SH:Landtagsfraktion/Redenarchiv PB/Innen
Quelle: Plenarprotokolle
Stand: Dezember 2014
Inhaltsverzeichnis
- 1 Innen/Recht
- 1.1 Parlamentsangelegenheiten
- 1.2 Bundesratsinitiative zur Stärkung der Freiheit und der Privatsphäre im Internet
- 1.3 Bestandsdatenauskunft
- 1.4 Funkzellenabfragen
- 1.5 Vorratsdatenspeicherung
- 1.6 Tanzverbot
- 1.7 Melderegister
- 1.8 Landesverfassung
- 1.9 Direkte Demokratie
- 1.10 Wahlrecht/Wahlbeteiligung
- 1.11 Wahlverfahren
- 1.12 Videoüberwachung
- 1.13 Unabhängigkeit Staatsanwaltschaften/Gerichte
- 1.14 Strafrecht
- 1.15 Inländische Geheimdienste
- 1.16 Ausländische Geheimdienste/Snowden
- 1.17 eCall
- 1.18 Gefahrengebiete
- 1.19 Karenzzeiten
- 1.20 Jugendarrest/Justizvollzug
Innen/Recht
Parlamentsangelegenheiten
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, Sie haben es schon angesprochen: Wir PIRATEN ha- ben in den ersten Tagen im Landtag schon viel ler- nen dürfen von erfahrenen Kollegen, aber auch von hilfsbereiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir glauben aber, dass auch Sie ein Stück weit von uns lernen können, was die Transparenz politi- scher Arbeit angeht, die wir in einem sehr hohen Maße bei uns praktizieren. Wir sind der Überzeu- gung, dass all das, was wir als Volksvertreter tun, beraten und entscheiden, für die Menschen in Schleswig-Holstein, die wir vertreten, nachvoll- ziehbar sein muss. Genau das ist das Ziel unseres ersten Antrags, den wir hier im Parlament stellen und den wir basisdemokratisch im Internet ausgear- beitet haben.
Mit diesem Antrag wollen wir erreichen, dass die Sitzungen des Landtags und der Fachausschüsse live über das Internet übertragen und auch zum späteren Abruf bereitgestellt werden. Wir möchten, dass alle Korrespondenz des Landtags binnen zwei Tagen barrierefrei im Internet veröffentlicht wird, wo nicht Datenschutz oder Geheimschutz entgegen- stehen. Aber auch Verschlusssachen sollen regel- mäßig nach zehn statt 30 Jahren für die Öffentlich- keit zugänglich werden.
Wir möchten, dass die Transparenz des Abstim- mungsverhaltens verbessert wird, indem schon vier statt erst 18 Abgeordnete eine namentliche Ab- stimmung über Gesetzentwürfe verlangen können. Wir möchten, dass fraktionsübergreifende Abspra- chen im Ältestenrat nicht mehr hinter verschlosse- nen Türen, sondern vor den Augen der Öffentlich- keit getroffen werden.
Wir möchten, dass die Entschädigungen der Abge- ordneten und die Finanzierung der Fraktionen frühestens eine Woche nach Veröffentlichung des Entwurfs geändert werden dürfen, um eine öffentli- che Debatte als Gegengewicht zu dieser Entschei- dung des Landtags in eigener Sache zu ermögli- chen.
Deswegen meine Bitte an Sie: Lassen Sie uns ge- meinsam die Politik für Menschen in Schleswig- Holstein, die sich informieren und die sich einmi- schen möchten, weiter öffnen. Lassen Sie uns etwas gegen das beschämend geringe Ansehen der Politik in der Bevölkerung tun, gegen die verbreitete Un- zufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand der Demokratie, die sich auch in einer geringen Wahl- beteiligung äußert. Lassen Sie uns dort, wo die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holstei- ner bisher keinen echten Einblick in die politische Arbeit hatten, mehr Transparenz wagen.
(Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Wir hatten im Landtag einen guten Auftakt und haben uns gemeinsam zu einer neuen Kultur der konstruktiven Zusammenarbeit über Fraktions- grenzen hinweg bekannt. Wir PIRATEN haben auch konstruktiv mitgearbeitet, zum Beispiel in den Runden der Parlamentarischen Geschäftsführer, als es in der ersten Sitzung um Änderungen der Ge- schäftsordnung ging, oder auch anfänglich bei der Frage der Fraktionsfinanzierung.
Wir haben allerdings von Anfang an auch klarge- stellt, dass nach unserer Überzeugung das, was wir als Volksvertreter tun, dem Volk als Vertretenem auch mitgeteilt werden muss, damit es sich recht- zeitig einbringen kann, bevor die entscheidenden Beschlüsse gefasst werden. Deswegen berichten wir in öffentlicher Fraktionssitzung auch über unse- re Absprachen in solchen Runden der Parlamentari- schen Geschäftsführer oder im Ältestenrat.
Zunächst hat das auch lange Zeit niemanden ge- stört, zumal wir uns ausdrücklich dazu bekennen, die Geschäftsordnung und Fragen des Beschäftig- tendatenschutzes einzuhalten oder gar Staatsge- heimnisse nicht veröffentlichen. Es war wohl im Zusammenhang mit der umstrittenen Entscheidung über die Fraktionsfinanzierung, die wir PIRA- TEN nicht mitgetragen haben, dass die Parlamenta- rischen Geschäftsführer der übrigen Fraktionen ent- schieden haben, uns zu solchen Runden generell nicht mehr einzuladen, weil wir nicht eine absolute Geheimhaltung zusichern, auch was politische Ent- scheidungen angeht.
(Zurufe)
dann muss ich ganz klar sagen, dass diese Ausgren- zung für uns nicht akzeptabel ist. Denn damit droht ein Rückfall in frühere Zeiten, in denen einzelne Fraktionsführer weitreichende Entscheidungen in Hinterzimmern ausgehandelt haben und sowohl ih- re Fraktionsmitglieder als auch die Öffentlichkeit letztendlich vor vollendete Tatsachen und schon be- schlossene Entscheidungen gestellt haben.
(Beifall PIRATEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Habeck und ich haben damals zusam- mengesessen? Auch Stegner und ich haben dauernd zusammengesessen? - Weitere Zuru- fe)
Dass man auch unter den Augen der Öffentlichkeit konstruktiv und vertrauensvoll über die Fraktions- grenzen hinweg zusammenarbeiten könnte, dass man auch unter den Augen der Öffentlichkeit eige- ne Positionen hinterfragen könnte, dass man öffent- liche interfraktionelle Diskussionen und Abspra- chen zulassen könnte, das ist nach der alten politi- schen Kultur offenbar undenkbar gewesen. Das alte System beruht offenbar auf einer kollektiven Ge- heimhaltung, und zwar so lange, bis jede öffentli- che Debatte zu spät kommt.
Dazu muss ich ganz klar sagen: Die Zeit einer sol- chen Elitedemokratie ist nach meiner Überzeugung vorbei. Diese wird von den Bürgern schlichtweg nicht mehr akzeptiert.
(Beifall PIRATEN)
Nach einer repräsentativen EMNID-Umfrage fin- den nur 29 % der Bürger, dass das bestehende poli- tische System gut ist. Vertrauen in die Arbeit von Abgeordneten haben nach einer FORSA-Umfrage kaum noch ein Viertel der Bürger. Das ist doch eine alarmierende Zahl.
Gleichzeitig sagen aber auch 58 % der Bürger, dass mehr Transparenz ihr Vertrauen in die Politik er- höhen würde. Damit ist doch klar, welchen Weg wir einschlagen müssen. Wenn wir die Zukunft der Demokratie sichern wollen, liegt es doch in unse- rem gemeinsamen Interesse, Bürgern in die Ent- scheidungsfindung einen Einblick zu geben und sie mitreden zu lassen. Eine totale Geheimhaltung er- zwingen zu wollen, indem man uns ausschließt oder Strafe androht, wenn man über Ältestenratssit- zungen berichtet, das ist definitiv der falsche Weg. Der richtige Weg ist eine breite Debatte und eine gemeinsame Suche nach einem Weg, um mehr Transparenz im Landtag wagen zu können. Sicher haben Sie den Medien entnommen, dass sich die Stadt Hamburg damit brüstet, Transparenz- hauptstadt Deutschlands zu sein. Ich finde, wir soll- ten gemeinsam den Schleswig-Holsteinischen Landtag zum Transparenzparlament Deutschlands machen. Wir freuen uns auf konstruktive Gespräche darüber.
(Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kubicki! Zu dem Punkt, den Sie zuletzt genannt haben, will ich die Fakten in den Vordergrund rücken und sagen, dass sich fast alle Abgeordneten, die ins Parlament ge- wählt werden, einkommensmäßig verbessern. Es stimmt also nicht, dass es eine große Zahl von Ab- geordneten gibt, die Verzicht leisten müssen. Das haben Studien festgestellt.
(Christopher Vogt [FDP]: Das hat er auch gar nicht behauptet!)
Nun zu dem Fall des Einzelanwalts. In den Parla- menten sind wahrlich genug Rechtsanwälte vertre- ten. Diese sind deutlich überrepräsentiert. Wenn wir wirklich das Volk hier vertreten wollen, brau- chen wir nicht noch mehr davon.
(Zuruf Abgeordneter Wolfgang Kubicki [FDP])
Die Diäten werden niemals an das Einkommensni- veau eines Schönheitschirurgen oder eines Unter- nehmensleiters herankommen. Das kann auch nicht das Ziel sein.
Wenn Sie so tun, als ob die Diäten unverzichtbar wären oder noch höher sein müssten, dann diffa- mieren Sie doch die Kollegen, die für viel geringere Diäten in anderen Landtagen in Deutschland arbei- ten. Die Abgeordneten des Schleswig-Holsteini- schen Landtags beziehen die zweithöchsten Diäten unter allen Landtagsabgeordneten in Deutschland, während wir unter allen Flächenländern am dritt- höchsten verschuldet sind.
(Unruhe)
So zu tun, als ob die Kollegen, die für eine geringe- re Entschädigung die gleiche Arbeit machen, unter- bezahlt seien, ist völlig vermessen.
(Zuruf Abgeordneter Wolfgang Kubicki [FDP])
Fakt ist auch, dass die Fraktionsmittel pro Abge- ordnetem gegenüber der letzten Legislaturperiode um 33 % erhöht worden sind, dass sie auch weit hö- her sind als diejenigen des letzten Landtags, der 69 Abgeordnete zählte. Es stimmt nicht, dass die Politik hier einen Einsparbeitrag geleistet hätte. Was den dritten Punkt angeht, nämlich die Zulagen für Parlamentarische Geschäftsführer, hat das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren festge- stellt - was übrigens auch einen Kollegen aus Ihrer Partei, Herr Kubicki, veranlasst hat, ein Verfahren anhängig zu machen -, dass diese Zulagen verfas- sungswidrig sind, weil sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten verstoßen.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Erzählen Sie doch keinen Unsinn!)
Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfra- ge des Herrn Abgeordneten Kubicki?
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Bitte, Herr Kubicki.
Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Dann hat dieser das Wort.
Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr verehrter Herr Kollege Breyer, ist Ihnen bekannt, dass die Fraktionsmittel nicht an die Abgeordne- ten ausgezahlt werden, weshalb die Pro- Kopf-Rechnung vergleichsweise irre ist, son- dern dass der Apparat damit finanziert wer- den soll und dass die Größe des Apparats, der beispielsweise der Vorbereitung von Ausschussitzungen dient, völlig unabhängig davon ist, wie viele Abgeordnete im Aus- schuss sitzen?
(Zuruf Dr. Gitta Trauernicht [SPD])
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Soll ich jetzt etwas dazu sagen? Bekomme ich ein bisschen mehr Zeit?
(Zuruf CDU: Soll die Frage wiederholt wer- den?)
Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, Sie haben jetzt die Gelegenheit zu einer Antwort. Ihre verbleibende Redezeit wird darauf nicht angerechnet. Das heißt, Sie können jetzt antworten, und die Uhr steht so lange. Dann setzen Sie Ihren Redebeitrag fort. Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg von der Frak- tion der FDP das Wort.
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Verehrter Herr Kollege, Sie kennen sicher das Fraktionsgesetz. Dieses sieht aus gutem Grund vor, dass sich die Fraktionsmittel zusammensetzen aus einem Grundbetrag für jede Fraktion und einem Be- trag pro Fraktionsmitglied, weil eine größere Frak- tion eben mehr Mittel braucht als eine kleinere und umgekehrt. Wenn eine Fraktion kleiner ist, muss sich das natürlich senkend auf die Fraktionsmittel auswirken.
Sie haben hier aber das Gegenteil gemacht. Sie ha- ben diese Sätze - Grundbetrag und Erhöhungsbe- trag - so massiv erhöht, dass wir in der Summe fast die gleichen Fraktionsmittel auszahlen, wie dies in dem viel größeren letzten Landtag der Fall gewesen ist. Das ist eine massive Erhöhung der Fraktions- mittelsätze.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das macht keinen Sinn!)
Es ist jedenfalls kein Populismus, wenn wir darauf hinweisen, dass die Politik, die den Bürgern in Schleswig-Holstein einen strikten Sparkurs ver- ordnen muss, um die Schuldenbremse einzuhalten, die den Bürgern wirklich viel zumuten muss, was Beratungsstellen angeht, was Verbraucherberatung angeht, was aber auch das unterfinanzierte Bil- dungssystem angeht, was auch den riesigen Schul- denberg angeht, den alle Fraktionen in der Vergan- genheit hinterlassen haben, ehrlicherweise auch bei sich selbst einen Einsparbeitrag leisten muss. Wenn wir darauf hinweisen, ist das kein Populis- mus.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber Sie behaup- ten, dass es verfassungswidrig ist, und das ist das ja nicht!)
Und es ist auch kein Populismus, wenn wir fordern, dass die Verfassung eingehalten werden muss, was die Zulagen angeht. - Danke.
(Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Geschäftsordnungsänderungsantrag von den übrigen Fraktionen, über den wir heute spre- chen, in Verbindung mit den Richtlinien, die im Ältestenrat beschlossen worden sind und beschlos- sen werden sollen, ist eine Verbotsorgie, der wir nur eine klare Absage erteilen können.
(Beifall PIRATEN)
Sie wollen hier im Sitzungssaal Lüfter, mechani- sche Tastaturen, aufklappbare Bildschirme, Fotos aber auch nur, wenn sie mit Smartphones aufge- nommen werden Ton- und Videoaufzeichnungen verbieten, wollen jedoch keine eigenen Aufzeich- nungen, die man nachträglich abrufen kann, durch den Landtag vornehmen lassen, wie wir es bean- tragt hatten. Sie wollen private Nachrichten verbie- ten, Sie wollen aber auch politische Debatten über soziale Netzwerke verbieten. Sie wollen im Regel- fall Reden, die länger als fünf Minuten dauern, ver- bieten, und Sie wollen Berichte über Absprachen im Ältestenrat verbieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass mir noch das Sprechen und Atmen hier im Plenum erlaubt sein soll. Im Internet kam schon der Vor- schlag auf, man sollte auch das Geklacker von Pfennigabsätzen und Kugelschreibern im Plenum verbieten. Denn das ist auch sehr störend.
(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])
Ich will gar nicht lange über das Zustandekommen dieses Antrags reden. Wir haben im Innenaus- schuss ausführlich und konstruktiv über unsere Än- derungsanträge diskutiert. Wir haben den Wissen- schaftlichen Dienst gebeten, einen Vergleich zu machen mit den Regelungen, die in anderen Parla- menten gelten, und haben festgestellt, dass vieles von dem, was wir gefordert haben, in anderen Par- lamenten schon vorzufinden ist. Wir haben die Landtagsverwaltung um eine Kostenschätzung ge- beten, wie viel es gekostet hätte, für mehr Transpa- renz durch Übertragungen zu sorgen, mit dem Er- gebnis, dass eine Audioübertragung doch ohne zu- sätzliche Anschaffungen und Personal möglich ge- wesen wäre.
Dann gehen Sie in einer der berüchtigten, nicht exi- stierenden Runden der Parlamentarischen Ge- schäftsführer hin, mit Personen, die gar nicht an un- seren Ausschussberatungen teilgenommen haben, und beschließen etwas, was nichts mit dem zu tun hat, was wir vorher im Ausschuss besprochen ha- ben,
(Zurufe Wolfgang Kubicki [FDP])
und zwar hinter unserem Rücken. Das ist wirklich unglaublich.
Ich erinnere daran, dass wir noch vor der Sommer- pause einen gemeinsamen Anspruch formuliert hat- ten, als wir unsere Anträge in den Ausschuss ge- schickt hatten. Darin hieß es - ich zitiere wörtlich –: „Leitlinie ist, eine größtmögliche Transpa- renz der Arbeit des Parlaments sicherzustel- len.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemessen an die- sem Anspruch sind Sie mit diesem Vorschlag völlig gescheitert. Sie haben keinen einzigen unserer Vorschläge für mehr Transparenz aufgegriffen, weder eine Übertragung von Plenar- und Aus- schusssitzungen, die man nachträglich abrufen kann, ist angenommen worden, noch die Veröffent- lichung von Schriftverkehr von und mit dem Land- tag, noch, dass man ein gewisses Zeitfenster vor Entscheidungen in eigener Sache einzieht, wenn es zum Bespiel um Abgeordnetendiäten geht wie heu- te. Alles ist abgelehnt worden, was wir für mehr Transparenz vorgeschlagen hatten. Umgekehrt wol- len Sie sogar den Ältestenrat zum Geheimrat er- klären, indem Berichte sogar über die Tagesord- nung, aber auch über die Ergebnisse verboten wer- den sollen, wenn sie nicht vom Präsidenten nach Ermessen selbst durchgeführt werden.
Ich kann an dem Punkt nur vor dem Missverständ- nis warnen, dass das, was beim Ältestenrat geregelt werden soll, nur eine Fortschreibung der früheren Praxis sei. Das ist mitnichten der Fall. Denn ich ha- be in den letzten Wochen und Monaten feststellen dürfen, dass Sie die Vertraulichkeit der Absprachen im Ältestenrat selbst äußerst flexibel wahrnehmen und handhaben, dass nämlich gern und - wie ich finde - auch richtigerweise rekurriert wird auf die Absprachen, wenn man sagt, wir haben doch im Äl- testenrat das und das abgemacht, und zwar in öf- fentlicher Sitzung. Das wäre nach diesen Geschäfts- ordnungsanträgen nicht mehr möglich, weil alles, was besprochen wird, für komplett vertraulich er- klärt werden soll.
(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])
Es macht die Absprachen im Ältestenrat sinnlos, wenn man sich zur Wahrnehmung parlamentari- scher Rechte nicht darauf berufen kann. Wir halten es deswegen für verfassungswidrig und werden da- gegen auch vor das Landesverfassungsgericht zie- hen.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wunderbar! - Beifall FDP - Hans-Jörn Arp [CDU]: Lächer- lich!)
Was diese berühmt-berüchtigte Richtlinie zur In- ternettechnik angeht, muss ich sagen: Die ist nicht nur technikfeindlich, sie ist auch von hinten bis vorn Pfusch. Das fängt schon damit an, dass in der Geschäftsordnung festgeschrieben werden soll, eine Verständigung im Ältestenrat über die Nutzung mobiler Internettechnik solle gelten. Das Problem ist, im Ältestenrat hat schon keine Verständigung stattgefunden. Deswegen ist diese Richtlinie auch null und nichtig. Wenn Sie der Beschlussempfeh- lung so zustimmen, gilt ein Totalverbot von jeder Internettechnik.
(Beifall Lars Harms [SSW])
Das heißt, dass auch Herr Kollege Dr. Stegner sein Smartphone wegpacken muss, dass Herr Kollege Kubicki seinen Tablet-PC wegpacken muss.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich habe gar kei- nen!)
Ich glaube, wir sind uns einig, dass ein Totalverbot jeder Internettechnik völlig unverhältnismäßig ist.
(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])
- Es ist schön, dass Sie jetzt die Tablets eingepackt haben. Vorhin konnte man noch sehr viele hier auf den Tischen sehen, genauso wie Zeitungen, die aus- gebreitet waren.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist unglaub- lich!)
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern.
Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege, würden Sie zur Kenntnis nehmen, weil die Sitzung ja öffentlich übertragen wird, dass ich es mir nicht gefallen lasse, dass Sie mit Unwahrheiten arbeiten? Ich habe weder einen Tablet-PC noch ein iPad hier, noch hat- te ich jemals hier ein iPad am Platz. Ich will es aber nicht hinnehmen, dass Sie in der Öf- fentlichkeit erklären, ich hätte es jetzt einge- packt. Würden Sie das zur Kenntnis nehmen?
- Ich nehme es zur Kenntnis.
Wolfgang Kubicki [FDP]: Moment! Ich weigere mich, das über einen PIRATEN zu ertragen, schlicht und ergreifend.
(Beifall FDP)
- Ich muss aber sagen, dass ich in Erinnerung habe, dass Sie Ihren Tablet-PC in einer anderen Sitzung benutzt haben.
(Beifall PIRATEN)
Das zweite Problem mit dieser Internetrichtlinie ist, dass Sie tatsächlich in der Richtlinie über die Nut- zung mobiler Internettechnik eine Regelung für Laptops und auch für Telefone vorsehen. Da muss ich doch feststellen, dass dem Verfasser dieses Antrags der Unterschied zwischen Internet und Telefon offenbar noch nicht klar ist. Sie kön- nen doch nicht in einer Richtlinie, die laut Ge- schäftsordnung Internettechnik regeln darf, die Nut- zung von Telefonen regeln! Diese Richtlinie ist doch völlig ohne Grundlage. Man sollte sie viel- mehr „Richtlinie über das Verbot moderner Tech- nik“ nennen. Das wäre passender.
(Beifall PIRATEN)
Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage - -
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern.
Präsident Klaus Schlie: Präsident Klaus Schlie: Herr Kollege Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki? Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Garg. Es wäre schön, wenn Sie mich ausreden lassen wür- den.
Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, würden Sie den Kolleginnen und Kollegen erläutern, auf welche Richtlinie Sie in der Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses rekurrieren?
(Beifall FDP)
Denn genau darum geht es jetzt, diese zu be- schließen.
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ich rekurriere auf die in der letzten Ältestenratssit- zung gegen unsere Stimme beschlossene Richtlinie über die Nutzung mobiler Internettechnik, die in den Geschäftsordnungsänderungsanträgen genannt ist beziehungsweise auf die verwiesen wurde. Präsident Klaus Schlie:
Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gerne.
Dr. Ralf Stegner [SPD]: Verehrter Herr Kollege Dr. Breyer, wären Sie so freundlich, dem Hause mitzuteilen, dass der Grund da- für, dass dieser Änderungsantrag zu dieser Konsequenz führt, daran liegt, dass es die PI- RATEN-Fraktion gewesen ist, die eine Eini- gung im Ältestenrat verhindert hat?
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja!)
- Ich möchte dazu sagen, dass ich den Grund für diesen Änderungsantrag nicht erklären kann, da er von Ihnen kommt. Er ist mir unerklärlich. Richtig ist, dass wir uns nicht bereit erklärt haben, freiwil- lig das zu akzeptieren, was hier heute zur Abstim- mung steht, nämlich eine totale Geheimhaltung al- ler Vereinbarungen im Ältestenrat.
Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Garg? Wir meinen, dass der Ältestenrat öffentlich tagen sollte, wie das auch bei den Sitzungen des Ältesten- rats einiger Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin erfolgreich praktiziert wird. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Was wir im Namen der Bürger tun, muss auch für die Bürger nachvollziehbar und zu begründen sein. Unser Anspruch als PIRATEN-Partei ist, dass wir demokratisch agieren und nicht in geheimen Run- den unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Köpfe hinweg Vereinbarungen treffen. Ja. Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, würden Sie dann zumindest freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass in der heute zur Abstimmung stehenden Be- schlussempfehlung keine Richtlinie enthalten ist und dass der Ältestenrat kein Beschluss- gremium ist und deswegen auch über keine Richtlinie beschlossen hat? (Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) - Ich nehme zur Kenntnis, dass in den Geschäfts- ordnungsänderungsanträgen, die heute zur Abstim- mung vorgesehen sind, steht, dass die Nutzung mobiler Internettechnik künftig nur nach Maßga- be einer Verständigung im Ältestenrat stattfinden soll und dass laut einer Pressemitteilung des Land- tags eine solche Verständigung erfolgt sein soll, ob- wohl sie tatsächlich nicht erfolgt ist, da wir uns nicht verständigt und nicht geeinigt haben. Das heißt, wenn Sie dem so zustimmen, gilt ein Total- verbot jeglicher Internettechnik. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stegner? Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwi- schenfrage des Abgeordneten Dr. Stegner? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja, gern. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Herr Kollege Dr. Breyer, sind Sie in der Lage, den Unterschied zu erkennen zwischen einer Bezirksverordne- tenversammlung und dem Landtag von Schleswig-Holstein? Und würden Sie zwei- tens auch zur Kenntnis nehmen, dass der Äl- testenrat sehr wohl der Meinung ist, dass die Ergebnisse unserer Beratungen so weit wie möglich veröffentlicht werden und dass das ausschließlich für Personalfragen nicht gilt, aber die Beratungen, die dahin führen, nicht öffentlich stattfinden sollen, damit man in der Lage ist, überhaupt zu einem Ergebnis zu kommen? Wären Sie bitte auch so freund- lich, dieses zur Kenntnis zu nehmen?416 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 7. Sitzung - Mittwoch, 26. September 2012 (Dr. Patrick Breyer) - Das kann ich nicht zur Kenntnis nehmen bezie- hungsweise bestätigen. Tatsächlich ist es so, dass weder die Tagesordnung von Ältestenratssitzungen noch im Nachhinein wirklich alles, was dort be- sprochen oder vereinbart worden ist - wenn es bei- spielsweise um Terminpläne geht, wenn es um den Haushalt des Landtags geht, wenn es um Reisen nach Schweden geht -, veröffentlicht wird. Von al- ledem hat die Öffentlichkeit leider nichts erfahren, bevor wir PIRATEN in den Ältestenrat eingezogen sind. (Unruhe) Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lars Harms? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Lars Harms [SSW]: Herr Kollege Dr. Brey- er, sind Sie mit mir der Auffassung, dass der Ältestenrat zwar vertraulich tagt, aber durchaus die Möglichkeit laut unserem Be- schlussvorschlag hat, Entscheidungen öffent- lich zu machen, und dass in unserem Antrag steht: „Über Art und Umfang von Mitteilun- gen an die Öffentlichkeit aus vertraulichen Sitzungen entscheiden die Präsidentin oder der Präsident im Benehmen mit dem Älte- stenrat“, damit es möglich ist, tatsächlich alle Entscheidungen dort auch öffentlich zu ma- chen? (Angelika Beer [PIRATEN]: Was hat das denn mit Transparenz zu tun?) - Ich nehme zur Kenntnis, dass diese Möglichkeit besteht, das ist richtig. Ich sage aber auch, dass von dieser Möglichkeit kein Gebrauch im ausreichen- den Maße gemacht wird. Ich habe gerade eben er- läutert, welche Punkte wir besprochen und wo wir uns verständigt haben und die nicht - außer durch uns PIRATEN - veröffentlicht worden sind. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Garg? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, Sie haben gerade behauptet, be- vor die PIRATEN-Fraktion in den Landtag gezogen ist, sei aus dem Ältestenrat weder über den Ablauf einer Plenartagung noch über Ausschussreisen berichtet worden, über die im Ältestenrat gesprochen worden sei. Würden Sie dem Plenum und der Öffentlich- keit erklären, wie die Vorbereitung einer Landtagstagung möglich sein sollte oder in den vergangenen 20, 30 oder 40 Jahren ge- wesen sein soll, wenn der Ablauf der Plenar- tagung beziehungsweise die zeitliche Reihen- folge und die Setzung von Tagesordnungs- punkten nicht veröffentlicht worden wären? - Verehrter Kollege Herr Dr. Garg, ich kann Ihnen nichts erklären, was ich nicht gesagt habe. Ich habe von der letzten Legislaturperiode überhaupt nichts gesagt, sondern ich habe für diese Legislaturperiode gesprochen und Beispiele genannt, über die nicht öffentlich berichtet worden ist. Zu diesen Dingen gehören beispielsweise die Pläne, die den Haushalt des Landtags angehen, dazu gehören die Pläne ei- ner Reise. Das sind alles Punkte, von denen die Öf- fentlichkeit nur durch uns erfahren hat. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Lars Harms? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja, ein Kreuzverhör nehme ich gern hin. Präsident Klaus Schlie: Das Wort hat Herr Abgeordneter Harms für eine Zwischenfrage. Lars Harms [SSW]: Herr Dr. Breyer, Sie haben vorhin die Behauptung aufgestellt, dass unser Änderungsantrag dazu führen würde, dass Internettechnik im Plenarsaal verboten sei. Würden Sie zur Kenntnis neh- men, dass in § 49a steht: „Während der Sit- zungen des Landtags ist die Nutzung mobiler Informationstechnik auf der Grundlage einer Verständigung im Ältestenrat zulässig“, und damit verbunden ist, dass dies natürlich im- pliziert, dass auch Internettechnik hier zuläs- sig ist? Würden Sie mir zustimmen, dass das allerdings auch nur dann der Fall ist, wenn alle einer solchen Regelung im Ältestenrat zustimmen, und dass es politisch klug wäre, dies auch zu tun?Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 7. Sitzung - Mittwoch, 26. September 2012 417 (Präsident Klaus Schlie) (Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ich stimme zu, dass Sie die Regelungen, die hier beschlossen werden sollen, richtig referiert haben. Ich stimme allerdings nicht zu, dass es klug wäre, einem technikfeindlichen Verbot von Laptops und sonstiger Technik hier zuzustimmen. Das würde ei- ne nicht hinnehmbare Einschränkung unserer Ar- beitsmittel darstellen. Das werden wir noch näher erläutern, wenn Sie uns zu Wort kommen lassen würden. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Callsen? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ich nehme gern diese Zwischenfrage an und lehne sie nicht ab. Wenn Sie keine Zwischenfragen stel- len wollen, dann stellen Sie sie nicht. (Zuruf) - Ich lasse gern Zwischenfragen zu. Präsident Klaus Schlie: Eine Zwischenfrage hat jetzt Herr Callsen. Johannes Callsen [CDU]: Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass es insbesondere zu den Aufgaben des Schles- wig-Holsteinischen Landtags gehört, den Haushalt zu beschließen? Deswegen ist Ihre Unterstellung, der Haushalt würde nur durch die Mitwirkung der PIRATEN öffentlich ge- macht, schlicht falsch. Das sage ich einmal vorsichtig. (Beifall CDU und FDP) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Richtig ist, Herr Kollege Callsen, dass die Pläne über den Haushalt nur durch uns veröffentlicht wer- den. (Lachen SPD und FDP) Wir haben ein völlig anderes Verständnis von Transparenz und Mitbestimmung. Wir wollen nämlich, dass die Bürgerinnen und Bürger schon im Entscheidungsprozess einbezogen werden und nicht erst, wenn Sie sich schon auf einen Antrag geeinigt haben, der dann im Parlament begründet werden muss. Das ist nicht unser Verständnis von Mitbe- stimmung und Demokratie. Wir wollen, dass man schon in die Entscheidungsprozesse eingebunden wird, dass wir mit den Bürgern sprechen, bevor wir Entscheidungen treffen. Präsident Klaus Schlie: Herr Breyer, gestatten Sie eine weitere Zwischen- frage des Abgeordneten Callsen? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Sehr gern. Johannes Callsen [CDU]: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass schon der erste Ent- wurf des Haushalts in diesem Parlament und in den Ausschüssen öffentlich diskutiert wird? (Zuruf FDP: Das ist Transparenz!) - Mir ist das genauso bekannt wie die Gespräche, die wir im Ältestenrat über den Landtagshaushalt geführt haben, die vorher keinen Niederschlag in einem veröffentlichten Dokument gefunden haben und die nach der Sitzung nur durch uns veröffent- licht worden sind, wo es zum Beispiel um Dinge geht wie die Anschaffung von Tablet-PCs, und zwar von iPads, wie ich heute Morgen aus der Pres- se erfahren durfte, für alle Abgeordneten, und zwar als Ersatz für Laptops, die wir schon angeschafft haben und die uns hier verboten werden sollen. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Was ist das für eine selbstgerechte Darstellung!) Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten von Kalben? