Benutzer:Bzapf/Bildung/Gleitzeitschule/4

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Wo die Gewalt rechtfertigbar ist, da wird sie zu Recht, vielleicht zu Macht. Da ist sie eben die ultima Ratio, zu der sie erklärt wird. Andernorts liegt der böse Schein der Willkür auf ihr. Dieses Prinzip begreifen manche recht früh, manche sogar schon im Schüleralter.

In der Hierarchie einer Schule mit der kommunikativen Doppelbindung eines jeden Teilnehmers wird Eskalation eines Sachverhalts durch bloße Mitteilung schnell unmöglich, wird "Omerta", das Gebot des Schweigens, zum Daseinsprinzip für die Nichtprivilegierten.

Lehrer deuten dieses Schweigen als Leistungsverweigerung ("Faulheit") und zementieren damit den niederen offiziellen Rang des schweigenden durch ranghohe Bestätigung und schließen damit den Teufelskreis der Selbstbestätigung von Hierarchie.

Körperliche Gewalt ist unter Jugendlichen ein gängiges Mittel der Auseinandersetzung, ebenso wie die Vermeidung der Verantwortung dafür. Sie stehen hierin Erwachsenen in nichts nach, ja übertreffen diese sogar. In einer Dunkelfeldstudie aus dem Jahre 2008 gab etwa jeder sechste Schüler an, in den letzten 12 Monaten wenigstens einmal Opfer von Gewalt geworden zu sein [1]. Zum Vergleich: Die Polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2010 [2] erwähnt etwa 200.000 angezeigte Straftaten - also eine Inzidenz von etwa 0.25%. Ferner werden dort 35.000 jugendliche Tatverdächtige Angeführt, was zusammen mit [1] auf eine extreme Dunkelziffer der polizeilichen Behandlung von Jugendgewalt schließen läßt.

Es entspricht auch der Alltagserfahrung, dass Schulgewalt als "Lehrersache" bezeichnet wird. Dem Lehrer wird durch seine Aufsichtspflicht die Verantwortung, Gewalt zu unterbinden, aufgebürdet. Diese lehnt er in der Regel ab, wovon sich der aufmerksame Leser überzeugen kann: gefragt, stellen Lehrer in der Regel in Abrede, die in [1] erhobenen Umstände seien auch nur glaubhaft. In der Regel wird die angeblich niedersächsische Herkunft eines Coautors dieser Studie, Christian Pfeiffer, von Lehrern für die Natur der erhobenen Daten verantwortlich gemacht, trotzdem ein Kausalzusammenhang ausgeschlossen erscheint.

Während also Gewalt von Lehrern als "Nichtthema" marginalisiert wird und von Schülern im Geheimen praktiziert, dient sie gleichzeitig den stärkeren Schülern als Mittel zur Fixierung der Hierarchie: das Gesetz der Straße kennt viele Strafen für das Hierarchievergehen, die beliebteste davon ist körperliche Gewalt im geheimen, und diese wird nach wie vor praktiziert, darf aber im Unterricht nicht rational behandelt werden und der Umgang mit ihr ist - ebenso wie der mit der Machtfrage - offensichtlich nur in Ausnahmefällen der Gegenstand von Pädagogik oder Teil der Ausbildung von Lehrern.

Hier wird offensichtlich erwartet, dass Schüler, die in der Regel schon mit den Randbedingungen von Schule überfordert sind, die bewährten Regeln zum Umgang mit Gewalt durch Osmose lernen, also ohne Mitteilung aus dem Verhalten ihrer Mitschüler, dem der Lehrer (die sich in einer kollossal anderen Situation befinden) und dem ihrer Eltern erschließen. Mit etwas Glück erhalten Schüler Zugang zu Regelwerken der Erwachsenenwelt (GG, StGB, StPO etc.) - dessen direkte Anwendung ihnen verunmöglicht ist, die aber leicht verständliche Hinweise auf mögliche Lösungen enthalten. Ob oder ab welchem Alter Schüler in der Lage sind, diese Lösungen unverändert anzuwenden, sollte durchaus diskutiert werden.

Diese Tatsachen sollten nicht nur mit einer Ex-Cathedra-"Stichalter"-Reglung gewürdigt werden. Es ist nämlich zu beobachten, dass die jetzige Stichalter-Reglung ("Strafmündigkeit" ab dem Alter von 14) von Schülern mit hoher Auffassungsgabe ausgenutzt wird und diese bis zu diesem Stichalter scheinbar zu willkürlicher und unkontrollierbarer Gewalt berechtigt.

Dies alles soll nicht bedeuten, dass Gewalt niemals berechtigt ist, es soll nur das Ausmaß und die Folgen der unberechtigten Gewalt verdeutlichen. Berechtigte Gewalt bleibt nach wie vor berechtigt und das einzige Mittel zur Verhütung noch schlimmerer Folgen.

Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang auch zwischen Aggression und Gewalt. Gewalt ist Verhalten, das Verletzung, also dauerhafte Folgen für das Gegenüber, beabsichtigt. Aggression ist Verhalten, das Verletzung vermeidet. Auch wenn die Absicht nicht immer erkennbar ist und manchmal eben nicht verwirklicht wird, bietet diese wenigstens eine Möglichkeit zur Unterscheidung der Begriffe.

