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Was ist, was kann Bürgerbeteiligung?


Die Zauberformel „Bürgerbeteiligung“ ist heute in aller Munde. Wo beginnt sie und was ist Bürgerbeteiligung? Der Begriff vermittelt Bürgeraktivität und Anerkennung des Souveräns, des Auftraggebers politischen Handelns. Wir wissen, wer Bürgerin / Bürger ist und was Beteiligung bedeutet. Der Blick in die Realität zeigt jedoch ein diffuses Bild: von Öffentlichkeitsbeteiligung, Bürger-Beruhigung und Bürger-Beschäftigung – besonders auf kommunaler Ebene - bis zu ernsthaften Beteiligungsformen. Ein ganzer „Werkzeugkasten“ von Möglichkeiten steht heute zur Verfügung. Aber was „können“ diese Verfahren zur Beteiligung? Erfahren Bürgerinnen und Bürger die Wirksamkeit ihres Tuns, wenn sie sich einbringen? Wohin wandern ihre Fragen und Vorschläge? Warum winken so viele ab, wenn sie zum Mitwirken eingeladen sind?


Wir leben in bewegten, schwierigen Zeiten. Mit rasanter Geschwindigkeit vollziehen sich Richtungswechsel in der „großen“ Politik, unfassbare Summen sollen Finanzsysteme „retten“, die Geldpressen laufen auf Hochtouren, die Entmündigung von Parlamenten bei schwer-wiegenden Entscheidungen greift um sich, Unsummen Geldes verschwinden in Groß-Projekten, aber Kommunen müssen ihre Haushalte zusammenstreichen. Alles alternativlos?


Die Isländer haben mit ihrem ältesten Parlament der Welt gemeinsam gezeigt, dass verantwortliche Auseinandersetzung mit den eigenen Angelegenheiten selbst in Extremsituationen möglich und erfolgreich ist. Die Voraussetzung von selbstständigem Handeln ist klares Denken. Das gilt für Parlamentarier genauso, wie für interessierte Bürger. „Frei ist, wer mit anderen auf seine Lebensgrundlagen einwirken kann und (es) lernt am meisten, wer an politischen Entscheidungen partizipiert. Wir brauchen heute nichts mehr, als lernende Gesellschaften, die es verstehen, sich so weiterzuentwickeln, dass sich viele wieder wohl fühlen.“ Andreas Gross, Mitglied des Europarats (1)


Die lernende Gesellschaft Teil des Lernens ist Hinterfragen. Und die Voraussetzung von Beteiligung ist Verstehen.

Als Bürgerbeteiligung definiert Utz Schliesky, Rechtswissenschaftler und Verwaltungsjurist an der Verwaltungsfachhochschule Schleswig-Holstein in Kiel die "Mitwirkung von Bürgern an der Bildung des Staatswillens und staatlichen Entscheidungen bzw. Entscheidungsprozessen" (2). Das trifft den Kern vieler weiterer Definitionen der Bürgerbeteiligung deutscher Politik- und Verwaltungswissenschaftler und Lehrmeinungen bis hin zum Prüfungswissen Zentralabitur „Politik und Wirtschaft“ des Duden Schulbuchverlages (3). Allen ist eines gemeinsam: das demokratische Prinzip der Partizipation von Bürger/innen an Planungsprozessen und einzelnen politischen Entscheidungen. Damit umfasst Bürgerbeteiligung das Beteiligungs- und das Entscheidungsrecht.


Aufgrund der rechtlichen Anforderungen an die direktdemokratischen Verfahren von Begehren und Entscheiden werden sie häufig als ein qualitativ höheres „politisches Werkzeug“ der Bürgerbeteiligung gegenüber gestellt. Die besonders von Verfechtern der direkten Demokratie hervorgehobene Qualität eines Bürgerentscheides sollte jedoch nicht dazu führen, Entscheide über die Bürgerbeteiligung zu stellen. Die Wirklichkeit zeigt, dass mit genügend Nachdruck vorgetragene Bürgeranfragen oder Initiativen, spätestens aber Bürgerbegehren wesentlich häufiger in die politische Gestaltung einfließen, als sie zum Entscheid kommen. Denn zivilgesellschaftlicher Druck wirkt auf die politische Willensbildung der gewählten Repräsentanten. Der Begriff „Politiker“ wird hier absichtlich vermieden, denn zum „Politiker“ wird jeder, dessen Handeln darauf gerichtet ist, in diese Willensbildung zur Beförderung des Gemeinwesens einzugreifen. Sich beteiligende Bürgerinnen und Bürger sind politisch handelnde Subjekte, die Demokratie leben und voran bringen. Im Jahr 2013 geschieht das weltweit auf vielfältigen Wegen – analog und digital. Längst gibt es neue direkte Beteiligungsformen. Ein theoretisches Herauslösen direkter Abstimmungen aus der Bürgerbeteiligung spielt politischen Kräften von gestern in die Hände, die Bürgerinnen und Bürgern die Urteilskraft, die Lern- und Konsensfähigkeit absprechen, direkte Demokratie auszuüben. Die Potentiale der Nationen liegen aber in den Fähigkeiten und der Kreativität der Menschen. Um sie in die Mitwirkung zur Lösung anstehender Probleme hinein zu holen, kommt es nicht auf die Formen bzw. Verfahren an, in denen Bürger, Verwaltungen und gewählte Vertreter, zusammen-kommen, sondern darauf, welche Zielsetzung, Ernsthaftigkeit und Konsequenz die jeweilige Beteiligung hat. Mitverantwortung

