwachen Position.
Daher sind Bürgerrechte gegenüber Wirtschaft und Handel – also Kunden-/Verbraucherschutz –essentiell für wesentliche Ziele der Piratenpartei wie Bürgerrechte und Transparenz. Aber auch die Ziele informationelle Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe sind tangiert, zudem die sozialen Ziele der Piratenpartei, weil insbesondere sozial schwächere und geringer gebildete Bürger häufig irregeführt werden. Nicht zuletzt die Ziele der Piratenpartei zum Thema Umwelt sind intensiv tangiert durch irreführende Werbung mit angeblichen ökologischen Eigenschaften von Produkten.
Letzendlich geht es nicht nur um finanzielle und gesundheitliche Schädigungen, sondern mindestens genauso um das Gesellschaftsbild: Wollen wir, wollen die Piraten weiterhin in einer Gesellschaft leben, in der man sich an die alltägliche und oftmals dreiste Desinformation gewöhnen muss, in der man viel Zeit zur Recherche der tatsächlichen Fakten aufwenden muss und mit dieser Recherche die tatsächlichen Fakten nicht einmal sicher findet? Oder wollen wir eine Gesellschaft, in der man den Aussagen von Anbietern im Großen und Ganzen vertrauen kann, weil Desinformation und Manipulation gesellschaftlich und juristisch nicht toleriert werden?
Alltägliche Beispiele für Desinformation
- Unvollständige Werbeinformationen, und erst im "Kleingedruckten" oder in den "Fußnoten" oder an anderweitig schwer zugänglichen Stellen stehen wichtige Zusatzinformationen zulasten des Kunden. Nur als ein Beispiel für eine Flut von Fällen siehe hier für einen Beitrag zu „Kleingedrucktem“ auf Internetportalen.
- Lockvogelangebote werben mit günstigen Preisen oder Konditionen, und erst sehr spät im Verlauf des Vertragsabschlusses stellt sich heraus (wenn überhaupt), dass man nicht unter die spezielle (meist sehr kleine) Zielgruppe fällt, für die das Angebot wirklich so günstig ist, wie es beworben wird - was einem bei Vertragsabschluss natürlich auch nicht proaktiv gesagt wird, denn es ist ja nicht juristisch zwingend. Zumindest im Bereich Finanzen (Kredite) gibt es hierzu gesetzliche Regelungen, aber eben nur dort und auch nicht unbedingt ausreichend, der einzelne Kreditinteressent kann ein beliebig schlechteres Angebot erhalten, muss dies zunächst einmal realisieren (was ihm der Anbieter nicht immer einfach macht) und dann auch den bis dahin meist schon weitgediehenen Prozess wieder stoppen. Für ganze Produktgattungen wird mit Lockvogelinformationen geworben, die aber natürlich nur die Hälfte der Wahrheit enthalten, bspw. für Bauspardarlehen.
- Die gesetzlichen Informationspflichten zu einem Lebensmittelprodukt gemäß Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung erlauben haarsträubende Desinformation. Damit gemeint sind etwa solche Beispiele wie „Hefeextrakt“ anstelle von „Glutamat“. Ein anderes Beispiel ist das Verstecken des Zuckeranteils hinter mehreren Zwischenprodukten wie „Glukosesyrup“, die alle einen deutlich geringeren prozentualen Anteil am Gesamtprodukt haben und daher weiter hinten in der Zutatenliste stehen dürfen, so dass der Gesamtzuckergehalt völlig unklar wird und das Wort "Zucker" überhaupt nicht mehr auftaucht.
- Werbung für Lebensmittel thematisiert häufig angebliche Gesundheitseigenschaften u.ä. Portale wie foodwatch und abgespeist.de geben einen Eindruck, wie krass die Desinformation ist, und dass Desinformation flächendeckend verbreitet ist. Der goldene Windbeutel ist nur die Spitze des Eisbergs.
- Werbung für technische Produkte streicht häufig Leistungswerte heraus, die dann aber in eher unrealistischen Testsituationen erhoben werden - natürlich sind die Testsituationen immer so gestaltet, dass die Leistungswerte besonders gut aussehen. Teilweise ist die Irreführung sogar normiert, bspw. beim Benzinverbrauch von Autos.
