Benutzer:Etz/Themen Staat und Religion

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche
Tango-text-x-generic with pencil.svg Dieser Artikel ist keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland, sondern hier findet/fand eine offene Diskussion des Themas statt.

Wenn Du meinst, diese Idee erweitern zu können, tu es, aber bitte beachte die Diskussionsregeln. Ist die Idee tragfähig und mehr als eine Einzelmeinung, so kann man das Ganze auch als Entwurf kennzeichnen.

Themenfeld Staat und Religion

Warum ist das ein piratisches Thema?

  • Es geht um die Freiheit - um einen durchaus zentralen Aspekt von Freiheit! Damit ist nicht nur die Freiheit zur Religionsausübung gemeint, sondern auch die Freiheit von religiöser Bevormundung.
  • Und es geht um die Gleichheit - um die Gleichheit der gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten verschiedener religiöser und weltanschaulicher Auffassungen, die nicht von Staats wegen diskriminiert oder bevorzugt werden dürfen.
  • Und es geht um die Brüderlichkeit - denn ganz oft erwächst die Verpflichtung zu solidarischem Verhalten der Individuen in einer Gesellschaft aus einem individuell-religiösen Selbstverständnis.

Warum gibt es Religionen in menschlichen Gesellschaften?

Zunächst hatte Religion die Aufgabe, Erklärungen zu geben für Fragen und (Natur-)Phänomene, die den Menschen anders nicht erklärlich schienen: das Wunder von Tag und Nacht war so das Wirken des Sonnengottes, für die Unbilden des Wetters war ein Gott mit Donnerkeilen verantwortlich, Jagdglück erbat man bei speziellen Gottheiten und auch den Erfolg beim Ackerbau. Mit dem Fortschritt der Naturwissenschaften verlor diese Aufgabe an Bedeutung. Heute ist davon übrig geblieben, dass viele Menschen Erklärung und Trost in Fragen von Lebenssinn, Leiden und Tod aus einer individuell-religiösen Einstellung ziehen.

Eine zweite Aufgabe der Religion besteht in der Definition von Regeln für das Zusammenleben in der Gesellschaft. "Du sollst nicht morden," erklärt sich so und das Ergebnis ist ein Gerüst ethischer Prinzipien, die für menschliche Gemeinschaften fundamental und überlebensnotwendig sind. Dieser ethische Kanon ist nicht allein religiös fundierbar, doch auch die säkulare Ethik ist aus ursprünglich religiösen Vorstellungen entstanden und abgeleitet. Diese Aufgabe von Religion ist positiv. Versuche, aus den ethischen Kernen der verschiedenen Religionen gleichsam eine "Weltethik" (Hans Küng) abzuleiten, verdient im Grundsatz Unterstützung.

Doch es gibt auch eine negative Seite der Religionen: Religion ist immer auch Leitfaden, zwischen "wir" und "die da" zu unterscheiden. Und damit kann es mörderisch werden, denn "die da" sind selbstverständlich weniger wert, sie glauben ja nicht an die richtigen Götter, folgen nicht den richtigen Ritualen. "Die da" kann man mit Bibel und Schwert missionieren (oder mit Koran und Krummsäbel) - oder man kann sie ganz einfach verachten und ausgrenzen - allenfalls als Arbeitssklaven dulden. Dabei haben polytheistische Religionen den Vorteil, andere Götter leichter in die eigene Götterwelt aufnehmen zu können als eine monotheistische Religion mit Alleinseligmachungs-Anspruch.

Auch religiös überhöhte, ursprünglich ganz praktische Lebensregeln (etwa zur Hygiene) können so zum Schwert im Religionskampf werden.

Das Spannungsfeld zwischen Staat und Religion

 (Mir scheint es wichtig, zwischen individueller Religiosität und
 organisierter Religiosität - z.B. Kirchen und Glaubensgemeinschaften - zu
 unterscheiden. So muss man den Wunsch eines Schülers, in Unterrichtspausen
 Platz für individuelle Gebete zu finden, unterscheiden von der Bereitstellung
 von eigens gestalteten Gebetsräumen, der regelhaft vorgesehenen Anbringung
 religiöser Symbole in Klassenzimmern oder einer demonstrativen religiösen
 Kleidung von Lehrkräften an staatlichen Schulen. --etz)

Trotz der von Verfassungs wegen garantierten Religionsfreiheit ist das Staatswesen der Bundesrepublik nicht frei von religiöser (und weltlicher) Privilegierung der traditionellen christlichen Kirchen. Hier gibt es eine Idealkonkurrenz, die durch Immigration und religiöse Differenzierung in der Gesellschaft zu größeren Verwerfungen führen kann.

