BE:Positionspapiere/Demokratischeres Wahlrecht

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Mehr Demokratie beim Wählen

Parteipolitisch geprägte Organisationen und parteipolitische Einflüsse auf gesellschaftliche Institutionen durchdringen immer stärker die gesellschaftlichen Strukturen; das wird zum Beispiel in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten deutlich. Dem steht seit langem eine Erstarrung des unmittelbar politischen Lebens gegenüber. Andererseits ist ein gewachsener Einfluss von Lobbygruppen unmittelbar auf Regierung und Gesetzgebung zu beobachten, der mit einem schwindenden Gewicht des Parlaments einhergeht.

Für eine lebendige Demokratie ist eine starke Legislative mit engagierten Abgeordneten erforderlich. Doch der Einfluss der Wähler auf die Auswahl der Kandidaten ist gering. Eine stärkere unmittelbare Legitimation des einzelnen Abgeordneten kann seine Stellung im Parlament und gegenüber der Regierung verbessern.

Um Freiheit und Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten zu stärken, setzen sich Piraten für eine Änderung des Wahlrechts ein. Der Einfluss des Wählers auf die personale Zusammensetzung der Parlamente muss größer werden. Auch sind die Hemmschwellen abzubauen, die bislang neue politische Kräfte dabei behindern, erfolgreich für Wahlen zu kandidieren.

Kumulieren und Panaschieren

Um zu erreichen, dass Wähler aus einer Zahl von Kandidaten – auch innerhalb einer Partei – eine Auswahl treffen können, besteht die effektivste Form darin, Stimmen zu kumulieren. Diese Möglichkeit, einzelne Kandidaten mit mehreren Stimmen zu unterstützen, ist bei Kommunalwahlen in Bayern und Baden-Württemberg seit Jahrzehnten gang und gäbe. Die zweite Möglichkeit, einer verbesserten Auswahlmöglichkeit besteht in der Chance, Kandidaten aus verschiedenen Parteien zu unterstützen (panaschieren), auch dies ist bei Kommunalwahlen lang bewährte Praxis. Andererseits behindert das in diesen Ländern übliche Verfahren kleinere Parteien, da für eine gleichberechtigte Teilnahme an der Wahl eine Vielzahl von Kandidaten aufgestellt werden müssen. Das traditionelle Verfahren führt auch zu besonders großen und unübersichtlichen Stimmzetteln. Die einfache Übertragung dieses Wahlverfahrens auf die Berliner Wahlen scheidet daher aus. Doch gibt es in den norddeutschen Bundesländern einfachere Verfahren, die Kumulieren und Panaschieren in einer praktikablen Form umsetzen und sich auch für die Wahlen in Berlin realisieren lassen. Auch die Wahlen zur Bürgerschaft in Hamburg und Bremen zeigen, wie sich Kumulieren und Panaschieren in einfacherer Form umsetzen lässt.

Mehrmandate-Wahlkreise

Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus gibt es mit den möglichen Bezirkslisten bereits die Option einer regional gegliederten Auswahl der zu wählenden Kandidaten. Im neuen Wahlrecht bilden die Bezirke dann je einen Mehrmandate-Wahlkreis, wo über die Kandidatenlisten jeweils die Abgeordneten gewählt werden. Zusätzliche Wahlkreise, in denen nur ein Mandat vergeben wird, sind dann überflüssig.

Die erzielten Mandate jeder kandidierenden Partei errechnen sich nach dem Verhältniswahlrecht für das gesamte Wahlgebiet. Sie werden danach auf die Mehrmandate-Wahlkreise verteilt. In den Wahlkreisen werden Mandate entsprechend der Nenngröße des Wahlkreises unmittelbar vergeben und auf die Gesamt-Mandate angerechnet.

Ersatz-Stimmen

Neue Parteien haben derzeit wesentlich schlechtere Chancen, bei Wahlen erfolgreich zu sein, als sich vertreten lässt. Zwar ist es sinnvoll, eine völlige Zersplitterung des Parlaments zu vermeiden und eine zu Teilen auch taktische Aufteilung der kandidierenden Listen zu verhindern, aber eine in diesem Rahmen sinnvolle Stimmhürde verhindert eben auch, dass neue Parteien mit realistischer Chance an den Wahlen teilnehmen können, weil ein taktisches Verhalten der Wähler dazu führt, dass sie eher Parteien wählen, die bereits im Parlament vertreten sind.

