BY:Positionspapiere/POS-048

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Videoüberwachung in der Öffentlichkeit

Antrag

Grundsätzliches

Ausgehend von der beständig steigenden Überwachung öffentlicher Gebäude und Plätze (mittels Videoüberwachung/Kamerasystemen), beabsichtigen Piraten auf Landes- und Kommunalebene in diesem Bereich für eine Aufklärung der Öffentlichkeit zu sorgen. Wie schon das Bundesverfassungsgericht in etlichen Urteilsbegründungen, wie unter anderem beim "Volkszählungsurteil" dargelegt hat, erzeugen sämtliche Überwachungssysteme einen starken sozialen Anpassungsdruck bei den Überwachten. Somit schränken solche Systeme das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz) und das Recht auf Privatheit (Grundrechts-Charta der EU) ein.

Jegliche Überwachungsmaßnahme ohne vorhergehendes, begründetes Verdachtsmoment bedeutet einen Schritt in Richtung Überwachungsstaat. Es ist unverhältnismäßig, zehntausende von Personen zu überwachen, um eventuell und möglicherweise eine äußerst kleine Anzahl von Tätern zu ermitteln.

Zwar ermöglichen geltende Gesetze den Einsatz der Videoüberwachung – doch werden diese Regelungen immer weiter ausgedehnt. Zu kritisieren ist insbesondere, dass

  • Videokameras keine Straftaten verhindern und den Opfern nicht helfen.
  • Videoüberwachung Täter nicht von der Begehung von Straftaten abhält.
  • Keine Verbesserung der Sicherheitslage in den überwachten Räumen festzustellen ist.
  • Da die wenigsten Videokameras im öffentlichen Raum genutzt werden, um zu beobachten und stattdessen nur eine Aufzeichnung stattfindet, entsteht ein falsches Gefühl der Sicherheit. Dieses zu propagieren, wie es vereinzelt Parteien den Bürgern gegenüber tun, wiegt die Bürger nur in falscher Sicherheit und ist sogar gefährlich für die individuelle Sicherheit.
  • Zwar können Videoaufzeichnungen manchmal bei der Aufklärung von Straftaten helfen, die Verwendung als Beweismittel kommt aber äußerst selten vor. Es bleibt festzustellen, dass Videoüberwachung die polizeiliche Aufklärungsrate nicht steigert – die meisten Straftaten werden auf andere Weise aufgeklärt.

Videoüberwachung ist aber nicht nur wirkungslos und unverhältnismäßig, sondern auch schädlich, denn

  • Mitmenschen, die Straftaten beobachten, vertrauen eher auf die Videoüberwachung und das rechtzeitige Eintreffen der Polizei, als den Opfern zu helfen. Doch sind Videoüberwachungssysteme zumeist nur zur Aufzeichnung angelegt, eine Echtzeit-Beobachtung findet kaum statt.
  • Menschen ändern unter Videoüberwachung ihr Verhalten. Kreatives, unbefangenes und individuelles Verhalten wird verringert, um nicht aufzufallen. Es besteht hier die große Gefahr einer zunehmend gleichförmigen Gesellschaft.
  • Die aufgezeichneten Daten wurden schon oft zweckentfremdet und führten zu schweren Fehlern.

Dennoch wird der Ausbau von Videoüberwachung mit Statistiken begründet, die einer näheren Überprüfung jedoch nicht standhalten:

  • Die meisten Untersuchungen wurden nicht von einer unabhängigen Stelle durchgeführt, sondern von der Stelle, die Videoüberwachung gerne einsetzen würde.
  • Der Vergleich der Kriminalitätsentwicklung in überwachten Bereichen wird oft nicht mit einem Vergleichsbereich durchgeführt. Sinkt die Kriminalität allgemein, wird dies fälschlich der Videoüberwachung zugeschrieben.
  • Die Einrichtung von Video-Überwachungssystemen geht oft mit verbesserter Beleuchtung und baulichen Maßnahmen einher. Sinkt die Kriminalität nun, wird dies fälschlich der Videoüberwachung zugeschrieben.
  • Zumeist fehlt bei Untersuchungen die Prüfung von Alternativen wie bauliche Maßnahmen, Verbesserung von Angeboten für ein bestimmtes Milieu, Verbesserung der Sauberkeit oder auch verstärkte Präsenz der Sicherheitsbehörden.

In den letzten Jahren wächst die Überwachung des öffentlichen und halb-öffentlichen Raumes durch Kameras immer weiter. Begründung ist der vermeintliche Gewinn an Sicherheit und die Prävention von Straftaten. Bürger und Zivilgesellschaft haben jedoch in einem demokratischen Rechtsstaat einen Anspruch auf eine freie, unüberwachte Öffentlichkeit. Der Hang zur Überwachung muss gestoppt und der Wildwuchs der entsprechenden technischen Systeme eingedämmt werden. Außerdem sind in Zukunft zum Schutz vor ausufernder Überwachung angebrachte Regeln zu schaffen.