Die Verlagerung von Gewalt auf das soziale und psychische ("Mobbing" etc.) ist nur der erste und offensichtliche Schritt in der Lernentwicklung der Gewaltfreiheit. Hier herrscht in Schule das kalte Grausen: gegenüber der gewalttätigen Eigendynamik von Gruppen zeigen sich Lehrer fast immer Machtlos, ja werden gar manchmal zum Opfer solcherlei Gewalt. Dieser "Super-GAU der Erziehung" des Gewaltopfers Lehrer zeigt mehrere Sachverhalte auf einmal:

- Schüler können Gewalt selbst gegenüber ihren Lehrern ausüben - Auch in diesem Fall sind die angeblich vorhandenen formalen oder offiziellen Antworten des Systems "Schule" schwach - Auch in diesem Fall ist "Omerta" Nahrung für Violence, nicht die passende Antwort

Auch bei der psychischen Gewalt stehen die "Sachzwänge" des Schulsystems wenn nicht in ursächlichem Verhältnis doch wenigstens im Zusammenhang mit den Geschehnissen. Der Mangel an Wahl der Bezugsgruppe sowie der Zwang zur Teilnahme an schematisch organisierten Veranstaltungen verunmöglicht das Ausweichen. Hier schließt sich wieder ein Kreis: das System, der Hobbessche Leviathan, schützt sich selbst, indem es die Privilegien als solche und den Abgrund als solchen definiert und bestätigt. Wo keine anderen Kriterien gefunden wurden, müssen oberflächliche her. Und niemand, der klar bei Verstand ist, riskiert durch Trübung des Wässerchens Oberfläche seine Privilegien.

Das System durchdringt in der Modellgesellschaft, im Modellstaat "Schule" eben in seiner Allmacht bis hinab zum geringsten ihrer Mitglieder - selbst dort, wo nicht einmal mehr Lehrer Einblick erhalten. Es ist, als würde die Polizei gewisse Schichten oder auch gewisse Stadtviertel nicht mit ihren Diensten versorgen - ein undenkbarer und unhaltbarer Zustand ist das Zentrum des Systems Schule.

Zur Aufrechterhaltung dieser Zustände - eben auch zur Aufrechterhaltung der Illusion des richtigen Handelns ("wenn schon nicht richtig, dann wenigstens einheitlich" etc.) - ist es zwingend erforderlich, die Freiheit der Betroffenen auf das Mindestmaß zu beschränken. Jede Freiheit darüber hinaus würde die Endlichkeit der Mächtigen zeigen, würde die Sinnlosigkeit ihres tuns zeigen. Die Schüler würden schneller lernen als die Lehrer, die Verhältnisse verkehren, würden die Macht ergreifen und die Lehrer eben alt aussehen lassen. Dies ist leider eben auch der einzige wahrnehmbare Zweck von Schule.

Der Fehler des Lehrers liegt eben darin, die Macht über die Lebensgestaltung der Schüler mit der Möglichkeit zur Lehre zu verwechseln. Er liegt darin, aus der Möglichkeit die Pflicht zu machen und bei Folgsamkeit Freude zu unterstellen.

Ein freier Mensch kann und wird sich Gewalt (vor allem Violence, aber auch Power) entziehen. So wäre dann eben "kein Staat zu machen": so wäre Freiheit. Die maßlose Übertreibung in der Anwendung von Power und der unklare Übergang zu Violence sind die Stigmata totaler Institutionen, nicht Kennzeichen der pseudoromantischen Begrifflichkeiten einiger Vorzeigepädagogen ("Bildungsvisionen").

Der Fehler, diese Romantik mit der Realität von Schule zu verwechseln, ist zu vermeiden. Daher werde ich weiter die Einführung von Gleitzeitsystemen an Schulen fordern, denn diese Forderung zeigt deutlich die Unvollkommenheit der pädagogischen Gedankengebäude. Ein Gleitzeitsystem unterläuft eben diese Zusammenhänge und würde die Schüler - wenn auch nur in geringem Maße - zur Selbstbestimmung ermächtigen. Die Konsequenzen dieser Maßnahme wären - und da haben Lehrer in ihren Ängsten recht - nicht absehbar.

Ich befürworte schlicht, den einen unabsehbaren Konsequenzen des bestehenden Schulsystems (emotionale und intellektuelle Verstümmelung, Erziehung zum bedingungslosen Gehorsam, Gewalt) andere unabsehbare Konsequenzen - die der Freiheit - entgegenzusetzen. Das bestehende Schulsystem ist nicht in Einklang zu bringen mit Freiheit, nicht mit Demokratie und nicht mit Pluralismus. Dieser Beleidigung der Gründungsgedanken dieses unseres Staates ist - sofort und wirksam - Einhalt zu gebieten.

Die fast immer heftig emotionale Reaktion der Lehrer, die ich mit diesem Gedanken einer Gleitzeitschule konfrontiert habe, hat mir gezeigt, dass ich auf der richtigen Fährte bin, was die Probleme von Schule angeht. Ich will nicht meine Traumata verarbeiten. Ich will die absehbare Traumatisierung künftiger Generationen nach Möglichkeit verhindern oder wenigstens: so weit wie möglich vermeiden.

Wo Lehrer leugnen, dass es wenn auch vielleicht nur für eine Minderheit von Schülern unerträglich ist, täglich um 6 Uhr geweckt zu werden, um sich in einem gewalttätigen Umfeld den Errungenschaften einer überreich beschenkten Beamtenkaste zu widmen, zeigt mir eben diese Verleugnung die Richtigkeit meiner Argumentation.


%[1] %Dirk Baier, Christian Pfeiffer, Julia Simonson, Susann Rabold 2009 %Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt % %http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fb107.pdf % %[2] %%http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/PKS2010.pdf?__blob=publicationFile