- Finanzberatung:
- Reihenweise scheitern Gerichtsverfahren von Kleinanlegern, die ihren Bankberatern geglaubt haben, dass die Anlage sicher sei (berüchtigstes Beispiel: Lehman-Anleihen), und die sich vom Gericht jetzt sagen lassen müssen, dass Sie dem Berater ihres Vertrauens halt nicht glauben dürfen, sondern sich vor Vertragsabschluss das Expertenwissen von Finanzprofis hätten aneignen sollen. Und noch viel mehr – insbesondere sozial schwächere, ältere – Bürger haben wohl gar nicht erst geklagt, sondern nehmen den Totalverlust ihrer „sicheren“ Geldanlage resigniert hin.
- Dass die Desinformation der Kunden im Bereich Geldanlagen auch nach der 2008er Finanzkrise systematisch weitergeht, dokumentieren Artikel wie dieser.
- Weiteres krasses Beispiel: Würden Interessenten die verschiedenen ernsten Kritikpunkte an der Riester-Rente vorab kennen, würde wohl – zu Recht - kaum noch ein Riester-Vertrag abgeschlossen. Leider sind Finanzberater nicht verpflichtet, auch nur einen dieser Punkte anzusprechen. Finanzberater sind juristisch voll und ganz auf der sicheren Seite, wenn sie nur ewig den angeblichen Vorteil wiederholen: „Damit kassieren Sie Zuschüsse in der-und-der Höhe vom Staat“. Dass diese Zuschüsse dann nicht unbedingt beim Kunden landen, sondern wohl eher irgendwo beim Anbieter versickern, darf der Finanzberater ebenfalls verschweigen.
- Leistungsausschlüsse bei Versicherungen lassen sich vor dem Schadensfall nur extrem mühselig überhaupt in Erfahrung bringen, und die Versicherungsvertreter haben auch keinerlei Interesse daran, dies bei Vertragsabschluss zu thematisieren (und sind auch nicht gesetzlich dazu gezwungen). Umso größer ist dann die Überraschung im Schadensfall, hier ein beispielhafter Beitrag zum Thema Rechtsschutzversicherung.
Alltägliche Beispiele für Manipulation
- Man schließt einen Vertrag ab, ohne es zu bemerken (bspw. „Abofalle“) und muss dann proaktiv dagegen vorgehen mit dem Risiko eines Gerichtsverfahrens mit ungewissem Ausgang. Anbieter vertrauen darauf, dass man sich von dieser Aussicht abschrecken lässt, bzw. sie erhalten auch oft genug Recht, obwohl sie offenkundig das Ziel hatten, den Kunden in die Falle zu locken.
- Zusatzoptionen (bspw. Versicherungen bei Reisen) sind voreingestellt in der Hoffnung, dass der Kunde dies nicht bemerkt und unbeabsichtigt hinzubucht.
- Anschaffungskosten für technische Geräte werden bewusst zu niedrig angesetzt, und dieser niedrige Preis wird stark beworben, dafür sind die Folgekosten um so höher. Bekannte Beispiele sind Drucker/Patronen und Kaffeepadmaschinen/Pads.
- Schnelle Wechsel von Verpackungen, Aufmachungen und Werbebotschaften, die offenkundig keinen anderen Zweck verfolgen als den, Preiserhöhungen zu verschleiern, siehe bspw. hier.
- Systematische Produktsabotage, um die Lebenszeit des technischen Produkts zu verringern.
Eine unüberschaubare Vielzahl von Berichten jeden Tag in allen Medien zeigt die Misere in unserem Land, bspw. Marktmagazine und Ratgebersendungen im TV, es gibt inzwischen sogar schon eine lange Liste von Büchern (bspw. „Der Informationscrash – Wie wir systematisch für dumm verkauft werden“ von Max Otte). Und so weiter… Da die Anbieter solche Strategien hartnäckig und flächendeckend verfolgen, muss man davon ausgehen, dass sie großen Gewinn daraus ziehen, den sich subjektiv mündig fühlenden, aber dennoch permanent entmündigten Bürger auf vielfältige Weise über den Tisch zu ziehen.
Strategische Überlegungen für die Piratenpartei
Selbstverständlich ist die obige inhaltliche Begründung die entscheidende Motivation für diesen Antrag. Darüber hinaus bietet das Thema aber auch strategische Perspektiven für die Piratenpartei:
- Seit langer Zeit vertritt keine Partei dieses Thema mehr ernsthaft und glaubwürdig.