Eine gute Möglichkeit, diesen Effekt gegen neue politische Kräfte zu vermeiden, besteht darin, dass die Wähler Ersatzstimmen abgeben können, die zum Zuge kommen, wenn ihre erste Präferenz keinen Erfolg hat. Sobald also eine vom Wähler vergebene Hauptstimme nicht für die Mandatsverteilung wirksam werden kann, weil die gewählte Partei an der Stimmhürde scheitert, zählen die Ersatzstimmen. Verfahren, wie in solchen Fällen verfahren werden kann, gibt es zum Beispiel beim absoluten Mehrheitswahlrecht, wie es in Australien gilt.

Der konkrete Vorschlag

  • Jeder Bezirk bildet einen Mehrmandate-Wahlkreis.
  • Die Gesamt-Zahl der über diese Wahlkreise unmittelbar vergebenen Mandate soll das Entstehen von Überhangmandaten verhindern.
  • Die Wähler haben die Auswahl zwischen den Kandidaten in diesen Mehrmandate-Wahlkreisen und können hier bis zu fünf Stimmen abgeben.
  • Die Stimmen können insgesamt für eine Parteiliste oder auf einzelne Kandidaten – auch verschiedener Parteien – verteilt werden.
  • In jedem Wahlkreis werden der Nominalzahl für den Wahlkreis entsprechende Mandate unmittelbar vergeben. Mandate, die auf eine Partei entfallen, die an der Stimmhürde scheitert, bleiben als Einzelmandate fraktionsloser Abgeordneter erhalten und werden von der Zahl der auf die erfolgreichen Parteien zu verteilenden Mandate abgezogen. Mandate der erfolgreichen Parteien werden in die Mandatsverteilung dieser Parteien einbezogen.
  • Die Mandatsverteilung für die erfolgreichen Parteien findet nach den Kriterien des Verhältniswahlrechts für das gesamte Wahlgebiet statt.
  • Innerhalb der Parteien werden die Mandate auf die Kandidaten in den Mehrmandate-Wahlkreisen verteilt. Das dafür angewandte Verfahren darf weder Überhangmandate auslösen noch eine erhebliche Verzerrung der regionalen Verteilung verursachen, damit sind die Verfahren nach d'Hondt und Hare/Niemeyer als ungeeignet anzusehen, das Berechnungsverfahren nach Sainte-Laguë kann als geeignet angesehen werden.
  • Da es möglich ist, die Stimmen auch gebündelt für die Gesamtliste zu vergeben, werden bei der Bestimmung der Mandatsträger zunächst die Mandate festgelegt, die durch die auf die Gesamtliste entfallenen Stimmen beansprucht werden können. Anschließend folgen die Kandidaten entsprechend ihrem persönlichen Stimmergebnis. Dieses Verfahren orientiert sich am Bremer Beispiel.
  • Um zu verhindern, dass das Stimmrecht eines Wählers verfällt, weil er mit seinen Hauptstimmen eine an der Stimmhürde gescheiterte Partei gewählt hat, können Ersatzstimmen vergeben werden, für die eine strikte Reihenfolge anzugeben ist und die erforderlichenfalls statt der Hauptstimmen in die Ergebnisberechnung aufgenommen werden. Da wir für die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen solche Stimmhürden ablehnen, wird diese Regelung nur für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus wirksam.
  • Zur Ermittlung, ob eine Partei die Stimmhürde erreicht hat, werden zuerst die Hauptstimmen berücksichtigt. Es wird dann schrittweise die jeweils kleinste Partei, die nicht die Stimmhürde erreicht hat, aus der Berechnung herausgenommen und für ihre Stimmen die abgegebenen hierarchisierten Ersatzstimmen in die Berechnung einbezogen. Dieses Verfahren wird solange wiederholt, bis keine bei der Zählung berücksichtigte Partei mehr die Stimmhürde verfehlt, bzw. für Parteien, die die Stimmhürde verpassen, keine weitere Ersatzstimme mehr gezählt werden kann.
Angenommen auf der Landesmitgliederversammlung 2011.3