Antrag:Bundesparteitag 2012.2/Antragsportal/PA300

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Tango-preferences-system.svg Dies ist ein Antrag für den Bundesparteitag 2012.2. Das Sammeln und Diskutieren von Argumenten für und gegen den Antrag ist auf der Diskussionsseite möglich

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Tango-dialog-warning.svg Dieser Text ist (noch) keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland, sondern ein an den Bundesparteitag eingereichter Antrag.

Antragsübersicht

Antragsnummer PA300
Einreichungsdatum
Antragsteller

ChristophZwickler

Mitantragsteller
Antragstyp Wahlprogramm
Antragsgruppe Innen- und Rechtspolitik
Zusammenfassung des Antrags Der Antrag zielt darauf, durch eine Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes Verfahren im Internet darzustellen. Datenschutzrechte bleiben gewahrt. Der bestehende Grundsatz der Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens wird auf das Internet erweitert.
Schlagworte Transparenz, Justiz, Verbraucherschutz
Datum der letzten Änderung 01.11.2012
Status des Antrags

Pictogram voting question.svg Ungeprüft

Abstimmungsergebnis

Pictogram voting question.svg Noch nicht abgestimmt

Antragstitel

Transparenz bei Gerichtsverfahren

Antragstext

Der Bundesparteitag möge beschließen, eine Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in sein Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 aufzunehmen. Dadurch soll größere Transparenz von Gerichtsverfahren und Verwaltungshandeln sowie ein erweiterter Verbraucherschutz hergestellt werden. § 169 GVG lautet heute: “Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.” Dieser Öffentlichkeitsgrundsatz soll ergänzt werden. Zu diesem Zweck sollen § 169 GVG folgende Absätze angefügt werden:

"(2) Sind in einem Verfahren Behörden beteiligt, so wird auch der gesamte schriftliche Vortrag einschließlich der Anlagen via Internet auf der Seite des jeweiligen Gerichtes barrierefrei offengelegt.

(3) Beteiligte, die nicht Behörden sind, können der Offenlegung nach Absatz 2 widersprechen, wenn im übrigen nur Behörden beteiligt sind. Sind mehrere Nichtbehörden beteiligt, so können sie nur gemeinsam widersprechen. Sie können aber in jedem Fall insbesondere verlangen, anonym zu bleiben. Auch im übrigen ist der Schutz der Privatsphäre von Nichtbehörden zu wahren. Darunter fallen auch namentliche Benennungen von Behördenmitarbeitern, soweit diese keine Leitungsfunktionen innehaben. Die Offenlegungspflicht ist dadurch beschränkt, dass sie sich nicht auf Äußerungen erstreckt, deren Veröffentlichung eine Straftat darstellen könnte, es sei denn, diese Äußerung ist Gegenstand des Gerichtsverfahrens.

(4) Behörden sind Einrichtungen, die mit öffentlich-rechtlichen Kompetenzen versehen sind, etwa Staatsanwaltschaften. Nichtbehörden gelten als Behörden im Sinne des Absatzes 2, wenn Behörden an ihnen zu mindestens der Hälfte beteiligt sind. Nichtbehörden gelten auch dann als Behörden im Sinne des Absatzes 2, wenn sie um ein Massenpublikum werben, inhaltlich gleiche Allgemeine Geschäftsbedingungen verwenden und ein Rechtsstreit über diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen verhandelt wird. Können sie den Nachweis führen, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen seltener als einhundert Mal pro Jahr zu verwenden, gelten sie nicht als Behörden.

(5) Urteile und Beschlüsse werden ausnahmslos in anonymisierter Form dargestellt, wenn ein Beteiligter, der keine Behörde ist, dies verlangt oder gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist oder dies der Rechtsfortbildung dient.

(6) Die §§ 170 und 172 Nr. 1-3 gelten sinngemäß.

(7) Der Anspruch auf Offenlegung verjährt nicht. Er ist vererblich. Abreden über einen Verzicht darauf sind unwirksam."

§ 170 Absatz 1 Satz 2 GVG betrifft Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Er lautet derzeit: “Das Gericht kann die Öffentlichkeit zulassen, jedoch nicht gegen den Willen eines Beteiligten.” Dieser Satz soll nach dem Willen des Bundesparteitages wie folgt geändert werden: “Die Öffentlichkeit ist zuzulassen, wenn alle Beteiligten dies verlangen.”

Antragsbegründung

Den Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung gab es bereits im alten Rom. Später erfolgten Verhandlungen oft hinter verschlossenen Türen. Nach der Französischen Revolution wurde der Öffentlichkeitsgrundsatz Bestandteil des westlichen Wertesystems, was sich auch in § 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) spiegelt. Gerichte urteilen “im Namen des Volkes”.