Diese Forderungen beziehen sich auf dauerhafte Videoüberwachung im öffentlichen Raum (z. B. Straßen, Parks und Marktplätze) bzw. öffentlich zugänglichen Räumen (auch Kaufhäuser, Museen oder Gaststätten). Diese findet durch zuständige staatliche Stellen oder den Besitzer bzw. Betreiber der Räumlichkeiten (z. B. Gastwirte) statt. Hier nicht betroffen sind temporäre Nutzung (etwa Fernsehteams), die eigene Verwendung durch Einzelne in der Öffentlichkeit (z. B. Smartphone-Kamera) oder die Überwachung von nur privat genutzten Grundstücken und Häusern durch deren Besitzer.


Einschränkungen

Derartige Überwachungsmaßnahmen sollen grundsätzlich unzulässig und nur der Ausnahmefall sein. Durch Gesetze vorgeschriebene Überwachungsvorrichtungen mit eigenen Regelungen sind davon auszunehmen. Heutzutage ist dies bereits unter anderem bei Kassenräumen von Banken und bestimmten sicherheitskritischen Industrieanlagen der Fall.

Die zuständigen staatlichen bzw. kommunalen Stellen sind für den öffentlichen Bereich zuständig, für private, lediglich öffentlich zugängliche Räumlichkeiten hingegen deren Besitzer.

Aufstellen und Betrieb einer Videoüberwachungsanlage soll eine Prüfung und Genehmigung durch die zuständige Datenschutzaufsicht voraussetzen, für deren Bestehen bestimmte Kriterien zu erfüllen sind. Nehmen staatliche Stellen die Überwachung vor, muss zusätzlich ein Richter und dessen Einverständnis hinzugezogen werden. Die Prüfung durch die Datenschutzbehörde ist jährlich durchzuführen.

Dabei ist zu prüfen

  • ob der Zweck bzw. Anlass der Überwachung vorhanden und legitim sind
  • inwiefern die Überwachungsmaßnahme sich überhaupt für den gedachten Zweck eignet
  • ob sie notwendig und im Vergleich zu möglichen Alternativen verhältnismäßig ist

Der eingesehene Bereich muss auf die eigenen Räumlichkeiten des Überwachenden eingeschränkt werden. Alle Möglichkeiten (beispielsweise Sichtsperren) sind zu nutzen, um keine Wohnungsfenster, Hauseingänge oder - bei privater Videoüberwachung - Bürgersteige zu erfassen.

Für Prüfung und Zulassung durch die Datenschutzbehörde sind Gebühren einzuführen, welche die entstehenden Kosten mindestens decken. Der Allgemeinheit kann schließlich nicht zugemutet werden, die Kosten für das Bedürfnis Einzelner zu tragen, ihre Mitmenschen zu überwachen.


Dokumentation

Es soll eine Dokumentationspflicht für aufgestellte Videokameras bzw. Überwachungssysteme eingeführt werden. Diese Dokumentation soll enthalten:

  • was für eine Überwachung durchgeführt wird und mit welchen Mitteln
  • zu welchem Zweck und aus welchem Anlass diese durchgeführt wird
  • in welchem Umfang (z. B. Betriebszeiten, Wirkungsbereich der Überwachung)
  • Speicherfristen (falls gespeichert wird), diese sind zu begründen

Mit erfolgreicher Prüfung wird die Anlage und die Dokumentation bei der Datenschutzbehörde registriert. Dieses Register und die aktuelle Dokumentation sind vollständig öffentlich zugänglich zu machen sowie jeweils durch den Betreiber vorzuhalten. Werden Änderungen an der Überwachungsanlage vorgenommen, unterliegt der Betreiber einer Aktualisierungspflicht für die Dokumentation und hat die Änderung den zuständigen Datenschützern anzuzeigen. Diese haben ein Widerspruchsrecht.

Ein überwachter Bereich muss durch Hinweisschilder oder vergleichbare Hinweise - wie auch heute schon - gekennzeichnet sein. Dies ist Bedingung für die Zulassung. Derartige Hinweise sind neutral zu halten und kein Ort für Überwachungspropaganda ("Zu Ihrer Sicherheit" oder ähnliches) wie z. B. bei der Deutschen Bahn.