Das Spannungsfeld ergibt sich im Bereich von überkommener staatlicher Alimentierung, der staatlichen Beitragseinziehung für Glaubensgemeinschaften (Kirchensteuer) über konfessionsgebundenen Schulpflicht-Unterricht, konfessionsgebundene Schulen oder die Militärseelsorge bis zu den Relikten des 19. Jahrhunderts (Säkularisierung und Subsidiaritätsprinzip): Aufgrund der vereinbarten Subsidiarität tritt der Staat als Anbieter gesellschaftlicher Dienstleistungen (von der Kinderbetreuung über die Krankenversorgung bis zur Sterbebegleitung) hinter die Angebote religiös bzw. weltanschaulich fundierter Träger (nur teilweise auch laizistischer Träger - Rotes Kreuz) zurück.

In diesem Spannungsfeld entstehen Formen religiöser Bevormundung, wenn etwa aufgrund regionaler politischer Priorisierung religions- und konfessionsfreie Angebote gar nicht unterbreitet werden. Das kann auch Ausdruck gezielter politischer Diskriminierung sein - zum Beispiel im Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung.

Im einzelnen:

  • Konfliktfeld Kirchensteuer: Die geltende Rechtslage erlaubt einzelnen Religionsgemeinschaften den Einzug ihrer Mitgliedsbeiträge per Staatsinkasso. Dazu muss der Staat die Religionszugehörigkeit erfassen, was unter dem Gesichtspunkt der Datenvermeidung jedenfalls hinterfragt werden kann. Um in den Genuss des geltenden Staatsinkassos zu gelangen, muss die Religionsgemeinschaft überdies formelle Anforderungen erfüllen, die vielleicht im Eigenverständnis der Religion selbst als fragwürdig erscheinen kann. So bleibt es eine Privilegierung derjenigen Religionsgemeinschaften, die am Staatsinkasso teilnehmen (können), und eine Diskriminierung derer, die aus welchen Gründen auch immer daran gehindert sind.
  • Konfliktfeld Schule: In der Bundesrepublik gibt es derzeit zwei Varianten des Religionsunterrichts: Bundesländer, die die Bremer Klausel des Grundgesetzes in Anspruch nehmen, bieten konfessionellen Religionsunterricht neben dem staatlichen Fächerkanon an, die anderen kennen konfessionsgebundenen Unterricht als Bestandteil des verbindlichen Unterrichtsplans mit versetzungsrelevanten Zensuren. In einer religiös pluraleren Gesellschaft erscheint es indes notwendig, eine gemeinschaftliche Vergewisserung über die ethischen Grundlagen des Zusammenlebens in Staat und Gesellschaft zu erreichen. Für diese Selbstvergewisserung ist das Zusammentreffen von religiösen und säkularen/laizistischen Schülern eine zwingende Voraussetzung. Die Segregation in konfessionsgebundene Wahl(-pflicht-)fächer verhindert eine gesamtgesellschaftliche Selbstvergewisserung in ethischen Fragen.
    • Eine neue Konfliktvariante ergibt sich aus innerschulischen Erfordernissen, Platz für individuell-religiöse Rituale einzuräumen. Die tageszeitliche Gebetspflicht kann individuell-religiös zu der Notwendigkeit führen, etwa in Schulpausen einen Ort für solche Gebete anzubieten - die Bandbreite reicht von einer Ecke im Klassenraum etwa zum Ausrollen eines Gebetsteppichs bis zu einer das individuell-religiöse Gebetsbedürfnis sprengenden Gestaltung von eigenen Gebetsräumen oder Schulkapellen.
  • Konfliktfeld religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen: Die Debatten über religiöse Symbole in Gerichtssälen, öffentlichen Gebäuden oder Klassenzimmern sind hinlänglich dokumentiert. Gleichermaßen die Konflikte um religiöse Kleidung oder Accessoires, wobei hier unterschieden werden sollte zwischen Funktionsträgern und Besuchern, bzw. Schülern. Bei Schmuck und Kleidungsaccessoires ist auch die Prägnanz und Aufdringlichkeit zu beachten.
  • Konfliktfeld religiöse Betreuung in staatlichen Institutionen: (z.B. Militärseelsorge, Schulpfarrer, Krankenhausseelsorge etc.)
  • Konfliktfeld soziale Einrichtungen und Angebote: Konflikt zwischen subsidiaren Angeboten und dadurch ggf. entstehendem Mangel an regional verfügbaren konfessionsfreien Angeboten in der gesamten Palette der sozialen Einrichtungen von der Kinderkrippe über Krankenhäuser, sozialen Beratungsdiensten bis hin zu Pflichtberatungsstellen (z.B. Schwangerschaftskonflikte).
  • Konfliktfeld Stadtgestalt und -planung: Streit um allgemein sichtbare Versammlungsorte für religiöse Minderheiten - traditionell in der Verbannung etwa von Synagogen in die Blockinnenbereiche, aktuell im "Minarett-Verbot".
  • Konfliktfeld gesellschaftliches Zusammenleben: BVerfGE zur Sonntagsruhe; Freiheit der Religionen zu religionsspezifischem Einwirken auf das öffentliche Leben (Muezzin-Rufe, Glockenläuten, religiöse Prozessionen); selektive religiöse Feiern zu Staatsfeiertagen, Übertragung von religiösen Feiern im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk und Fernsehen.

--etz 20:20 Uhr (MEZ) 2009-12-07

Hinweise und Links