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Breyer, da Sie hier relativ viele Dinge erzählen, die Sie im Ältestenrat erlebt haben, und wir, glaube ich, fast alle Sitzun- gen gemeinsam erlebt haben - und wir auch beide neu sind -: Ich war wohl nicht dabei oder geistig abwesend, können Sie mir bitte sagen, in welcher Sitzung wir über eine Schwedenreise gesprochen haben, weil ich glaube, dass es auch die Kolleginnen und418 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 7. Sitzung - Mittwoch, 26. September 2012 (Dr. Patrick Breyer) Kollegen interessiert, wann wir nach Schwe- den fahren. (Zurufe) Ich kann erklären, dass in den Sitzungen, an denen ich teilgenommen habe, nie über eine Schwedenreise gesprochen wurde. Deswegen würde mich interessieren, wann darüber ge- sprochen worden ist. (Christopher Vogt [FDP]: Das sollte eine Überraschung für Sie sein! - Heiterkeit und Beifall) - Frau Kollegin, ich kann das gern erklären. Nach Ihrem Geschäftsordnungsantrag sollen keineswegs nur die Gespräche, die im Ältestenrat geführt wer- den, für geheim erklärt werden, sondern eben auch alle Unterlagen des Ältestenrats sollen für geheim erklärt werden. Zu diesen Unterlagen gehört ein Schreiben, das eine mögliche Reise der Ältesten- ratsmitglieder nach Schweden betrifft. (Angelika Beer [PIRATEN]: Darfst du das jetzt sagen?) - Ich darf das jetzt noch sagen, ich darf das in zehn Minuten - fürchte ich - wahrscheinlich nicht mehr erzählen, was da so geplant wird. Präsident Klaus Schlie: Jeder darf hier das sagen, was er erinnert. Das, was Herr Dr. Breyer glaubt zu erinnern, ist in meiner Erinnerung nicht vorhanden. Erlauben Sie eine wei- tere Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfgang Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, da Sie Jurist sind: Ist Ihnen der Unterschied zwischen vertraulich und ge- heim bekannt? Das ist die erste Frage. Die zweite Frage ist: Da Sie als Jurist das Gewaltenteilungsprinzip auch beherrschen: Ist Ihnen bekannt, dass der Parlamentshaus- halt nicht von der Exekutive, vom Finanz- ministerium, aufgestellt werden kann und darf, im Gegensatz zu allen anderen, dass al- so das Parlament selbst über den Parlaments- haushalt vorab befinden muss, bevor er ver- öffentlicht wird, und dass das eine originäre Aufgabe der Fraktionen untereinander und des Ältestenrats ist? - Lieber Herr Kollege Kubicki, zum ersten Punkt: Wenn ich unter Zwangsmittelandrohung verpflich- tet werde, nicht mehr über das berichten zu dürfen, was ich selbst im Ältestenrat getan oder gesagt ha- be, dann ist das eine Geheimhaltungsverpflichtung. Zum zweiten Punkt kann alle Vernebelungstaktik, die Sie mit dem Begriff Transparenz verbinden, nichts daran ändern, dass wir über Änderungen am Haushalt des Landtags im Ältestenrat gesprochen haben, dass das nicht öffentlich war, dass darüber im Anschluss nicht berichtet worden ist und dass allein wir PIRATEN gesagt haben, was da geplant und besprochen worden ist. Keine weiteren Fragen? - Nanu! Ich war bei dieser berüchtigten Richtlinie über das Verbot von Internet-Technik oder moderner Tech- nik stehen geblieben. Ein weiterer Punkt, den diese Richtlinie vorsieht, ist doch tatsächlich ein Verbot der privaten Nutzung des Internets während der Plenarsitzungen. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wie soll das eigentlich aussehen? Wie soll das eigentlich durchgesetzt werden? Soll der Herr Präsident hier durch die Reihen laufen? Oder erwarten Sie, dass Sie sich gegenseitig über die Schultern gucken, anschwärzen und denunzie- ren, wenn jemand das Internet privat genutzt hat? (Zuruf Abgeordnete Serpil Midyatli [SPD]) Oder wollen Sie etwa, dass der Abgeordnete selbst reuig nach vorn tritt und sagt: Ich habe eine SMS von meiner Frau gelesen, tut mir leid, das war ein Verstoß? Dieses Verbot der privaten Nutzung kann über- haupt nicht funktionieren. Das ist eine Selbstver- ständlichkeit, das gehört zum Anstand, so etwas kann man nicht aufschreiben und nicht mit Zwangs- mitteln durchdrücken. (Beifall PIRATEN, Abgeordnete Barbara Ostmeier [CDU], Birgit Herdejürgen [SPD] und Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Darüber muss man sprechen, einen Dialog aufneh- men und sich einigen. (Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD, Beifall Abgeordnete Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Christopher Vogt [FDP]) Genauso ist es mit einem anderen Punkt. Wir haben im Ältestenrat Gespräche geführt, wo wir uns nä- hergekommen sind, wo ich Angebote gemacht ha- be, wie man zum Beispiel dem Problem des fehlen-Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 7. Sitzung - Mittwoch, 26. September 2012 419 (Dr. Patrick Breyer) den Sichtkontakts abhelfen könnte, wie man mit dem Problem Fotos aus dem Plenum umgehen könnte. Sie sind auf diese Vorschläge überhaupt nicht eingegangen, sondern wollten die von vorn- herein feststehende Richtlinie, die uns übrigens bis dahin nicht bekannt war, einfach wortgleich durch- drücken. Das heißt, ein Dialog darüber hat nicht stattgefunden. Wenn Sie wirklich wissen wollen, was im Plenum ablenkt und stört, brauchen Sie sich nur selbst zuzu- hören - das sind Sie selbst. Die Gespräche, die wir führen, wenn wir nicht da sind, wenn wir Zeitung lesen - das stört wirklich im Landtag und nicht, wenn jemand hier einen Laptop aufgeklappt hat und mitschreibt. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wenn man nicht da ist, kann man nicht stören! - Zuruf Abge- ordneter Lars Harms [SSW]) Das ist überhaupt nicht das Problem. Es geht um parlamentarische Kultur. Darüber kann man nur im Dialog sprechen und nicht mit Zwangsandrohun- gen. (Beifall PIRATEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe nicht nur aus meiner Fraktion kritische Stimmen gehört. Ich will, dass sich jede Einzelne und jeder Einzelne von Ihnen noch einmal Gedanken darüber macht, ob das, was hier beantragt worden ist, wirklich der richtige Umgang in einem Parlament ist - ein Tech- nikverbot, die Schaffung eines Geheimrats. Ich be- antrage deswegen im Namen der Fraktion der PI- RATEN eine namentliche Abstimmung über diese Frage. Wir haben im Ausschuss lernen dürfen, es sei nicht erforderlich, die Antragsrechte auszuwei- ten, weil das ein Parlamentsrecht sei, dem ohnehin alle zustimmen. Ich bin gespannt, ob Sie das tun. Ich hoffe, dass sich gerade die jüngeren Abgeord- neten unter Ihnen und insbesondere auch die Kolle- ginnen und Kollegen von den Grünen einmal nicht - anders als so oft in der Vergangenheit - vermeint- lichen parlamentarischen Zwängen beugen, sondern wirklich inhaltlich darüber abstimmen, ob das das ist, was gelten soll: eine rückständige, technikfeind- liche Verbotsorgie aus der Steinzeit des Parlamen- tarismus. Ich bitte Sie, dem eine klare Absage zu erteilen. (Beifall PIRATEN) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Herdejürgen, ich habe mit Interesse gehört, dass Sie von Dialog gespro- chen haben und davon, gemeinsame Spielregeln auszuhandeln. Wenn Sie die Zwischenfrage zuge- lassen hätten, hätte ich Sie gefragt, wann denn ein solcher Dialog geführt worden ist, ob ein Dialog so aussieht, dass sich alle anderen Parlamentarischen Geschäftsführer ohne den der PIRATEN zusam- mensetzen und eine Geschäftsordnungsänderung ohne uns aushandeln. Sieht so der Dialog aus, von dem Sie gesprochen haben? Sieht der Dialog so aus, dass Sie keine Zwischenfragen zulassen? Der erste Dialog, den wir hier geführt haben, hat vorhin über die Zwischenfragen stattgefunden. Das will ich ganz klar sagen. - Bitte, Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. Präsident Klaus Schlie: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Herdejürgen? (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das war kein Dialog!) Die Frau Vorsitzende hat lobenswerterweise ausge- führt, dass wir in vier Sitzungen darüber gespro- chen haben, wie man mit der Geschäftsordnung und unseren Geschäftsordnungsanträgen umgehen kann. (Zuruf Abgeordneter Dr. Heiner Garg [FDP]) Sie als Parlamentarische Geschäftsführer, die in diesen Sitzungen und bei diesen Dialogen gar nicht dabei waren, haben sich am Ende zusammengesetzt und etwas ausgehandelt, in dem nichts mehr von unseren Vorschlägen für mehr Transparenz übrig geblieben ist. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Gab es einen Dia- log?) Präsident Klaus Schlie: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Herdejürgen? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja, gern. Birgit Herdejürgen [SPD]: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass es in unserer Fraktion424 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 7. Sitzung - Mittwoch, 26. September 2012 (Dr. Patrick Breyer) üblich ist, dass die Mitglieder der einzelnen Facharbeitskreise und Ausschüsse durchaus miteinander reden und dass sich daraus auch Vorschläge entwickeln, ohne dass eine direk- te Teilnahme an Ausschusssitzungen vonnö- ten ist. Kommunikation findet bei uns auf ei- nem sehr herkömmlichen Weg statt. Wir re- den manchmal miteinander. Das erleichtert einiges. Bitte nehmen sie das zur Kenntnis. - Ich nehme das zur Kenntnis, stelle allerdings fest, dass ein Dialog mit den Personen, die diesen An- trag ausgearbeitet haben, nicht stattgefunden hat und auch nicht gesucht worden ist. Wir wussten nicht einmal, dass das Verfahren so gewählt werden soll. (Zuruf Abgeordneter Dr. Heiner Garg [FDP]) Wir sind davon ausgegangen, dass man im Aus- schuss über jeden einzelnen Punkt redet, und nicht, dass man gemeinsam mit einem vorgefertigten An- trag reinmarschiert, der uns eineinhalb Stunden vor- her übersandt wird, und fast noch erwartet hat, dass wir sofort darüber entscheiden. Dankenswerterwei- se hat sich ein Kollege dafür eingesetzt, dass wir noch einmal eine Bedenkzeit bekommen. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwi- schenfrage der Frau Abgeordneten Herdejürgen? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. (Jürgen Weber [SPD]: Sollen wir so lange rausgehen?) Birgit Herdejürgen [SPD]: Ist Ihnen be- wusst, dass in der Innen- und Rechtsaus- schusssitzung, als wir unseren Änderungsan- trag vorgelegt haben, Ihr Kollege um Verta- gung dieses Tagesordnungspunkts gebeten hat, um sich mit diesem Thema ausführlich befassen zu können? Ich habe in dieser Sit- zung angeboten, unsere Punkte ausführlich zu erläutern. Es bestand kein Wunsch da- nach. - Ich habe bereits gesagt, dass mir bekannt ist, dass die Vertagung erfolgt ist. Wir haben auch in der darauffolgenden Sitzung inhaltlich über die einzel- nen Punkte gesprochen. (Beifall Abgeordnete Petra Nicolaisen [CDU] - Zuruf: Es gab einen Dialog!) - Es gab keinen Dialog, bevor dieser Antrag vorge- legt und Sie sich damit schon festgelegt hatten. Das ist genau der Punkt, auf den ich vorhin hingewiesen habe. Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Ver- ständnis von Demokratie, das heißt, die Öffentlich- keit bekommt etwas vorgesetzt, wenn man sich schon entschieden hat, (Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie haben doch einen Antrag vorgelegt!) und unserem Ansatz von Demokratie, dass man mit den Bürgern zusammen in die Entscheidungspro- zesse geht. (Birgit Herdejürgen [SPD]: Sie haben das Gespräch doch überhaupt nicht gesucht!) Sie haben gesagt, dass von einem Verbot sozialer Netzwerke überhaupt keine Rede sei. Dazu bemer- ke ich, dass auf der Tagesordnung der nächsten Sit- zung des Ältestenrats eine Richtlinie über die Ver- wendung sozialer Netzwerke steht, in der vorgese- hen ist, dass Paralleldebatten über soziale Netzwer- ke verboten werden sollen. Es geht in dieser Dis- kussion sehr wohl darum, ob wir in der Geschäfts- ordnung eine Grundlage dafür schaffen, eine solche Richtlinie zu erlassen. Bisher gibt es sie nämlich nicht. Zum Schluss haben Sie noch gesagt, dass wir hier Selbstbeschäftigung betreiben, dass wir zum Punkt Mitbestimmung nichts sagen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Hier geht es um Mitbestim- mung der Bürger. (Birgit Herdejürgen [SPD]: Ich habe über- haupt nichts über Mitbestimmung gesagt!) - Nicht Sie persönlich, aber Kollegen von Ihnen. - Es geht hier um Mitbestimmung der Bürger, und für Mitbestimmung ist Transparenz Voraussetzung. Ich weiß, dass Sie sehr gern für die Bürger Rege- lungen erlassen, Gesetze, woran sie sich halten sol- len und müssen, aber nicht so gern darüber spre- chen, welche Regeln für uns selbst gelten. (Beifall PIRATEN - Zuruf Abgeordnete Bir- git Herdejürgen [SPD] - Weitere Zurufe und Heiterkeit) Das ist eine sehr wichtige Frage für die Bürgerin- nen und Bürger. Das kann man nicht mit dem Ar- gument „Kümmern Sie sich um die Probleme des Landes“ verniedlichen. Es ist ein Problem des Lan- des, dass hier solche Sachen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr erfreulich, dass wir über die Vor- gänge von gestern hier öffentlich und nicht nur im Ältestenrat debattieren. Wir sind bekanntlich der Meinung, dass die Ältestenratssitzungen überhaupt öffentlich sein sollten. Deswegen will ich aus Sicht der PIRATEN etwas dazu sagen. Wir PIRATEN haben gestern - dabei bleiben wir - dieses Verfahren verurteilt. Wir verurteilen es, wie das Sparkassengesetz durchgezogen, durchgeprü- gelt werden soll. Wir sind auch in der Sache gegen dieses Gesetzes- vorhaben, aber wir verstoßen nicht gegen parla- mentarische Regeln. Diese Regeln schreiben uns Abgeordneten nun einmal vor, bei Debatten anwe- send zu sein. Wir dürfen der Debatte nicht fernblei- ben. Wenn uns PIRATEN an diesen Regelungen et- was nicht passt, bringen wir Änderungsvorschläge ein, wir kämpfen auch einmal hart und erbittert da- für, aber wir verstoßen nicht einfach gegen diese Regeln. (Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Wie viele PIRATEN waren denn da?) Die Grenze des Anstands und der Redlichkeit ist endgültig überschritten, wenn Kollegen von mir of- fensichtlich zu einem Essen eingeladen werden oder ihnen Geldscheine vorgehalten werden, was ich hören musste. Dieses Vorgehen finde ich un- glaublich. Das kann ich nur in aller Schärfe rügen. (Serpil Midyatli [SPD]: Herr Kubicki, das stimmt!) Dieses Vorgehen kann ich nur in aller Schärfe rü- gen. Wir waren anwesend; alle Kollegen, die nicht anwesend waren, hatten einen echten Verhinde- rungsgrund. Wir haben die Beschlussfähigkeit des Plenums gesichert. Das ist parlamentarischer An- stand. Dabei sollten wir hier im Landtag bleiben. (Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbe- merkung des Herrn Abgeordneten Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Präsident, ich habe keine Zwischenbemerkung zu ma- chen, sondern eine Frage an den Kollegen Breyer, da wir ja transparent und offen mit- einander umgehen: Würden Sie bitte dem Haus erklären - das blieb bisher nebulös -, wer wem von Ihnen Geldscheine unter die Nase gehalten hat? (Dr. Gitta Trauernicht [SPD]: Oder zum Es- sen eingeladen hat!) - Das ist mir egal. Zum Essen kann man je- den einladen. Ich würde Sie auch einladen. - An dieser Stelle nicht. (Dr. Gitta Trauernicht [SPD]: Das ist jetzt aber nicht transparent! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie können doch nicht eine Behaup- tung in den Raum stellen und jetzt erklären, Sie wollen dazu nichts sagen!) - Die Behauptung bleibt richtig. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich finde das un- glaublich!)
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben gerade über die Ein- flussnahme der HSH Nordbank auf die Politik der Landesregierung gesprochen. Leider ist ganz allge- mein die Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik groß und hat die Verflechtung von Wirt- schaft und Politik in Deutschland erschreckende Ausmaße angenommen. Parteien und Wahlkämpfe werden von Wirtschaftsunternehmen finanziert. Parteitage werden von Wirtschaftsunternehmen ge- sponsert, zum Beispiel Bundesparteitage der FDP von Unternehmen der Glücksspielbranche. Abge- ordnete werden als Aufsichtsratmitglieder oder als Berater von Wirtschaftsunternehmen bezahlt. Spit-2620 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 32. Sitzung - Freitag, 21. Juni 2013 (Dr. Patrick Breyer) zenverdiener im Bundestag ist bekanntlich der SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück. Es besteht ein reger personeller Wechsel aus der Wirtschaft in die Politik und umgekehrt. Politiker, die sich für eine Gaspipeline oder für Biometrie einsetzen, wechseln nach dem Ende ihres Amtes zu den davon profitierenden Unternehmen - Stichwort: Gerhard Schröder oder Otto Schily. Es gibt keine Karenzzeiten, die dies begrenzen. Die Wirtschaft verleiht Personal an Ministerien, das in der Vergan- genheit schon einmal an Gesetzentwürfen mit- schrieb oder an der Aufsicht für das zu entsendende Unternehmen mitwirkte, und Ministerien lassen Gesetzentwürfe von Wirtschaftskanzleien schrei- ben, die sonst für Großunternehmen arbeiten. Der CSU-Wirtschaftsminister zu Guttenberg ließ einen Gesetzentwurf zur Bankenrettung von einer Anwaltskanzlei erstellen, die vorher eben die Bank, die gerettet werden sollte, beraten hatte. Durch die- se Praxis entsteht der Eindruck eines zunehmenden Ausverkaufs politischer Macht. Es ist ein Kern- ziel der Piratenpartei, diesen Sumpf trockenzulegen und die Herrschaft der Demokratie über die Wirt- schaft sicherzustellen. Deswegen fordern wir end- lich klare Antikorruptionsregeln, Karenzzeitenre- geln und Offenlegungsregeln. Viele dieser Dinge kann nur der Bundestag be- schließen, zum Beispiel endlich Abgeordnetenbes- techung unter Strafe zu stellen. Darin haben wech- selnde Mehrheiten der etablierten Parteien aller Couleur versagt. Wir PIRATEN werden dafür kämpfen. Auf Landesebene haben wir einen Ge- setzentwurf zur Offenlegung von Nebeneinkünf- ten vorgelegt, der leider seit Monaten in dem zu- ständigen Ausschuss versauert. Nun ist bekannt geworden, dass die Landtagsfrak- tionen von CDU und FDP bei einer Anwaltskanzlei ein Komplettpaket in Sachen Glücksspielgesetz in Auftrag gegeben haben. Wir fordern, solches Ge- setzgebungs-Outsourcing offenzulegen und den Bürgern ganz klar mitzuteilen, wer welche Teile von Gesetzentwürfen mitgeschrieben hat. Wir sind der Überzeugung, dass die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf haben zu erfahren, von wem die Gesetze stammen, an die sie sich halten sollen. Entscheidend ist dabei nicht, ob ihr Ghostwriter tat- sächlich Einzel- oder sogar Eigeninteressen hat ein- fließen lassen, entscheidend ist, dass bei der demo- kratischen Gesetzgebung schon der Anschein einer Einflussnahme vermieden werden muss. Geheimes Gesetzgebungs-Outsourcing setzt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Unabhängigkeit des demokratischen Gesetzgebers aufs Spiel und damit letztlich die Demokratie selbst. Deswegen muss das ein Ende haben. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) Wenn Sie nicht selbst in der Lage sind, ein Gesetz zu schreiben - wie soll sich dann der Bürger darauf verlassen können, (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) dass Sie im Einzelnen den Entwurf einer Anwalts- kanzlei daraufhin überprüfen können, ob nicht Ein- zel- oder Eigeninteressen eingeflossen sind? (Wolfgang Kubicki [FDP]: Dafür ist das Par- lament da!) Wir fordern ganz klar, dass solche Aufträge ausge- schrieben und offengelegt werden müssen, und von der Koalition verlangen wir eine klare Entschei- dung zu diesem Punkt. Wir werden es nicht zulas- sen, dass dieser Antrag wieder über Monate hinweg verschleppt wird - so wie der Gesetzentwurf zur Offenlegung von Nebeneinkünften. Wir sind der klaren Überzeugung: Wenn Sie tatsächlich meinen, Gesetzgebung outsourcen zu müssen, übernehmen Sie auch die Verantwortung dafür und rechtfertigen Sie sich davor vor der Öffentlichkeit! Das verlan- gen wir PIRATEN, das erwarten auch die Bürgerin- nen und Bürger. -Danke. (Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Lars Harms hat sehr allgemeine Ausführungen zum Thema Lobbyismus gemacht und gesagt, dass das doch alles nicht so schlimm sei. Dazu möchte ich gern noch einmal etwas sagen. Lobbyismus bedeutet Vertretung von Einzelinteressen. Es ist nicht normal, dass hier im Parlament oder auch in einem Ministeramt Einzelinteressen vertreten werden. Denn wir alle und auch alle Minister und der Ministerpräsident haben einen Eid darauf geschworen, dem Wohl des Volkes zu dienen, das heißt allen Bürgerinnen und Bürgern. Deswegen ist das, was wir machen, kein Lobbyismus und darf auch kein Lobbyismus sein. (Beifall PIRATEN - Zuruf Dr. Ekkehard Klug [FDP]) Es geht darum, das Vertrauen der Menschen, für die wir handeln und die sich an unsere Entscheidungen halten müssen, auch zu bewahren. Deswegen spielt es schon eine Rolle, ob allein der Anschein besteht, man könnte vielleicht nicht im öffentlichen Interesse, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, sondern im eigenen Interesse handeln. Deswegen ist es ein Problem, wenn zum Beispiel ein Wirtschaftsminister gleichzeitig Präsident eines Tourismusverbands ist, weil dieser Einzelinteressen vertritt. (Serpil Midyatli [SPD]: Jetzt geht das schon wieder los!) Es ist ein Problem, wenn Abgeordnete Nebeneinkünfte von einzelnen Wirtschaftsunternehmen beziehen. Es ist ein Problem, wenn an Gesetzentwürfen Lobbyisten mitgeschrieben haben. Deswegen haben wir auch vorgeschlagen und immer wieder mit verschiedenen Initiativen darauf gedrängt, dass solche möglichen Interessenkonflikte offengelegt werden. Wir haben beantragt, dass Nebeneinkünfte offengelegt werden. Wir haben beantragt, dass die Mitwirkung von Lobbyisten an Gesetzentwürfen offengelegt wird. Und wenn es gar so weit geht, wie in einigen anderen Parlamenten, dass aktive Lobbyisten gleichzeitig Abgeordnete sind, ist das ein ganz massives Problem. Deswegen war es auch im Fall der Bildungsministerin erforderlich, dass sie dieses Rückkehrrecht offengelegt hat. Es hätte schon früher passieren müssen, damit sich jeder selbst ein Bild hätten machen können und die Entscheidung zutreffend hätte einordnen können. Jeder muss für sich selbst bewerten, ob und in welchen Fällen ein solches Rückkehrrecht problematisch ist. Bei uns, Herr Kollege Harms, ist es transparent, weil unser Beruf veröffentlicht wird. Da kann jeder sehen, ob ein solches Rückkehrrecht besteht oder nicht. Ich finde, es sollte auch bei Ministern bekannt sein, wenn solche Interessenverflechtungen bestehen. - Vielen Dank. (Vereinzelter Beifall PIRATEN)
Bundesratsinitiative zur Stärkung der Freiheit und der Privatsphäre im Internet
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Datenpannen, Datenklau, Datens- kandale - immer wieder müssen wir über solche Fälle in der Zeitung lesen. Ich möchte nur einmal drei Fälle allein aus diesem Jahr nennen. Da ging es darum, dass Hacker Zugriff auf bis zu 400.000 Passwörter und Adressen des Brillenhändlers Mr. Spex hatten; da ging es darum, dass die Zu- gangsdaten für bis zu 300.000 gmx-Postfächer auf einmal ausspioniert worden waren. Das heißt, dass man private Mails lesen konnte. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Alles Piraten!) Da ging es darum, dass Mailadressen und Kenn- wörter von 15.000 Nutzern eines Internetforums des Sportvereins Mainz 05 gestohlen wurden. Das Ergebnis dieser vielen Fälle - ich habe nur drei aus diesem Jahr genannt - ist, dass 78 % der Intern- etnutzer inzwischen angeben, dass ihre Hauptsorge bei der Internetnutzung dem Diebstahl ihrer per- sönlichen Daten und dem Weiterverkauf ihrer Daten an Dritte gilt. Genauso sagen 85 % der Nut- zer, dass die Anbieter von sich aus nicht genug tun, um die Daten ihrer Kunden im Internet zu schützen. Ich denke, das bekräftigt noch einmal, dass sichSchleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 8. Sitzung - Donnerstag, 27. September 2012 503 (Dr. Patrick Breyer) solche Fälle nicht allein durch Selbstregulierung verhindern lassen. Sicherlich kann man nicht jede Datenpanne vermei- den, aber der beste Schutz vor Datendiebstahl und Datenmissbrauch ist, wenn von vornherein so we- nig persönliche Daten wie möglich erhoben wer- den. Diese können dann auch nicht geklaut und ver- loren werden. (Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD) Deshalb ist es zur Stärkung der Privatsphäre und des Verbrauchervertrauens dringend erforderlich durchzusetzen, dass Telemediendienste so wenig persönliche Daten wie möglich verarbeiten. Des- halb wollen wir zum Beispiel mit unserem Antrag eine Stärkung des Rechts auf Anonymität errei- chen. In dem Fall mit dem Internetforum war es zum Beispiel schon ein Grundfehler, dass man sich überhaupt registrieren musste, um an dem Forum teilzunehmen. Das ist gar nicht erforderlich. Da geht es auch um die Frage des Koppelungsverbots, das heißt, es muss klar sein, dass Daten, die gar nicht erforderlich sind, auch nicht erzwungenerma- ßen erhoben werden dürfen. In einem weiteren Punkt unseres Antrages geht es darum, dass die Nutzer über den Umgang mit ihren Daten wirklich frei entscheiden können sollen. Im Moment ist es beispielsweise so, dass die Anbieter Nutzer-Profile über das Surfverhalten der Nutzer anlegen dürfen und dafür keiner Einwilligung be- dürfen. Es gibt nur ein Widerspruchsrecht. Das ist für uns nicht akzeptabel. Wir fordern ganz klar eine Opt-in-Regelung: Nutzerprofile nur mit Einwilli- gung des Nutzers. (Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine informierte Einwilligung setzt natürlich vor- aus, dass man überhaupt weiß, worum es geht, worin man einwilligen soll. Im Moment ist es leider so, dass die Informationen über die Verarbeitung unserer Daten im Internet sehr allgemein und ver- klausuliert sind. Was man zum Beispiel nicht er- fährt, ist die konkrete Dauer der Datenspeicherung, wie lange eigentlich bei dem einzelnen Anbieter Dinge über das Nutzerverhalten gespeichert wer- den. Wir möchten deshalb, dass auch klar festgelegt wird, dass über die Dauer der Speicherung perso- nenbezogener Daten zu informieren ist, also über die Speicherfristen. Schließlich - um einen letzten Aspekt aus dem Be- reich des Datenschutzes herauszugreifen - braucht es, wie die Datenschützer es schon seit Jahren for- dern, ein Telemediennutzungsgeheimnis. Es kann nicht sein, dass wie bisher der Anbieter eines WLANs verpflichtet ist, die Privatsphäre seiner Nutzer zu achten, dass aber das, was wir im Internet machen, überhaupt keinem besonderen gesetzli- chen, strafrechtlichen Schutz unterliegt. Es kann nicht sein, dass die Strafverfolgungsbehörden oder auch die Geheimdienste an Daten über die Internet- nutzung viel leichter und ohne richterliche Anord- nung herankommen als an Daten über die Telekom- munikationsnutzung. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, das, was wir im Internet machen, ist doch viel aussagekräftiger - oft jedenfalls - als der Inhalt ei- nes belanglosen Telefonats. (Beifall PIRATEN und Abgeordnete Dr. Kai Dolgner [SPD] und Christopher Vogt [FDP]) Daraus kann man Persönlichkeitsprofile erstellen, man kann sehen, wonach wir gesucht haben, wofür wir uns interessieren, das gibt wirklich Aufschlüsse über unser Privatleben. Deshalb kann es nicht ange- hen, dass die Internetnutzung hier einem geringeren Schutz unterliegt als die Telefonnutzung. (Beifall PIRATEN, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneter Dr. Kai Dolgner [SPD]) Um auch gleich auf ein wirtschaftliches Argument einzugehen: Sicherlich ist das Internet grenzenlos, und wir können ausländische Dienste mit einer Re- gelung nicht erreichen - gar keine Frage -, aber trotzdem macht ein hoher Datenschutzstandard in Deutschland Sinn, weil es nämlich für uns einen Standortvorteil darstellt, wenn deutsche Dienste das Nutzervertrauen haben - was inzwischen ange- griffen ist - wie ich mit der Nennung meiner Zahlen vorhin zeigen wollte. Es ist für uns ein Standortvor- teil. Gerade auch für uns in Schleswig-Holstein ist der Datenschutz ein Standortvorteil und auch ein Impuls, der von uns ausgeht und ausstrahlt auf die europäische, auf die internationale Ebene. (Beifall PIRATEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht nur um den Schutz unserer Privatsphäre im Internet, der im Argen liegt, sondern auch um die Freiheit. Der Kollege Vogt hat schon etwas zum Thema Inter- netzugang gesagt. Dem kann ich mich anschließen. Ich will noch einmal klarstellen: Wenn die Deut- sche Telekom Telefonzellen anbietet, dann haftet sie auch nicht dafür, wenn durch diese Beleidigun- gen oder Drohungen ausgesprochen werden. Ge- nauso wenig kann es angehen, dass man als Anbie-504 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 8. Sitzung - Donnerstag, 27. September 2012 (Dr. Patrick Breyer) ter für den Missbrauch eines Internetzugangs haften muss. (Beifall PIRATEN, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Es geht aber nicht nur um den Internetzugang. In unserem Antrag geht es auch um Internetdienste, die die Einstellung von Nutzerinformationen er- möglichen. Ich nenne hier zum Beispiel Blogs, so- ziale Netzwerke, Veröffentlichungsdienste, Ho- stingdienste und so weiter. Hier geht es um Verviel- fältigungsdienste. In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung eine sogenannte Störerhaftung in dem Sinne geschaffen, dass von den Anbietern oftmals verlangt wird, von den Nutzern eingestellte Informationen daraufhin zu filtern, ob sie vielleicht rechtswidrig sein könnten, und zwar auf bestimmte Schlüsselwörter hin. - Das ist der völlig falsche Weg, denn einer solch groben Wortfilterung fallen bereits kritische Interviews zu diesem Thema oder auch Persiflagen einer Firma zum Opfer. Diese Fil- terung ist auch völlig wirkungslos, weil man ein- fach die gleichen Inhalte unter einem anderen Na- men noch einmal einstellen kann. Deshalb lehnen wir die Internetfilterung strikt ab. Teilweise wird unter dem Stichwort der Störerhaf- tung sogar gefordert, eine flächendeckende Identi- fizierung von Nutzern oder eine Vorratsdaten- speicherung ihres Nutzungsverhaltens durchzufüh- ren, weil diese einmal erforderlich sein könnte, um Rechtsverletzungen aufzuklären. Dazu sagen wir ganz klar: Nein, es darf im Internet keine Privatpo- lizei geben. (Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn man vonseiten der Anbieter eine Kontrolle verlangt, dann schadet dies sowohl der Meinungs- freiheit im Netz als auch der wirtschaftlichen Ent- wicklung dieser Dienste, denn diese überzogenen Pflichten, die sich inzwischen etabliert haben, füh- ren nur dazu, dass Anbieter in ein anderes Land ab- wandern, in dem es diese Störerhaftung nicht gibt. Wir brauchen in Deutschland und in Schleswig- Holstein gute Bedingungen für solche Anbieter. Ich habe mit Freude gelesen, dass allein in Schleswig- Holstein über 2.000 Unternehmen im Bereich Da- tenverarbeitung und Hosting tätig sind. Das sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Wir dürfen in Deutschland keine Bedingungen schaffen, die diesen Unternehmen die wirtschaftliche Tätig- keit unmöglich machen. (Beifall PIRATEN) Im Internet muss der gleiche Grundsatz gelten wie außerhalb des Internets, nämlich dass man seinen Mitbürgern erst einmal vertraut, dass sie das Recht einhalten und keine Rechtsverletzung begehen. Deshalb darf es keine anlasslose oder flächen- deckende Kontrolle geben. Wenn im Einzelfall wirklich ein Verdacht auf einen Rechtsverstoß vor- liegt, wenn beispielsweise die Anzeige eines Recht- einhabers vorliegt, dann muss im Zweifel ein Ge- richt entscheiden, nicht der Anbieter. Der Hoster kann nicht beurteilen, wer in einem solchen Streit recht hat oder ob ein bestimmter Inhalt rechtmäßig ist oder nicht. Er soll das in einem Rechtsstaat auch nicht. Wir wollen, dass solche Fragen, bei denen es um den Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Rechteinhabern geht, von den Gerichten geklärt werden. Die Anbieter befinden sich hier in einer Zwickmühle: Entweder sie löschen Daten zu Un- recht und haften dem Nutzer gegenüber, oder sie lö- schen die Daten zu Unrecht nicht, dann haften sie gegenüber dem Rechteinhaber. Hier müssen wir die Anbieter entlasten und solche Entscheidungen in Zweifelsfällen den Gerichten übertragen. (Beifall PIRATEN) Ein Beispiel, um auch im Fall der Hoster einen Vergleich anzustrengen, der das Thema plastisch macht: Ein Angebot von Speicherplatz lässt sich vielleicht mit dem Angebot einer Lagerhalle ver- gleichen. Es würde sicher keiner von dem Vermie- ter einer Lagerhalle verlangen, dass er seine Mieter dahin gehend überwacht, was sie in der Halle einla- gern und ob dies rechtmäßig ist. Ein weiteres Bei- spiel ist der Vergleich mit Vervielfältigungsdien- sten. Wir würden sicherlich sagen, dass ein Fotoko- pierladen nicht kontrollieren muss, was seine Kun- den auf den Fotokopierapparat legen. Genauso we- nig kann man das im Internet verlangen. Deshalb lade ich Sie ein, gemeinsam nach Lösun- gen zu suchen, um den Schutz unserer Freiheit und Privatsphäre im Internet zu verbessern. Wir bean- tragen, unseren Antrag federführend an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Wirt- schaftsausschuss zu überweisen, ihn dort näher zu beraten, um gute Lösungen dafür zu finden, wie wir die Freiheit und die Privatsphäre im Internet stärken können. - Danke. (Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt SPD und SSW)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon sehr interessant, was sich hier für eine Große Koalition bildet, wenn es darum geht, Trans- parenz in eigener Sache zu verhindern. (Birgit Herdejürgen [SPD]: Das sagt der Richtige!) Auch dass die CDU, die gleichzeitig im Zusam- menhang mit der Vorratsdatenspeicherung wissen möchte, mit wem wir tagtäglich telefonieren und E- Mails schreiben, hier gegen Generalverdacht antritt, finde ich hochinteressant. Frau Nicolaisen, leider ist es so, dass beileibe nicht alle Abgeordneten in Par- lamenten verantwortungsvoll mit ihrem Mandat umgehen. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das entscheiden Sie doch nicht! - Weitere Zurufe) Wir haben eine Reihe von Missbräuchen im Zu- sammenhang mit Interessenkonflikten feststellen müssen. Wir haben zum Beispiel Abgeordnete, die gleich- zeitig Lobbyisten oder gar Geschäftsführer von In- dustrieverbänden während ihrer aktiven Tätigkeit sind. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Wo denn? - Hans-Jörn Arp [CDU]: Wer ist das denn?) Wir haben Abgeordnete im Bundestag, die bei Ban- ken bezahlte Reden halten, während sie für eine Bankenregulierung öffentlichkeitswirksam eintre- ten. Wir haben Abgeordnete, die innenpolitisch tä- tig sind, selbst aber an Biometriefirmen beteiligt sind. So viel zu der Frage, was Kapitaleinkünfte damit zu tun haben. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])1692 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 20. März 2013 Vizepräsidentin Marlies Fritzen: scheidungen zugunsten von Unternehmen und nicht zugunsten des Landes treffen. Herr Kollege Kubicki, Sie sind jetzt nicht dran, sondern ich frage den Abgeordneten Dr. Breyer, ob er eine Zwischenbemerkung beziehungsweise -fra- ge des Kollegen Harms gestattet. (Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP) Wenn Sie diese Behauptung aufstellen, sind Sie in der Pflicht, auch zu beweisen, dass ein Abgeordneter dieses wirklich getan hat. An- sonsten bitte ich Sie, diese Vorwürfe auch zurückzunehmen. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das mache ich. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Dann hat jetzt Herr Harms das Wort, und nur Herr Harms. Lars Harms [SSW]: Herr Kollege Breyer, wären Sie so nett, mir mitzuteilen, welche Abgeordnete in diesem Hohen Hause in ir- gendwelchen Abhängigkeiten in Bezug auf Unternehmen oder Organisationen außerhalb stecken, die Einfluss nehmen auf die Ent- scheidungen, die diese Abgeordnete in die- sem Hohen Haus treffen? (Beifall SSW, CDU und FDP) Sie dürfen die Namen gern einzeln nennen und sonst möglicherweise bis morgen schrift- lich nachreichen. Das würde mir auch rei- chen. (Beifall Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Verehrter Herr Kollege Harms, wären Sie bitte be- reit, mir mitzuteilen, wie ich Ihnen diese Angaben machen soll, wenn Sie sich gerade gegen deren Of- fenlegung wehren? (Hans-Jörn Arp [CDU]: Dann können Sie es doch nicht unterstellen! - Weitere Zurufe) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Breyer, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Harms? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Anders als der Kollege tue ich auch das. Lars Harms [SSW]: Ich habe mich nur ge- meldet, weil Sie mir eine Frage gestellt ha- ben; die will ich Ihnen auch gern beantwor- ten. Ich möchte das nämlich von Ihnen wis- sen, weil Sie uns allen pauschal unterstellt haben, dass wir hier abhängig sind und Ent- (Volker Dornquast [CDU]: Genau so!) - Das, Kollege Harms, bitte ich Sie, den Bürgerin- nen und Bürgern zu versuchen zu erklären. Laut Meinungsumfragen ist es nämlich so, dass 76 % der Bürgerinnen und Bürger eine genaue Angabe for- dern, von wem Abgeordnete in welcher Höhe Ne- beneinkünfte bekommen. Immerhin 20 % sind für eine stufenweise Regelung. Für die Regelung, die bei uns im Moment gilt, nämlich überhaupt keine Transparenz, liegt die Unterstützung bei 0 %. Des- wegen ist es auch ein Armutszeugnis, dass Sie in Ihrem Koalitionsvertrag beziehungsweise im An- hang dazu fordern - ich trage das noch einmal sinn- gemäß vor, weil das schon längst wieder vergessen wurde -, das Modell Bundestag zu übernehmen, er- gänzt um die Pflicht zur genauen Ausweisung der Nebeneinkünfte. Dass Sie das letztes Jahr in den Koalitionsvertrag geschrieben und bis heute nicht einmal einen Ent- wurf auf den Weg gebracht haben, ist ein komplet- tes Armutszeugnis. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie, Frau Breyer - - (Heiterkeit) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Mein Geschlecht habe ich angegeben. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Ich hatte den Eindruck, dass die Kollegin Dr. Bohn eine Bemerkung machen wollte, dann aber davon abließ und jetzt doch wieder der Meinung ist, sie möchte etwas sagen. Deshalb frage ich Sie, Herr Kollege Dr. Breyer, ob Sie die Bemerkung von Frau Dr. Bohn zulassen. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja.Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 20. März 2013 1693 (Dr. Patrick Breyer) Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lieber Kollege Breyer, haben Sie ge- hört und verstanden, dass verschiedene Red- nerinnen und Redner von verschiedenen Fraktionen Ihnen gerade versucht haben zu erklären, dass genau das das Ziel ist, genauso wie es im Koalitionsvertrag drinsteht, dass es aber logischerweise Sinn macht, sich die Be- ratungen auf Bundesebene anzugucken und darauf aufbauend weitere Schritte einzulei- ten, genauso wie es in unserem Koalitions- vertrag drinsteht? Können Sie das in irgend- einer Form nachvollziehen? - Liebe Frau Kollegin, im Koalitionsvertrag steht kein Wort davon, dass Beratungen auf Bundesebe- ne abgewartet werden sollen. Ich habe eben der De- batte umgekehrt entnehmen müssen, dass innerhalb Ihrer Koalition massiv gegen jegliche Veröffentli- chungen argumentiert wird, was nichts mehr mit dem zu tun hat, was im Koalitionsvertrag oder im Anhang dazu angekündigt worden ist. Insofern kann ich das nicht bestätigen. (Zurufe) Was die Wohnanschrift oder gar der Geburtstag von Abgeordneten mit irgendeiner Transparenz von Interessenverflechtungen zu tun haben soll, bleibt Ihr Geheimnis. (Zurufe) Bei der Argumentation komplett neben der Sache liegt auch das Argument, dass Selbstständige nicht mehr ins Parlament einziehen würden. Fakt ist doch, dass noch nie so viele Selbstständige Mit- glied des Bundestages waren wie heute, wo eine Offenlegungsregelung längst gilt. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Abgeordneten Kubicki? um feststellen zu können, ob Sie in bestimm- ten Fragestellungen eine bestimmte Haltung einnehmen. (Peter Eichstädt [SPD]: Oder ob Sie in Kiel oder Lübeck wohnen!) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Verehrter Herr Kollege Kubicki, aus einer Wohnan- schrift sehen Sie nicht, bei welcher Wohnungsbau- gesellschaft jemand Mieter ist. (Zurufe) Wenn eine Kapitalbeteiligung vorliegt, wäre das nach unserem Gesetzentwurf zu veröffentlichen. Ich will Sie aber auch gar nicht daran hindern, in den Gesetzentwurf aufzunehmen, dass man auch seinen Vermieter veröffentlichen muss. Das können Sie gern beantragen. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, es gibt die Anfrage einer weiteren Zwischenbemerkung des Kollegen Habersaat. Ge- statten Sie diese? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Auch das, gern. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Bitte, Herr Habersaat! Martin Habersaat [SPD]: Herr Kollege, ich darf Ihnen mitteilen, dass meine Erfahrungen in der Hochschulpolitik dieses Landes erge- ben haben, dass der Wohnort Kiel, Flensburg oder Lübeck sehr wohl eine Rolle spielen kann. (Heiterkeit und Beifall) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Bitte schön! Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, da Sie nicht wissen, was die Wohnanschrift möglicherweise mit Interes- senkonflikten zu tun hat - es wäre vielleicht schon interessant zu wissen, bei welcher Wohnungsbaugesellschaft Sie Mieter sind, Herr Kollege Habersaat, wenn Sie den Gesetzent- wurf zur Veröffentlichung von Nebeneinkünften er- gänzen möchten durch eine Angabe des Wohnorts, können Sie das gern beantragen. Ich bitte deswegen um konstruktive Begleitung unseres Gesetzent- wurfs. Was für uns nicht akzeptabel ist, ist eine nicht öf- fentliche Arbeitsgruppe, die seit Ewigkeiten zu keinem Ergebnis gekommen ist. Deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf öffentlich ins Verfahren gebracht. Ich freue mich darauf, dass der Kollege1694 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 22. Sitzung - Mittwoch, 20. März 2013 (Dr. Patrick Breyer) Eichstädt eine Beratung im Ausschuss angekündigt hat. Wir wollen dazu eine öffentliche Anhörung machen und die Probleme öffentlich und transpa- rent diskutieren, und nicht in einer nicht öffentli- chen Arbeitsgruppe. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, der Kollege Eichstädt bittet um eine Zwischenbemerkung. Lassen Sie diese zu? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Peter Eichstädt [SPD]: Damit Sie hier nicht ständig Behauptungen aufstellen, die unwi- dersprochen im Raum bleiben, möchte ich Ihnen Gelegenheit geben zu erläutern, wel- che geheime, nicht öffentlich tagende Ar- beitsgruppe, die sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt, gemeint ist. Sie muss so geheim sein, dass hier im Hause offensicht- lich niemand etwas davon weiß, es sei denn, Sie tagen allein geheim. (Beifall CDU und FDP - Dr. Heiner Garg [FDP]: Eine Zombiegruppe! - Unruhe) - Herr Kollege Eichstädt, Ihre Kollegin Frau Bohn hat angekündigt, dass sie es für sinnvoll halten wür- de, die Fragen im Rahmen einer solchen Arbeits- gruppe zu diskutieren. Wenn es nicht einmal eine Arbeitsgruppe gibt, frage ich mich schon, worauf die Aussage gestützt ist, der Vorwurf sei falsch, dass Sie seitdem nichts getan hätten. Was haben Sie denn getan, wenn es nicht einmal eine Arbeitsgrup- pe gibt? (Unruhe) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist höchste Zeit, dass wir dieses wichtige Thema - da geht es um Vertrauen in Abgeordnete - endlich in einem transparenten Verfahren angehen. Ich lade Sie ein, an dem Gesetzentwurf mitzuarbeiten, und freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. (Zurufe)
Bestandsdatenauskunft
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Da wir unerwarteterweise unseren An- trag zur Vertraulichkeit und Anonymität der Kom- munikation vorgezogen haben, kommt die Papier- fassung etwas zu spät. Deshalb lese ich von mei- nem passwortgeschützten Laptop ab. Darum geht es heute. Bei diesem Antrag geht es ei- nerseits um die Voraussetzungen, unter denen In- ternet- und Telefonnutzer von staatlichen Behör- den ermittelt werden können, und es geht anderer- seits um die Voraussetzungen, unter denen der Staat an die PINs zu unseren Handys und an die Passwörter zu unseren E-Mail-Konten herankommt, mit denen er dann direkt auf unsere Postfächer und gespeicherten Daten in den Handys zugreifen kann. Die bisherigen Zugriffsregelungen hat das Bun- desverfassungsgericht - unter anderem auf meine Beschwerde hin - für verfassungswidrig erklärt. Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf zurSchleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 11. Sitzung - Donnerstag, 15. November 2012 805 (Dr. Patrick Breyer) Neuregelung dieser Vorschriften vorgelegt, der im Bundesrat zustimmungspflichtig ist, das heißt, es hängt von der Positionierung der Länder ab, wie da- mit umgegangen wird. Wir wollen mit unserem An- trag die Landesregierung bitten, ihre Zustimmung von gravierenden Änderungen abhängig zu ma- chen. Die Bundesregierung will mit diesem Gesetz- entwurf nämlich leider nicht nur auf die Einführung der bislang fehlenden angemessenen rechtsstaatli- chen Grenzen und Voraussetzungen für solche Da- tenzugriffe verzichten, sie will sogar bestehende Schutzvorschriften noch weiter abbauen. So soll et- wa zukünftig der Zugriff auf Kommunikationsda- ten nicht mehr auf Einzelfälle beschränkt sein und es soll eine elektronische Schnittstelle zur verein- fachten Abfrage von Kommunikationsdaten einge- richtet werden. In mehreren Punkten erfüllt dieser Gesetzentwurf nicht einmal die verfassungsrechtli- chen Grenzen, die ihm gezogen sind. Welche Konsequenzen hätte es für uns, wenn die- ses Gesetz so beschlossen würde? - Die medizini- sche Beratung, aber auch die psychologische oder juristische Beratung von Menschen, die Informati- on von Presseorganen, Whistle-Blower, politische Aktivisten - all diese Gruppen sind auf anonyme Kommunikationskanäle angewiesen, um sich oh- ne Furcht vor Vertraulichkeitsverletzungen beraten zu lassen, helfen zu lassen, oder die Presse frei in- formieren zu können. Wir fordern deswegen mit diesem Antrag, dass In- ternetnutzer künftig nur noch mit richterlicher Ge- nehmigung und nur noch zur Verfolgung erhebli- cher Straftaten oder zum Schutz vor konkreten Gefahren identifiziert werden dürfen. Es kann nicht sein, dass die Dauer eines Telefonats nur mit richterlicher Genehmigung mitgeteilt werden darf, dass aber die Antwort auf die Frage, wer dieses Te- lefonat geführt hat, keinerlei richterlicher Anord- nung bedürfen soll. Dabei ist das doch viel wichti- ger. Wenn es heute darum geht, Internetnutzer abzu- mahnen und Geld von ihnen zu verlangen, weil sie urheberrechtlich geschütztes Material ausgetauscht haben, ist eine richterliche Anordnung Vorausset- zung. Wenn es aber um polizeiliche Ermittlungen oder um strafrechtliche Ermittlungen geht, die zu einer Hausdurchsuchung oder Festnahme führen können, bedarf es dafür keiner richterlichen Anord- nung. Diese Rechtslage ist wirklich absurd. Deswegen bitte ich Sie, gemeinsam mit uns für einen starken und verbesserten Schutz der Vertrau- lichkeit und Anonymität der Kommunikation einzu- treten, denn die freie und unbefangene Kommuni- kation bildet das Rückgrat unserer Demokratie. Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN, Anke Erdmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN], Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass wir heute bei diesem Thema so viele „PIRATEN“ hier im Plenum sind. (Beifall PIRATEN) Wir sind gern bereit, im Ausschuss über die nähere Ausgestaltung dieses Antrages zu sprechen und darüber, ob man bestimmte rote Linien in Sollvor- schriften umwandeln sollte. Ich will allerdings auch daran erinnern, dass Eile geboten ist, weil sich im Moment der Bundesrat damit beschäftigt. Wenn unsere Eckpunkte noch in die Stellungnahme des Bundesrates einfließen sol- len, müssen wir sie jetzt herausgeben und sollten gleichzeitig den Wissenschaftlichen Dienst und Ähnliche mit einer Prüfung beauftragen. Von meinem Lob ausgenommen ist die Stellung- nahme des verehrten Herrn Kollegen Dr. Bernstein. Diese Stellungnahme war wirklich unterirdisch; ich kann es nicht anders sagen. (Beifall PIRATEN, GRÜNEN und SSW) BÜNDNIS 90/DIE Sie war von Falschheiten nur so gespickt. Zunächst einmal hat § 113 Telekommunikations- gesetz mit Vorratsdatenspeicherung nicht einmal ansatzweise irgendetwas zu tun. Er regelt keine Vorratsdatenspeicherung; es steht auch nichts dar- über drin. Er ist, wie Sie zu Recht sagen, aus dem Jahr 2005. Damals gab es die Richtlinie zur Vor- ratsdatenspeicherung noch nicht einmal. Es ist ein Gesetz von Rot-Grün gewesen und kein Gesetz der CDU-geführten Bundesregierung. Auch das war falsch. Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht kein Recht auf Anonymität festgestellt hat und dass nicht alle von unseren Vorschlägen und Forde- rungen verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben sind. Das haben wir auch nicht behauptet. Wir sind aber genauso wie viele andere Redner hier der Mei- nung, dass man politisch nicht an die Grenze des maximal noch Zulässigen gehen darf, dass Bürger- rechte nicht so weit, wie es eben noch möglich ist, ausgehöhlt werden dürfen. (Beifall PIRATEN, GRÜNEN und SSW) BÜNDNIS 90/DIE Wer nämlich, wie leider allzu oft die CDU, an der Leitplanke der Verfassung entlang schrammt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er immer wie- der in den Abgrund des Überwachungsstaates ab- stürzt. Jedes Mal, wo das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz gekippt hat, ist das der Fall gewesen. (Beifall PIRATEN) Nach dieser Serie müssen wir Konsequenzen zie- hen und müssen grundrechtsfreundlich und vorsor- gend tätig werden. Wir müssen mehr tun, als wir unbedingt tun müssen, zum Schutz der Bürgerrech- te. Ich freue mich darauf, dass wir das im Aus- schuss tun werden. (Beifall PIRATEN, GRÜNEN und SSW)
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eine Warnung ausspre- chen: Wenn Sie im Internet ein anonymes Blog einrichten, auf dem Sie Ihre politische Meinung schreiben - vielleicht auch zu kontroversen The- men -, könnte es sein, dass Sie sich dem gesamten Arsenal des Gesetzes über die Bestandsdatenaus- kunft aussetzen. Denn Sie begehen eine Ordnungs- widrigkeit, wenn Sie kein Impressum einrichten. Was bedeutet das? Die zuständige Verwaltungsbe- hörde kann Sie über Ihre IP-Adresse als Verfasser des Blogs identifizieren. Übrigens kann sie so auch die Leser Ihrer Artikel ermitteln. Das ist keine Theorie, sondern das Bundeskriminalamt hat zum Beispiel in der Vergangenheit Personen identifi- ziert, die sich auffällig für die militante Gruppe in- teressiert haben. Interessanterweise waren das vor allem Journalisten. Wenn man mit der IP-Adresse nicht weiterkommt, kann es sein, dass man die E-Mail-Adresse, mit der Sie sich für das Blog registriert haben, nimmt und Ihr Passwort zu Ihrem E-Mail-Konto abfragt, um Sie zu identifizieren. Denn auch im Gesetz zur Be- standsdatenauskunft ist geregelt, Passwörter zu Ih- ren privaten E-Mails herauszugeben und abzufra- gen. (Zuruf PIRATEN: Unerhört!) Einige schlaue Köpfe haben im Internet gesagt, die Passwörter würden sowieso verschlüsselt abgespei- chert. Da bestehe keine Gefahr; sie könnten gar nicht herausgegeben werden. Einige schlaue Aktivisten der Gruppe Anonymous haben gesagt: Da machen wir doch einmal die Pro- be aufs Exempel und schauen uns an, wie gut Passwörter im Internet verschlüsselt werden - und zwar bei den Experten für Datenschutz, bei der FDP. (Christopher Vogt [FDP]: Jawohl!) Sie haben sich das Portal meine-freiheit.de angese- hen und festgestellt, (Oliver Kumbartzky [FDP]: Schönes Portal!) dass es nicht nur unter eklatanten Sicherheitsmän- geln litt, sondern dass die Passwörter auch so laien- haft verschlüsselt waren, dass man innerhalb kür- zester Zeit selbst Administratorpasswörter mit vol- len Zugangsrechten entschlüsseln konnte. Es wur- den so sichere Passwörter wie zum Beispiel Pupi verwendet. (Christopher Vogt [FDP]: Woher wissen Sie das? Das waren Ihre Parteifreunde!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie die Passwörter zu Ihren E-Mail-Konten und Ihrer Iden- tität im Internet schützen wollen, verlassen Sie sich nicht auf die technische Kompetenz der Anbieter und erst recht nicht auf die technische Kompetenz der FDP. (Heiterkeit und Beifall PIRATEN) Dämmen Sie vielmehr die ausufernde Bestandsda- tenabfrage ein. Im Dezember haben wir gemeinsam mit der Koali- tion sehr kluge Anforderungen an die Bestands- datenauskunft aufgestellt. Daran müssen sich die Gesetze und insbesondere das Landesgesetz zu Be- standsdatenauskunft, das wir heute in erster Lesung beraten, messen lassen. Vor diesem Hintergrund fällt das Gesetz leider in verschiedenen Punkten durch. Erstens. Wir haben gesagt: Passwörter dürfen al- lenfalls dort herausgegeben werden, wo man nicht anders an Daten herankommt - und auch nur mit sehr genauer und restriktiver gesetzlicher Regelung der Voraussetzungen.Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 26. Sitzung - Freitag, 26. April 2013 2093 (Dr. Patrick Breyer) Im Landesgesetz findet sich keine Subsidiaritäts- klausel und im Fall des Landesamtes für Verfas- sungsschutz auch keine Regelung der Vorausset- zungen der Herausgabe von Passwörtern. Im Urteil steht nur: „... wenn die gesetzlichen Voraussetzun- gen für ihre Nutzung gegeben sind“. In den entspre- chenden Gesetzen stehen aber keine Vorschriften, die regeln, wann Passwörter genutzt werden dürfen. Zweitens. Wir haben gesagt: Die Internetnutzer dürfen nur unter den Voraussetzungen identifiziert werden, unter denen Verkehrsdaten herausgege- ben werden dürfen. Das ist bei der Polizei nur zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren der Fall. Im Be- standsdatengesetz soll aber stehen, dass eine bevor- stehende Gefahr ausreiche, was auch immer das be- deutet. Drittens. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und das Bundesgesetz zur Bestandsdatenabfrage betrifft Telekommunikationsdienste, also zum Beispiel Handy oder E-Mail. Liebe Landesregierung, Sie wollen in Ihrem Ge- setzentwurf zur Bestandsdatenauskunft auf Landes- ebene aber auch soziale Netzwerke einbeziehen, al- so Telemediendienste. Dabei besteht überhaupt nicht der Zeitdruck, den wir bei der Bestandsdaten- auskunft haben, da wir in diesem Bereich bis Ende des Jahres eine neue Regelung finden müssen. Auch sprechen wir uns strikt dagegen aus, soziale Netzwerke in die Abfrage von Passwörtern und an- deren Bestandsdaten einzuführen. (Beifall PIRATEN) (Beifall PIRATEN, Bernd Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger- Thiering [SSW])
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich lehne dieses Gesetz zum Zugriff auf unsere Bestandsdaten ab, weil es demSchleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 32. Sitzung - Freitag, 21. Juni 2013 2631 (Dr. Patrick Breyer) Verfassungsschutz meine Identifizierung im Inter- net unter denselben Voraussetzungen erlaubt wie die Abfrage einer Telefonnummer. Sie verstehen nicht, dass die Identifizierung meiner IP-Adresse im Internet das Ausspähen meiner Internetnutzung ermöglicht und nichts mit einem Blick ins Telefon- buch zu tun hat. Wenn Sie dieses Gesetz heute so beschließen, werde ich Verfassungsbeschwerde da- gegen einlegen (Dr. Heiner Garg [FDP]: Gut so!) wegen Verletzung meiner Grundrechte auf Ferne- meldegeheimnis und Datenschutz.
Funkzellenabfragen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über den Verlauf der Debatte hier. Der konstruktive Verlauf der Debatte, mit Ausnah- me der Beiträgt der CDU-Fraktion, hat gezeigt, dass es sich gelohnt hat, dass wir PIRATEN dieses Thema der nicht individualisierten massenhaften Funkzellenabfragen endlich auf die Agenda gesetzt haben. (Zuruf Peter Lehnert [CDU]) Was mich bei dem Bericht der Landesregierung ge- wundert hat, war, dass wir hier nicht die Frau Ju- stizministerin hören durften. Denn es geht doch um den Bereich der Strafverfolgung. Da wundert es mich, dass sich der Innenminister dafür verant- wortlich fühlt. Sie sagen zu Recht, dass Sie dafür eigentlich gar nicht zuständig sind. Richtig ist si- cherlich, dass kein Verdacht gegen Millionen von Menschen besteht, wenn 7 Millionen Betroffene ab- gefragt werden. Das sagen wir auch gar nicht. Wir sagen, dass 7 Millionen Bürgerinnen und Bürger, die von diesen Maßnahmen betroffen waren, dem Risiko ausgesetzt waren, unter Verdacht zu geraten, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Das ist das Problem dieser Maßnahme. (Beifall PIRATEN) Wenn Sie sagen, dass alle anderen Nummern na- menlos geblieben sind, warum löschen Sie dann die anderen Nummern nicht? Warum bewahren Sie die Masse der erhobenen Daten auf, obwohl gar kein weiterer Anhaltspunkt vorliegt, dass gegen einen mitbetroffenen Bürger, wie den Kollegen Kum- bartzky, irgend etwas anderes vorliegt, als dass er im gleichen Bereich gewesen ist? So geht es nicht. Herr Innenminister, wollen Sie in Fällen einer Straftat einfach kapitulieren? Darin kommt die Ideologie zum Ausdruck, dass wir alle Mittel aus- schöpfen müssen. Wir müssen alles tun, um Sicher- heit zu gewährleisten. Ich habe das schon einmal von Bundeskanzlerin Merkel gehört. Ich sage Ih- nen, es stimmt eben nicht, dass mehr Überwa- chung immer automatisch mehr Sicherheit bringen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben es an- hand der Statistik in Schleswig-Holstein gesehen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Sicherheit bedeutet für mich auch Sicherheit vor ei- nem falschen Verdacht, Sicherheit vor Fehlern der Ermittlungsbehörden und vor Missbrauch. Deswe- gen darf es keinen Generalverdacht gegen alle Menschen geben. Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Patrick Breyer das Wort. Dann habe ich vonseiten der CDU-Fraktion gehört, die technische Entwicklung zwinge uns dazu, im- (Zuruf PIRATEN)Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 33. Sitzung - Mittwoch, 21. August 2013 2695 (Dr. Patrick Breyer) mer neue technische Überwachungsmaßnahmen einzusetzen. Herr Kollege, darf ich das so verste- hen, dass Sie sagen, das maximale Maß an Überwa- chung, das jeweils technisch machbar ist, müsse auch umgesetzt werden? - Ich hoffe doch nicht. Wir PIRATEN widersprechen diesem Ansatz entschie- den. (Beifall PIRATEN und SSW) Von den Grünen habe ich gehört: ein Gesetzent- wurf im Bundestag zur Einschränkung der Funk- zellenabfrage. - Wer war es denn, der diesen § 100 g überhaupt erst eingeführt hat? - Sie als rot- grüne Regierungskoalition haben dem doch damals zugestimmt. Das hätte nicht passieren dürfen. Schließlich haben Sie, Herr Innenminister, gesagt, alle zusätzlichen Mittel sollten eingesetzt werden. Wir streiten ja gerade darüber, welche Mittel zuläs- sig sind und welche Mittel zulässig sein sollen. Wir haben schon viele gute Vorschläge gehört, was man einschränken und ändern könnte. Ich sage: Eine Möglichkeit wäre, dass der Generalstaatsanwalt seine Richtlinie überarbeiten könnte, bis wir eine Gesetzesänderung in dem Bereich haben. Ich würde mich angesichts dies Zahlen, die wir hier gehört ha- ben, über eine Sonderprüfung des Unabhängigen Landeszentrums für den Datenschutz freuen. Ich komme zum letzten Satz. - Ich würde mich freuen, wenn wir in Zukunft auch ohne Aufforde- rung seitens der PIRATEN regelmäßig jedes Jahr über die Entwicklung des Umgangs mit dieser pro- blematischen Überwachungsmaßnahme informiert werden würden. - Danke schön. (Beifall PIRATEN, SSW und Burkhard Pe- ters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vorratsdatenspeicherung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich mit meiner Rede an die Kollegin- nen und Kollegen von der CDU-Fraktion wenden. Ich bitte jeden von Ihnen, sich wirklich zu überle- gen, ob Sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, dass zukünftig unterschiedslos sämtliche telefonischen und elektronischen Kontakte, sämtli- che unserer Bewegungen und sämtliche unserer In- ternetidentitäten ins Blaue hinein gespeichert wer- den sollen. Ich erinnere daran, dass Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag sehr wohl ihr Gewissen geprüft haben und dass Bundestags- abgeordnete aus Schleswig-Holstein gegen dieses Gesetz gestimmt haben. Darauf können Sie ein Stück weit stolz sein. (Beifall PIRATEN und SSW) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Öffentlichkeit ist zu Recht empört über Enthüllungen, dass auslän- dische Geheimdienste unsere Kommunikation flä- chendeckend und ohne jeden Anlass abfangen und erfassen. Im Kampf gegen diese permanente Men- schenrechtsverletzung können wir doch jetzt nicht selbst anfangen, eine ungezielte Vorratsdatenspei- cherung vorzunehmen. Eine so weitreichende Regi- strierung des Verhaltens der Menschen in ganz Schleswig-Holstein und Deutschland ist völlig in- akzeptabel. Ohne Verdacht einer Straftat sollen In- formationen über unsere sozialen Beziehungen, auch die Geschäftsbeziehungen, über unsere Bewe- gungen und über die individuelle Lebenssituation von 80 Millionen Bürgern in Deutschland gesam- melt werden. Dazu gehören Kontakte zu Ärzten, zu Rechtsanwäl- ten, zu Psychologen und zu Beratungsstellen. Auf diese Art und Weise höhlt eine Vorratsdatenspei- cherung das Anwaltsgeheimnis, das Arztgeheimnis, das Seelsorge-, Beratungs- und andere Berufsge- heimnisse aus. Sie begünstigt Datenpannen und Missbrauch und beschädigt den Schutz journalisti- scher Quellen im Kern. Sie beeinträchtigt dadurch insgesamt die Funktionsbedingungen unserer De- mokratie in Deutschland. Um noch ein Argument zu nennen: Repräsentativen Umfragen zufolge lehnen zwei von drei Menschen in Deutschland eine anlasslose Vorratsdatenspei- cherung ab. Selbst unter den Anhängern von CDU und CSU wollen 56 % eine Speicherung nur bei Verdacht einer Straftat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie vertreten die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Bei dieser Entscheidung, bei der wir eine so breite Mehrheit im Hause bekommen könnten, ist es wichtig, dass Sie Ihr Gewissen prüfen. Von allen Überwachungs- gesetzen stellt diese Vorratsdatenspeicherung die bisher größte Gefahr für unsere Privatsphäre dar, weil erstmals flächendeckend jeder Bürger, ob ver- dächtig oder nicht, erfasst werden soll. Mit dieser grenzenlosen Logik, es könnte irgend- wann einmal nützlich sein, wenn wir diesen Weg weiter gehen, wird es dahin kommen, dass wir in Schlafzimmern Videokameras aufbauen, weil da auch eine Straftat begangen werden könnte. Vizepräsident Bernd Heinemann: Kommen Sie bitte zum Ende! Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Diese Vorratslogik darf keinen Einzug bei uns hal- ten. Deswegen appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam diesen Wahnsinn verhindern! Es geht ums Ganze! (Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Her- ren von der Regierungsbank! Ich finde es schon be- zeichnend, dass der Ministerpräsident heute bei ei- ner solchen Grundsatzdebatte über die Regierungs- führung abwesend ist. Ich hoffe, er hat einen guten Grund dafür. (Zurufe SPD)Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 43. Sitzung - Donnerstag, 12. Dezember 2013 3447 (Dr. Patrick Breyer) Lassen Sie mich eingangs erklären, warum der Kampf gegen die verdachtslose Aufzeichnung von Verbindungsdaten und Bewegungsdaten für uns PIRATEN von so zentraler Bedeutung ist. Hiel- te man es für gerechtfertigt, Informationen über das alltägliche Verhalten jedes Bürgers auf Vorrat zu erfassen, nur weil sie dem Staat irgendwann einmal nützlich werden könnten, dann ist das das Ende der Privatsphäre. Denn jedes Verhalten, jeder Gedanke kann irgendwann für ein Strafverfahren relevant werden. Setzt sich diese grenzenlose „Vorratslogik“ durch, wird es in unserem Leben zukünftig keine aufzeichnungsfreien vertraulichen Räume mehr ge- ben. In einer solchen Gesellschaft wollen wir nicht leben. (Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen haben wir PIRATEN die Wahl von Herrn Albig zum Ministerpräsidenten von Anfang an klar unter die Bedingung gestellt, (Lachen SPD) dass sich seine Regierung gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Fragen Sie Ihren Fraktionsvorsitzenden, Herrn Dr. Stegner. Wir ha- ben ein Gespräch darüber geführt. Das ist auch im Internet nachlesbar. Das ist uns auch zugesagt wor- den: im Koalitionsvertrag, vom heutigen Innen- minister persönlich und vom Ministerpräsidenten in seiner ersten Regierungserklärung. Gegen eine Vorratsdatenspeicherung anzutreten heißt nicht, am Ende eines Gesetzgebungsprozesses im Bundesrat als einziges Land ein Nein zu hau- chen - das interessiert keinen mehr -, sondern im Vorfeld dagegen zu kämpfen, dass ein solches Ge- setz überhaupt auf den Weg gebracht wird. Gegen Vorratsdatenspeicherung einzutreten heißt, dass die zuständigen Minister für Justiz und meinetwegen auch für Inneres der Öffentlichkeit die fachlichen Argumente nennen, die gegen verdachtslose Spei- cherung sprechen, dass die Vorratsdatenspeiche- rung eben nicht unserer Sicherheit gedient hat, dass die Aufklärungsquote sogar zurückgegangen ist, als sie in Kraft war. Gegen Vorratsdatenspeicherung einzutreten heißt, dass Herr Albig an seine Partei- freunde in Berlin appelliert, die Finger von dieser maßlosen Totalerfassung zu lassen. Das erwarten wir auch. (Beifall PIRATEN, BÜNDNIS GRÜNEN und vereinzelt FDP) 90/DIE Eine Landesregierung, deren Innenminister öffent- lich die unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung aller unserer Telefon-, Handy-, E-Mail- und Inter- netverbindungsdaten fordert, tritt nicht gegen Vor- ratsdatenspeicherung ein. Hätten wir PIRATEN im letzten Jahr gewusst, dass der Innenminister dieser Regierung aktiv für eine neuerliche Totaldatenspeicherung eintreten würde und dies gar mit dem sonst von der NPD benutzten Kampfbegriff Kinderschänder, dann wäre Herr Al- big heute aller Voraussicht nach nicht Ministerprä- sident dieser Koalition, das sage ich ganz deutlich. (Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP] - Zurufe SPD) Auf der Grundlage der Zusagen von Herrn Albig und des Koalitionsvertrags darf er es nicht dulden, dass sein Innenminister seine konträre Privatmei- nung öffentlich vertritt. Ein Minister hat kein freies Mandat wie wir Abgeordneten, die vom Volk ge- wählt und diesem gegenüber verantwortlich sind. Ein Minister wird vom Ministerpräsidenten ernannt und ist diesem gegenüber verantwortlich. Nach un- serer Verfassung sind die Minister an die Richtli- nien des Ministerpräsidenten gebunden. Nach der Geschäftsordnung der Landesregierung haben Minister die Beschlüsse der Landesregierung in der Öffentlichkeit einheitlich zu vertreten, auch wenn einzelne Mitglieder der Landesregierung eine ande- re Auffassung haben. So lautet § 27 Ihrer Landesre- gierungsgeschäftsordnung. Wer öffentlich für eine verdachtslose Vorratsdaten- speicherung aller unserer Daten eintreten will, kann und darf nicht Innenminister dieser Koalition sein. Wer nach eigenen Angaben mit der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung vertraut ist und einen Koalitionsvertrag aushandelt, der diese ablehnt, ein Jahr später aber, wenn es darauf ankommt, diese sogar fordert und ihre - Gegner einschließlich sich selbst ein Jahr zuvor - als zynisch und menschen- verachtend beschimpft, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich als Innenminister völlig dis- qualifiziert zu haben. (Beifall PIRATEN und FDP) Wenn der Ministerpräsident einen öffentlichen Amoklauf seines Ministers gegen einen zentralen Punkt des Koalitionsvertrags duldet, dann frage ich: Was kommt als nächstes? - Müssen wir damit rechnen, dass die Bildungsministerin die Wieder- einführung von Hauptschulen fordert oder dass der Wirtschaftsminister sagt, dass der Nord-Ostsee-Ka- nal für unser Land verzichtbar ist? (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wie kann man am frühen Morgen so viel Unsinn reden!)3448 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 43. Sitzung - Donnerstag, 12. Dezember 2013 (Dr. Patrick Breyer) Herr Albig schuldet uns PIRATEN und dem ge- samten Landtag, noch mehr aber den Bürgerinnen und Bürgern in Schleswig-Holstein, alle erforderli- chen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass sich seine gesamte Landesregierung gegen die drohende Vorratsdatenspeicherung aller unserer Kontakte und Bewegungen stemmt. (Beifall PIRATEN) Das ist seine Aufgabe. Dafür wurde er gewählt. Er hat den Eid geleistet, Schaden von uns abzuwen- den. Mit einer flächendeckenden Vorratsdatenspei- cherung droht der Totalschaden für unsere Frei- heitsrechte. Er muss mit aller Konsequenz durch- greifen. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Europäische Gerichtshof hat gestern ein wegweisendes Urteil über die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gefällt. (Beifall PIRATEN) Er hat die EU-Vorgaben zur verdachtslosen Sammlung von Informationen über jedes Telefonat, über jede SMS, jede E-Mail, jede Internetverbindung in Europa für unvereinbar mit unseren Grundrechten und für insgesamt ungültig erklärt. Damit war der gestrige Tag eine Stern- und Feierstunde, nicht nur für uns PIRATEN und viele Bürgerrechtler, die seit Jahren gegen diese Vorratsdatenspeicherung kämpfen, sondern auch für diesen Landtag, der sich ganz klar dagegen ausgesprochen hat, und vor allem für die Menschen in unserem Land. (Beifall PIRATEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt FDP) Der Gerichtshof hat uns ins Stammbuch geschrieben, die Vorratsdatenspeicherung erzeuge bei den Betroffenen das Gefühl, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen Überwachung sei. Eine Vorratsdatenspeicherung greife in die Grundrechte praktisch der gesamten europäischen Bevölkerung ein. Erfasst würden sämtliche Personen, elektronische Kommunikationsmittel und Verkehrsdaten selbst dann, wenn keinerlei Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ihr Verhalten in einem auch nur Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 54. Sitzung - Mittwoch, 9. April 2014 4361 (Ministerpräsident Torsten Albig) entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Das ist eine klare Absage an Massenüberwachung à la NSA. Der Europäische Gerichtshof hat aus Edward Snowden und seinen Enthüllungen gelernt. Das ist gut so. (Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wolfgang Kubicki [FDP]) Der Gerichtshof kritisiert, die Vorratsdatenspeicherung sei nicht beschränkt auf die Daten eines bestimmten Zeitraums oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte. Wenn diese Worte, dieses Urteil von Innenminister Breitner mit den Worten kommentiert wird, der Weg für eine Vorratsdatenspeicherung bleibe grundsätzlich frei, dann hat er sich komplett von der Lebenswirklichkeit und den politischen Zielen dieser Landesregierung abgekoppelt. (Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Herr Innenminister, wenn sich der von Ihnen unterzeichnete Koalitionsvertrag gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung ausspricht, wenn der Landtag sie mit verfassungsändernder Mehrheit ablehnt, wenn zwei Drittel der Bevölkerung sie nicht wollen, wenn das Bundesverfassungsgericht das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippt, wenn der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie kippt, was braucht es noch, um auch Sie zur Einsicht zu bewegen? (Beifall PIRATEN und FDP) Warten Sie noch darauf, dass auch der Seegerichtshof in Hamburg so entscheidet oder das Amtsgericht Rendsburg vielleicht? (Heiterkeit und Beifall PIRATEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Innenminister ist offensichtlich ein aussichtsloser Fall. (Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP]) Da hilft nur eines: Herr Ministerpräsident, machen Sie die Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung zur Chefsache! Entziehen Sie Ihrem Innenminister die Zuständigkeit dafür, und nehmen Sie selbst das Ruder in die Hand! (Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP] - Unruhe) Jetzt, wo die Grundlage für den Koalitionsvertrag auf Bundesebene entfallen ist, weil darin steht, man wolle eine Richtlinie umsetzen, die es nicht mehr gibt, jetzt, wo in der SPD ganz neu über die Frage diskutiert wird, ob wir eine Vorratsspeicherung brauchen, jetzt stehen Sie in der Verantwortung, Herr Ministerpräsident, Ihrem Auftrag aus dem schleswig-holsteinischen Koalitionsvertrag und aus diesem Haus nachzukommen, sich im Bund gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einzusetzen. Fordern Sie noch heute in diesem Haus die Bundesregierung und Ihre Parteifreunde in Berlin auf, sich endgültig von allen Überlegungen einer wahllosen Informationssammlung der gesamten Bevölkerung zu verabschieden, Herr Ministerpräsident! (Beifall PIRATEN, FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Landtag, vor allem aber die vielen Menschen in Schleswig-Holstein erwarten von Ihnen, dass Sie sich jetzt ernsthaft und leidenschaftlich gegen eine Totalprotokollierung unserer Telekommunikation einsetzen. (Uli König [PIRATEN]: Der hört dir nicht einmal zu! - Martin Habersaat [SPD]: Das wird ja aufgezeichnet! Das kann man später nachlesen! - Unruhe) - Ich warte einen Moment, bis der Herr Ministerpräsident mir etwas Gehör schenkt. - Danke schön. - Herr Ministerpräsident, dieser Landtag, aber vor allem die Menschen in Schleswig-Holstein erwarten von Ihnen, dass Sie sich jetzt ernsthaft für die Verhinderung einer Totalprotokollierung unserer Telekommunikation einsetzen, und zwar aus eigener Überzeugung, wie Sie es in Ihrer Antrittsrede hier getan haben, weil es der Wille und das Interesse unseres Landes und seiner Bürger ist. Wir wollen keine Vorratsdatenspeicherung. Lassen Sie sie uns gemeinsam stoppen! - Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall PIRATEN, FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Tanzverbot
Frau Präsidentin! Herr Ministerpräsident! Verehrte Damen und Herren! Ich möchte kurz erklären, warum ich diese Ausschussempfehlung nicht mit- tragen kann, und ein Thema beleuchten, das heute ein bisschen durchzurutschen droht. Es geht darum, dass der Bund für Geistesfreiheit in München eine Veranstaltung durchführen wollte, um gegen das Verbot von öffentlichen Tanzveranstaltungen in Bayern zu protestieren. Das sollte selbst eine Tanz- veranstaltung sein. Das ist ein Fall, der sich hier in Schleswig-Holstein so nicht hätte ereignen können, denn bei uns ist es durchaus erlaubt, Tanzveranstal- tungen auch an Karfreitagen durchzuführen, wenn das die Religionsausübung nicht beeinträchtigt. Wir PIRATEN wollen, wie es im Koalitionsvertrag heißt, ein tolerantes und weltoffenes Schleswig- Holstein. Deshalb meine ich, dass sich der Landtag durchaus in dieses Verfahren einbringen sollte. Der Lübecker Pastor Lutz Jedeck hat erfreulicherweise erklärt, er selbst lehne Tanzen am Karfreitag zwar ab, sei aber tolerant genug, es zu akzeptieren. Der Grund dafür, aus dem ich meinem Antrag zustimmen und die Aus- schussempfehlung ablehnen möchte, liegt darin, dass der richtige Weg im Zusammenleben in Schleswig-Holstein nicht sein kann, die religiösen Überzeugungen einzelner Gruppen für alle zum Zwang zu erheben. Das kann nicht funktionieren. Deswegen bitte ich Sie, diesen von mir gestellten Antrag zu bedenken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da der Feiertag für uns noch nicht angebrochen ist, bitte ich um etwas Aufmerksamkeit. Der Schutz der Sonn- und Feiertage in unserem Land hat eine lan- ge Tradition und ist sogar im Grundgesetz veran- kert. Schon in der Weimarer Reichsverfassung heißt es: Ich bin mir nicht sicher, wenn ich in Ihre Richtung schaue. - Das aber nicht. „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erbauung gesetzlich ge- schützt.“ Daran will auch unser Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Sonn- und Feiertage nicht rütteln. Für drei Feiertage allerdings ist in unserem Landes- gesetz ein besonderes Verbot verankert. Am Volkstrauertag, am Totensonntag und am Karfrei- tag sind alle öffentlichen Veranstaltungen, die kei- nen ernsten Charakter haben, verboten. Das heißt, unterhaltende oder humorvolle kulturelle Veranstal- tungen, Theateraufführungen, Konzerte, Kino oder Tanzveranstaltungen sind untersagt. Es ist richtig, dass jeder Mensch ein Recht hat, an diesen Tagen zu trauern. Falsch ist es aber, Men- schen zur Trauer zwingen zu wollen. (Beifall PIRATEN) Dieser Ernsthaftigkeitszwang hat absurde Folgen. So ist in diesem Jahr zum ersten Mal seit über 20 Jahren das alljährliche Osterfeuer der Landju- gend in Looft nicht mehr genehmigt worden, weil es in die Karfreitagnacht hineingeht. (Wortmeldung Martin Habersaat [SPD]) Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das tue ich. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Vielleicht sollte er länger stehen!) Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist in diesem Jahr das jährliche Osterfeuer der Landjugend in Looft nicht mehr genehmigt worden, weil es in die Kar- freitagnacht hineingeht. Niemand ist je von diesem Feuer gestört worden oder hat sich je darüber be- schwert. Der Anlass dafür, dass es nicht mehr ge- nehmigt worden ist, ist, dass sich ein Polizeibeam- ter darüber beschwert hat, Überstunden leisten zu müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir das im Innen- und Rechtsausschuss besprochen ha- ben, bestand nach meinem Eindruck breite Einig- keit, dass hier Reformbedarf besteht. Einen Feiertag nur um seiner selbst zu schützen, selbst wenn niemand gestört wird, ist bevormun- dend und aus der Zeit gefallen. Dafür haben die Menschen kein Verständnis mehr. (Beifall Angelika Beer [PIRATEN]) Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung des Abge- ordneten Dr. Tietze? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege Breyer, habe ich Sie richtig verstanden, dass es die Ablehnung von Überstunden aufgrund eines Osterfeuers durch einen Polizeibeamten für Sie rechtfer- tigt, einen bundesweiten stillen Feiertag in- frage zu stellen? - Herr Kollege Tietze, das haben Sie nicht richtig verstanden. Präsident Klaus Schlie: (Christopher Vogt [FDP]: Immer wenn du fragst, ob du es richtig verstanden hast, ist die Antwort nein!) Bitte schön. - Ich bin auf die Begründung gespannt. Martin Habersaat [SPD]: Herr Dr. Breyer, ich stelle fest, Sie tanzen in diesem Moment nicht. Sind Sie traurig? - Tatsächlich habe ich gesagt, dass es die Absurdität dieses Ernsthaftigkeitsgebots unterstreicht, dass dieses nur noch dazu herangezogen wird, um keine Überstunden leisten zu müssen. Es wird also zu ei- nem ganz anderen Zweck genutzt. Es dient nicht3486 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 43. Sitzung - Donnerstag, 12. Dezember 2013 (Dr. Patrick Breyer) mehr dem Zweck, dem es angeblich dienen soll. Die Menschen vor Ort stört das ja gar nicht. Der Bürgermeister wollte das Osterfeuer genehmigen. Niemand hatte etwas gegen diese lange Tradition. Das heißt, dass das Verbot überholt ist, wenn es nur noch dazu herangezogen wird, um ganz andere Zwecke zu verfolgen. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, es gibt einen Frage- bedarf der Kollegin von Kalben. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Halten Sie es also auch für absurd, wenn ein Polizist als Christ dann, wenn er im Dienst ist, zum Beispiel am Karfreitag, sei- nem Recht auf Trauer nachgehen möchte? - Liebe Kollegin Eka von Kalben, ich bin nicht si- cher, ob der infrage stehende Polizeibeamte tatsäch- lich am Karfreitag zwischen null und ein Uhr nachts seiner Trauer nachgehen möchte. (Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie sind sich sicher, dass er dies nicht wollte? - Zurufe SPD) - Er hat sich tatsächlich über die Überstunden be- schwert und nur in diesem Zusammenhang er- wähnt, dass diese an einem Feiertag doch nicht zu- lässig sein könnten. Das heißt, es ging ihm offen- sichtlich nicht um den eigentlichen Zweck dieser Regelung. (Weitere Zurufe SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Feiertag nur um seiner selbst willen zu schützen, obwohl niemand gestört wird, ist nur noch Bevormundung. Das ist auch inkonsequent, denn schon heute ist es zulässig, dass Sie bei sich zu Hause eine private Party veranstalten. Dort können Sie nach Lust und Laune tanzen. Warum soll dies nicht auch zum Bei- spiel in einer Diskothek erlaubt sein? - (Beifall Dr. Ekkehard Klug [FDP]) Schon nach dem aktuellen Gesetz können Sie zum Beispiel öffentlich in den Totensonntag hineinfei- ern, weil der Schutz erst um 4 Uhr nachts beginnt. Es kann also niemand so tun, als ob es nicht schon heute gewisse Eingrenzungen für diesen Schutz ge- ben würde. Das ist keine Ja-oder-Nein- oder eine Schwarz-oder-Weiß-Frage. Das ist auch keine ideo- logische Frage, und wir sollten keinen Kulturkampf vom Zaun brechen. (Beifall PIRATEN, SSW und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht einfach um eine Anpassung an die aktuel- len gesellschaftlichen Verhältnisse und Auffas- sungen. Wer im Süden unseres Landes wohnt, der kann schon heute abends nach Hamburg in eine Diskothek fahren. Die Würde eines Feiertags kann doch nicht von der Straßenseite abhängen, auf der man wohnt. Daher lassen Sie uns diese Frage nicht ideologisch betrachten, sondern pragmatisch. (Beifall PIRATEN) Im Übrigen bringt der exzessive und heute nicht mehr zeitgemäße Ernsthaftigkeitszwang in Schleswig-Holstein gerade junge Menschen gegen den Feiertagsschutz insgesamt auf. Daran können auch die Kirchen kein Interesse haben. Lesen Sie einmal die Kommentare zur Berichterstattung der „sh:z“ über unseren Gesetzentwurf. Dann verstehen Sie, was ich meine. Die Kirchen haben das verstanden, als Bremen in diesem Jahr mit einer rot-grünen Koalition das Ver- anstaltungsverbot stärker eingegrenzt hat, wie es auch Gegenstand unseres Gesetzentwurfs ist, Herr Kollege Dr. Stegner. Wir schlagen vor, dieses Ver- anstaltungsverbot auf die Tageszeit zu beschränken. Nachts, wenn niemand gestört wird, soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden können. Wir PIRATEN schlagen insofern eine maßvolle und vernünftige Fortentwicklung und Anpassung des Gesetzes an die veränderten gesellschaftlichen Vorstellungen von heute vor, wie sie schon in an- deren Bundesländern in Kraft sind. Gerade dieje- nigen, denen der Feiertagsschutz wichtig ist, sollten darauf bedacht sein, die öffentliche Akzeptanz für den Feiertagsschutz zu erhalten. Sie kennen das Sprichwort: Nur was sich ändert, das bleibt. Infol- gedessen bitte ich um Ihre Unterstützung und freue mich auf die konstruktive Beratung unseres Gesetz- entwurfs. Dieser mag nicht der Weisheit letzter Schluss sein, wir können gern darüber verhandeln. Ich glaube aber, dass sich etwas in diese Richtung bewegen muss. - Dankeschön. (Beifall PIRATEN, SSW und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Melderegister
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass wir - wenn auch zu späterer Stunde - über das wichtige Thema des Melderechts sprechen. In Deutschland ist von Monarchien des 19. Jahrhunderts eine Meldepflicht eingeführt wor- den, und die ist später von den Nationalsozialisten vorangetrieben worden. Sie alle kennen die schrecklichen Folgen, was mit den entsprechenden Instrumenten angefangen worden ist. Die polizeiliche Erfassung und Registrierung al- ler Menschen stellt ein hochproblematisches Erbe dieser Obrigkeitsstaaten dar. Aus guten Gründen werden Einwohnerregister von anderen westlichen Demokratien überhaupt abgelehnt. Da möchte ich gern den Kollegen Dr. Dolgner zitieren, der vorhin zutreffend sagte: Anonymität ist ein Recht, das je- der standardmäßig haben sollte. (Beifall PIRATEN) Damit ist eine Meldepflicht nicht vereinbar. Obwohl die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder seit Jahren eine Stärkung des in- formationellen Selbstbestimmungsrechts der Bürger im Meldewesen fordern, geht das vom Bun- destag beschlossene Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens in vielen Punkten genau in die gegenteilige und damit falsche Richtung. Unser Antrag soll der Landesregierung rote Linien für die Verhandlung und Abstimmung im Bun- desrat und im Vermittlungsausschuss setzen, damit im Bundesrat nicht nur der Adresshandel ohne Einwilligung gestoppt wird - wie es Gegenstand des Änderungsantrags der Koalition ist -, sondern auch viele andere bisher kaum diskutierte Daten- schutzdefizite des geplanten Gesetzes behoben wer- den. Wir fordern insbesondere: Eine Datenübermitt- lung zu Zwecken der Werbung, des Adresshandels, aber auch der Parteiwerbung oder auch Auskünfte über Alters- und Ehejubiläen dürfen allesamt nur mit Einwilligung der Betroffenen erfolgen. (Beifall PIRATEN) Es darf kein Zwang zur Vorlage einer Vermieter- bescheinigung wieder eingeführt werden. Der ist aus guten Gründen abgeschafft worden. Es muss keinen Meldezwang für alle Hotelgäste geben, was deutsche Staatsbürger anbelangt. Wir fordern auch eine Beibehaltung des Widerspruchsrechts gegen Auskünfte über das Internet, weil die leichter missbraucht werden können. Nur die Polizei darf weiterhin direkten Online-Zugriff auf Meldedaten haben, nicht auch Geheimdienste und eine Vielzahl anderer Behörden, wie das jetzt geplant ist. Schließlich müssen alle Auskünfte, auch die manu- ell erteilten, protokolliert werden, damit sie sich nachvollziehen und überprüfen lassen. Wir fordern eine frühere Löschung der nicht mehr aktuellen Daten. Unsere Vorschläge sind weitgehend identisch mit langjährigen Forderungen der Datenschutzbeauf- tragten. Auch die Bürger werden am 20. September im Rahmen eines von uns PIRATEN organisierten OptOutDays gegen den Ausverkauf ihrer Daten protestieren. Dabei geht es nicht nur um Werbung, wie das Gegenstand des Koalitionsantrags und weitgehend der Medienberichterstattung ist, son- dern wir müssen uns gegen den Ausverkauf der Daten in all den Bereichen, die ich angesprochen habe, wehren. Deswegen sollte durch Ablehnung dieses zustim- mungspflichtigen Gesetzes im Bundesrat so lange an dem bisherigen bewährten Melderecht festgehal- ten werden, als nicht entscheidenden Nachbesse- rungen, wie in unserem Antrag genannt, vorgenom- men werden. Über die einzelnen roten Grenzen kann man gerne im Ausschuss noch näher spre- chen. Aber es kann nicht nur um Werbung gehen. Wenn nur die Werbesache geändert wird, wäre die bestehende Regelung eindeutig besser. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. (Beifall PIRATEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich sehr über den konstruktiven Vorschlag, sich jetzt einerseits auf eine Entschließung zu einigen, dem Gesetz so nicht zuzustimmen und in den Vermitt- lungsausschuss zu überweisen, andererseits die von uns genannten Aspekte, die über das Werbethema hinausgehen, im Ausschuss zu diskutieren. Das fin- de ich gut. Allerdings müsste man dazu den Antrag der Koalitionsfraktionen ändern; denn der greift eben nur eins dieser vielen Probleme heraus, näm- lich die Werbeproblematik, und erweckt dadurch den Eindruck, dass in anderen Punkten kein Ände- rungsbedarf bestünde. Deswegen beantrage ich, diesen Antrag der Koalition nur bis zu den Worten „nicht zuzustimmen“ zu verabschieden und den zweiten Halbsatz zu streichen, sodass er lauten würde: „Der Landtag fordert die Landesregierung auf, den vom Deutschen Bundestag in seiner Sit- zung vom 28. Juni 2012 beschlossenen ‚Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens’ im Bundesrat nicht zuzustimmen.“ - Dem könnten wir zustim- men.
Landesverfassung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen heute unseren Gesetzentwurf zur Stärkung der verfassungsmäßigen Rechte des Land- tags und des Volkes vorstellen. Zunächst einmal zu den Rechten des Landtags! Wir haben es auf dem Gebiet der Landeszuständigkeiten mit Gebieten wie dem Polizeirecht zu tun einschließlich der interna- tionalen polizeilichen Zusammenarbeit, dem Kom- munalrecht, aber auch der Bildung und der Kultur. Für all das sind wir als Land zuständig. Wenn der Bund auf diesen Gebieten Verträge mit anderen Staaten schließen will, ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass der Landtag darüber entscheidet, ob er das zulässt oder nicht, denn der Bund greift in unsere Gesetzgebungskompetenz ein und nicht in die der Landesregierung. Deswegen ist der erste Vorschlag, den wir machen, dass, wenn der Bund mit Staatsverträgen in unsere Gesetzge- bungskompetenz als Landtag eingreift, wir darüber entscheiden, ob wir dem zustimmen oder nicht. Zweitens. Gerade was den Punkt der Verhandlung von Staatsverträgen angeht, erleben wir leider zu- nehmend eine schleichende Verlagerung unseres Gesetzgebungsrechts in nicht öffentliche Regie- rungsverhandlungen über Staatsverträge, zum Bei- spiel wenn es um den Rundfunkbeitragsstaatsver- trag oder den Jugendmedienschutzstaatsvertrag geht, der gerade wieder in der Verhandlung ist. Ich bin davon überzeugt, wir brauchen auf dem Ge- biet der Staatsverträge eine demokratische Kontrol- le. Einen Staatsvertrag hinterher abzulehnen, ist doch wahrlich nur eine theoretische Möglichkeit, denn keine Koalition wird die von ihr getragene Regierung dadurch brüskieren, dass sie einem sol- chen Verhandlungsergebnis nicht zustimmt.786 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 11. Sitzung - Donnerstag, 15. November 2012 (Dr. Patrick Breyer) Der einzige Fall, der bekannt ist, ist der Jugendme- dienschutzstaatsvertrag. Dort ist das nur deshalb ge- macht worden, weil in Nordrhein-Westfalen zwi- schenzeitlich eine Neuwahl stattgefunden hat und man nicht gegen die eigene Regierung stimmen musste. Deswegen ist dieser Vertrag einmal gekippt worden. Sonst funktioniert das in der Praxis nicht. (Christopher Vogt [FDP]: Das war ein bisschen anders!) Deswegen schlagen wir vor, dass die Landesregie- rung Verhandlungen über Staatsverträge auf der Grundlage eines parlamentarischen Mandats auf- nehmen soll. Zur Erinnerung: Dieses Mandat würde die Mehrheit in diesem Hause erteilen, das heißt auch Sie. Es ist also nicht zu befürchten, dass die Landesregierung übermäßig eingeschränkt wird, denn Sie als Koalition haben die Mehrheit. Das Mandat kann durchaus auch ein freies Mandat sein, quasi ein Blankoscheck. Das heißt, wenn die Landesregierung es vorschlägt, würde der Landtag sie ermächtigen, die Verhandlungen zu einem be- stimmten Thema aufzunehmen, ohne weitere Ein- schränkungen. Das wäre durchaus möglich, so, wie bisher. Wir könnten nach unserem Vorschlag als Landtag aber auch Empfehlungen für die Verhandlungen aufnehmen oder sogar rote Linien ziehen, die bei den Verhandlungen nicht überschritten werden dür- fen. Ich bin sicher, dass die Regierungsmehrheit das mit der entsprechenden Vorsicht und Flexibilität handhaben würde. Es gibt natürlich schon das Parlamentsinformati- onsgesetz, nach dem wir über laufende Verhandlun- gen auch über Staatsverträge zu informieren sind. Die beste Information nützt aber wenig, wenn wir keinen Einfluss haben, wenn wir damit nichts an- fangen können. Ich erinnere an das Thema der Vorratsdatenspei- cherung, das uns sehr am Herzen liegt. Da gab es mehrfach Entschließungen im Bundestag, und zwar fraktionsübergreifend, die der Bundesregierung mitgegeben haben, auf EU-Ebene keiner anlasslo- sen Vorratsdatenspeicherung zuzustimmen. Aber die Bundesregierung hat sich nicht daran gehalten, sondern sie hat das Gegenteil gemacht und eine Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ausgehan- delt, der dann schließlich auch der Bundestag zu- stimmen musste. Mit der haben wir bis heute zu kämpfen, und richtigerweise erteilt der Koalitions- vertrag dem eine klare Absage. Um solche Probleme zu verhindern, ist es wichtig, dass das Parlament im Vorhinein auch auf die Aushandlung von Staatsverträgen Einfluss neh- men kann, denn die müssen hier bei uns im Landtag schließlich im Nachhinein umgesetzt werden und beschränken unsere Gesetzgebungsrechte. Man könnte einwenden, dass die Verhandlungspo- sitionen - die roten Linien, mit denen man in solche Verhandlungen geht - vertraulich behandelt werden sollten. Das mag für Einzelheiten der Verhand- lungspositionen durchaus der Fall sein. Aber ich glaube, wenn der Landtag sich positioniert und sagt, dass er bestimmte Sachen von vornherein überhaupt nicht mitmachen will - wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung -, dann ist das nichts Geheimes, sondern etwas, was die Bürger wissen sollten. Im Übrigen macht die EU es vor, dass Verhand- lungen auf der Grundlage eines Mandats funk- tionieren. Auf EU-Ebene ist es nämlich so, dass die EU-Kommission Verhandlungen mit ausländischen Staaten auf der Grundlage eines Mandats des Mini- sterrats führt. Ich komme zum zweiten Teil unseres Vorschlages zur Stärkung der Rechte des Landtages und des Volkes, und dieser betrifft die Rechte der Bürger. Unsere Verfassung ist die Grundlage eines demo- kratischen Staates. Sie kann quasi als Gesellschafts- vertrag der Staatsbürger angesehen werden. Wegen der herausragenden Bedeutung der Verfassung für die Bürger sollen nach unserem Vorschlag Verfas- sungsänderungen künftig der Bestätigung durch ei- ne Volksabstimmung bedürfen, so wie das bereits in Bayern, in Hessen und etwa in der Schweiz auch der Fall ist. Solche Verfassungsreferenden erhö- hen die Identifikation der Bürger mit ihrer Verfas- sung. Sie lösen einen sachlichen und fruchtbaren öffentlichen Diskurs über die Grundlagen unseres Staates aus, der auch das Verfassungsbewusstsein stärkt. Schließlich schaffen sie ein wichtiges Ge- gengewicht in Zeiten, in denen die Landesregierung von einer verfassungsändernden Mehrheit getragen wird und dadurch die Wirkung einer Kontrolle durch die Zweidrittelmehrheit im Landtag einge- schränkt ist. Man könnte diesem Vorschlag entgegenhalten, dass Details ungeregelt seien. Dabei ist unser Vorschlag so einfach wie klar: Entscheiden sollen zuerst das Parlament mit Zweidrittelmehrheit und danach die Bürger mit einfacher Mehrheit. Es soll kein Quorum gelten, so wie das in Bayern und Hessen der Fall ist.Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 11. Sitzung - Donnerstag, 15. November 2012 787 (Dr. Patrick Breyer) Nicht für zutreffend halte ich das Argument, dass die Bürger nicht motiviert werden könnten, über Detailfragen zu entscheiden, denn unsere Verfas- sung ist keine Detailfrage. Wenn es wirklich um Detailfragen geht, gehören die nicht in unsere Ver- fassung. Und das, was wir an unserer Verfassung ändern, sind keine Details. Wenn es um den Schutz nationaler Minderheiten wie gestern geht, wenn es um den Tierschutz geht, wenn es um die Mitbestim- mung der Bürger geht - bei all dem haben die Bür- ger ein Recht darauf, mit zu entscheiden. Gerade ei- ne etwaige neue Verfassung, wie sie im Moment in der Diskussion ist, muss von den Bürgern ange- nommen und entschieden werden, um legitimiert zu sein. Deswegen sind wir auch gern bereit, im Rah- men einer breiter angelegten Debatte über unsere Vorschläge zu diskutieren. Das gilt auch für die Vorschläge, die die CDU- Fraktion hier vorgelegt hat, die ich allerdings bis- her kritisch sehe. Zum Teil handelt es sich um Ziel- bestimmungen im Sinne von Bürgernähe und Effi- zienz, die aus meiner Sicht einen sehr symbolischen Charakter haben. Zum anderen Teil handelt es sich um Bestimmungen zur Zusammenarbeit mit ande- ren Bundesländern, deren Notwendigkeit ich nicht sehe, denn wir können auch ohne Verfassungsände- rung mit anderen Ländern zusammenarbeiten und Grundlagenstaatsverträge schließen. (Beifall Uli König [PIRATEN] und Lars Harms [SSW]) Die Abstimmung gestern zur Frage des Minderhei- tenschutzes für die Sinti und Roma macht Hoff- nung, dass wir einen breiten Konsens in der Frage der Verfassungsänderung auch in diesen Punkten finden werden. Ich hoffe, dass zu diesem Konsens auch gehören wird, mehr Demokratie in Schleswig- Holstein zu wagen. - Danke. (Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der öffentliche Proteststurm gegen die letzte No- velle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags und sein abruptes Ende haben deutlich gemacht, wie wichtig die Öffentlichkeit für den Inhalt der nächsten Novelle sein wird. Deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet, als der Kollege Oliver Kumbartzky unsere Forderung ein bisschen ins Lächerliche gezogen hat, diese Ver- handlungen über einen neuen Vertrag transparent zu gestalten. Herr Kollege Kumbartzky, Ihnen ist vielleicht bekannt: Wenn es diesen Staatsvertrag nicht gäbe und jedes Land seine eigenen Jugendme- dienschutzgesetze machte, wären die Beratungen darüber im Plenum und in den Ausschüssen öffent- lich. Wir PIRATEN fragen uns: Warum soll die Transparenz komplett entfallen, nur weil mehrere Länder gemeinsam solche Regelungen aushandeln? Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Wir fordern eine öffentliche Verhandlung. (Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diejenigen, die im Verfassungsausschuss sitzen oder sich die Beratungen angehört haben, wissen auch, dass wir schon längst darüber reden, wie wir Vertragsverhandlungen zwischen Ländern trans- parenter gestalten können. Ich freue mich darüber, dass alle Kolleginnen und Kollegen dazu gesprächsbereit sind. Ich hoffe, dass wir dabei zu einem guten Ergebnis kommen, um solche Vertragsverhandlungen genauso transparent und demokratisch auszugestalten, wie es im Gesetz- gebungsverfahren der Fall ist. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als wir PIRATEN uns vor etwa drei Jahren entschieden hatten, wir wollten für dieses Land mit Verantwortung übernehmen und wollten die Geschicke unseres Landes im Parlament mit gestalten, haben wir drei Kernziele definiert, mit denen wir geworben haben: Wir wollten die Bürgerrechte stärken, wir wollten mehr Transparenz erreichen, und wir wollten die Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. Nun gibt es sicherlich keinen besseren Ort als unsere Landesverfassung, um diese Ziele zu verwirklichen. So erklärt es sich, dass wir uns intensiv an den Beratungen über den Vorschlag für eine veränderte, reformierte Landesverfassung beteiligt und eingebracht haben. Erlauben Sie mir, dass ich an diesen drei Zielen die Vorschläge, die wir hierzu unterbreitet und vorgelegt haben, bemessen und bewerten möchte. Das erste Ziel betrifft die Stärkung der Bürgerrechte. Es freut mich, dass wir gleich zu Beginn der neuen reformierten Landesverfassung dieses Thema ansprechen möchten. In der Präambel sollen nämlich als Grundlage unseres Landes die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit definiert werden. Das, glaube ich, hebt hervor, dass in einer freiheitlichen Verfassung die hohe Bedeutung der Menschenrechte, die individuellen Freiheitsräume der Bürgerinnen und Bürger, die eigentlich die Grundlage unserer Gesellschaft bilden und diese ausmachen, zu recht gewürdigt wird. Dies ist umso mehr der Fall, wenn gleich zu Beginn dieser Passus in die Verfassung aufgenommen wird. Wir freuen uns auch darüber, dass im Zeitalter von internationaler Massenüberwachung seitens ausländischer Geheimdienste unsere neue Verfassung - meines Wissens auch als erste Verfassung überhaupt in Deutschland - das Anliegen des Schutzes der digitalen Privatsphäre aufgreifen soll. Das heißt, unser Grundrecht auf Selbstbestimmung über unsere Daten im Zeitalter der Informationsgesellschaft und des Internets ist der richtige Ansatz. Es ist aber sehr bedauerlich, dass diese Bestimmung wie auch viele andere Bestimmungen in der Verfassung nur eine bloße Zielbestimmung ist, die nicht definiert ist als Recht der Bürger, dies verlangen zu können, dass ihre digitale Privatsphäre eingehalten wird, und im Zweifelsfall dieses auch einklagen zu können. Das Problem ist, dass sich der Sonderausschuss schon sehr früh, leider auch gegen unser Votum, dagegen ausgesprochen hat, einen eigenen Grundrechtskatalog in die Verfassung aufzunehmen. Man hat sich von vornherein darauf festgelegt: Die Verfassung soll keine einklagbaren und durchsetzbaren Rechte der Bürgerinnen und Bürger begründen. Das finde ich sehr bedauerlich. Denn es darf nicht so sein, wie der Schweizer Walter Fürst einmal sagte: die Verfassung als El Dorado der fixen Ideen. Es darf nicht sein, dass wir sozusagen in das Schaufenster unserer Verfassung schöne Dinge einstellen, dass wir aber dann, wenn der Bürger sie kaufen und haben möchte, sagen: „Das ist nur zur Dekoration gedacht; das verkaufen wir nicht!“ Ich glaube, das ist ein Fehler. Deswegen werden wir PIRATEN weiterhin dafür werben und dafür eintreten, dass nach diesem ersten Schritt der Bestimmung von guten Zielen, sei es Privatsphäre, sei es Inklusion, sei es Recht auf gute Verwaltung, ein zweiter Schritt folgt, mit dem wir diese Rechte auch wirklich durchsetzbar und einklagbar machen, damit sich die Bürger auch darauf berufen können. Dazu gehört sicherlich auch der Bereich des Rechtsschutzes. Das heißt, dass Schleswig-Holstein leider auch nach dieser Verfassungsänderung weiterhin zu den wenigen Ländern gehören soll, die es ihren Bürgern nicht ermöglichen, Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht zu erheben. Wir PIRATEN hätten uns genauso wie der Präsident des Landesverfassungsgerichts gewünscht, dass die Ansprüche und Rechte, die wir teilweise schon in unserer Verfassung haben, auch durchsetzbar sind, auch gegen uns als Landtag, falls wir dagegen verstoßen sollten, und dass eine Landesverfassungsbeschwerde eingeführt wird. Ich glaube, das ist sehr wichtig, denn, um es mit dem SPD-Politiker Peter Glotz zu sagen - ich zitiere -: „Eine Verfassung braucht Mechanismen, mit denen das Volk es seiner politischen Klasse gelegentlich heimzahlen kann.“ Ich glaube, dieser Mechanismus ist noch erforderlich und sollte im nächsten Anlauf noch in unsere Verfassung aufgenommen werden. Ich komme zum zweiten Kernziel, das wir PIRATEN verfolgen, und das ist der Bereich der Transparenz. Hier haben die Kolleginnen und Kollegen schon zu Recht darauf hingewiesen, dass wir dieses Thema bei der Verfassungsänderung durchaus ansprechen. Wir ermöglichen tatsächlich erstmals in Schleswig-Holstein, dass zum Beispiel zu Petitionen, auch Sammelpetitionen, die öffentlich von Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern unterzeichnet werden können, auch eine öffentliche Anhörung erfolgt, das heißt, dass die Petenten sich mit ihrem Anliegen in der Öffentlichkeit einbringen und Unterstützung sammeln können. Das ist ein sehr gutes Zeichen und ein sehr wichtiger Pluspunkt für diese beabsichtigte Verfassungsänderung. Wir werden eine ganz neue Bestimmung über den Informationszugang zu staatlichen Informationen aufnehmen. Ja, gerade wir PIRATEN haben uns für eine Einschränkung dieses Informationszugangs dahin gehend eingesetzt, dass, wenn private oder öffentliche Interessen das Transparenzinteresse überwiegen, dieser Zugangsanspruch dann ausgeschlossen sein soll. Ich freue mich, dass wir uns bei der Formulierung in der letzten Sitzung des Ausschusses einigen konnten. Auch das ist ein deutliches Plus an Transparenz, vor allem weil wir uns im Ausschuss einig gewesen sind, dass das Informationszugangsgesetz auf der Grundlage dieser Verfassungsänderung überarbeitet werden muss. Wir PIRATEN wünschen uns ein modernes Transparenzgesetz, ähnlich wie es das in Hamburg gibt. Ich glaube, diese Verfassungsänderung gibt das Ziel und die richtige Richtung in dieser Hinsicht vor. Auf der anderen Seite hätten wir uns gewünscht, dass wir auch im Bereich der Aushandlung von Staatsverträgen, die gerade in Bezug auf die Handelsabkommen immer wieder in der öffentlichen Diskussion oder Kritik stehen, mehr Transparenz und demokratische Mitbestimmung gewagt hätten. Wir haben vorgeschlagen, dass die Aufnahme von Verhandlungen über Staatsverträge, die traditionell ja hinter verschlossenen Türen stattfinden, eines parlamentarischen Mandats bedürfen soll, wie das auf EU-Ebene der Fall ist. Das heißt, die Landesregierung darf hier nur auf der Grundlage einer Ermächtigung des Parlaments verhandeln. Wir haben darum gebeten, dass das Parlament auch die Möglichkeit haben soll, rote Linien zu ziehen. Leider haben wir uns damit nicht durchsetzen können. Im nächsten Tagesordnungspunkt werden wir sehen, welche Nachteile das konkret hat, zum Beispiel für den Medienänderungsstaatsvertrag. Wir PIRATEN werden weiterhin dafür eintreten, dass die Aushandlung von Staatsverträgen transparenter und demokratischer erfolgt. Allerdings haben wir eine Mehrheit für unseren Vorschlag finden können, Gesetze und Verordnungen auch im Internet zu veröffentlichen. Es ist ganz wichtig, wenn wir zum Beispiel bestimmte Dinge unter Strafe stellen, dass sich die Bürger auch informieren können, auch wenn sie nicht zu den Abonnenten unseres Amtsblatts gehören, und das sind, glaube ich, die wenigsten Menschen in diesem Land. Das dritte Kernanliegen von uns ist gewesen, die Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Ja, vielleicht der wichtigste Erfolg dieser Verfassungsreform ist, dass wir Volksentscheide erleichtern, die Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die Mitentscheidung über ganz konkrete Anliegen erleichtern, dass wir die direkte Demokratie nicht durch zu hohe Hürden, durch zu viele Unterschriften, die gesammelt werden, durch zu hohe Quoren, die erfüllt werden müssen, erschweren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, ich denke, wenn Hunderttausende eine Entscheidung in unserem Land treffen, dann ist das eine genauso gute Legitimationsbasis, als wenn es 69 von uns hier im Landtag tun. Untersuchungen zeigen, dass durchaus ein für die Gesamtheit repräsentatives Ergebnis erzielt wird, auch wenn nicht 25 %, sondern vielleicht 15 % zustimmen. Ich will aber auch ganz klar sagen und das mit einem Dank an „Mehr Demokratie“ von meiner Seite verbinden: Wir haben uns dafür eingesetzt und kämpfen weiter dafür, die Mitbestimmungsmöglichkeiten weiter zu erleichtern. Zum Beispiel ist ein ganz großes Manko, dass im Moment Volksentscheide, die Kostenfolgen haben, unzulässig sind. Selbst wenn ein Volksentscheid sogar höhere Einnahmen für das Land hätte, wäre das nicht erlaubt. Das fällt auch den Kollegen von der CDU-Fraktion auf die Füße, wenn es um einen Volksentscheid zur A 20 geht. Der hätte eine Kostenfolge und dürfte deswegen unzulässig sein. Deswegen werben wir weiterhin dafür, Volksentscheide zu erleichtern, und auch dafür, die Verfassungsänderung selbst den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zur Abstimmung vorzulegen. Das ist ein ganz wichtiges Anliegen für uns PIRATEN. (Beifall PIRATEN) Carlo Schmid, einer der Väter des Grundgesetzes sagte: „Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Verfassung ein solches grundlegendes Element in einem Staat und eine Art Gesellschaftsvertrag der Bürger miteinander ist, dann sollten wir sie doch auch selbst darüber entscheiden lassen, welchen Vertrag sie schließen möchten. Deswegen werben wir für eine freie Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger über diese Verfassung. (Beifall PIRATEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich das wiederhole, was ich im Sonderausschuss gesagt habe. Wir PIRATEN haben uns noch nicht festgelegt, wie wir uns zu diesem Verfassungsentwurf verhalten. Wir wollen unsere Mitglieder befragen, wenn wir schon nicht die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land befragen dürfen. Jetzt am Wochenende haben wir Landesparteitag. Uns ist jetzt wichtig, dass diese neue Verfassung, wenn sie denn beschlossen wird, mit Leben gefüllt wird. Das heißt, dass die Transparenz der Aushandlung von Staatsverträgen oder auch des Handelns der Landesregierung im Bundesrat durch eine Vereinbarung, die wir gemeinsam anstreben, verbessert wird, dass das Informationszugangsgesetz novelliert wird, dass das Volksabstimmungsgesetz novelliert wird und die Hürden für Volksabstimmungen verringert werden. Wenn wir es schaffen, die Ziele, die wir in der Verfassung definieren, mit Leben zu füllen, dann können wir mit Fug und Recht sagen, wir haben eine Stärkung der Bürgerrechte in unserem Land, mehr Transparenz und mehr Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger erreicht. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten und entscheiden heute über vier Gesetzentwürfe zur Reform unserer Landesverfassung. Mit der ersten Abstimmung entscheiden wir sozusagen darüber, wer entscheidet. Es geht nämlich um einen Gesetzentwurf von uns PIRATEN, mit dem wir wollen, dass das Volk, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes selbst entscheiden dürfen, ob und mit welchem Inhalt unsere Verfassung neu gefasst wird. (Beifall PIRATEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, große Denker des Zeitalters der Aufklärung haben die Verfassung als Gesellschaftsvertrag begriffen, als Einigung aller Menschen, die in einer Gesellschaft leben, darüber, was zu ihrem Schutz und zu einer gemeinsamen Willensbildung in einem Staatswesen erforderlich ist. Wenn man die Verfassung als Vertrag der Bürgerinnen und Bürger untereinander über das grundlegende Zusammenleben versteht, dann kommt man wohl zu dem Ergebnis, dass ein Vertrag immer nur einvernehmlich, also mit dem Willen der Beteiligten, geändert werden kann. Jeder Mieter, der einen Mietvertrag ohne Zustimmung seines Vermieters einfach abändert, kommt wegen Urkundenfälschung in den Knast. (Zuruf SPD: Das ist Zivilrecht!) Ich glaube, dass ein Gesellschaftsvertrag so grundlegend ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden dürfen sollen. Hinzu kommt, dass wir am Verfahren der Verfassungsänderung leider nicht die breite öffentliche Beteiligung und Anteilnahme gesehen haben, die wir uns alle gewünscht hätten. Es war ein guter Schritt, dass wir in Schleswig-Holstein den Bürgerinnen und Bürgern über das Internet Gelegenheit gegeben haben, Eingaben zu machen, mit denen wir uns im Sonderausschuss Verfassungsreform auch beschäftigt haben, die einfließen konnten. Aber nur wenige Bürgerinnen und Bürger haben diese Möglichkeit genutzt. Leider ist die Öffentlichkeit auch von vielen interessanten Arbeitssitzungen ausgeschlossen gewesen. Es gab auch keine Pressemitteilungen über den Zwischenstand, und vonseiten der Presse ist leider auch nicht laufend über den Fortgang der Verhandlungen berichtet worden. Auch unter diesem Gesichtspunkt glaube ich: Wenn wir die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden lassen, können wir wirklich eine öffentliche Debatte über das, was wir hier vorgestellt und ausgehandelt haben, erzielen und die Bürgerinnen und Bürger endlich auch an dieser wichtigen Frage beteiligen. Schließlich noch ein letztes Argument: Ein Einzelpunkt, der für uns und auch für die Bürgerinnen und Bürger besonders stark umstritten ist, ist der Punkt, ob wir in den Vorspann, in die Präambel unserer Landesverfassung eine Verantwortung vor Gott aufnehmen sollen. Dieser Punkt ist so zentral und wichtig, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht verweigern können, über diese Frage selbst zu entscheiden. (Beifall PIRATEN) Wir sind uns doch alle einig darüber, dass das eine persönliche Frage ist; deswegen geben wir doch die Abstimmung frei. Warum sollen also nicht auch die Bürgerinnen und Bürger darüber persönlich entscheiden können? Das einzige Argument, das ich gegen Volksentscheide über die Änderung der Landesverfassung in Erinnerung habe, war das, das der Kollege Burkhard Peters im Ausschuss vorgebracht hatte, das würde auch kleinere Änderungen betreffen, die nicht so sehr von Bedeutung wären. Aber heute geht es doch nicht um eine kleine Änderung, sondern es geht um zentrale Fragen, von denen doch niemand sagen würde, die Bürgerinnen und Bürger hätten kein Interesse daran, darüber zu entscheiden, ob wir diese Verfassungsänderung mit oder ohne Gottesbezug wollen. Vor diesem Hintergrund lade ich Sie ein, mehr Demokratie zu wagen. Wenn Sie in der ersten Abstimmung unserem Gesetzentwurf zustimmen, können wir trotzdem über die weiteren Entwürfe abstimmen. Diese würden dann aber den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes vorgelegt werden mit der Frage, ob sie die Änderungen zur eigentlichen Verfassungsreform bestätigen oder ablehnen wollen. Ich glaube, das wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung in Schleswig-Holstein. Wir haben in unserem Gesetzentwurf ferner den Vorschlag enthalten, dass Staatsverträge, wie zum Beispiel der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag oder auch der Rundfunkstaatsvertrag, über die sehr Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 70. Sitzung - Mittwoch, 8. Oktober 2014 5761 (Dr. Heiner Garg) kontrovers diskutiert worden ist - das gilt auch für das TTIP-Handelsabkommen -, nicht länger hinter verschlossenen Türen von der Regierung ausgehandelt werden sollen, sondern dass das Parlament ein Mandat erteilt, auf dessen Grundlage verhandelt werden darf, wie das auf EU-Ebene bereits der Fall ist. Ich glaube, dass Internetbeschränkungen oder Mediathekenzensur, wie sie im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt ist, oder auch Schiedsgerichtsklagen Privater gegen staatliche Entscheidungen, wie sie im Handelsabkommen festgelegt werden sollen, auf der Grundlage eines parlamentarischen Mandats gefunden und nicht erst am Ende den Volksvertretern vorgelegt werden sollten nach dem Motto: Friss oder stirb. (Beifall PIRATEN) Wir schlagen deswegen vor, die Rechte des Parlaments zu stärken, damit wir verbindliche Verhandlungslinien ziehen können, wenn es erforderlich ist. (Beifall Uli König [PIRATEN] - Unruhe) Meine sehr verehrten Damen und Herren, da nach der Ausschussabstimmung leider keine Bereitschaft besteht, die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden zu lassen, haben wir PIRATEN immerhin unsere Mitglieder befragt. (Unruhe) Das Ergebnis ist, dass 85 % der Teilnehmer in der Sache den Änderungsvorschlag, wie ihn der Sonderausschuss „Verfassungsreform“ vorgeschlagen hat, unterstützen. Das ist auch kein Wunder, dann gerade aus Sicht der PIRATEN sind hier wichtige Verbesserungen enthalten, (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) zum Beispiel dass Volksentscheide künftig erleichtert werden und nicht mehr leicht an mangelnder Beteiligung scheitern können, zum Beispiel dass öffentliche Anhörungen im Petitionsausschuss bei Sammelpetitionen möglich werden, zum Beispiel die Internetveröffentlichung von Gesetzen oder auch erstmals die Aufnahme des Zugangs zu amtlichen Informationen in die Landesverfassung. An der Stelle möchte ich noch einmal einen ausdrücklichen Dank an unseren Landtagspräsidenten Klaus Schlie richten. Ohne ihn wäre nach meiner Einschätzung der Prozess der Verfassungsreform überhaupt nicht zustande gekommen. Er hat an wichtigen Stellen, auch an denen es um die digitale Gesellschaft geht, an denen es um den Informationszugang geht, Vorschläge geliefert, auf deren Grundlage wir uns im Endeffekt einigen konnten. Deswegen an der Stelle noch einmal herzlichen Dank von uns! (Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW) Präsident Klaus Schlie: Herr Dr. Breyer, ich möchte mich nicht für Ihren Dank bedanken, sondern Sie fragen, ob Sie dem Abgeordneten Kubicki eine Zwischenfrage oder -bemerkung gestatten. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, wären Sie so freundlich, dem Haus mitzuteilen, wie hoch die Teilnehmerzahl Ihrer Befragung war, absolut und in Relation zur Anzahl der Mitglieder der PIRATEN, damit wir wissen, mit welchem Quorum die Mitglieder bei Ihnen abgestimmt haben? - Herr Kollege Kubicki, das ist eine Umfrage und keine Abstimmung gewesen. Ich kann Ihnen im Moment nicht sagen, wie viele teilgenommen haben. Es war eine dreistellige Anzahl von Teilnehmern, ich weiß aber nicht, wie viele genau. Ich kann Ihnen die Zahl gern nachliefern, oder Sie lesen es im Internet nach. Wir haben das ganz transparent ins Netz gestellt. (Beifall Uli König [PIRATEN] - Unruhe) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht verschweigen, dass diese Verfassungsreform das ist, was nach dem Kompromissfilter übrig geblieben ist. An sehr vielen Stellen hätten wir PIRATEN uns viel mehr gewünscht. Wir haben zum Beispiel als eines von ganz wenigen Bundesländern auch nach dem neuen Vorschlag keine Landesverfassungsbeschwerde. Bürgerinnen und Bürger sollen in Schleswig-Holstein weiter gegen die Verletzung ihrer Grundrechte nicht vor das Landesverfassungsgericht ziehen können. Wir haben uns nicht auf einen eigenen Grundrechtekatalog verständigen können. Es fehlen Grundrechte etwa auf Datenschutz oder ein echtes Grundrecht auf Informationsfreiheit. Die Regelungen zu Volksentscheiden sind noch immer zu restriktiv. (Zurufe) 5762 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 70. Sitzung - Mittwoch, 8. Oktober 2014 (Dr. Patrick Breyer) - Wenn das Informationsbedürfnis des Kollegen Kubicki gestillt ist, würde ich gern das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit weiter stillen. Präsident Klaus Schlie: Wir geben jetzt dem Abgeordneten Dr. Breyer trotz der notwendigen Diskussion über die Bänke hinweg die Chance, dass er vom Rednerpult aus weiterreden kann. - Bitte! Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Vielen Dank. - Wir bedauern, dass für Volksentscheide noch immer viel zu hohe Hürden gelten. Zum Beispiel sind Volksentscheide mit Kostenfolge nach unserer Auffassung weiter unzulässig, selbst wenn sie Einnahmen generieren würden. Das muss man sich einmal vorstellen! Nichtsdestotrotz, wir haben unsere Mitglieder gefragt: Sollen wir trotz des Umstands, dass es wohl keine Volksabstimmung geben wird, diese Änderungen mittragen? Das Ergebnis ist, dass nur 14 % derjenigen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, lieber die bisherige Verfassung behalten wollen. Das ist so zu verstehen: Wenn es schon eine Verfassung ohne Zustimmung der Bürger gibt - und die gibt es im Moment ohnehin -, dann lieber die neue Verfassung ohne Zustimmung der Bürger, denn sie ist deutlich besser. Ich möchte noch auf einen letzten Punkt eingehen. Die Teilnehmer unserer Umfrage in der Piratenpartei haben es zu 70 % abgelehnt, einen Gottesbezug in die Landesverfassung aufzunehmen. Für diese PIRATEN ist Religion Privatsache, und in einer staatlichen Verfassung hat die Frage, ob es einen Gott gibt, nichts zu suchen. Herr Ministerpräsident Albig, Sie haben in der ersten Lesung erklärt, wir gäben diese Verfassung für eine große Mehrheit der Menschen in diesem Land. Da bin ich entschieden anderer Meinung. Wir geben diese Verfassung für alle Menschen in diesem Land. Wir erwarten, dass sich alle Menschen daran halten und sich damit identifizieren können. Deswegen können Sie nicht eine Verantwortung vor einem göttlichen Wesen in eine Verfassung schreiben, wenn viele Menschen in diesem Land diesen Glauben nicht teilen. Wenn es nach Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften ginge, würden Sie übrigens auch keine Zweidrittelmehrheit in unserem Land dafür erreichen. Über die Frage der Existenz eines Gottes können wir doch nicht abstimmen! Deswegen ist unsere Empfehlung mit großer Mehrheit, gegen die Aufnahme eines Gottesbezugs zu stimmen. Ich komme zum Schluss. Die Frage der Ersatzschulfinanzierung - egal wie man sie in der Sache sieht - ist eine Detailfrage, die nicht in die Landesverfassung gehört. Ich fasse zusammen, dass wir PIRATEN in der Mehrheit empfehlen, die Frage des Glaubens oder Nichtglaubens an ein göttliches Wesen nicht in die staatliche Verfassung aufzunehmen und die Verfassungsreform in der Sache zu unterstützen, weil sie mehr Mitbestimmung der Bürger, Transparenz und Informationszugang bedeutet. Wir bitten Sie, für eine demokratische Aushandlung von Staatsverträgen und für ein Mitbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger über die neue Landesverfassung einschließlich der Frage des Gottesbezugs einzutreten. Wir laden Sie ein, an der Stelle mehr Demokratie zu wagen. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich trete immer gern in einen fachlichen Dialog mit dem furchtlosen Abgeordneten Dr. Kai Dolgner ein. Vielleicht vorab noch ein Wort zu dem, was Wolfgang Kubicki gesagt hat. Das Problem der Gleichbehandlung dänischer Minderheitsschulen und der Ersatzschulen haben wir natürlich im Verfassungsausschuss geprüft. Wir haben das sogar vom Wissenschaftlichen Dienst prüfen lassen. Dieser hat festgestellt, dass es sich rechtfertigen lässt, die eine Sache in die Verfassung aufzunehmen, und die andere Sache nicht in die Verfassung aufzunehmen. Jetzt zur Frage der Volksabstimmung. Ich finde es hochinteressant, Herr Kollege Kai Dolgner, dass Sie uns jetzt vorschlagen, wir sollten eine Volksabstimmung darüber vornehmen lassen, ob wir eine Volksabstimmung vornehmen lassen wollen. Ich glaube, so habe ich das richtig verstanden. Das finde ich hochspannend, aber nicht sinnvoll. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage beziehungsweise -bemerkung des Abgeordneten Dr. Dolgner? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Präsident Klaus Schlie: Bitte. Dr. Kai Dolgner [SPD]: Herr Kollege Dr. Breyer, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie der Auffassung, dass Verfassungsänderungen zukünftig nur durch das Volk legitimiert werden können. Das entspricht Ihrem Gesetzentwurf. Sie haben jetzt schon die Möglichkeit, Ihren Gesetzentwurf völlig frei am Parlament vorbei durch eine Volksabstimmung legitimieren zu lassen. Nach Artikel 42 unserer Verfassung ist das bereits jetzt möglich. Dabei sind wir übrigens sogar viel weiter als das Grundgesetz. Darauf habe ich Sie aufmerksam gemacht. In der Konsequenz bedeutet das nicht, eine Abstimmung darüber zu machen, ob man eine Abstimmung will. Vielmehr können Sie gleich über Ihren Gesetzentwurf abstimmen lassen, und zwar über das normale Verfahren, über eine Volksinitiative, über ein Volksbegehren, über einen Volksentscheid. Das ist in der Verfassung bereits enthalten. Ich habe mich lediglich dagegen ausgesprochen, dass Sie einführen wollen, dass wir die Verfassung nicht mehr ohne eine Volksabstimmung ändern können. Das ist nicht nur ein semantischer, sondern ein sehr realer Unterschied, und das unterscheidet uns beide. (Vereinzelter Beifall SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Heiner Garg [FDP]) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Lieber Kai Dolgner, erstens will ich, dass wir alle beschließen, dass wir Verfassungsänderungen nur noch mit Zustimmung des Volkes machen. Damit meine ich dasselbe Wir. Zweitens können wir die Verfassungsreform gern so vollziehen, dass wir Unterschriften dafür sammeln, statt als Parlament zu entscheiden. Das können wir natürlich gern machen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 70. Sitzung - Mittwoch, 8. Oktober 2014 5777 (Dr. Kai Dolgner) Drittens verzeihe ich Ihnen Ihre Bemerkung, weil Sie nicht im Sonderausschuss Verfassungsreform dabei waren. Wir haben dort erörtert, wie es möglich sein könnte, dem Volk die eigentliche Verfassungsänderung in einem zweistufigen Verfahren zur Entscheidung vorzulegen. Das wäre also möglich. Wir schlagen das vor und halten das für richtig. Ich würde mich freuen, wenn auch andere dem zustimmen würden. Die Tatsache, dass in der hessischen Landesverfassung noch von der Todesstrafe die Rede ist, liegt daran, dass der Landtag noch keine Streichung der Todesstrafe beschlossen hat. Ich bedauere das ausdrücklich. Ich bin mir sicher und überzeugt, dass eine große Mehrheit - wie es sich auch in Meinungsumfragen zeigt - gegen die Todesstrafe ist, weil diese unmenschlich ist und wir sie auch nicht brauchen. Gegen die Versteinerungsthese, die Sie vorhin vorgebracht haben, spricht im Übrigen ganz zentral die Bayrische Landesverfassung. Auch in Bayern bedürfen Verfassungsänderungen einer Bestätigung durch ein Volksreferendum. Schauen Sie sich einmal die Bayrische Verfassung, die Häufigkeit ihrer Änderungen und die Länge an. Dann können Sie feststellen, dass das keinesfalls zu einer Versteinerung geführt hat. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage beziehungsweise -bemerkung des Abgeordneten Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Dr. Breyer, ich habe diesem hochintellektuellen Diskurs zwischen Ihnen und Herrn Dr. Dolgner Folge geleistet und frage mich jetzt wirklich: Wenn Sie der Auffassung sind, dass dieses Parlament künftig nicht mehr über Verfassungsänderungen entscheiden soll, sondern nur das Volk, warum befragen Sie nicht bereits jetzt das Volk, ob es mit dem, was Sie vorschlagen, einverstanden ist? Das können Sie doch machen. (Vereinzelter Beifall FDP) Sie brauchen dieses Parlament doch überhaupt nicht für die Umsetzung Ihrer Vorstellungen. Sie könnten selbst eine Volksinitiative mit dem Ziel starten, die Verfassung so zu ändern, wie Sie es wollen. Wenn Sie dafür die entsprechenden Mehrheiten bekommen, ist das in Ordnung. Warum soll dieses Parlament, das Sie künftig für unfähig halten, in diesen Fragen zu entscheiden, noch über Ihren Antrag entscheiden? - Herr Kollege, mit gleichem Recht fordern wir, dass das Parlament das Volk dahin gehend befragt, wie die Menschen die Verfassung in der Frage der Ersatzschulfinanzierung und in vielen anderen Punkten ändern wollen. Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger sich noch nie gegen mehr Mitentscheidung ausgesprochen haben. Umgekehrt gibt es eine breite und große Unterstützung dafür, Volksentscheide endlich auf Bundesebene einzuführen. Auch dies fordern wir. Vor diesem Hintergrund werden sich die Bürgerinnen und Bürger nie dagegen wehren, dass man sie fragt. Umgekehrt, sie wünschen sich dies ausdrücklich. (Zurufe SPD) Wenn Sie dies wollen, dann sind wir gern einverstanden, in die Verfassung hineinzuschreiben, dass wir eine Volksabstimmung über die Verstetigung dieses Verfahrens durchführen. Leider habe ich im Innen- und Rechtsausschuss und auch im Sonderausschuss „Verfassungsreform“ dafür überhaupt keine Unterstützung vernommen. Wenn Sie die Bürgerinnen und Bürger außen vor lassen wollen und sie ausdrücklich nicht befragen, dann sind wir PIRATEN durchaus bereit, darüber nachzudenken, ob wir dies nicht über eine Volksinitiative erzwingen. Darüber müssen wir nachdenken. Das ist mit sehr hohen Hürden verbunden, und es ist sehr schwer machbar. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger würden sich dies anders wünschen, nämlich dass wir Politiker freiwillig sagen: Wir erkennen das berechtigte Interesse an, den Gesellschaftsvertrag nicht ohne die Gesellschaft abändern zu dürfen. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gut. Dr. Kai Dolgner [SPD]: Herr Kollege Dr. Breyer, der Sie immer zu wissen glauben, 5778 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 70. Sitzung - Mittwoch, 8. Oktober 2014 (Dr. Patrick Breyer) wie das Volk generalistisch denkt: Erkennen Sie an, dass hier eine übergroße Mehrheit von Menschen sitzt, die - auch nach Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz - gewählt worden sind, die Ihren Vorschlag für nicht praktikabel halten? Ist das Volk in der repräsentativen Demokratie dadurch weniger repräsentiert? Ist das Ihre Auffassung? Zweitens sage ich ganz konkret, weil Sie mich angesprochen haben: Über die Drucksache 18/196 haben wir im Innen- und Rechtsausschuss schon beraten. Sie ist völlig unabhängig von Ihnen eingereicht worden, nämlich vor der Verfassungsreform. Aufgrund genau dieser Drucksache hätten Sie jederzeit ein Bürgerbegehren einreichen können. Das hätten Sie vor zwei Jahren schon machen können. Das können die Bürger in diesem Land übrigens auch zukünftig machen. Bei direkter Demokratie geht es um die Gleichstellung mit der parlamentarischen Demokratie, nicht um eine Änderung von Rangreihenfolgen; jedenfalls gilt dies für die meisten hier im Haus. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die meisten hier im Haus sehr wohl vom Volk gewählt worden und nicht vom Himmel gefallen sind. - Herr Kollege Kai Dolgner, Sie dürfen gern stehen bleiben, während ich antworte. - Ich denke, ich habe in meiner Rede deutlich gemacht, dass die Regelungen über Volksentscheide in der Landesverfassung insgesamt in verschiedener Hinsicht defizitär sind. Wenn die freiwillige Bereitschaft, daran etwas zu ändern, nicht vorhanden ist, werden wir überlegen müssen, ob es in Schleswig-Holstein genügend Unterstützung gibt, um dies den Bürgerinnen und Bürgern selbst zur Entscheidung vorzulegen. Ich finde es schade, dass dies notwendig ist. Ich fände es besser, wenn wir selbst dazu bereit wären. Ich glaube, die große Teilnahme an den Verfassungsreferenden zum Beispiel in Bayern zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger ein sehr starkes Interesse daran haben. Zu Ihrer zweiten Bemerkung vom Verhältnis zur repräsentativen Demokratie: Wir sind Volksvertreter, so steht es in der Verfassung. Wir vertreten die Bürgerinnen und Bürger. Aber, wie meine Kollegin Angelika Beer gesagt hat: Die Macht geht vom Volk selbst aus. Das heißt, wenn der Souverän selbst eine Entscheidung an sich zieht, gibt es keinen Raum dafür, dass die Vertreter abweichend entscheiden. Hier komme ich zu dem Punkt, den die Kollegen von der CDU-Fraktion gegen die Erleichterung von Volksentscheiden eingewandt haben: Wenn wir 69 uns anmaßen, für alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner zu entscheiden, dann sind die Qualität und die Legitimität eines Volksentscheides doch mindestens genauso gut wie das, was wir hier als 69 Vertreter entscheiden können. Wenn 15 % der Bürger mitstimmen, dann sind das immer noch Hunderttausende. Im Übrigen zeigen Untersuchungen, dass die Repräsentativität durchaus gewahrt ist, wenn 15 % abstimmen. Das heißt, dass auch dies immer schon dem Mehrheitswillen entspricht. Das finde ich gut. Vor diesem Hintergrund fordere ich Sie noch einmal auf: Alle Macht dem Volk, lassen Sie die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Jetzt haben wir genug diskutiert, daher gestatte ich diese nicht. - Danke schön.