Dieser Grundsatz wurde im Laufe der Zeit immer weiter aufgeweicht, da Gerichtsverfahren mehr und mehr schriftlich vollzogen werden. Oft gibt es heute überhaupt keine mündlichen Verhandlungen mehr, die eine Öffentlichkeit herstellen. Andererseits wird es auch in Justizbehörden oft zur Regel, laufende Vorgänge elektronisch vorzuhalten. Eingehende Schriftstücke werden daher gescannt. Auf die Möglichkeit elektronischen Verkehrs weist etwa die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in § 55a hin. Aus beiden Umständen ergibt sich, dass es naheliegt, den Öffentlichkeitsgrundsatz nun zumindest auch in elektronischer Form zu gewährleisten. Dabei ist die Fokussierung auf die Beteiligung der Verwaltung in Gerichtsverfahren ein Beitrag zur Transparenz öffentlichen Handelns. Die insoweit auch maßgebliche VwGO verweist in § 55 auf das GVG.

Im vorgeschlagenen Absatz 2 zu § 169 GVG findet sich der Grundsatz. Eine Veröffentlichung wie dargestellt auf privaten Internetseiten müsste schon heute rechtlich zulässig sein. Dies geht aus den Grundsätzen der Mündlichkeit einer Verhandlung bei gleichzeitiger Öffentlichkeit hervor. Aus dem Mündlichkeitsprinzip ergibt sich, dass auch ein bereits erfolgter schriftlicher Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung nochmals als vorgetragen fingiert wird. Geheimverhandlungen sind dem deutschen Recht grundsätzlich fremd. Somit ist der gesamte Vortrag öffentlich. Auch § 45 Urheberrechtsgesetz (UrhG) erkennt dies an, indem dort eine Ausnahme zum Urheberrechtsschutz verzeichnet ist: Vor Gericht dürfen geschützte Werke vorgetragen und in Folge auch verbreitet werden. Da private Internetseiten häufig nur schlecht strukturiert sind und systematisch im Zusammenhang regelmäßig nicht gefunden werden können, liegt es nahe, dies den Gerichten aufzugeben, bei denen die Verfahren erfolgen. Mit der Beschränkung auf die Beteiligung von Behörden wird der Privatsphäre des Bürgers Rechnung getragen. Behörden haben keine Privatsphäre. In eigener Kompetenz veröffentlichen heute bereits zahlreiche Gerichte Entscheidungen, wobei persönliche Daten unkenntlich gemacht werden. Dies dient der Transparenz und der Rechtsfortbildung. Allerdings erfolgt die Auswahl durch die Gerichte, die die Freiheit haben, mögliche “unangenehme” Entscheidungen nicht darzustellen. Aus diesen Veröffentlichungen geht auch mitunter nicht klar hervor, was konkret im Prozess vorgetragen wurde, es findet sich allein eine (selektive) Zusammenfassung durch das Gericht selbst. Diesem Umstand trägt Absatz 2 Rechnung, indem grundsätzlich vorgesehen ist, den gesamten Sachvortrag offenzulegen. Dazu gehören auch die sogenannten Anlagen, aus denen sich etwa im Verwaltungsgerichtsverfahren der zugrunde liegende Verwaltungsvorgang erst ganz sicher ergibt. Dieser muss im öffentlichen Interesse erfolgen, die Behörden werden grundsätzlich durch Steuern finanziert. Daher sollte auch die Möglichkeit bestehen, diesen Verwaltungsvorgang der Öffentlichkeit zu zeigen. Verwaltungshandeln ist nicht privates, sondern öffentliches Handeln.

Mit Absatz 3 wird vorgeschlagen, dass es grundsätzlich dem betroffenen Bürger obliegt, eine Veröffentlichung im Internet zu verhindern bzw. zu erreichen. Damit wird der Privatsphäre Rechnung getragen. Der Bürger soll über die Offenlegung des Vorganges, der ihn betrifft, grundsätzlich selbst entscheiden können. Diese angebotene Transparenz ist in manchen Fällen zugleich das letzte Mittel des Bürgers, um sich gegen (seltene) Fälle behördlichen Versagens zu wenden. Gerichtsverfahren dauern oft recht lange und führen auch nicht automatisch zu Sanktionen gegen Behörden. Ist ein Verfahren überdies noch intransparent, so gibt es für besonders eigenwillige Behörden noch nicht einmal einen Grund, selbst bei gerichtlichem Unterliegen am eigenen Verhalten etwas zu ändern. Erfolgt ein Vorgang dagegen unter den Augen der Öffentlichkeit, kann eher auf eine Änderung gesetzt werden. Um den Grundsatz der möglichen Ablehnung bzw. Herstellung der Öffentlichkeit durch den Bürger wirksam zu gewährleisten, ist es ausreichend, wenn nur ein beteiligter Bürger eine Offenlegung fordert. Andernfalls könnte das Prinzip dadurch unterlaufen werden, dass etwa ein weiterer (“Alibi”-)Bürger beigeladen (vgl. § 65 VwGO) oder ein Streit verkündet wird (vgl. §§ 72 ff Zivilprozessordnung). Mit dem Verzicht auf die namentliche Benennung von weisungsgebundenen Behördenmitarbeitern wird dem Umstand Rechnung getragen, dass diese oft nur auf Anweisung handeln, weswegen sie im Zweifel selbst möglicherweise anders gehandelt hätten. Um hier in der Öffentlichkeit Missverständnissen von vornherein zu begegnen, soll eine namentliche Benennung unterbleiben. Schließlich wird durch den letzten Satz eine missbräuchliche Verwendung des Öffentlichkeitsgrundsatzes verhindert. Ein Schriftstück etwa, in dem ein Behördenmitarbeiter in einem Verwaltungsverfahren beleidigt wird, soll so nicht veröffentlicht werden. Ist dagegen eine Aussage selbst Gegenstand eines Prozesses, etwa in einem Strafverfahren wegen Beleidigung, gilt diese Einschränkung nicht.

