Benutzer:Votan/Neue Atomreaktoren
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Vorab: hier nur Technik - aber bitte nur Fakten
Auch ich will eine sichere, verlässliche und nachhaltige Energieversorgung, deren Abfälle uns bzw. unseren Kindern nicht bitterböse auf die Füße fallen soll.
Entscheidungen möchte ich aber auf belastbare Fakten stellen können, nicht auf unreflektiert von Fans rezitierte Drittmeinungen von Lobbygruppen - dies gilt für beide Seiten der Medallie.
Atomkraft hat als von einem Konzern-Oligopol kontrollierte Großtechnologie mit einer unschönen Geschichte (offene Entsorgungsfrage, unsicher betriebene AKWs) schon vor Betrachtung der Technologie selber so einige (IMHO berechtigte) Minuspunkte. Diese sollen hier aber ausgeklammert werden. Ich will hier erst einmal wissen ob die Technik selber überhaupt tragfähig wäre - Konjunktiv aus dem Bauchgefühl heraus, das ich gerne durch Fakten bestätigen oder falsifizieren würde.
Wer wissenschaftliche Fakten (oder Links/Quellenangaben dazu) beisteuern kann, möge mich gerne kontaktieren. Ich suche derzeit Reaktionsmodelle, -gleichungen und -simulationen zu Konversionsraten in Brenner- und Brüterkonfigurationen hinsichtlich der Transmutation von Abfallprodukten, insbesondere der Transurane.
Auslöser
Die AG Nuklearia schwärmt für eine Renaissance der Atomenergie (im Wesentlichen ein Auszug des entsprechenden Wikipedia-Artikels) - und hat im Design (und auch Namen) der Piratenpartei einen entsprechenden Flyer veröffentlicht.
Leider scheint dort eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema unerwünscht zu sein, Ergänzungen am Wiki werden einfach gelöscht.
Ein Großteil des Flyers ist leider eine unreflektierte, ziemlich einseitige Schwärmerei für unerprobte, teils nichtexistente Technologie - doch immerhin eine Aussage des Flyers kann man voll unterstützen: "MOX-Brennelemente sind kompliziert, unwirtschaftlich, ineffektiv"
Next Generation (Gen-4) Atomreaktoren
Laut Generation IV International Forum könnten die Energie- und Entsorgungsprobleme durch "neue" Reaktortypen und Brutreaktoren gelöst werden. Die meist vorgeschlagenen Brutreatoren würden die Menge verfügbaren Brennmaterials deutlich vergrößern. Vorgeschlagene Technologien sind:
Schnelle Brüter
Schnelle Brüter - erzeugen aus "nutzlosem" Uran238 spaltbares (und waffenfähiges) Plutonium239. Die politische Motivation solcher Reaktoren dürfte offensichtlich sein.
- Gas-Cooled Fast Reactor, GFR - schneller Brüter, "Kühlung" durch Inertgas (Helium), das im Kern extrem erhitzt wird. Dadurch hoher thermischer Wirkungsgrad aber auch nichttriviale Materialprobleme.
- Sodium-Cooled Fast Reactor, SFR/FHR/LFTR - Kühlung durch flüssiges Natrium (das keine Moderatoreigenschaften hat), komplex/teuer: dreifach gestaffelter Natrium/Natrium/Wasser-Kühlkreislauf, Korrosionsprobleme durch Auswaschen von Legierungsmetallen aus Stahlwänden durch flüssiges Natrium, derzeit die verbreiteteste Variante, z.B. auch Schneller Brüter in Kalkar
- Lead-Cooled Fast Reactor, LFR - Blei-Wismut-Schmelze als Kühlmittel(!) muss flüssig bleiben, Korrosionsprobleme durch Auswaschen von Legierungsmetallen aus Stahlwänden durch Schmelze, passiver (und dadurch ausfallsicherer) Primärkreislauf, positiver Voidkoeffizient (kann daher "durchgehen")
Thermische Brüter
Thermische Brüter - basieren auf dem Thorium/Uran233-Kreislauf mit deutlich kürzerer Halbwertszeit der Spaltprodukte (Jahrzehnte statt Jahrzehntausende), was eine Endlagerung deutlich vereinfacht. Das in Raumsonden genutzte, nicht spaltbare Plutonium238 ist ebenfalls ein Abfallprodukt dieses Zyklus.