Direkte Demokratie
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin äußerst überrascht über diese Stellungnahme der FDP-Fraktion. Mich wundert, dass Sie jetzt von der Fahne gehen, nachdem Sie doch die Einzigen neben uns PIRATEN waren, die778 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 11. Sitzung - Donnerstag, 15. November 2012 (Dr. Patrick Breyer) der Volksinitiative in der ursprünglichen Fassung zugestimmt hatten. wesen ist, so ist nun ein deutlicher Fortschritt fest- zustellen. (Oliver Kumbartzky [FDP]: Deswegen das Anhörungsverfahren!) Obwohl wir PIRATEN deswegen den vorgelegten Gesetzentwurf unterstützen, bleibt er noch erheb- lich hinter den Erwartungen der Bürger zurück. Ei- ne Mitentscheidung in Finanzfragen, anders als Kollege Dr. Dolgner sagte, nämlich zum Beispiel hinsichtlich der Steuersätze, traut die Koalition den Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holstei- nern weiterhin nicht zu, obwohl die Bürger, wie die Erfahrung zeigt, oftmals besser haushalten als die Politiker. Deswegen ist auch die Verschuldung in Staaten mit direktdemokratischen Elementen gerin- ger als in Staaten ohne solche Elemente, wie eine Untersuchung zeigt. Warum man das jetzt wieder infrage stellt, warum man jetzt fragt, ob man das zurücknehmen muss, erschließt sich mir nicht, zumal man ankündigt, den Gesetzentwurf einzubringen. Ich zitiere: „Der Wille lässt sich nicht vertreten.“ Er bleibt derselbe, oder er ist ein anderer. Das hat der schweizer Philosoph Jean-Jacques Rousseau zur repräsentativen Demokratie gesagt. In der Tat: Et- wa die Hälfte der Bürgerentscheide führt dazu, dass die Bürger anders entscheiden als ihre Vertreter. Ei- ne aktuelle Meinungsumfrage kommt zu dem Er- gebnis, dass eine starke Mehrheit der Bürger von 62 % sogar eine direkte Demokratie der repräsen- tativen Demokratie vorziehen würde. Vor diesem Hintergrund ist der heute zu beratende Gesetzentwurf für mehr Bürgerbeteiligung und für vereinfachte Bürgerbegehren ein Erfolg für die 25.000 Bürgerinnen und Bürger, die im Jahr 2011 für mehr direktdemokratische Mitbestimmung in Schleswig-Holsteins Gemeinden und Kreisen unter- schrieben und Unterschriften gesammelt haben. Ge- ringere Hürden für Bürgerbegehren und die Mitent- scheidung auch über die Planung von Großprojek- ten wie Kraftwerken oder Einkaufszentren stärken den Einfluss der Bürger auf politische Entscheidun- gen vor Ort deutlich. (Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit hat sich die von 16 Bündnispartnern, unter anderem auch von der Piratenpartei getragene Volksinitiative „Mehr Demokratie“ in Schleswig- Holstein zu einem großen Teil durchgesetzt, was vor allem auch der kompetenten Überzeugungs- und Vertrauensbildungsarbeit von „Mehr Demokra- tie“, die, wie ich finde, einen erstaunlichen Ver- handlungserfolg insbesondere in einem so wichti- gen Bereich wie dem der Bauleitplanung erzielen konnte, aber übrigens auch dem Einsatz von Abge- ordneten aus den Koalitionsfraktionen zu verdan- ken ist. Insbesondere die SPD hat sich im Vergleich zu ihrer ursprünglichen Position noch einmal deut- lich bewegt. (Beifall PIRATEN) Wenn ich daran denke, dass im Wahlkampf noch von einem Verhinderungsinstrument die Rede ge- Ich finde es auch nicht angemessen, wenn den Bür- gerinnen und Bürgern die Gesamtverantwortung abgesprochen wird. Ich finde, dass sie bei den Bür- gern mindestens genauso gut aufgehoben ist wie bei ihren gewählten Vertretern. Auch bei der Ausgestaltung von Bauleitplänen soll leider die Politik das letzte Wort behalten. Ich glau- be, dass diese Abgrenzung kontraproduktiv sein könnte. Sie kann nämlich dazu führen, dass Bürger gezwungen sind, einen Plan insgesamt zu verhin- dern, nur um eine unerwünschte Ausgestaltung zu stoppen. Es wäre besser, würde man die Bürger auch bei der Mitgestaltung mitreden lassen. Deswe- gen ist es aus meiner Sicht traurig, dass Schleswig- Holstein nach diesem Gesetzentwurf weit hinter dem Grad an Mitbestimmung zurückbleiben soll, der sich selbst im CSU-regierten Bayern seit Jahren bewährt hat. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten von Kalben? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gerne. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Breyer, Sie haben angesprochen, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Projekt insgesamt ablehnen müssten, obwohl sie vielleicht nur Teilaspekte nicht mögen. Ha- ben Sie schon davon gehört, dass die Ge- meinden gerade in einem solchen Fall Pla- nungswerkstätten beauftragen und andere Maßnahmen einleiten könnten, um einen Plan genauso zu entwerfen, dass er auch die Zustimmung der Bürger bekommt, und ist esSchleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 11. Sitzung - Donnerstag, 15. November 2012 779 (Dr. Patrick Breyer) nicht gerade deshalb besser, es am Anfang einer Maßnahme zu machen, als im Nachhin- ein darüber abstimmen zu lassen? - Diese Möglichkeit besteht sicherlich. Sie geht aber so ein bisschen danach: hinten durch die Brust ins Auge. Denn wenn man den Bürgern zugestehen will mit zu gestalten, warum ermöglicht man dann nicht auch Bürgerentscheide über die Ausgestaltung von Bauleitplänen? Das ist dann doch genau das Ergebnis, das man auf diese Art und Weise an- strebt. Es ist richtig, dass oftmals ein Bürgerent- scheid gar nicht mehr nötig ist, wenn die Möglich- keit dazu besteht, weil man dann auf die Menschen zugeht und mit ihnen einen Kompromiss findet. Die Möglichkeit besteht aber nur, wenn auch im Hinter- grund das Recht steht, einen Bürgerentscheid auch einleiten zu können. Deswegen befürchte ich, wie gesagt, dass das zu Verhinderungen führen könnte. Zum Argument des Kollegen Dr. Dolgner, dass es zahlenmäßig wenige Fälle betrifft: Es stimmt zwar, dass es in zahlenmäßig wenigen Fällen zu Bürge- rentscheiden in dieser Frage kommt; aber allein die Möglichkeit, dass man den Antrag darauf stellen könnte, beeinflusst doch das Verfahren und wird schon im Vorhinein in Betracht gezogen. Deswegen ist es - unabhängig von den konkreten Zahlen - so wichtig. (Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Darf ich noch einmal nachfragen?) Präsident Klaus Schlie: Ich will den Abgeordneten gerne fragen, ob Sie das dürfen. Herr Abgeordneter Dr. Breyer, erlauben Sie eine Nachfrage? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gerne. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe es noch nicht richtig verstan- den, denn ich halte es nach wie vor für effizi- enter, vorweg eine Beteiligung zu ermögli- chen. Teilen Sie nicht auch die Auffassung, dass man sonst hinterher Planungskosten ausgegeben hat, viel Mühe hatte, viel Ver- waltungsaufwand betrieben hat und dann erst die Bürgerinnen und Bürger befragt? Ist das nicht sehr ineffizient? Führt das nicht auch zu großem Frust? - Nach dem Vorschlag, den wir ursprünglich einge- bracht haben, war beides möglich. Das heißt, man konnte sowohl im Anfangsstadium über das Ob ei- nes neuen Plans mit entscheiden. Man konnte aber auch danach, wenn man sich denn einmal dafür ent- schieden hatte, ein neues Wohngebiet oder neues Gewerbegebiet - was auch immer - zu schaffen, darüber mit entscheiden, wie dieser Plan konkret ausgestaltet werden soll. Ich denke, bei diesem zweistufigen Verfahren, das gesetzlich vorgesehen ist, kann man nicht die Ausgestaltung vorwegneh- men und vor der Frage behandeln, ob überhaupt ein Plan aufgestellt werden soll. Deswegen glaube ich schon, dass es - auch nach dem grundsätzlichen Be- schluss: wir wollen da etwas machen, etwas bau- en – wichtig ist, die Bürger über die Ausgestaltung mitreden zu lassen. Für uns PIRATEN ist dieser Kompromiss ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen müssen. Insbesondere auf Bundesebene ist endlich die Einführung von Volksentscheiden nötig, damit Grundsatzfragen wie Bankenrettung oder auch Bundeswehreinsätze nicht mehr über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden werden können. Des- wegen warten wir gespannt auf die Bundesratsini- tiative der Landesregierung. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns über den aktuellen Stand Auskunft geben könnten. Aber auch auf Landesebene müssten Volksent- scheide deutlich erleichtert werden. Da sind die Hürden im Moment noch so hoch, dass bisher über- haupt nur einmal ein erfolgreicher Volksentscheid zustande gekommen ist, der dann auch sogleich wieder abgeändert worden ist. Wir PIRATEN sind davon überzeugt, dass in mehr Mitentscheidungsrechten für die Bürgerinnen und Bürger der Schlüssel für eine bessere Politik und damit auch für zufriedenere Bürgerinnen und Bür- gern liegt; denn wer die sinkende Wahlbeteiligung, die beschämend geringe Wertschätzung von Abge- ordneten und auch die geringe Akzeptanz für unser demokratisches System insgesamt ignoriert, der setzt dessen Zukunft aufs Spiel. (Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmun- gen ... ausgeübt.“ So steht es in unserem Grundgesetz. Mithilfe einer Volksinitiative, getragen von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, unterstützt von über 20.000 Schleswig-Holsteinerinnen und Schles- wig-Holsteinern, konnte endlich die Koalition dazu bewegt und gezwungen werden, die Mitbestim- mungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stär- ken. Ich sage absichtlich „gezwungen“, denn allzu oft habe ich in den Beratungen das Argument ge- hört: Wenn wir dem Gesetzentwurf nicht zustim- men, kommt es noch viel weitergehender. Das heißt, es brauchte den Druck der Bürgerinnen und Bürger, um diesen Fortschritt durchzusetzen. Das ist deshalb auch ein großer Erfolg für die Initiato- ren. (Beifall PIRATEN) Nichtsdestotrotz muss ich ganz klar aus Sicht der PIRATEN sagen, dass wir hier mit weit weniger Mitbestimmung abgespeist werden als wir PIRA- TEN uns das wünschen und als es andere Bundes- länder längst eingeführt haben. Ein paar Beispiele: Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger nicht über die Gemeindefinanzen mitent- scheiden lassen, über Steuern, über Abgaben, über Hebesätze, nicht über Tourismusabgaben, nicht über Kita-Beiträge, nicht über Schülerbeförde- rungskosten. Wir PIRATEN sind der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, auch hier mitzuentscheiden. (Beifall PIRATEN) Sie wollen die Entscheidung über die Ausgestal- tung von Bauleitplänen den Bürgern vorenthalten. Man soll also einen Kraftwerksbau, einen Hoch-Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 1473 (Dr. Patrick Breyer) hausbau ablehnen können, aber zum Beispiel nicht die Stockwerkszahl begrenzen können. Das ist ein großer Fehler. Sie wollen, dass Unterschriften, die Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich am Wochenende in ihrer Freizeit mühsam gesammelt haben, nach sechs Mo- naten einfach ihre Gültigkeit verlieren. Das fru- striert Bürgerinitiativen. Ich kann sagen, die Erfah- rungen mit der Volksinitiative zur freien Schülerbe- förderung, bei der über 18.000 Unterschriften zu- sammengekommen sind und dann die Frist abge- laufen war, haben gezeigt, dass das ein enormes Frustrationspotenzial beinhaltet. (Beifall PIRATEN) Wir haben im Ausschuss beantragt, diese Frist zu streichen, genauso wie viele andere Punkte. Sie sind dem leider nicht gefolgt. Schließlich - vielleicht der schwerwiegendste Punkt - erkennen Sie das Ergebnis eines Bürgerent- scheids nur an, wenn eine Mindestwahlbeteiligung erreicht wird. Daran werden viele Bürgerentscheide scheitern. Das ist widersinnig. Denn wenn in Ge- meinderäten oder in Kreistagen Mehrheiten ent- scheiden, die teilweise von weniger als 20 % der Wählerinnen und Wähler getragen werden, dann er- kennen Sie politische Entscheidungen an. Wenn aber ebenso viele Bürger, die diese Mehrheiten ge- wählt haben, eine direktdemokratisch legitimierte Sachentscheidung treffen, die ein viel höheres Ge- wicht hat, dann wollen Sie denen die Anerkennung verweigern. An der Stelle scheint wirklich eine vor- demokratische Haltung durch, dass nämlich die Ob- rigkeit, die Repräsentanten, besser wüssten, was für die Untertanen gut ist. Das können wir nur in aller Entschiedenheit ablehnen. (Beifall PIRATEN) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbe- merkung des Kollegen Winter? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Lars Winter [SPD]: Herr Kollege Breyer, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie sagen, dass Gemeinderäte, Kreistage, die mit einer Wahlbeteiligung von unter 20 % gewählt wurden, Entscheidungen treffen? Können Sie mir sagen, bei welchen Gemein- de- beziehungsweise Kreistagswahlen die Wahlbeteiligung unter 20 % lag? - Da haben Sie mich nicht richtig verstanden, Herr Kollege Winter. Ich habe gesagt, dass in Gemein- deräten und Kreistagen Mehrheiten entscheiden, die von weniger als 20 % der Wählerinnen und Wähler gestützt sein können, zum Beispiel lag die Wahlbe- teiligung in Glückstadt bei unter 40 %. Das kann man ja auch alles in Statistiken nachlesen. Leider ist es heutzutage bei Kommunalwahlen üblich, dass Wahlbeteiligungen unterschritten werden, wie Sie sie hier für Bürgerentscheide voraussetzen wollen. Die Schwelle, die die FDP hier einziehen will - Herr Klug, Sie haben es gesagt -, ist noch höher. Deswegen können wir Ihrem Antrag auch nicht zu- stimmen. Wogegen ich mich ausdrücklich wehren möchte, ist die regelrechte Diffamierung der Interessen von Einzelpersonen und Minderheiten. Die haben doch auch ein legitimes Interesse daran, sich durchzuset- zen, wenn ein Thema für einzelne sehr belastend und sehr wichtig, der großen Masse aber egal ist, sodass nicht viele Menschen zu dem Bürgerent- scheid gehen werden. Dann ist es aber völlig legi- tim, wenn sich diejenigen, für die es wichtig ist, durchsetzen. (Beifall PIRATEN) Wir PIRATEN sind davon überzeugt, dass die Bür- gerinnen und Bürger in einer Informationsgesell- schaft, in der Bildung und Wissen frei zugänglich sind, völlig in der Lage sind und auch ein Recht darauf haben, politische Fragen, die sie selbst be- treffen, selbst zu entscheiden. Gerade die Informati- onstechnologie ermöglicht eine viel weiterreichen- de Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger im Staat als wir sie bisher haben. Und, Frau Nicolaisen, direkte Demokratie stärkt natürlich auch das Engagement in der repräsenta- tiven Demokratie. Denn ganz viele Menschen kommen über ihr Engagement in Einzelpunkten zu einem generellen politischen Engagement. Wir PIRATEN praktizieren dementsprechend auch eine weitreichende Mitbestimmung der Bürgerin- nen und Bürger, etwa über Projekte wie „Kassen- sturz“, wo Bürger Fragen zum Haushalt einreichen konnten, etwa über unsere Priorisierungsumfrage, bei der Bürgerinnen und Bürger bei unserer Schwerpunktsetzung als Fraktion mitgestalten konnten. Das fordern wir auch auf Landesebene, zum Beispiel mit Bürgerhaushalten, über niedrigere Hürden für Volksentscheide und auch über Volks-1474 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 20. Sitzung - Donnerstag, 21. Februar 2013 (Dr. Patrick Breyer) entscheide auf Bundesebene, die wir endlich brau- chen. (Beifall PIRATEN) Ich schließe mit einem etwas abgewandelten Zitat von Neil Armstrong: Der heutige Gesetzentwurf der Koalition ist sicherlich ein großer Schritt für die SPD, aber kann doch für die Bürgerinnen und Bür- ger nur ein kleiner erster Schritt in die richtige Richtung sein. - Wir PIRATEN werden die Schritt- macher für mehr direktdemokratische Mitbestim- mungsrechte der Bürgerinnen und Bürger sein. - Danke. (Beifall PIRATEN)
Wahlrecht/Wahlbeteiligung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Offenheit für neue Ideen, der politische Wett- bewerb und die politische Vielfalt bilden die Für uns PIRATEN sind die Freiheits- und Bürger- rechte, demokratische Mitbestimmung und Tole- ranz Kernwerte und Grundlage unserer politischen Arbeit. Es ist keine Frage, dass wir mehr Engage- ment gegen die Feinde unserer Demokratie brau-1090 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 15. Sitzung - Freitag, 14. Dezember 2012 (Dr. Patrick Breyer) chen. Wir können die Gegner unserer Demokratie aber nicht bekämpfen, indem wir mit der Sperrklau- sel die Demokratie selbst einschränken. Wir dürfen nicht zulassen, dass wegen einer antidemokrati- schen Partei auch alle anderen demokratischen Par- teien, die unter 5 % liegen, von der Volksvertretung ausgeschlossen werden. Das wäre eine Kapitulation vor den Gegnern unserer Verfassung. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht aus- drücklich entschieden, dass eine Sperrklausel nicht dazu genutzt werden darf, um antidemokratische Parteien auszuschließen. Dazu ist das Verbotsver- fahren da. Die Sperrklausel ist letztendlich auch ungeeignet, um den Einzug antidemokratischer Parteien ins Par- lament zu verhindern. Das zeigt sich daran, dass von 16 europäischen Staaten, in deren nationalen Parlamenten solche Parteien 2010 leider vertreten waren, 14 über eine Sperrklausel verfügt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns den Mut aufbringen, gegen Antidemokraten nicht ängstlich mit Wahlrechtsparagrafen, sondern kraft- voll und selbstbewusst mit der Stärke und dem Stolz der Demokratie vorzugehen. Lassen Sie uns verfassungsfeindlichen Gruppierungen mit der Stimme aller Bürger an der Wahlurne eine Absage erteilen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ein, zusammen mit uns im Innen- und Rechtsausschuss zu diskutieren und uns mit Sachverständigen im Rahmen einer Anhörung eine Meinung dazu zu bil- den, ob wir die Sperrklausel abschaffen oder doch wenigstens - wie bei unserem europäischen Nach- barn in Dänemark und wie es auch der Europarat empfiehlt - deutlich absenken können. Wir PIRA- TEN werden bei den Beratungen dafür streiten, dass wir mehr Demokratie in Schleswig-Holstein wagen. (Beifall PIRATEN) Vizepräsident Bernd Heinemann: Für die CDU-Fraktion hat deren Fraktionsvorsit- zender Johannes Callsen das Wort. Johannes Callsen [CDU]: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute zu beratende Gesetzentwurf der Fraktion der PIRATEN zeigt, dass Ihre Fraktion in Sachen Ge- schichtsunterricht jede Menge Nachholbedarf hat, Herr Dr. Breyer. Das hat nichts mit Spannung zu tun. Das hat auch nichts mit mehr oder weniger De- mokratie zu tun. Deswegen will ich Ihnen gern die notwendige Nachhilfe zu dieser Thematik geben. Die Sperrklausel ist eine Lehre aus der Weima- rer Republik. Damals gab es eine solche Regelung nicht. Eben weil dieses Regulativ fehlte, bedurfte es bereits einer relativ geringen Anzahl von Stimmen, damit eine Partei in den Landtag oder in den Reichstag einziehen konnte. Dadurch bedingt saßen in den Parlamenten nicht - wie heute - fünf oder sechs, sondern zum Teil weitaus mehr als zehn Fraktionen. Wer meint, diese Parteienvielfalt habe die Demo- kratie gestärkt, der irrt gewaltig; denn genau das Gegenteil war der Fall. Die Vielzahl der Parteien hat die Mehrheitsbildung erheblich erschwert und vielfach auch gänzlich verhindert. Es sind aber ge- nau diese Mehrheiten in demokratischen Mehrheits- systemen die Voraussetzung dafür, dass politische Entscheidungen getroffen werden können. Es ist eben nicht das Ziel parlamentarischer Arbeit, ledig- lich Gesetzentwürfe zu verhindern, sondern es geht darum, diese auf den Weg zu bringen. Die Zersplitterung der Parlamente hat das Schei- tern der ersten demokratischen Ordnung in Deutschland mit begünstigt und trägt eine Mitver- antwortung am Untergang der Weimarer Republik. Eben weil so viele Parteien in den Landesparlamen- ten und im Reichstag saßen, konnten damals stabile Mehrheiten nicht zustande kommen. Die Vielzahl der Fraktionen hat die Arbeit der Par- lamente gelähmt und die parlamentarische Demo- kratie handlungsunfähig gemacht. Das Fehlen einer Sperrklausel hat in der deutschen Vergangenheit eben nicht zu mehr, sondern zu weniger Demokra- tie geführt. Sehr geehrte Kollegen der Piratenfrakti- on, dies ist der Grund, warum die Fünfprozenthür- de sowohl im Bund als auch in Schleswig-Holstein fest im Wahlrecht verankert ist. Einzige Ausnahme ist in Schleswig-Holstein die Befreiung des SSW als Partei nationaler Minderheiten. Die Fünfprozenthürde ist ein wichtiger Garant für die Handlungsfähigkeit unserer Parlamente. Mit der Sperrklausel werden zwei Ziele verfolgt. Ers- tens verhindert die Sperrklausel eine Zersplitterung des Parlaments. Eine solche Zersplitterung schadet der Arbeitsfähigkeit des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Sie schadet auf lange Sicht auch der De- mokratie unseres Landes. Zweitens erschwert sie es extremistischen Parteien, in den Landtag einzuzie- hen.Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 15. Sitzung - Freitag, 14. Dezember 2012 1091 (Johannes Callsen) Es kann doch nicht unser Interesse sein, solchen Demokratiefeinden hier im Landtag von Schleswig- Holstein auch noch eine politische Bühne zu bieten. (Beifall CDU) Allein deshalb ist diesem Antrag nicht zuzustim- men. Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind es unserer Demokratie schuldig, die Lehren aus Wei- mar niemals zu vergessen, und lehnen als CDU- Fraktion Ihren Antrag daher ab. - Herzlichen Dank. (Beifall CDU und FDP)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon sehr viele Jahre diskutieren wir darüber und versuchen auch hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag, den Menschen nichtdeutscher Staatsange- hörigkeit endlich ein kommunales Wahlrecht ein- zuräumen. Dementsprechend bekennen wir PIRA- TEN uns eindeutig dazu und sind damit auch in den Landtagswahlkampf gezogen. Deswegen ist es rich- tig und auch an der Zeit, heute den entsprechenden Antrag zu verabschieden, und zwar in der Sache. Anders ist es beim Thema Landtagswahlrecht. Hierüber haben wir noch keine ausgiebige Diskus- sion geführt. Dieses Thema ist noch nicht gemein- sam mit den Bürgerinnen und Bürgern intensiv dis- kutiert worden. Auch wir in unserer Partei haben zu dieser Frage noch keine Position bezogen.2078 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 26. Sitzung - Freitag, 26. April 2013 (Dr. Patrick Breyer) Ein Wahlrecht nur auf Unionsbürger zu erstrecken würde zudem die Diskriminierung im Verhältnis zu den Drittstaatenangehörigen aufrechterhalten. Ich meine auch, dass Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, vom Inhalt her ein Stück weit widersprüchlich ist, weil er zuerst sagt, wir wollen eine Bundesratsinitiative, dann aber im zweiten Satz sagt: Wir wollen prüfen, ob das über- haupt mit dem Grundgesetz machbar ist. Insofern haben wir also noch Erörterungsbedarf. Deshalb haben wir im Vorfeld abgesprochen, dass wir diesen Antrag, der nach meiner Meinung noch nicht ausreichend diskutiert worden ist, noch im In- nen- und Rechtsausschuss behandeln und auch eine Anhörung dazu durchführen. Dies würde ich sehr begrüßen. Denn zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir uns nicht in der Lage, uns dazu eine positive Mei- nung in dem Sinne, wie der jetzige Antrag formu- liert worden ist, zu bilden. Ich bitte Sie also, ein klares Signal in Bezug auf die Kommunalwahl zu setzen, aber sorgfältig vorzuge- hen bezüglich der Landtagswahl, damit nicht zum zweiten Mal ein Gesetz, das im Grunde eine gute Intention hat, keinen Bestand vor der Verfassung hat. Das würde unserem Anliegen schaden, wenn wir einmal mehr eine Bundesratsinitiative starten würden, die letztlich keinen Erfolg hat. Aus diesen Gründen bitte ich darum, dieses Thema im Ausschuss noch näher zu beraten. - Danke schön. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Unsere Demokratie befindet sich in einer Krise. Nur wenige Bürger fühlen sich nach Umfragen durch ihre Abgeordneten überhaupt noch gut vertreten. Die Folge davon ist, dass immer mehr Menschen gar nicht mehr zur Wahl gehen, dass sie sagen, wählen zu gehen, habe überhaupt keinen Sinn mehr, egal, wer gewählt werde, es ändere sich doch nichts, oder dass die Politik gar nicht mehr im Interesse der Bürger entscheide, sondern dem öffentlichen Eindruck nach im Interesse von Lobbygruppen, von Wirtschaftsverbänden oder der Politiker selbst. Ein besonders sinnfälliges Beispiel ist das der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich, die unabhängig von Regierungsmehrheiten immer weiter auseinander geht. Besonders schockiert haben mich neue Zahlen aus einer Befragung von Bundestagsabgeordneten, denen zufolge 49 % der Bundestagsabgeordneten glauben, die Gesetzgebung spiegele nicht die Interessen der Mehrheit wider. 46 % beklagen, Interessengruppen hätten einen zu großen Einfluss. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn die Volksvertreter selbst nicht mehr daran glauben, dass sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handeln, dann ist das doch ein Alarmzeichen für unsere Demokratie. (Beifall PIRATEN) Ich möchte ausdrücklich sagen, es ist gut, dass die Initiative ergriffen wird, an diesem Problem zu arbeiten, dessen Symptom die sinkende Wahlbeteiligung ist. Aber wenn immer mehr Menschen nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie von einer solchen Politik frustriert sind, dann können Sie doch als Lösung diesen Menschen nicht ernsthaft anbieten, Wahllokale länger zu öffnen oder mehr Wahlplakate aufzuhängen. (Beifall PIRATEN, vereinzelt FDP und Beifall Jürgen Weber [SPD]) Da fühlt sich der Bürger doch verhöhnt, wenn das Ihre Antwort auf die Kritik der Nichtwähler ist. Herr Kollege Dr. Stegner, in Ihrem Antrag steht ausdrücklich, dass dies technische Maßnahmen zur Steigerung der Wahlbeteiligung seien, und eben dieses Ziel erreichen Sie nicht. Auf gar keinen Fall, Herr Ministerpräsident, dürfen wir das Vertrauen der Bürger in die Demokratie durch die Einführung von Computerwahlen weiter schwächen, weil solche Wahlen der Gefahr massenhafter Manipulationen ausgesetzt wären und vom Bundesverfassungsgericht schon für verfassungswidrig erklärt worden sind. Für uns PIRATEN sind Wahlcomputer ein absolutes No-Go. (Beifall PIRATEN) Wir PIRATEN geben eine andere Antwort auf die Probleme. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag - erstens - den Bürgern eine Stimme geben in der Debatte über die einzelnen Vorschläge, indem ein Internet-Diskussionsforum eingerichtet wird, in dem jeder Bürger überhaupt erst einmal seine Meinung sagen kann. An dem Problem der sinkenden Wahlbeteiligung lässt sich doch nichts ändern, wenn die betroffenen Bürger nicht daran beteiligt werden. Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage, -bemerkung des Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Vizepräsident Bernd Heinemann: Bitte schön. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, ich konnte es leider in meinem Beitrag nicht mehr unterbringen. Deshalb muss ich Sie das jetzt fragen, nämlich ob Sie mit mir der gleichen Auffassung sind, dass das Risiko bei einer Onlinewahl darin besteht, dass die NSA dann gleich weiß, wer wie gewählt hat. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das ist vollkommen richtig, Herr Kollege Kubicki. Es ist ein Angriff auf die geheime Wahl, und es ist ein Angriff auf die Integrität der Wahl. Deswegen eignen sich Computer - das können gerade wir als PIRATEN sagen - überhaupt nicht für diesen demokratischen Vorgang der Stimmabgabe. Wir wollen - zweitens - den Wählern mehr Wahlmöglichkeiten einräumen, indem sie nicht mehr starre Parteilisten vorgesetzt bekommen, sondern auch einzelne Personen streichen können oder einzelnen Personen mehrere Stimmen geben können. Wir wollen - drittens - den massenhaften Verfall von Stimmen stoppen, die an der Prozentsperrklausel scheitern. Mehr als 10 % der Stimmen zur letzten Bundestagswahl sind wegen dieser Sperrklausel ohne jede Wirkung geblieben. Deswegen: Geben Sie sich einen Ruck. Wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt, der darauf zielt, diese Sperrklausel abzuschaffen oder zumindest abzusenken. Darüber hinaus wollen wir mehr direkte Demokratie, zum Beispiel durch Zulassung von Volksentscheiden auch mit finanziellen Auswirkungen. Wenn Sie den Bürgern nicht zutrauen, selber entscheiden zu können, was das Beste für sie ist, warum sollen die Bürger dann der Politik vertrauen? (Beifall PIRATEN) Wenn Sie wirklich Wähler zurückgewinnen wollen, sollten Sie auf eine Partei hören, die sich aus Notwehr gegen Missstände in der Politik gebildet hat, und zwar eine demokratische Partei, die Piratenpartei. Wir sagen Ihnen: Hören Sie auf die Kritik der Menschen, die nicht mehr wählen gehen. Wenn die Menschen eine falsche Politik beklagen und beklagen, dass sie keinen Einfluss mehr darauf haben, dann seien Sie auch bereit, Macht abzugeben und die Menschen mehr selbst entscheiden zu lassen. Dazu müssen Sie Ihr Eigeninteresse an Dingen wie sichere Listenplätze, an der Ausgrenzung politischer Konkurrenz bei Wahlen oder an der Verteidigung politischer Entscheidungen vor Volksabstimmungen überwinden. Öffnen Sie sich unseren Vorschlägen zur Offenlegung zum Beispiel von fremdgeschriebenen Gesetzentwürfen oder zur Abschaffung beziehungsweise Absenkung der Sperrklausel. Wenn Sie nicht bereit sind, das politische Betriebssystem zu aktualisieren, so wie wir das sagen, um die Demokratie wirklich durchgreifend zu stärken, dann drohen Sie, sie zu verlieren. Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung, -frage des Abgeordneten Peter Eichstädt? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Vizepräsident Bernd Heinemann: Bitte schön, Herr Abgeordneter. Peter Eichstädt [SPD]: Herr Kollege Breyer, Sie haben der Absenkung der Sperrklausel eben an zwei Stellen eine besondere Bedeutung beigemessen. Nun haben wir die Sperrklausel ja zum Beispiel bei den Kreistagswahlen abgeschafft. Können Sie erläutern, inwiefern das Einfluss auf die Wahlbeteiligung gehabt hat? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja, Herr Kollege Eichstädt. Die Befragung von Nichtwählern unter anderem durch die Friedrich- Ebert-Stiftung, warum sie nicht mehr zur Wahl gehen, hat ergeben, dass immerhin etwa 4 % der Nichtwähler sagen, Grund für sie sei, dass die Partei, die sie unterstützten, bei Bundestagswahlen sowieso keine Chance habe, auch wirklich in das Parlament einzuziehen. Sie können es natürlich an der reinen Zahl der Wahlbeteiligung nicht messen. Aber Sie können, wenn Sie die Nichtwähler fragen, warum sie nicht wählen gehen, feststellen, dass das ein erheblicher Frustrationsfaktor ist. Ich glaube, gerade nach der letzten Bundestagswahl werden noch mehr Menschen frustriert sein, wenn selbst Stimmen für Parteien wie die FDP mit 4,9 % unter den Tisch fallen. Das finde ich nicht gut. Vizepräsident Bernd Heinemann: Würden Sie eine zweite Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Eichstädt gestatten? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Vizepräsident Bernd Heinemann: Bitte schön, Herr Abgeordneter. Peter Eichstädt [SPD]: Das ist ja jetzt eine Hypothese, die Sie auch nicht belegen können. Sie sagen, das könnte vielleicht so sein. Aber darauf möchte ich nicht weiter eingehen. Ich wollte Sie eigentlich bitten, meine Frage zu beantworten. Wir haben die Sperrklausel bei Kreistagswahlen abgeschafft. Nach Ihrer Theorie hätte das ja dazu führen müssen, dass die Wahlbeteiligung steigt. Ich möchte Sie bitten, mir zu sagen, ob das der Fall war. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Herr Kollege Eichstädt, ich habe Ihnen ja schon gesagt, anhand der Zahl der Wahlbeteiligung können Sie nicht sagen, ob sie niedriger wäre, wenn es die Sperrklausel noch gäbe. Wir können aber sagen, dass bei den Kommunalwahlen niemand mehr fern bleiben muss, weil er befürchten muss, dass seine Stimme unter den Tisch fällt. Wir PIRATEN sind oft in Kommunalparlamenten mit nur ein, zwei Vertretern vertreten. Das heißt, unsere Wähler konnten getrost zur Wahl gehen, weil sie sich sicher sein konnten, ihre Stimme bewegt etwas. Wenn jetzt zum Beispiel der Landtag gewählt würde und wir in Umfragen bei 2, 3 % liegen, besteht die Gefahr, dass unsere Unterstützer sagen: Dann gehen wir gar nicht mehr wählen, es hat sowieso keinen Sinn, wir haben eh keine Chance. - Wie gesagt, in Umfragen sagen tatsächlich 4 % der Nichtwähler als Begründung für ihre Entscheidung: Es hat keinen Sinn, weil die Partei, die wir wählen wollen, sowieso keine Chance hat, einzuziehen. Deswegen noch einmal unser Appell: Wenn Ihnen wirklich daran gelegen ist, mehr zu beteiligen, gibt es Möglichkeiten: Absenkung der Sperrklausel, Einführung einer Ersatzstimme. Wir haben viele Vorschläge im Innen- und Rechtsausschuss vorgelegt. Die werden auch von mehreren Partnern der Koalition unterstützt. Es würde mich sehr freuen, wenn sich auch die SPD dafür öffnen würde, zumal im internationalen Vergleich eine so hohe Sperrklausel mit 5 % absolut unüblich ist, Herr Kollege Eichstädt. Klar ist, Demokratie braucht Vertrauen. Wir bringen uns aktiv und konstruktiv in den Prozess mit ein. Ich bitte Sie, gemeinsam mit uns daran zu arbeiten, dass wir dieses Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen. - Danke schön. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, Sie haben schöne Worte gefunden. Aber ich fürchte, dass wird nicht reichen, um die Ursachen des Problems anzugehen. (Unruhe - Zuruf SPD) - Gut, wenn das nicht Ihr Anspruch war, dann mag das so sein. Ich möchte hier etwas klarstellen, weil in den vorangegangenen Redebeiträgen das aufgegriffen worden ist, was ich gesagt habe. Ich will niemandem von uns absprechen, subjektiv oder irgendwie generell aus unlauteren Motiven zu handeln oder nicht der Überzeugung zu sein, dass die Entscheidungen, die man trifft, richtig sind. Es kann auch niemand von uns PIRATEN sagen, dass alle Konzepte und Ideen, die wir gehabt und ausprobiert haben, auch wirklich funktionieren. Es stimmt also, dass auch wir falsche Wege gegangen sind. Wenn wir aber Selbstkritik einfordern und dann aus Ihren Reihen hören, man habe doch das Vertrauen, es sei doch alles in Ordnung, dann nehmen Sie einfach die Fakten nicht zur Kenntnis. Fakt ist nämlich, dass nach Umfrageergebnissen nur noch 15 % sagen, sie fühlten sich von gewählten Repräsentanten gut vertreten. Ganz neu ist eine Umfrage aus diesem Jahr, wonach 73 % sagen: „ Die demokratischen Parteien zerreden alles und lösen die Probleme nicht.“ Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Vizepräsident Bernd Heinemann: Bitte schön. Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Kollege Breyer, vielleicht haben wir das ja unterschiedlich wahrgenommen. Ich habe die Kollegin Redmann so verstanden, dass sie gesagt hat, sie arbeite jeden Tag für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Sie hat nicht gesagt oder auch nicht dazwischengerufen, dass alles in Ordnung sei. (Beifall FDP, SPD und SSW) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Es ist aber aus diesen Reihen auch gesagt worden, dass es keiner Hinweise bedürfe, dass wir uns auf den Weg machen müssten, gemeinsam Vertrauen zurückzugewinnen. Gerade dieses Weges bedarf es aber, weil wir nämlich, wenn wir diese Zahlen sehen, in breitem Maße Vertrauen verloren haben und weil das, was wir vielleicht jeden Tag auch wollen und machen, offensichtlich nicht funktioniert und nicht ausreicht. Aus diesem Grund brauchen wir eine Änderung des politischen Betriebssystems. Wir müssen den Menschen mehr Vertrauen entgegenbringen, wenn wir wollen, dass sie uns mehr vertrauen. Aus diesem Grund haben wir konkrete Vorschläge gemacht, die an den Ursachen der sinkenden Wahlbeteiligung ansetzen, nicht aber an den Symptomen. (Beifall Uli König [PIRATEN]) Was mir an Ihre Adresse gerichtet, Herr Dr. Garg, ganz wichtig ist, ist dieses: Ich muss entschieden zurückweisen, dass Sie uns immer dann, wenn wir schlechte Nachrichten und Kritik aus der Bevölkerung an parlamentarischen Entscheidungen überbringen, zum Schuldigen machen. Die Engländer sagen: „Shoot the messenger“. Wenn wir an Entscheidungen in eigener Sache berechtigte Kritik aufgreifen, dann sind nicht wir diejenigen, die an dieser Kritik schuld sind, sondern wir sind diejenigen, die dieser Kritik Rechnung tragen und diese aufgreifen wollen. Natürlich gibt es demokratiefeindlich motivierte Kritik, auch parlamentskritisch motivierte Kritik; es gibt aber auch berechtigte Kritik an parlamentarischen Entscheidungen, gerade dann, wenn sie in eigener Sache gefällt werden. Wir akzeptieren nicht, dass unsere Kritik immer diffamiert wird als Schüren von Politikverdrossenheit; denn wir wollen genau das Gegenteil tun; wir wollen Abhilfe schaffen, indem wir berechtigte Kritik aufgreifen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine zweite Zwischenbemerkung? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Martin Habersaat [SPD]: Herr Kollege Breyer, können Sie vielleicht verstehen, dass Wahlkreisabgeordnete oder solche, die über Listen schon seit vielen Jahren diesem Landtag angehören, also Leute, die viele Stunden in der Woche mit Politik beschäftigt sind, genervt sein könnten, wenn Sie sich hier hinstellen und den Anspruch formulieren, Sie könnten uns Nachrichten aus der Bevölkerung überbringen? (Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW) - Herr Kollege Habersaat, ich fürchte, gerade diese Attitüde, diese Einstellung, wir brauchten uns doch nichts sagen zu lassen, ist die Ursache für Politikverdrossenheit und sinkende Wahlbeteiligung. Wenn wir das formulieren, was ganz große Mehrheiten in Umfragen immer wieder sagen und über Jahrzehnte hinweg beklagen, nämlich sie hätten es nicht nötig, sich damit zu beschäftigen, (Widerspruch SPD) dann wundert es mich nicht, dass wir die gegenwärtige Situation haben. Auch Menschen, die sich mit viel Engagement engagieren, müssen sich mit Kritik auseinandersetzen. (Zuruf SPD) Das ist auch nicht als persönlicher Affront gegen Sie gerichtet. Das, was Sie jeden Tag tun, Frau Kol- legin, reicht nicht aus und ändert nichts daran, dass sich nur noch 15 % gut vertreten fühlen. (Zuruf SPD) Das möchte ich Ihnen nicht absprechen. (Zuruf SPD: Das tun Sie aber schon die ganze Zeit!) Ich gestehe Ihnen ausdrücklich zu - das habe ich schon eingangs zu sagen versucht -, dass Sie versuchen, dem Problem abzuhelfen. Aber der Versuch ist untauglich. Lassen Sie mich noch einige Worte zum Thema Pairing sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir PIRATEN lehnen Pairing-Abkommen ganz grundsätzlich ab, aber nicht deswegen, weil wir wollen, dass kranke Kolleginnen oder Kollegen auf der Bahre in den Saal getragen werden, sondern weil wir das Votum der Wähler für unser Haus nicht so interpretieren, dass die Wähler feste Blöcke wählen, dass sie wollen, dass wir mit Fraktionszwang abstimmen und immer eine eigene Mehrheit haben. Umfragen zeigen: Die Menschen wollen gerade keinen Fraktionszwang. Vizepräsident Bernd Heinemann: Kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Sie wollen, dass jeder Abgeordnete frei nach seinem Gewissen und nach seiner Überzeugung abstimmt, wenn er zu wissen glaubt, was das Beste ist. Wenn alle Fraktionen ohne Fraktionszwang frei abstimmen würden, dann käme es nicht mehr darauf an, ständig eine Mehrheit sichern zu müssen. Aus diesem Ansatz heraus sagen wir: Wir wollen Pairing-Abkommen nicht, weil wir freie Abstimmungen möchten. - Danke schön.
