Benutzer:Bzapf/Bildung/Texte/Die Versammlung als Grundlage der Bildung

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Es scheint offensichtlich, dass eine Übertragung von Informationen von Mensch zu Mensch notwendig für "lernen" ist und mithin für "Bildung". Das Medium der Übertragung definiert hierbei manchmal Modalitäten. Um Sprache zu hören, muss man sich in der Nähe eines anderen befinden. Schriften hingegen können aufbewahrt werden, im Fall der Tafel für kurze Zeit, im Fall des Buchs für längere Zeit. Diese Modalitäten sollen in dieser Betrachtung keine Rolle spielen.

"Lernen" ist eine erkennbare, in der Betrachtung begründete Änderung des Verhaltens eines Menschen. Wichtig ist, dass die Kausalität eines solchen Lernvorgangs manchmal sehr elementar beurteilt werden kann.

Gehen wir von einem Atom von Information aus, das wir A nennen wollen. A ist der Lehrplaninhalt, der Sinn der Rede eines Lehrers, ein Gedicht oder ein physikalisches Gesetz. Ich möchte im Sinne des Beispiels annehmen, dass dieses Atom darstellbar und unverwechselbar ist. In diesem Sinne ist selbst die Form des Buchstabens "A" ein Atom von Information, das gelernt werden kann, vergessen, repräsentiert usw.

Gehen wir von einer "offenen Welt" aus. In dieser Welt gibt es unzählige solcher Atome. Lassen wir die "Wichtigkeit" und überhaupt den genauen Inhalt eines solchen Atoms für einen Augenblick ausser acht. Lassen wir vor allem auch die Wechselbeziehung zwischen Atomen ausser acht. Ein Atom in diesem Sinne kann unabhängig von Voraussetzungen gelernt werden. Als derart isoliertes Beispiel könnte man die Form eines chinesischen Zeichens als Inhalt wählen.

Selbstverständlich ist die Wechselbeziehung in der Realität einer jeden Schule elementar - ohne die deutsche Sprache zu kennen und das Alphabet, das zu ihrer Wiedergabe verwendet wird, wird man beispielsweise diesen Text nicht lesen können, und so kein einziges Atom "aus ihm heraus" lernen können.

Bildung entsteht anscheinend, indem eine bestimmte Menge von Informationen gelernt wird, in einer Prüfung wiedergegeben wird. In einer Prüfung stellt der Prüfling die gesuchte Information dar, der Prüfer vergleicht sie mit einer Vorlage und beurteilt die Übereinstimmung. Die Vorlage des Prüfers besteht sehr häufig aus einem großen Vorrat von Wissen in dessen Kopf.

Je nach Natur des Atoms (und auch nach der Natur seiner Darstellung) kann die Übereinstimmung deutlicher oder undeutlicher geprüft werden. Für diese Betrachtung ist nur wichtig, dass während des Vergleichs von Atomen Fehler gemacht können, also eine Störung auftritt.

Woher soll der Prüfling aber das Atom bekommen? In der "offenen Welt" ist alles Rauschen: es gibt beliebig viele Atome, und diese sehen auf den ersten Blick alle gleich aus. Vor allem über die Nachhaltigkeit, die Nützlichkeit eines Atoms kann man im Augenblick des Erkennens nichts sagen. Wenn ich jetzt in diesem Text beispielsweise


会议


präsentiere, dürfte wohl jeder Leser sich sicher sein, dass er mit genug Übung diese lernen könnte, also den Pinselschwung ausführen, der nötig ist, diese chinesichen Zeichen wiederzugeben, oder die Befehle, die nötig sind, sie zu kodieren - was ich eben getan habe.

Wir sind uns sicher, dass es ähnlich wie diese Symbole hunderte, tausende weitere gibt, die in ihrer Gesamtheit die chinesische Sprache wiedergeben können. Das heißt, für uns wären diese Symbole unnütz, da wir nicht in einem Kontext leben und kommunizieren, in dem sie bekannt sind. In China hingegen würden diese Symbole verstanden, und wir würden einsehen, warum man sie reproduzieren können müsste, und hätten auch sonst viel bessere Voraussetzungen, sie zu lernen. Die Notwendigkeit ergibt sich, das Schulsystem ist darauf angepasst, solche Zeichen zu vermitteln usw. Für uns ist es schwieriger, diese Zeichen zu lernen.

Dennoch könnte man im Sinne des Beispiels diese Zeichen jemandem beibrigen, diese Zeichen lernen, wiedergeben und so also den Grundbaustein des Lernens darstellen: Ich hätte dann diese Atome vermittelt.