- Dieses Thema fällt in vielerlei Hinsicht in die Kernkompetenz der Piraten und ist wie oben erläutert konform zu ihren wesentlichen Zielen. Die Piraten können also sehr kompetent und glaubwürdig auftreten.
- Dieses Thema spricht praktisch alle Wähler an, also auch diejenigen, denen die anderen Themen der Piratenpartei eher wenig sagen oder die die Piraten dank weiterhin oberflächlicher Medienberichterstattung fälschlich als Spaß-Partei oder Freibier-für-alle-Partei einstufen.
- Dieses Thema kann sowohl sozial als auch wirtschaftsliberal orientierte Wähler ansprechen:
- Häufig sind sozial schwächere, weniger gebildete Bürger die Opfer (insbesondere hochbetagte ältere Mitbürger).
- Wirtschaftsliberalität im wohlverstandenen Sinne setzt gesetzliche Regelungen für Transparenz und Fairness voraus. Es war immer schon Aufgabe des Staats, Rahmenbedingungen für einen transparenten und fairen Markt zu schaffen.
- Das Thema Kunden-/Verbraucherschutz ist besonders gut für den Straßenwahlkampf geeignet. Wohl so ziemlich jedem Bürger, den man am Stand anspricht, werden eigene schlechte Erfahrungen oder krasse Fälle aus seinem Umfeld spontan einfallen, an die die Standbelegschaft sofort anknüpfen kann, um ein intensiveres Gespräch darüber zu beginnen, warum seine persönlichen Erfahrungen sehr viel mit den Zielsetzungen der Piraten zu tun haben.
Die Piraten müssen ihr Programm im Rahmen ihrer Grundsätze von selbstverantwortlicher Freiheit, Transparenz und Bürgerrechten so weiterentwickeln, dass die Piratenpartei auch nach der momentanen Protestwählerwelle - sobald es also wirklich um die Inhalte geht - ansprechend für breite Wählerkreise bleibt. Das Thema dieses Antrags entspricht den Grundsätzen der Piratenpartei und spricht Millionen Betroffene an.
Wie könnte es weitergehen
Beflügelt und legitimiert durch eine Aufnahme des Gesamtthemas in das Grundsatzprogramm, sollte sich eine AG für die Entwicklung konkreter Vorschläge und deren juristisch wasserdichte Aufarbeitung zusammenfinden, ich wäre gerne bereit, mich um das Zustandekommen und Vorankommen der AG zu kümmern. Zumindest folgende Handlungsoptionen sollen diskutiert werden (die Liste ist natürlich offen):
- Sammelklagen nach dem erfolgreichen Vorbild anderer Länder (werden zurzeit in der EU diskutiert).
- Niedrigschwellige Rechtswege nach dem Vorbild anderer Länder, bspw. den australischen Fair Trading Centres.
- Verschärfte Produktkennzeichnungsregeln, insbesondere bei Lebensmitteln und technischen Produkten.
- Pflicht zur transparenteren Kostenstruktur bei Produkten und Verträgen mit Folgekosten, wie sie bspw. der Gesamtkostenrechner des ADAC speziell für Autos anbietet.
Aufarbeitung von Handlungsoptionen
Eine umfangreichere Aufarbeitung von Handlungsoptionen im Bereich Kunden-/Verbraucherschutz, aus der dieser Vorschlag entstanden ist, wächst gerade auf der frei zugänglichen, nichtkommerziellen Plattform www.fundiert-entscheiden.de heran, genauer auf der Themenseite Kunden-/Verbraucherschutz (Navigieren über "Kategorienübersicht"). Die Plattform steht für die Aufarbeitung beliebiger weiterer kontroverser Fragen frei zur Verfügung. Einige Themen (z.B. NPD, Handystrahlung und Finanztransaktionssteuer) konnten schon recht professionell aufbereitet werden, bei vielen anderen Themen sind wir noch nicht soweit. Mitarbeit an der Weiterentwicklung der oben genannten und anderer schon aufbereiteter Themen ist ebenso willkommen wie das Anlegen neuer Themen. (Eine neue, technisch wesentlich bessere Lösung wird in Kürze fertig, in die alle momentanen Inhalte selbstverständlich übernommen werden.)
Die Standardlinks
Liquid Feedback
Piratenpad
Antragsfabrik
Datum der letzten Änderung
Status des Antrags
Geprüft
|