Wahlverfahren
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aussage von Herrn Dr. Stegner kann ich so nicht stehen lassen. Sie haben eben erklärt: Wenn es in Europa eine konservative Mehrheit gebe, dann sei es kein Wunder, dass der Europäische Ge- richtshof entsprechend entscheide. Eine solche Un- terstellung, dass politische Mehrheiten bei unab- hängigen Gerichten eine Auswirkung auf die Rechtsprechung hätten, kann ich nur mit aller Ent- schiedenheit zurückweisen. (Beifall PIRATEN, CDU und FDP) Wenn es aber so wäre, dass politische Ernennungen die Gefahr einer Einflussnahme in sich bergen wür- den, würde ich Sie hier in aller Deutlichkeit auffor- dern, bei der Ernennung des nächsten Präsidenten den Landesrechnungshofs keine politische Beset- zung vorzunehmen, sondern eine Ausschreibung zu machen und nach Qualifikation offen auszuwählen. Dann würden wir nämlich nach Sachkunde auswäh- len und nicht auf der Grundlage politischer Hinter- zimmerdeals. - Danke. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landesrechnungshof spielt in unse- rem Land eine ganz wichtige Rolle. Er soll darüber wachen, dass die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der verantwortungsvollen Haushaltsführung eingehalten werden. Wir brauchen dazu gerade in Anbetracht der finanziellen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, einen starken Landesrech- nungshof und eine starke Spitze des Landesrech- nungshofs. Leider gewährleistet das Verfahren zur Ernen- nung einer Präsidentin oder eines Präsidenten des Landesrechnungshofs, wie es bisher ausgestal- tet ist, keine zeitnahe Nachfolge. Das haben wir bei der letzten Wahl gesehen, als es in einem Zeitraum von mehr als einem Jahr nicht gelungen ist, sich auf einen Nachfolger zu einigen. Es ist wichtig, dass wir mit Zweidrittelmehrheit, mit breiter Mehrheit, eine geeignete Person finden. Wir sehen auch die- ses Mal wieder, dass es trotz vieler Gespräche und inzwischen auch öffentlich geführter Personaldis- kussion nicht gelungen ist, für die zeitnah anstehen- de Nachfolge eine Lösung zu finden. (Zurufe Dr. Heiner Garg [FDP] und Wolf- gang Kubicki [FDP]) Wir als PIRATEN machen deswegen einen kon- struktiven Vorschlag, wie man in dieser Debatte ei- ne Lösung finden kann und hoffentlich dann auch eine möglichst breit getragene Entscheidung für die beste Nachfolgerin oder den besten Nachfolger tref- fen kann. Wir machen einen Vorschlag, um ein ge- ordnetes, offenes Verfahren zur Auswahl der am besten geeigneten Person zu organisieren, und bit- ten Sie, das als ehrliches und konstruktives Ange- bot zu verstehen. Wir schlagen vor, ein Verfahren anzuwenden, das sich unter anderem in Brandenburg bewährt hat, das zum Beispiel aber auch in Österreich bei eini- gen Rechnungshöfen zur Anwendung kommt, näm- lich dass die Position der Präsidentin oder des Prä- sidenten des Landesrechnungshofs öffentlich aus- geschrieben wird, damit sich alle Interessentinnen und Interessenten bei unserem Finanzausschuss be- werben können. Selbstverständlich ist für mich dabei, dass der Da- tenschutz gewährleistet wird. Das heißt, dass die Bewerbungsunterlagen nicht offengelegt, sondern entsprechend vertraulich behandelt werden. Somit muss niemand befürchten oder Angst haben, dass Personen bloßgestellt oder „verbrannt“ werden kön- nen. Das ist nicht unsere Absicht. Vielmehr stellt dieses offene Verfahren sicher, dass sich alle Perso- nen, die jetzt schon in der Diskussion sind, aber auch andere geeignete Personen - ich glaube, es gibt viele davon - bewerben können und die gleiche Chance haben, an diesem Verfahren teilzunehmen. In einem nächsten Schritt soll sich dann der Fi- nanzausschuss Gedanken darüber machen, welche Bewerberinnen und Bewerber in die nähere Aus- wahl kommen. Wenn wir ein offenes Bewerbungs- verfahren haben, dann glaube ich, dass sich das ge- samte Feld auch für uns gut erschließen, verglei- chen und darstellen lassen wird. Schließlich soll ei- ne Anhörung von Bewerberinnen und Bewer- bern, die in die nähere Auswahl kommen, auch öf- fentlich durchgeführt werden. Dieses Verfahren ist an das Verfahren angelehnt, das sich seit langer Zeit im Richterwahlausschuss bewährt hat. Auch dort erfolgt eine öffentliche Aus- schreibung, und auch dort erfolgt eine öffentliche Anhörung von mehreren Bewerbern, wenn sie ent- sprechend beantragt wird, weil es um hohe Positio- nen geht, Herr Kollege Kubicki. Dementsprechend ist dies das Verfahren der Wahl im Rahmen der jetzt gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten. Ich will nicht verhehlen, dass ich mir langfristig auch ganz andere Verfahren, die die Eigenstän- digkeit des Landesrechnungshofs besser sicherstel- len würden, vorstellen könnte, zum Beispiel eine Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten aus dem Kreis des Landesrechnungshofs selbst. Auch dieses Verfahren ist zum Beispiel in Österreich nicht un- bekannt. Wir müssen aber jetzt mit den gesetzli- chen Regelungen operieren, die wir haben. Wichtig ist uns wohl allen, dass wir zeitnah zu ei- ner Lösung kommen, damit es nicht wieder dazu kommt, dass diese Position über Monate oder über Jahre hinweg vakant ist. Denn das würde der wich- tigen Aufgabe des Landesrechnungshofs und damit auch unserem Land insgesamt schaden. Insofern reichen wir Ihnen die Hand zu einem Ver- fahren, das es allen Beteiligten, die in der Personal- diskussion vielleicht ein bisschen verfahren sind, ermöglichen würde, eine gute und offene Auswahl durchzuführen. Wir PIRATEN sind auch sehr offen dafür, hierüber in konstruktive Gespräche einzutre- ten, sobald wir eine gute Übersicht über das Bewer- berfeld haben, und dann eine sachliche, nach reinen Leistungskriterien erfolgende Personalauswahl durchzuführen. Ich freue mich über Ihre Unterstützung unseres An- trags.Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 23. Sitzung - Donnerstag, 21. März 2013 1785 (Dr. Patrick Breyer) (Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! (Christopher Vogt [FDP]: Der fleißigste Ab- geordnete! - Heiterkeit - Beifall FDP und Hauke Göttsch [CDU]) - Wenn Sie das so sagen. - „Ein CDU-Richter ist umgefallen“ - so war es in der Zeitung im letzten Herbst zu lesen, als das Urteil des Landesverfas- sungsgerichts über die Landtagswahl und über die Befreiung des SSW von der Sperrklausel verkündet wurde. Wie kann es dazu kommen, dass in der Öffentlich- keit offensichtlich der Eindruck entstehen kann, dass es CDU- und SPD-Richter im Landesverfas- sungsgericht gebe? (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Ursache ist das Verfahren zur Wahl der Mitglie- der des Landesverfassungsgerichts. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Nein, das ist nicht die Ursache, sondern die Pressefreiheit ist die Ursache! Die können den größten Mist schreiben! Das ist zulässig in Deutschland!) Das Verfahren ist im Moment so ausgestaltet, dass die Mitglieder des Landesverfassungsgerichts von den Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke vorge- schlagen werden. Das heißt, der Ausschuss, der den Wahlvorschlag unterbreitet, hat quasi nur die Aus- wahl unter so vielen Personen, wie am Ende auch gewählt werden müssen. Zu diesem Wahlverfahren äußert sich etwa der Richterbund besorgt: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, die im Grundgesetz festgeschriebenen Qualitätskri- terien der Eignung, Leistung und Befähigung seien bei der Wahl von Bundesrichtern außer Kraft gesetzt und es herrsche ein parteipoli- tisch bestimmtes Auswahlverfahren.“ (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP] - Heiterkeit SPD) - Herr Kubicki oder in den Worten der „Kieler Nachrichten“: „Die Fraktionen mauscheln sich bisher ein Personalpaket zusammen. So bleibt unklar, ob wirklich die fähigsten Juristen den Sprung ins Verfassungsgericht schaffen.“ (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sie sind am Mitt- woch schlecht, Sie sind am Donnerstag schlecht, Sie sind am Freitag immer noch 3883 schlecht! - Wolfgang Kubicki [FDP]: Mir wird langsam schlecht!) Wir PIRATEN möchten, dass über die Besetzung dieser Ämter nach einer öffentlichen Ausschrei- bung und Anhörung der Interessenten entschieden wird. Ein solches Verfahren hat mehrere Vorteile. Lassen Sie mich nur drei davon nennen. Erstens. Wir öffnen das Wahlverfahren für alle In- teressenten und haben dadurch einfach mehr Aus- wahl. Das dient der Findung der besten Kandidatin- nen und Kandidaten. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Wenn Sie uns ver- sprechen, nie Interessent zu werden!) Der Richterbund sagt, eine transparente Auswahl erfordere ein offenes Interessenbekundungsverfah- ren. Das sieht unser Gesetzentwurf vor. Zweitens. In unserem Verfahren wird die Auswahl nicht mehr von den einzelnen Fraktionen getroffen, sondern vom Wahlausschuss insgesamt, das heißt, er hat eine echte Auswahl unter mehr Personen, als Mitglieder zu besetzen sind. Drittens. Wir erreichen eine Einbeziehung der Öf- fentlichkeit dadurch, dass sich die Interessentinnen und Interessenten auch in öffentlicher Sitzung vor- stellen können. Herr Kubicki, ich habe in der Presse gelesen, dass Sie das kritisieren. Ich muss Ihnen sagen: Wer als Richterin oder Richter öffentliche Verhandlungen des Landesverfassungsgerichts führen und daran teilnehmen kann, kann sich auch in einer öffentli- chen Sitzung vorstellen. Als wir die Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts gewählt haben bezie- hungsweise davor hatte sie auch gar kein Problem damit, sich in öffentlicher Sitzung des Richterwahl- ausschusses vorzustellen und zu präsentieren. (Zuruf: Die leitet auch eine Behörde!) Dementsprechend wünschen wir uns, dass schon im Frühjahr, wenn die nächste Verfassungsrichter- wahl ansteht, ein offenes und transparentes Wahl- verfahren Anwendung findet. Wenn wir das wollen, können wir es auch bis dahin umsetzen. (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Zu Recht gesagt: Wenn wir es wollen!) Wir können jederzeit als Ausschuss zum Beispiel zur Interessensbekundung auffordern, und wir kön- nen auch jederzeit im Einvernehmen eine öffentli- che Anhörung durchführen. Wir wünschen uns, dass im Sommer, wenn die Wahl des oder der Landesbeauftragten für Da-3884 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 47. Sitzung - Freitag, 24. Januar 2014 (Dr. Patrick Breyer) tenschutz ansteht, das in einem offenen und trans- parenten Verfahren geschieht, und wir wünschen uns auch, wenn in einigen Jahren wieder die Spitze des Landesrechnungshofs zu besetzen ist, (Dr. Ralf Stegner [SPD]: Da werden Sie nicht mehr dabei sein!) dass dies in einem offenen und transparenten Ver- fahren geschieht - ob wir dabei sind oder nicht, Herr Dr. Stegner. Alle diese Institutionen - Verfassungsgericht, Da- tenschutzbeauftragter und Landesrechnungshof - haben die wichtige Aufgabe, die Regierung zu kon- trollieren, teilweise sogar den Landtag. Ein nach- vollziehbares und offenes Auswahlverfahren stärkt den öffentlichen Rückhalt dieser Institutionen, den sie so dringend gerade in politisch sensiblen Fragen benötigen. (Zuruf: Das ist Wunschdenken!) Deshalb werbe ich um Unterstützung des Vor- schlags und freue mich auf konstruktive Beratun- gen im Ausschuss. Wenn wir uns dazu entschlie- ßen, diesen Weg zu gehen, wird Schleswig-Hol- stein bundesweit zum Vorbild, was die offene und transparente Vergabe öffentlicher Ämter angeht. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kom- men, FDP, der SSW und die Grünen alles Weitere gern mit Ihnen im Ausschuss besprechen werden. Wir wollen bei allen Verfahren ein gutes Verfahren fin- den. Auch bei uns sind die Schreiben der Richter- verbände angekommen. Wir sehen uns das alles an. Ich denke, zu dieser Tageszeit sind wir alle froh und dankbar, wenn wir uns gemeinsam dazu ent- scheiden, es in den Ausschuss zu überweisen. (Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)
Videoüberwachung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde die uns nach der Geschäftsordnung zu- stehende Redezeit von 10 Minuten gut ausschöpfen und versuchen, Ihnen das Problem der Videoüber- wachung und welches das spezielle Problem dabei ist, heute ein bisschen näherzubringen. Vor einigen Wochen mussten wir leider wieder einen gescheiterten Anschlag auf dem Bonner Hauptbahnhof verzeichnen. Leider ist unserem Bundesinnenminister Friedrich, CSU, nichts Besse- res dazu eingefallen als zu fordern, wir brauchten mehr Videoüberwachung an Bahnhöfen, es müs- se länger aufgezeichnet werden, die Polizei müsse mehr direkten Zugriff auf die Aufnahmen haben. Vor dem Hintergrund, dass das auch in einer öffent- lichen Umfrage, die allerdings ohne vorherige In- formation der Bürger erfolgt ist, Zustimmung ge- funden hat, möchte ich noch einmal klarmachen, warum diese Pläne einer weitgehenden Videoüber- wachung des öffentlichen Raums - und dazu führt das ja letztendlich - eine Gefahr für uns darstellen. Der Begriff Gotham City ist vielen von uns viel- leicht nur aus Filmen ein Begriff; das ist aber tat- sächlich ein Teil von New York. In New York kommt seit einigen Jahren ein Überwachungssys- tem zum Einsatz, das aus mehreren Tausend zu- sammengeschalteten und elektronisch vernetzten Kameras besteht. Dieses System zeichnet die Bilder nicht nur 30 Tage bis zu mehrere Jahre lang auf, es kann sie auch automatisiert auswerten. Das heißt, Sie können sich zum Beispiel anzeigen lassen, wer in den letzten 30 Tagen in New York eine rote Jacke getragen hat. Wenn Sie unter Umständen ein solches Kleidungsstück getragen haben, dann gera- ten Sie also in den Verdacht einer polizeilichen Er- mittlung, die sich natürlich auch gegen Unschuldige richten kann. Eine weitere Eigenschaft dieses Sys- tems ist, dass es eine automatisierte Verhaltenser- kennung beinhaltet. Das heißt, wenn das System ein abweichendes Verhalten feststellt, dann alar- miert es die Polizei, zum Beispiel dann, wenn in ei- ner Menschenmenge jemand nicht mitgeht, sondern stehenbleibt. Ich glaube, alle von uns können verstehen, welche Gefahr es darstellt, wenn ein Verhalten, nur weil es abweichend ist, automatisch der Polizei gemeldet wird, wie sehr dieses System das Risiko in sich birgt, eine Uniformität der Gesellschaft herbeizu- führen, nur um nicht aufzufallen und nicht der Poli- zei gemeldet zu werden. Da muss ich für uns PIRA- TEN ganz klar sagen: Eine solche Gesellschaft, in der man nicht mehr auffallen darf, wollen wir nicht. (Beifall PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das New Yorker System wird jetzt noch erweitert um eine Gesichtserkennung, die wir aus Filmen wie Minority Report kennen. In diesem Film wer- den an jeder Ecke Personen festgestellt, und man weiß, wo sich jeder gerade aufhält. Diese Gesichts- erkennung ist bei uns vom Bundeskriminalamt schon für untauglich befunden worden. In einem Versuch hat sich herausgestellt, dass sie völlig feh- lerhaft funktioniert. Im Bereich der Kfz-Kennzeichenerfassung haben wir in Schleswig-Holstein unsere ganz eigenen Er- fahrungen gemacht. Auch dazu liegen inzwischen Zahlen vor, wonach 99 % der angeblichen Treffer fehlerhaft sind. Das ist also ein völlig ineffizientes Instrument. Selbst wenn eine solche Videoüberwachung nicht an ein automatisiertes System gekoppelt ist - ich sa- ge Ihnen, wenn wir eine solche Infrastruktur mit Kameras aufbauen, dann wird sie früher oder später dazu genutzt werden -, bergen auch herkömmliche Überwachungssysteme Fehlerrisiken in sich. Als Beispiel möchte ich den Fall des Hausmeisters Do- nald Stellwag nennen, der infolge von Überwa- chungsbildern wegen eines Bankraubs zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden ist, der in der Haft er- hebliche Gesundheitsschäden genommen hat, der Behinderungen und Erniedrigungen erlitten hat, der für sein Leben gezeichnet ist und erst nach Jahren freigesprochen wurde, weil der tatsächliche Täter gefasst werden konnte, und das alles aufgrund von Videoaufnahmen, mit deren Hilfe man meinte, ihn erkennen zu können. Videoüberwachungssysteme beinhalten aber auch - das zeigen amerikanische Studien - Diskriminie- rungsgefahren, nämlich dort, wo die Bilder tat-Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 18. Sitzung - Freitag, 25. Januar 2013 1293 (Dr. Patrick Breyer) sächlich beobachtet werden. Auswertungen zeigen, was die Personen, die die Videobeobachtung durch- führen, sich tatsächlich ansehen. Zu einem Großteil der Zeit werden Frauen betrachtet, zum anderen Teil, wenn tatsächlich Personen ernsthaft beobach- tet werden, sind es Personen mit Migrationshinter- grund, die sonst irgendwie auffallen und pauschal unter Verdächtigung gestellt werden. Das kann nicht unsere Billigung erfahren. (Beifall PIRATEN) Es werden diverse Argumente für mehr Videoüber- wachung angeführt, auf die ich kurz eingehen will. Das erste Argument ist, eine stärkere Videoüberwa- chung stärke die Sicherheit und führe dazu, dass weniger Straftaten begangen würden. Eine aus- führliche Studie im Auftrag des britischen Innen- ministeriums, die wissenschaftlich und neutral durchgeführt worden ist und über zehn verschiede- ne Systeme analysiert hat, hat jedoch zu dem Er- gebnis geführt, dass gerade in einem Fall, nämlich im Fall eines abgeschlossenen Parkhauses, ein Rückgang der Zahl der Kfz-Diebstähle festgestellt werden konnte, ansonsten aber auf öffentlichen Plätzen, vor allem auf Straßen, keinerlei Rückgang der Kriminalität infolge von Videoüberwachung be- obachtet werden konnte. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Witt- haut hat erklärt, dass, wenn man angesichts des ver- suchten Bombenanschlags von Bonn eine Auswei- tung der Videoüberwachung fordere, es sich ledig- lich um eine Sicherheitssuggestion handele. Ich musste heute in der Zeitung lesen, dass bei uns in Schleswig-Holstein in Erwägung gezogen wird, den Bahnhof von Burg in Dithmarschen mit Video- anlagen zu überwachen, weil dort Graffiti und Sachbeschädigungen aufgetreten seien. Es gibt eine Studie zum Bahnhof von Luzern, wo Videoüberwa- chung zum Einsatz gekommen ist. In dieser Studie wurde festgestellt, dass die Anzahl von Vorfällen von Vandalismus nach Einsatz von Videoüberwa- chungssystemen nicht merklich zurückgegangen ist. Deswegen hat die Stadt Luzern die entsprechenden Kameras auch zum Ende des letzten Jahres wieder abgebaut. Das ist also auch der falsche Weg, um gegen Vandalismus vorzugehen. Eine weitere Hoffnung ist, man könne das Sicher- heitsgefühl stärken. Die Studien, die sich wirklich die Mühe gemacht haben, die Bürger zu befragen, stellen aber fest: Vor Installation der Videoüberwa- chung meinen in der Tat die meisten Bürger, es würde ihr Sicherheitsgefühl stärken. Nachdem die Kameras aber da und einige Zeit vorhanden gewe- sen sind, zeigen alle Umfragen, dass die Bürger realistischerweise erkennen, durch die Kameras sei- en sie letztendlich nicht sicherer oder besser ge- schützt als vorher. Das heißt, eine nachhaltige Stär- kung des Sicherheitsgefühls kann durch Überwa- chung nicht erreicht werden. Eine dritte Hoffnung ist, es ließe sich vielleicht doch wenigstens durch die Kamerabilder die Auf- klärungsrate steigern. Auch dazu gibt es eine Un- tersuchung, die in London durchgeführt worden ist, sicherlich die Hauptstadt der Überwachung in Europa. Auf 14 Bürger kommt dort eine Kamera. Durch diese Untersuchung wurde festgestellt: Wenn man die Zahl der Kameras in einem Gebiet mit der Aufklärungsquote in diesem Gebiet ver- gleicht, lässt sich keinerlei Zusammenhang feststel- len. Das heißt, dass mehr Kameras nicht zu einer erhöhten Aufklärungsrate führen. Überhaupt kom- men in London nur bei 3 % der Delikte bei den Er- mittlungen Videobilder zum Einsatz. Wir müssen bedenken, dass sich in vielen Fällen die Delikte auch anders aufklären lassen, wenn keine Video- überwachung vorhanden ist, ganz zu schweigen von den Fällen des falschen Verdachts, die ich genannt habe. Selbst wenn man sich graduellen Nutzen erhoffen wollte, muss man doch immer noch die Effizienz betrachten. Das heißt: Ist unser „Sicherheitseuro“, der bei Videoüberwachungen vielleicht ein kleines bisschen bringen könnte, dort wirklich am besten eingesetzt, oder könnte er an anderer Stelle doch mehr bewirken? - Dazu sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei: „Eine stärkere Polizeipräsenz an Orten, wo es häufig zu Gewalttaten kommt, ist wirksa- mer als die elektronische Linse. Jetzt auf mehr Technik zu setzen, ist zunächst der Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber den Auswirkungen der massiven Sparpolitik bei der Polizei.“ (Beifall PIRATEN, Dr. Kai Dolgner [SPD] und Tobias von Pein [SPD]) Was funktioniert wirklich, wenn man „Sicherheits- euros“ in die Hand nehmen will? - Eine helle und übersichtliche, gut einsehbare bauliche Gestaltung kann helfen. Eine Belebung von Bahnhöfen kann helfen. Die Beseitigung von Verschmutzungen ist wichtig, und eine angemessene Präsenz und Er- reichbarkeit von Sicherheitspersonal stellt Sicher- heit sicher und bewirkt, dass sich Menschen sicher fühlen. Das fordern wir mit unserem Antrag. (Beifall PIRATEN)1294 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 18. Sitzung - Freitag, 25. Januar 2013 (Dr. Patrick Breyer) Ich kann jetzt aus Zeitgründen nicht weiter auf die einzelnen Argumente eingehen. Ich kann Ihnen aber die schöne Broschüre „Videoüberwachung - Sicherheit geht anders“ - empfehlen, in der alle Argumente und Studien noch einmal aufgeführt sind. Die kann ich Ihnen auch gern nachher aushän- digen. Wir wollen, dass Bahnhöfe wirklich sicherer wer- den. Wir wollen ein Moratorium für den weiteren Ausbau der Videoüberwachung, und wir wollen, dass diese Zeit genutzt wird, um zu evaluieren, was die bisherigen Überwachungsmaßnahmen tatsäch- lich gebracht haben, ob sie etwas für die Sicherheit bewirken und ob sie den Euro wert sind, der in sie investiert wird. Wir fordern an die Adresse der Deutschen Bahn bei der anstehenden Sicherheitskonferenz im Fe- bruar 2013, alle zu beteiligen, sowohl die Fahrgast- verbände als auch unabhängige Kriminologen und Wissenschaftler und natürlich organisierte zivilge- sellschaftliche Gruppen, die sich im Bereich Daten- schutz und Bürgerrechte einsetzen. Ich werbe für Ihre Unterstützung für diesen Antrag. Lassen Sie uns gemeinsam auf eine anlasslose, massenhafte Videoüberwachung verzichten, und lassen Sie uns Sicherheit schaffen, keine Überwachungsgesell- schaft. (Beifall PIRATEN, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Dr. Kai Dolg- ner [SPD])
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur durch einen Hinweis habe ich zufällig erfahren, dass diese Landesregierung bei der Ver- gabe von Schienenpersonennahverkehrsleistun- gen eine flächendeckende Videoüberwachung al- ler Zugwaggons fordert. Erstmals hat diese Praxis unter der Großen Koalition Einzug erhalten. Dann wurde sie unter der schwarz-gelben Regierung fort- gesetzt und soll nun auch von der rot-grün-blauen Regierung fortgeführt werden. Das führt dazu, dass schrittweise alle Fahrgäste in Schleswig-Holsteins Zügen überwacht werden sollen. Das ist für uns völlig inakzeptabel. Wir Bürger haben auch in der Bahn einen Anspruch darauf, nicht tagtäglich dabei gefilmt zu werden, wie wir unseren Ehepartner verabschieden, wie wir Geschäftsunterlagen bearbeiten oder wenn wir un- seren PIN in das Smartphone eingeben. Diese totale Dauerüberwachung verletzt unser Persönlichkeits- recht und ist illegal. (Beifall PIRATEN) Sie wollen, dass nur noch Menschen, die sich ein eigenes Auto leisten können oder mit dem Dienst- wagen zur Arbeit fahren, vor täglicher Überwa- chung geschützt sein sollen, Herr Minister. Da ma- chen wir PIRATEN nicht mit. Weil der Innenminis- ter genau weiß, dass Videoüberwachung ein bloßes Sicherheitsplacebo ist, hat er uns in der letzten Aus- sprache versprochen, dass eine Einzelfallentschei- dung anhand der konkreten Situation vor Ort erfol- gen soll. Welche Einzelfallentscheidung führt Sie denn jetzt dazu, den gesamten Bahnverkehr video- zuüberwachen? Was soll das denn für ein Krimina- litätsschwerpunkt sein, wenn von 3.800 Gewaltde- likten in Schleswig-Holstein pro Jahr ganze vier in der Bahn begangen werden? Da ist doch vor jeder Kneipe mehr los. Laut Forsa fühlen sich 94 % der Schleswig-Holstei- ner in öffentlichen Verkehrsmitteln sicher. Das ist heute schon so. Sie fordern in erster Linie mehr an- sprechbares Personal und nicht mehr Überwachung. Auch ein gemeinsames Positionspapier von Ver- kehrsverbünden, Verkehrsunternehmen, Polizeige- werkschaften und Fahrgastverbänden fordert nicht etwa mehr Videoüberwachung, sondern lokale Si- cherheitspartnerschaften, eine bessere Personal- präsenz und gesellschaftliche Präventionsprojekte. Was machen Sie, die Kollegen von der SPD? Wenn ein Landesparteitag ansteht, auf dem ein Antrag ge- gen Videoüberwachung auf der Tagesordnung steht, twittert Herr Dr. Stegner, eine Ausweitung der Videoüberwachung sei überflüssig. Kaum ist der Landesparteitag vorbei und der Antrag abser- viert, treiben Sie Ihre Pläne zur Überwachung wei- ter voran, und alles ist vergessen. Das bezieht sich nicht nur auf den Zugverkehr. Es geht weiter. Die staatliche Bahngesellschaft AKN überwachte ihre Fahrgäste schon, als sie noch nicht vertraglich dazu verpflichtet war. Die staatlichen Hochschulen in diesem Land überwachen ihre Stu- dentinnen und Studenten mit über 100 Kameras hierzulande. (Zuruf PIRATEN: Unglaublich!) 150 Polizeifahrzeuge wollen Sie mit Videoüberwa- chungssystemen ausstatten, die automatisch an- springen sollen, wenn der Wagen anhält. Und bei der Innenministerkonferenz stimmt der Innenminis- ter einem Plan zu, Dutzende weiterer Bahnhöfe in Deutschland unter Videoüberwachung zu stellen. Schließlich war die letzte Horrormeldung: Die2274 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 28. Sitzung - Donnerstag, 30. Mai 2013 (Dr. Patrick Breyer) Bahn will mithilfe von Überwachungsdrohnen Fahrgäste überwachen, ob sie Straftaten begehen. Da frage ich mich doch: Bin ich im falschen Film? Ich meine, am 8. Juni jährt sich die Veröffentli- chung des Buches „1984“. Das war aber nicht als Regierungsprogramm gedacht, meine Damen und Herren. (Beifall PIRATEN) Wer sich ständig überwacht und beobachtet fühlt, kann sich nicht mehr unbefangen und mutig für sei- ne Rechte und eine gerechte Gesellschaft einsetzen. Durch Ihre Überwachungspolitik entsteht doch allmählich eine unkritische Konsumgesellschaft von Menschen, die nichts zu verbergen haben und im Namen der Sicherheit ihre Freiheitsrechte aufge- ben. Eine solche Gesellschaft wollen wir nicht. (Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD]) Ich fordere Sie deswegen auf: Heben Sie sofort alle vertraglich vereinbarten Überwachungsklauseln mit Bahnunternehmen auf, und sorgen Sie dafür, dass diese Kameras abgebaut werden! Geben Sie endlich eine unabhängige Untersuchung der Auswirkun- gen von Videoüberwachungen in Auftrag, bevor Sie weiter an der Überwachungsschraube drehen! Und folgen Sie nicht der Überwachungslogik der Bundeskanzlerin, die einmal zur Videoüberwa- chung sagte: „Das sind Dinge, über die darf man nicht diskutieren, die muss man einfach machen!“ Wir PIRATEN kämpfen gegen jede anlasslose, massenhafte, automatisierte und flächendeckende Überwachung der Bürger. Eines sage ich dazu: Ei- ner Regierung, die ihren Bürgern ein pauschales Misstrauen entgegenbringt, sollten wir Bürger selbst nicht vertrauen. - Danke. (Beifall PIRATEN - Hans-Jörn Arp [CDU]: Bei Handwerkern ist das anders?)