Den Unterschied in der Qualität der Beteiligung machen Transparenz, Respekt und der Grad der Verbindlichkeit. Geht es um Informationsaustausch zu Sachfragen, Interessenlagen, Planungen etc und damit um die informelle Bürgerbeteiligung des Dialogs oder um gemeinsame Erarbeitung von Lösungen - mit der Verbindlichkeit, verschiedene Positionen zu prüfen, abzuwägen und in den Entscheidungsprozess einzubeziehen – formelle Bürgerbeteiligung? Hier ist Transparenz unabdingbar für tragfähige Ergebnisse. Bleibt die Lage strittig oder stehen Entscheidungen von großer Tragweite an, initiierten Bürger oder Parlamente beziehungsweise Räte, Abstimmungen und damit direkte Beteiligung, d.h. direkte Demokratie.

Dort wo sich Bürgerinnen und Bürger beteiligen, müssen sie Vertrauen in die Wahl der Mittel und muss ihre Stimme nachvollziehbar Gewicht und Wirkung in den Entscheidungen haben. Es kommt weniger auf großen Aufwand für Runde Tische, Bürgerversammlungen, Werkstätten, Bürgergutachten oder –haushalte an, als viel mehr darauf vor Beginn:

Vertrauen ins Verfahren zu schaffen und zu regeln, welchen Einfluss die Ergebnisse auf den Gestaltungsprozess haben. Entscheidend ist, dass sich Bürgerinnen und Bürger als mit Respekt beteiligt erleben, sich als wirksam erfahren. Dann können Runde Tische und Foren ebenso zu mehrheitsfähigen Lösungen führen, wie Abstimmungen.

Ernst genommene Bürgerbeteiligung schafft Einblick und Engagement, befördert Verständnis für kontroverse Interessen und ist damit das beste Instrument zur Befriedung von Konflikten und zur politischen Bildung.

Alle Formen von Bürgerbeteiligung einschließlich Bürgeranträgen, Initiativen, Begehren und Abstimmung drücken ebenso Wahrnehmung von Verantwortung für die Gestaltung unserer Lebensgrundlagen aus, wie die Entscheidung, zu wählen. Die Übertragung von Verantwortung in Wahlen erfährt im Zusammenspiel mit Beteiligung und direkter Demokratie wieder Gewicht. Deshalb darf Bürgerbeteiligung heute keine politische PR-Veranstaltung und kein Illusionstheater zur Beschäftigung von „unausgelasteten“ Bürgerinnen und Bürgern mehr sein. 2013 entdecken immer mehr Kommunen die Ressource Bürgerbeteiligung. Der deutliche Zusammenhang zwischen gelingender Beteiligung und steigender Wahlbeteiligung gibt ihnen Recht. Und die Kosten der Beteiligung rentieren sich durch steigende Kompetenz, Lösung von Konflikten und Mitverantwortung.

Henny Kellner



Quellen:

(1) Gross, Andreas im Interview mit Daniel Schily, 22. Oktober 2012, http://www.mehr-demokratie.de/6986.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=5859&tx_ttnews%5Btt_news%5D=12964&cHash=f5a2dc882fd863e709acd7c580e0fb7a

(2) Schliesky, Utz (2001): Rechtliche Grenzen und Möglichkeiten von Bürgerbeteiligung in Kommunen. In: Verwaltungsfachhochschule Schleswig-Holstein (Hrsg.): Zeitschrift Transfer, 6. Jg. 12/2001, S. 4-9.

(3) „Bürgerbeteiligung (Partizipation) umfasst im weitesten Sinn alle Formen der Teilnahme von einzelnen Bürgern oder Gruppe an der Politik mit dem Ziel, Willensbildungs- und Entscheidungs-Prozesse in Personal- und Sachfragen mitzubestimmen.“ Jöckel, P., Sprengkamp, H-J., Schattschneider, J., „Politik und Wirtschaft“, Duden Schulbuchverlag, Berlin, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 2009, S.22


News Icon.png Fragen Servicegruppe Öffentlichkeitsarbeit, am 14.09.2014 um 07:54 Uhr


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