Nicht interessieren soll uns im übrigen die Dauerhaftigkeit der Speicherung. Uns allen ist klar, dass ich diese Atome jetzt im Sinne des Beispiels reproduziert habe, kaum eine Absicht verspüre, sie zu lernen, und auch nicht ernsthaft nahelegen möchte, diese Symbole zu lernen. Dass nicht alle Atome aus einem solchen Bildchen bestehen, sollte hier selbstverständlich sein. Auch eine bestimmte Methode zur mechanischen Bearbeitung von Oberflächen, "hobeln" etwa, und die damit verbundenen Bewegungen und Strategien kann in unserem Sinne ein Atom sein, auch "die englische Sprache" könnte in diesem Sinne ein Atom sein - ein extremer Fall, zugegeben.

Zuerst werden diese Atome jetzt mit dem Medium "Computer" bzw. "Internet" repliziert, später dann auf einem Bildschirm angezeigt oder auf Papier wiedergegeben. Wir wollen für den Augenblick sicher sein, dass das alles funktioniert - dann wurden sozusagen in meinem Auftrag chinesische Zeichen produziert, und wenn ich mir sicher sein will, dass Kommunikation funktioniert, muss ich davon ausgehen, dass der Empfang und die Darstellung funktioniert hat. Hat jetzt ein Leser nicht den erforderlichen Zeichensatz auf seinem Computer, wird er dort oben irgend etwas anderes sehen - nicht aber die beiden chinesischen Zeichen. Dieses "etwas anderes" sind Inhalte der "offenen Welt" - eben das, was der Computer anzeigt, wenn er das Zeichen nicht findet. Im guten Fall zeigt er einige Ziffern an. Das wäre für mich ein guter Fall, weil die Ziffern wenigstens erkennbare und repräsentierbare Informationen sind, mit denen ich suchen könnte, welches Zeichen wohl gemeint war. Im einem schlechteren Fall bildet der Computer alle unbekannten Zeichen auf Rechtecke oder Fragezeichen ab. Dann kann ich das nicht mehr. Im schlechtesten Fall stürzt der Computer ab (eine arabische Zeichenkette bringt Computer mit dem Betriebssystem "OS X" zum abschluss, vgl. [1]).

Egal, wie das Symbol nun übermittelt wurde, es hat eine Übertragung von Informationen stattgefunden und, wenn jemand lernt, es wiederzugeben, eine Art von Lernvorgang. In meinem Fall habe ich meinen Computer lernen lassen, habe ihn verwendet, Informationen zu speichern, die ich nur unvollkommen selber wiedergeben kann, kann mich mehr oder minder gut darauf verlassen, dass empfangende Computer ausgestattet sind, dieses Zeichen wiederzugeben usw. Einig sind wir uns, dass da zwei bestimmte Zeichen stehen, dass diese eine bestimmte Form haben, dass sie repräsentiert und verglichen werden können.

In einer (chinesischen) Schule könnte jemand das Symbol an die Tafel schreiben, es aussprechen, es mit anderen kombinieren, es verwenden, mit anderen darüber reden, was es bedeutet usw. In diesem Fall ist das Atom selber verhältnismäßig einfach - jedenfalls im Vergleich zu "die englische Sprache". Jedenfalls ist es übermittelt worden, möglicherweise sogar von anderen gelernt, und es kann jetzt verwendet werden, in einer Versammlung über den Begriff zu diskutieren.

Um ein solches Atom zu übertragen, ist jedenfalls eine Versammlung unbedingt nötig, wenigstens in einer sehr weiten Definition von Versammlung. Einer der Teilnehmer präsentiert ein Symbol, die anderen greifen es auf oder lassen das eben bleiben. Möglicherweise ist das Atom selber unklar, kann also nicht genau erkannt werden, nicht (vollständig oder sicher) verglichen oder auch nicht vollständig wiedergegeben werden. Ob jene, die sich versammlen, am selben Ort oder zur selben Zeit sind, scheint für den Begriff keine Rolle zu spielen.

Die chinesischen Zeichen oben lassen sich vollständig erklären, die Pinselstriche, sie zu zeichnen sind (chinesen) bekannt. Technische Unvollkommenheiten ausser acht, kann ich sie produzieren, in eine Versammlung bringen und auf der Ebene der physischen Repräsentation in einem Computer oder auf Papier darüber reden. Ich habe hier chinesische Zeichen verwendet, um zu abstrahieren vom Begriff.