- Very-High-Temperature Reactor, VHTR - Gaskühlung (analog zum GFR), durch extrem hohe Temperaturen Materialprobleme, brennbarer Graphitmoderator, Kugelhaufen-Design in Praxis nicht beherrschbar z.B. THTR Hamm-Uentrop
- Molten Salt Reactor, MSR/MSFR - Natriumsalz als Kühlmittel+Brennelementträger, dadurch dieselben Korrosionsprobleme wie beim SFR/FHR/LTFR, brennbarer Graphitmoderator, CoolPlug als Passiv-Notabschaltung, kaum erforscht/viel unbekannt
Zusätzlich ist in der Diskussion der u.a. von Bill Gates in einem TED-Talk vorgestellte Laufwellenreaktor, der ein komplexer Sonderfall des natriumgekühlten Brüters ist, besser erklärt in der englischen Wikipedia. Die idealisierte Darstellung, man bräuche nur das Ding in die Erde buddeln und Energie abziehen funktioniert so nicht - der Management-Aufwand zum Beibehalten der "Welle" (insbesondere bei der "standing wave"-Konfiguration ist deutlich nichttrivial. Zudem existiert hier bisher nur eine Simulation. Und dann wird die Idee, den Reaktor nach Verbrauch der Brennelemente einfach im Erdboden zu lassen, selbst bei glühenden Befürwortern der Thorium-Reaktoren kritisch gesehen - vorsichtig formuliert. Von einer Natrium-Flüssigschmelze umgebener Nuklearmüll in feuchtem Erdreich ist ein sicherheitstechnischer Alptraum.
AKWs ohne Brutreaktion
- Super-Critical Water-Cooled Reactor, SCWR - kein Brüter, durch Wasserdampfgas gekühlt, durch hohen Druck (>250bar) und hohe Dampftemperatur höherer Wirkungsgrad aber materialtechnisch problematisch, kontaminierte und damit kaum wartbare Turbine, teils positiver Voidkoeffizient (kann daher "durchgehen")
Machbarkeitsanalyse
Seit 1946 sind erst rund 20 Brutreaktoren gebaut und betrieben worden - zumeist Testreaktoren. Aktuell sind noch 4 davon prinzipiell in Betrieb, wenn sie nicht gerade auf Grund von (meist Material-) Problemen abgeschaltet sind.
Bei fast allen je gebauten Brutreaktoren handelt es sich um schnelle Brüter mit Plutonium-Kreislauf, was vermutlich überwiegend aus politisch-militärischen Gründen so entschieden wurde.
Warum die Nuklearia sich auf die beiden Natrium(salz)-gekühlten Varianten versteift, ist mir nicht ganz klar. Mit den schnellen Brütern ändert sich am Waffen-/Missbrauchspotential, und dem weiterhin problematischen Atommüll im Vergleich zu konventionellen AKWs gar nichts.
Die thermischen Brüter auf Thorium-Zyklus versprechen Vorteile, vor allem größere vorhandene Brennstoffmengen und handhabbarere Spaltabfälle. Die derzeit gehypten Flüssigsalzreaktoren (thermische Brüter) sind allerdings zuletzt in den 60er Jahren betrieben und erforscht worden. Aktuell existiert keine funktionsfähige Thorium-basierte Brütertechnik.
Bis zur Nutzbarkeit gibt es noch einige Probleme zu lösen
- hohe Temperaturen => Materialprobleme
- geschmolzene Natriumsalze => aggressiv, lösen Metalle aus Stahllegierungen, Materialprobleme
- Kühlmittel Alkalimetalle und -salze => hochreaktiv bei Kontakt mit Wasser (und sei es auch Luftfeuchtigkeit), was einen Wasser-Wärmetauscher kritisch macht und schon mehrfach zu Unfällen und Explosionen führte (u.a. in Monju und Kalkar)
- Durch Spaltungsprozesse wird aus Lithium Fluorwasserstoff (Flusssäure, H-F) erzeugt, was weitere Korrosion erzeugt.
An diesen Problemen wird seit über 60 Jahren ohne rechten Erfolg geforscht, doch die Nulkearia Diskussion:AG_Nuklearia#Zuk.C3.BCnftige_Reaktordesigns "will nichts von Problemen hören." (HubertusP). Das meinungsführende "Generation IV International Forum" schlägt als Lösung "innovative materials" vor, derzeit Unobtanium.
Aktuell wird in China wieder angefangen, Forschungsbrüter aufzubauen. Die Technik soll "in 30 Jahren" nutzbar sein. Ähnliches verspricht die Kernfusion auch schon seit ebensoviel Jahren...