Absatz 4 regelt, dass zum einen auch solche privatrechtlich organisierten Einrichtungen als Behörden im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, die von Behörden getragen werden. Dies ist etwa bei städtischen Versorgungsbetrieben der Fall, die in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft gekleidet werden, wobei die Stadt über die Aktien Eigentümer des Betriebes ist. Auch hier gilt der verwaltungsrechtliche Grundsatz: “Keine Flucht in Privatrecht.” Daneben sind auch Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) als Behörden im Sinne dieses Gesetzes anzusehen, sofern sie am Massengeschäft teilnehmen und inhaltsgleiche AGB verwenden, um deren Auslegung es vor Gericht geht. Darunter fallen etwa regelmäßig Verträge, die im Internet geschlossen werden. Auch hier besteht ein besonderes Transparenzinteresse. Wortgleiche AGB sind nicht erforderlich, weil dann durch entsprechend geringfügig geänderte AGB die Vorschrift unterlaufen werden könnte. Für kleine Unternehmen, etwa Handwerker vor Ort, die Wartungsverträge anbieten und oft anwaltlich nicht beraten werden, sollen die Veröffentlichungsregeln nicht gelten.

In Absatz 5 wird die gegenwärtige Praxis der Gerichte aufgenommen, Entscheidungen ohne den jeweils vorangegangenen Sachvortrag unter Anonymisierung der beteiligten Nichtbehörden zu veröffentlichen. Dies soll jeder Beteiligte, der nicht Behörde ist, verlangen dürfen. Eine solche Veröffentlichungspflicht soll es auch dann geben, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Im übrigen soll es bei der Möglichkeit bleiben, dass Gerichte Entscheidungen aus eigenem Antrieb veröffentlichen dürfen.

Absatz 6 regelt die Ausnahmen, wie sie sich aus den §§ 170 und 172 GVG ergeben. In diesen Normen sind berechtigte Interessen aufgeführt, die einer Veröffentlichung widersprechen. § 172 Nr. 4 betrifft allein die psychologische Situation bei einer mündlichen Aussage vor Gericht. Für eine schriftliche Dokumentation ist diese Regelung unbeachtlich.

In Absatz 7 ist mehr oder minder geregelt, dass es kaum ein Mittel gibt, sich von der Möglichkeit der Veröffentlichung irgendwie “freizukaufen”.

Der Nutzen dieser Ergänzung des § 169 GVG dürfte die Kosten weit übersteigen. Kosten fallen an für das Einstellen ins Internet sowie für das Unkenntlichmachen der Identität der beteiligten Privatpersonen in den Schriftstücken. Der Nutzen läge neben der grundsätzlichen Transparenz sowie der Erleichterung der medialen Berichterstattung einerseits darin, bereits durch diese Möglichkeit einer Veröffentlichung insbesondere die wenigen unzureichend handelnden Behörden und manche AGB-Verwender zur Disziplin aufrufen zu können. Dadurch wiederum ist auch eine geringere Inanspruchnahme der Gerichte zu erwarten, und sei es durch die vermehrte Bereitschaft, gerichtliche Vergleiche zu schließen. Andererseits könnte wirksam häufig unberechtigtem Misstrauen in Verwaltung und Justiz begegnet werden. Es ergäbe sich durch diese Möglichkeit der Darstellung fehlerhaften Verwaltungshandelns für die wohl ganz überwiegende Mehrheit der Behörden zumindest ein Hinweis darauf, selbst richtig zu handeln.

Der Antrag selbst ist überwiegend in Gesetzesform dargestellt. Damit wird genau die Forderung beschrieben, die das Wahlprogramm nach dem Willen des Bundesparteitages erheben möge: Gesetze sind die Formen, in denen Wahlprogramme im Idealfall münden. Eine Parteiforderung ist um so transparenter, je mehr sie diese endgültige Form annimmt. Durch die gewählte Darstellungsart soll zugleich dokumentiert werden, dass die mit dem Antrag geforderte Transparenz kein Luftschloss ist, sondern ganz konkret umsetzbar bereits als Gesetz beschrieben werden kann. Damit geht auch der Versuch einher, die außerhalb der Piratenpartei häufig geäußerten Vorbehalte zu entkräften, diese verfolge mehr die Utopien als das tatsächlich Machbare. Doch selbst Utopien werden um so realer, je eher sie in der Lage sind, sich im Hier und Jetzt zu verankern.

Diskussion

  • Vorangegangene Diskussion zur Antragsentwicklung: {{{diskussionVorher}}}
  • [{{{antragsdiskussion}}} Pro-/Contra-Diskussion zum eingereichten Antrag]


Konkurrenzanträge