Wenn ich den entsprechenden deutschen Begriff "Versammlung" verwende, können wir an diesem uns bekannten Symbol arbeiten. Wir können seine Definition hinterfragen: Was ist eine Versammlung? Verstehen chinesen darunter dasselbe wie wir? Wie bekommt man eine, was ist keine? In solchen Diskussionen verbergen sich oft interessante Hintergründe. Warum will etwa jemand eine Gruppe von Menschen nicht Versammlung nennen?

Jedenfalls sollte irgendwann klar werden, was eine "Versammlung" ist. Man sagt, man habe "den Begriff definiert". Damit stellt man sicher, dass jeder unter diesem Begriff dasselbe versteht. In der Diskussion neulich habe ich die folgende Definition verwendet: Wo mehrere Menschen sich aufhalten und potentiell Nachrichten austauschen können, besteht während dieser Zeit eine Versammlung. Diese Definition ist ziemlich weit.

Ich möchte jetzt nicht unterstellen, dass andere Menschen das ähnlich sehen könnten. Ich gehe einzig davon aus, dass eine Definition des Begriffs im Notfall verfügbar oder ermittelbar wäre. Diesen Begriff kann man jetzt mit anderen in Beziehung setzen, etwa mit jenem des Rechts oder der der "Versammlungsfreiheit".

Selbstverständlich ist das ein durch und durch fundamentalistischer Ansatz. Wenn ein Begriff nicht hinterfragt wird, ist alles in Ordnung. Wenn Teilnehmer an einer Versammlung eine Diskrepanz in einem Begriff bemerken, sollten sie versuchen, den Begriff zu definieren.

Vor allem, wenn der Zusammenhang verloren geht, wenn etwa jemand sagt: "ja, du gehst von X aus, aber das ist einfach nicht der Fall" - in diesem Fall geschehen - dann liegt häufig ein Problem der Definition zugrunde.

In jedem Fall aber kommt es während des Versuchs, Informationen zu übermitteln ("Die Definition des Begriffs X" ist also auch ein Atom - eines, das vom hier X genannten Atom abweicht), zu zahllosen Reproduktions-, Erkennungs- und Vergleichsvorgängen. Ein "fehlgeschlagener Vergleich", also, das Bemerken eines Unterschieds, ruft oft Erregung hervor und führt zu Rückfragen. "meinst du etwa X?", "warum sagst Du hier X?" etc.

Man muss davon ausgehen, dass Regeln einer Diskussion auch Atome sind, die gelernt werden können. Wenn etwa klar ist, dass für Handlung X Sanktion Y erfolgt, wird man Handlung X vermeiden, wenn man die Sanktion vermeiden will. Wenn ein Teilnehmer immer wieder kritisiert wird, könnte der daraus lernen, seine Beiträge zu unterlassen. Er könnte aber auch der Kritik begegnen. Definitionen sollten in einer Diskussion höchste Priorität haben, wenn ein Teilnehmer Zweifel an einer solchen anmeldet. Die Regeln der Diskussion sollten die nächsthöhere Priorität haben.

Eine Diskussion kann wohl in vielen Formen stattfinden - zeitversetzt, zeitgleich, mündlich, schriftlich. Jedenfalls setzt sie eine Versammlung anscheinend zwingend voraus. Ohne Versammlung keine Diskussion. Selbst, wenn die einzelnen Atome im Abstand von Jahren vorgebracht werden, handelt es sich im Sinne der oben genannten Definition um eine Versammlung. Das passt zu der weiten Definition von "Atom".

Große Ähnlichkeit besteht jedenfalls zwischen der so definierten Versammlung und einer ganz normalen Schulstunde. Es handelt sich bei einer Schulstunde anscheinend um eine Versammlung, die zu dem Zweck veranstaltet wird, Informationen zu übermitteln.

Starker Widerstand wurde sichtbar, als ich versuchte, den Begriff so zu verstehen, wie meine Sprache mir nahelegt, da der Begriff der "Versammlung" wegen des Grundgesetzes mit sich brächte, dass die Teilnehmer der Versammlung eben die Freiheit haben, teilzunehmen oder nicht, oder an einer anderen Versammlung teilzunehmen. Es werden da sehr deutliche Widersprüche erkennbar zwischen diesem Konzept Schulstunde und dem Konzept der Versammlung.

Ich verstehe diesen Widerstand als Lob, da es selten zuvor möglich war, einen solchen Widerspruch so deutlich darzustellen.

Ich halte die Versammlung in der hier definierten Form für die kausale Grundlage fast aller Bildung. Glücklich ist in diesen Zeiten, wer ein Atom entdeckt, das unbekannt, schlüssig und darstellbar ist. Und noch glücklicher ist er, wenn dieses Atom nicht von einer bestimmten Kultur abhängt. Die meisten Leute, die solche Neuheiten finden, verbreiten sie.