Kurz: Eine Beherrschbarkeit ist derzeit nicht absehbar.
Mythos Transmutation
Transmutation klingt erst einmal klasse: radioaktives Abfall-Material mit Neutronen beschießen, um es in kurzlebige Elemente zu verwandeln, mit denen sich das Endlagerproblem schnell erledigt.
Ein Problem dabei ist, dass nur das jeweils geeignete Material mit den passenden Neutronen (Geschwindigkeitsanpassung) beschossen werden sollte. Denn wenn (noch) nicht radioaktives Material mit Neutronen beschossen wird, kann so strahlendes Material erst erzeugt werden.
Für eine erfolgreiche Transmutation muss sämtliches Material erst einmal aufbereitet werden. Das bedeutet, strahlendes/radioaktives Material muss von noch nicht strahlendem getrennt werden - möglichst atomgenau. Sämtliches beim AKW eingesetzte und belastete Material müsste in seine Elemente (Rein-Elemente, nicht nur Moleküle) zerlegt und nach deren Isotopen aufgeteilt werden. Das ist schon alleine für Uran zur Brennstoffwiederaufbereitung aufwändig genug (sonst wäre z.B. der Iran schon viel weiter mit seiner Atomforschung) - für sämtliche anfallenden Abfallstoffe ist das illusorisch und von der Energiebilanz her praktisch nicht machbar: die vollständige Entsorgung per Transmutation würde deutlich mehr Energie auffressen als durch die AKWs erzeugt würde.
Außerdem wird für eine Transmutation eine Neutronenquelle benötigt, also ein AKW, das besonders viele Neutronen erzeugt - möglichst in den benötigten Geschwindigkeiten. Dummerweise bedeuten viele Neutronen auch viel radioaktive Verseuchung des Reaktor-Baumaterials...
Kurz: Transmutation ist ein schöner Begriff, aber praktisch nur für das Erbrüten von Brennstoff sinnvoll nutzbar. Und genau in diesem Sinne wird der Begriff "Transmutation" auch in den meisten (englischen) Fachberichten verwendet.
Quellen:
- "Nuclear Wastes: Technologies for Separations and Transmutation" (1996) Commission on Geosciences, Environment and Resources (CGER) - http://www.nap.edu/openbook.php?record_id=4912&page=49
- "Physics and Safety of Transmutation Systems", OECD, NEA No. 6090, ISBN 92-64-01082-3 - www.oecd-nea.org/science/docs/pubs/nea6090-transmutation.pdf
PS:
- Pyroprocessing - ist eigentlich nur eine Multielement-Schmelzelektrolyse, die eine vereinfachte Elementetrennung und höhere Plutonium-Konzentrierung erreicht http://www.osti.gov/bridge/purl.cover.jsp?purl=/10185588-Su5o1L/10185588.pdf
fragliche Einsparung von Klimagasen
Wenn man nicht die alten Reaktoren weiterverwenden will, die zum nicht unbeträchtlichen Teil schon über die unsprünglich ausgelegte Lebenszeit hinaus betrieben werden, müssen neue gebaut werden. Dieser Bau benötigt aber dermaßen viel Energie, dass der CO2-Ausstoß in den ersten Jahr(zehnt)en erst einmal steigt. Theoretisch würde dieser nach ein paar Jahrzehnten dann sinken - wenn Abbau und Entsorgung nicht vom anderen Ende des Lebenszyklus her an der Bilanz knabbern würden. Und dann ist da noch die eingeschränkte Lebensdauer durch die hohe Materialbelastung - schon bei konventionellen AKWs.
Kurz: Insgesamt ist daher fraglich, ob AKWs überhaupt CO2 einsparen können.
Quelle:
- "Thermodynamic limitations to nuclear energy deployment as a greenhouse gas mitigation technology", Joshua M. Pearce, Int. J. Nuclear Governance, Economy and Ecology, Vol. 2, No. 1., pp.113-130, 2008. (PDF) - http://me.queensu.ca/People/Pearce/files/as15.pdf
Nützliche Links
- JANIS-Datenbank der OECD Nuclear Energy Agency: Isotopdaten, Zerfallsreihen, Kollisionsquerschnitte, etc.
- natürliche Zerfallsreihen - zur schnellen Übersicht: was sind Abfallbrodukte, was wird bei Neutroneneinfang zu was