Haftung

Existiert eine Videoüberwachungsanlage, unterliegt deren Datenstrom grundsätzlich einer Beobachtungspflicht durch Personal. Ausnahmen davon gibt es nur, wenn die Überwachung aus allen anderen Gesichtspunkten heraus angemessen ist und man sonst kleine Betreiber (z. B. im Einzelhandel) systematisch benachteiligen würde, weil diese eine Beobachtung nicht umfassend sicherstellen können.

Der Betreiber der Anlage haftet explizit für die Folgen von Straftaten und Schadensfällen im überwachten Bereich, soweit diese aus unzureichender Beobachtung resultieren. Wer der Meinung ist, seine Umwelt überwachen zu müssen, der hat auch die Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen. Wenn die Bereitschaft dazu fehlt, stellt sich die Frage nach dem Sinn der Videoüberwachung. Letztlich ist dies das Äquivalent zur unterlassenen Hilfeleistung im Falle persönlicher Anwesenheit.

Ebenso soll der Betreiber gegenüber den Betroffenen haften, wenn Daten aus der Überwachung an die Öffentlichkeit gelangen. Dies kann z. B. passieren, wenn die Kamera ihren Datenstrom unverschlüsselt überträgt oder die Überwachungsdaten unberechtigt gespeichert bzw. entwendet werden.

Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Wenn ein Wachmann während seines üblichen Rundgangs seine Bildschirme nicht beobachten kann, führt dies nicht zu einer Haftung im Schadensfall, da ein solcher Rundgang zu seinen normalen Aufgaben gehört.

Die Belangbarkeit des Personals ist im Übrigen auf Fahrlässigkeit und Vorsatz zu begrenzen.


Sanktionen

Es muss auf jeden Fall die Möglichkeit eingeführt werden, die Datenschutzbehörden Bußgelder für Verstöße gegen Regelungen zur Videoüberwachung erteilen zu lassen. Bisher ist es nur möglich, mit viel Aufwand mittels einer Klage gegen eine Überwachungsanlage vorzugehen. Bei andauernder Nichteinhaltung der Vorschriften - z. B. einer unzulässigen Installation oder Ausweitung einer Überwachungsmaßnahme - kann über den Bußgeldbescheid auch ein Gerichtsverfahren oder Maßnahmen der Exekutive angestrebt werden.

Neben der Möglichkeit einer Beschwerde bei der Datenschutzbehörde sollen Betroffene auch weiterhin über den zivilgerichtlichen Weg gegen Videoüberwachung klagen können. Betroffener ist, wer regelmäßig oder häufig von der Überwachung betroffen ist. Im Erfolgsfall steht dem Kläger Schadensersatz für die Verletzung seiner Grundrechte zu.

Begründung

Wir schränken die Zulässigkeit und Verwendung von Videoüberwachung über eine Kombination von Maßnahmen ein. Diese

  • schützen die Informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt
  • setzen Schranken, wo gerne auf vermeintlich einfache Lösungen durch Überwachung gesetzt wird
  • erhöhen den Aufwand, die Kosten und das Risiko für die Betreiber der Anlagen, sodass verstärkt andere Lösungen zum Zuge kommen
  • schaffen durch Transparenz eine objektivere Datenbasis (z. B. Standorte von Kameras)
  • vereinfachen das Vorgehen der Behörden und der Bürger gegen Verstöße

Für die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit dieser Maßnahmen muss darauf geachtet werden, die Videoüberwachung nicht in die Illegalität hineinzudrängen. Nichteinhaltung der Vorschriften ist heute bereits häufig genug der Fall und soll nicht gefördert werden.

Deshalb empfiehlt es sich, stärker auf Kontrolle statt nur auf Verbote zu setzen. Dies wird erreicht durch die Datenschutz-Prüfung, Dokumentation und Transparenz, eine Entlastung und Unterstützung der Aufsichtsbehörden durch einfachere Sanktionen und anfallende Gebühren sowie der Möglichkeit des einzelnen Betroffenen, ebenso gegen Überwachung vorzugehen.

Beispiele für Klagen gegen Kameraüberwachung:

Innenstadt Hannover http://www.heise.de/newsticker/meldung/Videoueberwachung-in-Hannover-ist-gesetzwidrig-1280127.html

Einkaufszentrum in Hamburg http://www.heise.de/newsticker/meldung/Datenschuetzer-beanstanden-Videoueberwachung-in-ECE-Einkaufszentren-1187205.html

Beispiele für den Missbrauch und die Problematik von Kameraüberwachung: http://de.wikipedia.org/wiki/Kameraüberwachung#Beispiele
http://de.wikipedia.org/wiki/Kameraüberwachung#Kritik
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_deutschen_Urteile_zu_Videoüberwachungen

Beschluss

Dieser Antrag wurde auf dem Landesparteitag Bayern 2012.1 in Straubing als P53 angenommen (Protokoll).