Unabhängigkeit Staatsanwaltschaften/Gerichte
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben heute in der Zei- tung gelesen, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlun- gen gegen Mitarbeiter des Umweltministeriums we- gen des Verkaufs von Lebensmittelproben aufge- nommen hat, die hätten vernichtet werden müssen. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass der Umweltminister tatsächlich die Möglichkeit hat, seine Kollegin, die Justizministerin, anzurufen, und dass diese jederzeit eine Anweisung an die Staats- anwaltschaft geben kann, die Ermittlungen aufzu- nehmen oder einzustellen. (Unruhe - Wolfgang Kubicki [FDP]: Frau Präsidentin, können wir bitte mal weiterma- chen?) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Sehr gern. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Kollege Dr. Breyer, damit jetzt hier nicht ein falscher Zungenschlag in die Debatte kommt: Sie glauben doch nicht im Ernst als ehemaliger und jetzt nicht mehr im Beruf stehender Richter, dass ein solcher Versuch nicht sofort von der Staatsanwaltschaft mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Ver- dachts der Strafvereitelung im Amt beant- wortet werden würde. (Beifall FDP und CDU) - Ich beschreibe die Rechtslage, Herr Kubicki. - Die Weitergabe einer Information über Er- mittlungsverfahren durch die Justizministerin an ein weiteres Kabinettsmitglied hat dazu geführt, dass die Justizministerin wegen Ver- letzung des Dienstgeheimnisses verurteilt worden ist. - Genau der Fall, den Sie ansprechen, zeigt die Ge- fahren, die darin liegen, dass es eine politische Auf- sichts- und Weisungsbefugnis gegenüber den Staatsanwaltschaften gibt. Wegen der Gefahren einer politischen Einflussnah- me auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften ha- ben wir PIRATEN sogar in unserem Wahlpro- gramm zur Landtagswahl angekündigt, dass wir das politische Weisungsrecht gegenüber Staatsanwalt- schaften abschaffen wollen. In unserem Staat liegt die Befugnis, Anklage gegen eine Person wegen ei- ner Straftat zu erheben, in der Hand der Staatsan- waltschaft. Oftmals kann schon alleine eine Ankla-Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 46. Sitzung - Donnerstag, 23. Januar 2014 3801 (Dr. Patrick Breyer) ge gravierende Folgen haben und zum Beispiel zum Rücktritt von Politikern führen. Deswegen muss die Staatsanwaltschaft ihre Tätigkeit unabhängig von der Politik entfalten können, zumal im Mo- ment nach den gesetzlichen Vorgaben nicht einmal mehr schriftlich dokumentiert werden muss, wenn Weisungen erteilt werden. Weil nicht einmal mehr gegenüber dem Parlament Rechenschaft darüber abgelegt werden muss, entsteht schon allein da- durch der Anschein einer möglichen Einflussnahme in der Öffentlichkeit. Damit es auch der Kollege Kubicki ganz plastisch nachvollziehen kann, möchte ich gern einige kon- krete Fälle nennen, in denen das passiert ist. Zum Beispiel ist in der Öffentlichkeit diskutiert worden, warum es so lange dauerte, bis die Staatsanwalt- schaft ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemali- gen Bundespräsidenten Wulff einleitete. Man fragte sich, ob das politische Gründe hatte. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Da gab es eine Weisung?) - Es geht um den Anschein, Herr Kollege Kubicki. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Weil Sie das dis- kutieren!) Außerdem ist in der Öffentlichkeit diskutiert wor- den, warum gegen Verwaltungsräte der Hypo Group, die Mitglieder und hohe Politiker der CSU waren, kein Ermittlungsverfahren durch die Staats- anwaltschaft München eingeleitet worden ist. (Wortmeldung Dr. Kai Dolgner [SPD]) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie - - Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Frau Präsidentin, lassen Sie mich dies bitte zu- nächst zu Ende bringen. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Ja. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Schließlich ist es gerade vor zwei Jahren zu einer tatsächlichen Weisung durch eine Justizministerin an die Staatsanwaltschaft gekommen, nämlich in Bayern im Fall Mollath. - Bitte. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Bitte schön, Herr Kollege Dolgner, Sie haben das Recht zu einer Zwischenbemerkung oder -frage. Dr. Kai Dolgner [SPD]: Herr Kollege Brey- er, mir ist eines nicht klar: Der Kollege Ku- bicki hatte ja völlig recht, dass das Konse- quenzen hatte. Wie wollen Sie eigentlich mit der Änderung von Rechtsvorschriften errei- chen, dass Menschen, von denen Sie glau- ben, dass sie sich nicht an bestehende Rechtsvorschriften halten, an diese halten? Das ist eine etwas komische Auffassung, die Sie haben. Wie wollen Sie denn mit einer Rechtsvorschrift verhindern, dass es öffentli- che Diskussionen gibt, die eventuell den An- schein erwecken könnten, dass sich Staatsan- wälte oder welche Akteure auch immer da- von unter Druck gesetzt fühlen könnten? Ich habe übrigens im Fall Wulff ein höheres Zutrauen in die Staatsanwälte, die natürlich in brisanten Fällen auch die öffentliche Dis- kussion kennen und diese genauso aushalten wie andere auch, die dazu verpflichtet sind. Das, was Sie hier machen, kommt doch ei- nem Misstrauensvotum gegenüber den Staatsanwälten gleich. (Beifall SPD) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Verehrter Kollege Dr. Dolgner, ist Ihnen bekannt, dass in bestimmten Bereichen der staatsanwalt- schaftlichen Tätigkeit ein Opportunitätsprinzip gilt, bei dem man Spielräume hat zu entscheiden, ob ein Verfahren eingestellt wird, zum Beispiel ge- gen Auflage? Das sind Vorschriften in der Strafpro- zessordnung, von denen Gebrauch gemacht werden kann, aber nicht Gebrauch gemacht werden muss. Infolgedessen ist es in solchen Bereichen äußerst schädlich, wenn sich die Politik an die Stelle der unabhängigen Staatsanwälte setzen kann und solche Ermessensentscheidungen trifft. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) - Herr Kubicki, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Herr Frank, hat zum Beispiel zu dieser Frage erklärt: „Allein der böse Anschein ist geeignet, Ent- scheidungen zu diskreditieren, obwohl sie unbeeinflusst ergangen sind.“ Dem kann ich mich nur anschließen.3802 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 46. Sitzung - Donnerstag, 23. Januar 2014 Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Dr. Kai Dolgner [SPD]: Mit anderen Wor- ten kann ich für mich feststellen, dass Sie da- von ausgehen, dass ein Staatsanwalt das Op- portunitätsprinzip nicht unbeeinflusst ausle- gen kann. Natürlich gibt es Ermessensspiel- räume. Aber sie suggerieren mit Ihrem Vor- trag hier, dass diese Ermessensspielräume, die es zweifellos gibt, nun das Einfallstor für Beeinflussungen sind. Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwälte des Landes Schles- wig-Holstein nach wie vor auch die Ermes- sensspielräume unbeeinflusst auslegen. Oder haben Sie da andere Hinweise? - Schön, dass Sie davon ausgehen, Herr Kollege Dr. Dolgner. Die Staatsanwälte selbst sehen das je- doch anders. Sie sehen nämlich ausdrücklich die Gefahr, dass schon allein der vorauseilende Gehor- sam gegenüber einem vielleicht politisch als ge- wünscht empfundenen Ergebnis einen Einfluss auf die unabhängige Entscheidung in der Sache haben könnte. Ich halte das für berechtigt und nachvoll- ziehbar. Deswegen müssen wir das Weisungsrecht, das es in anderen europäischen Staaten schon längst nicht mehr gibt, auch bei uns beerdigen. (Beifall PIRATEN) Infolgedessen begrüße ich die Initiative der CDU- Fraktion. In drei Punkten geht unser Antrag aller- dings weiter. Den ersten Punkt haben Sie schon ge- nannt, Frau Kollegin Ostmeier. Wir möchten das Weisungsrecht gern bundesweit abschaffen und nicht nur in einzelnen Ländern, weil wir glauben, dass es in Schleswig-Holstein so falsch ist wie in Bayern. Der zweite Punkt ist: Wir sehen Gefahren für die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft auch in ge- nerellen Weisungen, weil zum Beispiel über Ver- änderungen der Zuständigkeit oder, wie es in Bay- ern der Fall ist, über Auslegungshinweise für be- stimmte Straftatbestände Einfluss auf die Staatsan- waltschaften genommen werden kann. Schließlich - drittens - ist Selbstverwaltung der Justiz mehr als nur Weisungsrecht. Gefahren dro- hen auch durch die Dienstaufsicht, zum Beispiel durch die Befugnis des Ministeriums, Disziplinar- verfahren gegen einzelne Staatsanwälte einzuleiten. Deswegen - damit komme ich zu dem Thema Selbstverwaltung der Justiz - können wir stolz dar- auf sein, dass in Schleswig-Holstein mit Unterstüt- zung der Justizministerin gerade diskutiert wird, Wege zur Eigenverantwortung der Justiz zu finden. Mit unserem Antrag bekennen wir PIRATEN uns dazu, die bundesrechtlichen Grundlagen für solche Modelle zu schaffen. Infolgedessen werbe ich um Ihre Unterstützung. Denn eine unabhängige Justiz muss von jedem Verdacht einer Fremdsteuerung frei sein. - Danke schön. (Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Verständnis, dass ich den Unfug, den der Kollege Kubicki hier verbreitet hat, richtigstel- len muss und deshalb die Zeit in Anspruch nehme. (Heiterkeit FPD und Lars Harms [SSW]) Erstens hat er behauptet, wir hätten beantragt, Im- munitätsregeln abzuschaffen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben uns dagegen gewendet, dass sie mit dem Zusammentreten jedes Landtags auto- matisch eingeschränkt werden. Zweitens hat er behauptet, es sei meine Art, unbe- legbare Behauptungen in den Raum zu stellen, ob- wohl ich einen ganz konkreten Fall genannt habe, in dem vom Weisungsrecht Gebrauch gemacht worden ist. Da ist Mitnichten nur eine Prüfung an- geordnet worden, sondern die bayerische Justiz- ministerin hat vor zwei Jahren die Weisung erteilt, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen. Wenn der Kollege Kubicki der Meinung ist, er erwartet das von einer Justizministerin, will ich ganz aus- drücklich sagen, dass die Staatsanwälte es nicht nö- tig haben, eine solche Anweisung zu bekommen, und dass sie sehr wohl auch in der Lage sind, selbst ein Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten, wenn es denn gerechtfertigt ist. (Beifall PIRATEN - Zuruf Wolfgang Ku- bicki [FDP]) Soweit die Kollegin Ostmeier dem Kollegen Ku- bicki eine differenzierte Beurteilung zutraut, hat er das mit seinem Beitrag eben widerlegt. Dennoch will ich noch einmal wiederholen: „Zur Stärkung der Selbstverwaltung der Ju- stiz ist das externe Weisungsrecht der Lan- desjustizverwaltung gegenüber den Staatsan- waltschaften abzuschaffen, um jedem An- schein einer politischen Beeinflussung der Justiz vorzubeugen.“ Herr Kollege Kubicki, wenn Sie das stört, sage ich Ihnen gern, dass dieser Satz ein Zitat aus dem Bun- destagswahlprogramm der FDP ist. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Dr. Ralf Stegner [SPD]: Herr Kollege Brey- er, ich kenne den Fall Mollath nicht im De- tail, sondern nur das, was man in den Zeitun- gen lesen konnte. Ist es aber nicht gut, dass es in unserer Republik möglich ist, wenn es um mögliche Missstände in der Justiz geht und bezweifelt wird, dass es ordentlich ge- macht worden ist, dass eine Justizministerin in der Lage ist, die Staatsanwaltschaft dazu zu veranlassen, dass das noch einmal nachge- prüft wird? Herr Mollath würde wahrschein- lich immer noch in der Psychiatrie sitzen, wenn das nicht so wäre. Herr Breyer, ist es nicht auch ein Problem, dass man gerade als demokratisch gewählter Abgeordneter den Eindruck erweckt, als ob jede Form von Handeln, die vom demokra- tisch gewählten Parlament oder einer davon abgeleiteten Regierung ausgeht, per se etwas Problematisches ist? Auch wenn wir gar kei- nen Grund haben, uns zu beschweren, tragen wir damit nicht zur Unterhöhlung der reprä-3812 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 46. Sitzung - Donnerstag, 23. Januar 2014 (Dr. Patrick Breyer) sentativen Demokratie bei, wenn wir ständig diesen Eindruck erwecken? - Herr Kollege Dr. Stegner, auch die Staatsanwäl- tinnen und Staatsanwälte sind demokratisch ge- wählt, wenn auch indirekt. Sie haben genauso eine Legitimation, Entscheidungen unabhängig zu tref- fen, wie es bei Abgeordneten der Fall ist, (Zuruf Hans-Jörn Arp [CDU]) wie es bei Richterinnen und Richtern der Fall ist, wie es bei den Mitgliedern der Landesregierung der Fall ist. Ich stimme Ihnen zu, dass es natürlich rich- tig war, dieses Wiederaufnahmeverfahren einzulei- ten. Die Justiz hat es nur nicht nötig, dazu eine An- weisung einer Justizministerin zu bekommen. Da- für kann die Justiz selber sorgen. Zum Beispiel hät- te der Generalstaatsanwalt in Bayern dafür auch selbst sorgen können, ein Selbstverwaltungsorgan hätte dafür selbst sorgen können. Es ist nicht nötig, dass dafür eine Anweisung von der Politik kommt. (Zurufe Birgit Herdejürgen [SPD] und Dr. Kai Dolgner [SPD]) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Be- merkung des Herrn Abgeordneten Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ich tue das. Wolfgang Kubicki [FDP]: Welche Staatsan- waltschaft ist demokratisch gewählt worden? - Herr Kollege Kubicki, demokratisch legitimiert. Eine demokratische Legitimation hat jeder Amtsträ- ger, weil er zumindest indirekt auch vom Parlament gewählt worden ist. Bei den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, die von demokratisch gewählten Organen ernannt werden, ist in dem Fall auch eine demokratische Legitimation vorhanden, ebenso wie bei jedem Amtsträger. (Dr. Kai Dolgner [SPD]: Dann ist das Parla- ment ja ziemlich überflüssig!) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Gestatten Sie eine Nachfrage des Herrn Abgeordne- ten Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern, wenn ich zur Fortbildung beitragen kann. Wolfgang Kubicki [FDP]: Das interessiert nicht nur mich, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit. Habe ich Sie jetzt richtig ver- standen, dass jeder Amtsträger demokratisch legitimiert ist? Wodurch? Das Parlament stellt keinen Amtsträger ein. - Jeder Amtsträger ist durch eine Legitimationskette legitimiert, das heißt seine Ernennung lässt sich de- mokratisch auf den Willen des Volkes zurückfüh- ren. So muss es in einer Demokratie auch sein. - Dann verstehe ich das Problem nicht. Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes werden durch den Dienstherrn eingestellt. Das Parla- ment hat ja noch keinen Staatsanwalt gewählt oder eingestellt. Jedenfalls kann ich mich daran nicht erinnern. Vielleicht ist das ja an mir vorbeigegangen. - Vielleicht sollte ich das noch einmal erklären, Herr Kollege Kubicki. Der Kollege Dr. Stegner hat gefordert, dass solche Fragen durch eine demokra- tisch legitimierte Ministerin geregelt werden kön- nen müssten. Ich sage, dass sie bei der Justiz sehr gut unabhängig aufgehoben sind, weil die auch de- mokratisch legitimiert ist. (Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie haben von ge- wählten Staatsanwälten gesprochen!) - Die sind demokratisch legitimiert, nicht gewählt. Wenn ich das anders gesagt haben sollte, dann be- richtige ich das an dieser Stelle.
Strafrecht
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich glaube, bei der Debatte über Mord und Totschlag sollte man voraus- schicken, dass Deutschland heute mit das sicherste Land der Welt ist, dass es bei uns sehr wenig Mord und Totschlag gibt - auch im internationalen Ver- gleich - und erfreulicherweise auch deutlich weni- ger als in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Die hohe Aufklärungsquote ist schon genannt worden. Das vorausgeschickt, will ich sagen, dass die In- itiative der Justizministerin durchaus eine richtige Initiative ist. Auch wenn es sich bloß um eine Wortlautbereinigung, um Semantik, handelt, kann ich die Vorgehensweise verstehen, dass man diesen recht unstreitigen Teil abschichtet und die große Diskussion, die eben auch Herr Kubicki gefordert hat, getrennt führen will, weil das eine sehr große und sehr kontroverse Diskussion ist. In der Tat ist es richtig, was den Wortlaut der Mord- und Totschlagsparagrafen angeht, dass mit den Begriffen Mörder und Totschläger Perso- nen abgestempelt werden sollten. Darin liegt die Vorstellung, dass eine Person sozusagen als Mörder geboren wird, Mörder ist und immer Mörder sein wird. Man will damit quasi verhindern, den Ursa- chen nachgehen zu müssen, warum eine Person ei- gentlich eine solche Tat begangen hat. Umso beschämender ist es, dass ein anderes Mit- glied Ihrer Landesregierung, nämlich Innenminister Breitner, in genau diese Kerbe schlägt, wenn er von Kinderschändern im Zusammenhang mit der Vor- ratsdatenspeicherung spricht. Genau dieser Kampf- begriff findet sich auch hier im Gesetz leider wie- der. Wenngleich die Initiative zu begrüßen ist, geht sie - insofern haben die Kolleginnen und Kollegen durchaus recht - an den Hauptproblemen dieser Tat- bestände vorbei. Denn eine bloße Wortlautbereini- gung beantwortet nicht die eigentlichen Fragen: Macht es Sinn, bestimmte Arten von Tötungen zwangsweise mit einer lebenslänglichen Freiheits- strafe zu bedrohen, auch wenn es die konkreten Umstände des einzelnen Falles als absolut gar nicht angemessen erscheinen lassen, zum Beispiel weil eine Tat aus Not oder aus Mitleid begangen wird? Selbst die Nazis hielten damals einen minderschwe- ren Fall des Mordes noch für möglich. Gestrichen hat diese Bestimmung eine CDU-geführte Bundes- regierung. Diese Rigorosität des Mordparagrafen führt - der Kollege Burghard Peters hat es schon genannt - zuSchleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 48. Sitzung - Mittwoch, 19. Februar 2014 3941 (Dr. Patrick Breyer) weit verbreiteten Umgehungsstrategien bei den Ge- richten, bis hin zu einer Verbiegung des Gesetzes, um diese offensichtlich unangemessene Strafe in ei- nigen Fällen nicht verhängen zu müssen. Ich glau- be, wir könnten uns die vergleichbaren Paragrafen in Österreich zum Vorbild nehmen, die sehr viel flexibler sind. Selbst das Strafgesetzbuch der DDR hatte in diesem Punkt eine deutlich flexiblere Rege- lung vorgesehen. Ist es eigentlich noch zeitgemäß - Sie haben das auch einmal angesprochen, Frau Spoorendonk - le- benslänglich in das Gesetz zu schreiben, obwohl in Wahrheit heute wegen Mordes kaum noch jemand tatsächlich lebenslang in Haft sitzt? (Vereinzelter Beifall PIRATEN und Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Wollen wir festhalten an emotional und moralisch aufgeladenen Gesinnungsmerkmalen im Mordtatbe- stand? Warum - der Kollege Kubicki hat es ange- sprochen - soll eigentlich eine unbemerkte Tötung, zum Beispiel mithilfe von Gift oder im Schlaf, die ja quasi oftmals Mittel eines Schwächeren ist, zwangsweise zu einer lebenslänglichen Strafe füh- ren, nicht aber ein brutaler Frontalangriff, den nur der Stärkere oder Überlegenere einsetzen kann? Ist nicht eigentlich - wenn man das so betrachtet - eine überraschende Tötung im Schlaf für das Opfer we- niger belastend? Das ist die Problematik des Heim- tückebegriffs. (Zurufe) Um mit den offenen Fragen weiterzumachen: Kann es für eine Tötung eigentlich - wie das Strafgesetz- buch suggeriert - einerseits niedrige Beweggründe geben, andererseits dann offenbar hochstehende oder ehrenhafte Beweggründe? Ich finde diese Un- terscheidung unheimlich und unberechenbar. Muss nicht auch die NS-gefärbte Sprache - das ist auch schon angesprochen worden - anderer Straf- normen außerhalb der Tötungsdelikte überdacht werden? (Vereinzelter Beifall PIRATEN und Beifall Wolfgang Kubicki [FDP]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn jetzt der Bundesjustizminister Heiko Maas eine Expertengruppe einsetzen will, die nur das Für und Wider einzelner Mordmerkmale diskutieren soll, muss ich sagen, dass das mutlos und unzurei- chend ist. Ich befürchte, diese Expertengruppe wird auch sehr intransparent werden. Was wir brauchen, ist eine Entideologisierung des Strafrechts. Wir brauchen ein rationales und aufgeklärtes Strafrecht. Wir brauchen eine ehrliche Debatte über die be- schränkten Möglichkeiten und auch die begrenzten Schutzwirkungen des Strafens, anstatt einem popu- lären Irrglauben an Wegsperren für immer nachzu- laufen oder gar Feindbilder wie Kinderschänder zu bedienen. Und - damit möchte ich schließen - wir dürfen auch nicht den Reformbedarf an anderen Stellen aus den Augen verlieren. Gerade aus unserer Sicht als PIRATEN gibt es viele rechtspolitische Baustellen, zum Beispiel gegen den Abmahnirrsinn vorzugehen und das Urheberrecht endlich den modernen Anfor- derungen anzupassen sowie (Beifall Uli König [PIRATEN]) die drohende ansatzlose und flächendeckende Vor- ratsdatenspeicherung zu stoppen. (Vereinzelter Beifall PIRATEN und Beifall Wolfgang Kubicki [FDP]) Wir würden uns sehr wünschen, dass dort minde- stens genauso viel Energie vonseiten der Justiz- ministerinnen und Justizminister investiert wird wie in diese - wenngleich auch wichtige - Frage. - Bes- ten Dank. (Beifall PIRATEN und Wolfgang Kubicki [FDP])
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche an dieser Stelle nicht für die Piraten- fraktion, sondern für mich. Ich will vorwegschicken, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern zutiefst verwerflich ist. Oft sind die Folgen nicht mehr wiedergutzumachen. Kinder haben deswegen jeden Anspruch auf unse- ren Schutz - auch vor der Verbreitung entsprechen- der Darstellungen. Beim Ziel, Kinder zu schützen, sind wir uns völlig einig. Was jetzt aber die Bundesregierung plant, was mit diesem Antrag hier begrüßt werden soll und was von vielen Rednern in der Debatte gefordert wor- den ist, nämlich den Handel mit jeglichen Nackt- fotos unter Strafe zu stellen, geht an den Erforder- nissen eines Schutzes von Kindern vor Missbrauch vorbei und gefährdet diesen Schutz sogar, wie ich befürchte. Ich sage Ihnen im Folgenden, warum dieses Verbot widersinnig ist. Erstens. Wenn dieses Verbot gelten würde, käme ins Gefängnis, wer ein Strandfoto verkauft. Wer dasselbe Foto aber frei zugänglich für die Öffent- lichkeit abrufbar ins Netz stellt, wäre nicht zu be- strafen. Wie absurd ist das denn? Zweitens. Es soll nicht mehr möglich sein, ein Strandfoto zu kaufen. Wer aber an den Strand fährt und sich das anschaut, soll völlig straffrei bleiben. Ich muss sagen: Aus meiner Sicht sind die Kinder weniger geschützt, wenn Personen, die an so etwas Interesse haben, selbst an den Strand fahren, als wenn sie sich Fotos davon anschauen. Es gibt ein Cover der CD „Nevermind“ der Band Nirvana - diese CD wurde mehr als 30 Millionen Mal verkauft -, auf dem ein nacktes Baby beim Tauchen abgebildet ist. Ich weiß nicht, ob in Deutschland auch verboten werden soll, so etwas zu verkaufen. Es gibt Kinderfilme wie beispielsweise Verfilmun- gen der Bücher Astrid Lindgrens, in denen nackte spielende Kinder zu sehen sind. Soll der gewerbli- che Handel mit diesen Filmen auch verboten wer- den? Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese rumäni- schen Aufnahmen zu verbreiten, ist schon heute nach dem Kunsturheberrechtsgesetz strafbar, weil keine wirksame Einwilligung vorgelegen hat; das wurde schon gesagt. Jetzt aber alle Nacktfotos unter Strafe zu stellen, hat gar nichts mehr mit Pornogra- fie und nichts mehr mit einem Schutz vor sexuel- lem Missbrauch zu tun, sondern das lenkt eher von den Versäumnissen in diesem Bereich ab; Burkhard Peters hat das angedeutet. Uns liegen die EU-Richtlinien zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs seit über zwei Jahren vor. Die Umsetzungsfrist ist abgelaufen. Bis heute wurde kein einziger Gesetzentwurf von einer der im Bundestag vertretenen Fraktionen vorgelegt. Wir haben eine unzureichende Anzahl an Thera- pieplätzen sowohl für Opfer als auch für Pädophi- le. Die Finanzierung ist bis heute ungesichert. Die Ermittlungskapazitäten sind unzureichend. Teilwei- se müssen wegen Verdachts auf Kinderpornografie beschlagnahmte Festplatten unausgewertet zurück- gegeben werden, weil die Verjährungsfrist zwi- schenzeitlich abgelaufen ist. Wer jetzt auch noch in Anbetracht der bis zum An- schlag ausgelasteten Ermittler bloße Nacktfotos un- ter Strafe stellen will, kreiert noch mehr Ermitt- lungsverfahren und macht den ohnehin schon aus- gelasteten Ermittlern noch mehr Arbeit. Dadurch gefährdet er eher die Kapazitäten, die wir dringend brauchen, um in tatsächlichen Missbrauchsfällen zu ermitteln. Deswegen sage ich: Diese Diskussion um Verbot jeglicher Nacktbilder ist eine populistische Ersatz- diskussion, die dem Schutz vor Kindesmissbrauch eher schadet, als ihm nützt. Deswegen kann ich die- sem Antrag nicht zustimmen.
Inländische Geheimdienste
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anfrage, die wir an die Landesregierung ge- richtet hatten, hatte nicht nur die Erkenntnisse über die Aktivitäten des Nationalsozialistischen Unter- grunds in Schleswig-Holstein zum Gegenstand, sondern vor allem auch die Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen, und wie die - übrigens einstim- mig gefassten, Herr Dr. Bernstein - Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses hier bei uns umgesetzt werden sollen. Da muss ich schon sagen: Was wir dazu gehört ha- ben, ist, dass die Umsetzung in komplett intranspa- renter Art und Weise angegangen wird. Da wird ge- arbeitet mit Bezug auf Arbeitskreisunterlagen - Sie haben es erwähnt, Frau Ministerin -, die der Öffent- lichkeit gar nicht zugänglich sind. Auch auf Nach- frage sind diese nicht an uns herausgegeben wor-Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 51. Sitzung - Mittwoch, 19. März 2014 4123 (Dr. Patrick Breyer) den. Wenn doch gerade diese Sicherheitsstrukturen an der Intransparenz ihrer Arbeit gescheitert sind, wenn uns diese Geheimnistuerei gerade auf die Fü- ße gefallen ist, kann man doch nicht die Konse- quenzen daraus wieder ebenso intransparent und hinter verschlossenen Türen beschließen. (Beifall PIRATEN) Ich finde es interessant, dass Sie angekündigt ha- ben, dass Veränderungen in der Struktur des Ver- fassungsschutzes vorgenommen werden. Aber warum wird uns das nicht in der Antwort auf unsere Anfrage mitgeteilt? Da haben wir doch danach ge- fragt. Warum hören wir das erst heute? Strukturen mitfinanziert werden, um darüber Infor- mationen abschöpfen zu können. Wer vor all die- sem Hintergrund das Patentrezept verkauft, wir müssten die Geheimdienste noch ausbauen, lieber Herr Kollege Kubicki, der hat wirklich überhaupt nichts gelernt aus dem ganzen NSU-Skandal. (Beifall PIRATEN) Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Abgeordneten von Kalben? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Breyer, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordne- ten Kubicki? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Dr. Breyer, wären Sie der Auffassung, dass das Innen- ministerium eine Anfrage der NPD oder von Kameradschaften, wie denn das Innenminis- terium gedenke, die Empfehlungen des Un- tersuchungsausschusses umzusetzen, offen und transparent beantworten sollte? - Ich weigere mich, diese Frage zu beantworten, weil ich überhaupt keinen Ansatzpunkt sehe. (Zurufe) Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Kubicki, möchten Sie eine wei- tere Zwischenfrage stellen? (Wolfgang Kubicki [FDP]: Er hat es nicht begriffen, glaube ich! Das war sehr intrans- parent!) Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Zweitens. Selbst nach dem Scheitern der NSU-Er- mittlungen fehlt jegliche Einsicht, dass die Notwen- digkeit besteht, die Geheimdienste als Geheim- dienste abzuschaffen. Dabei haben wir doch gese- hen, dass sie nicht das verhindert haben, was da bei der Mordserie passiert ist. Dabei haben wir doch gesehen, dass teilweise durch Warnungen sogar Strafverfolgung vereitelt worden ist. Wir haben ge- sehen, dass über V-Leute letztendlich kriminelle Gern. Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Dr. Breyer, ich habe eine Frage, die sich auch noch auf Ihre Zwischenfrage von vorhin an den Kollegen Kubicki bezieht. Sie sagten, die Polizei hätte ja als Alternati- ve, wenn wir den Verfassungsschutz abschaf- fen würden, die Möglichkeit, verdeckte Er- mittler einzusetzen. Glauben Sie denn, dass eine parlamentarische oder eine öffentliche Kontrolle der Arbeit verdeckter Ermittler größer ist als die des Verfassungsschutzes? - Definitiv, denn die Polizei unterliegt der Kontrolle der Justiz. Sie operiert nicht geheim, sondern grundsätzlich offen. - Auch die Arbeit der verdeckten Ermittler? - Natürlich nach Abschluss des entsprechenden Er- mittlungsverfahrens; das wissen wir. Aber Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln rechtsstaatlich auf der Grundlage eines tatsächlichen Tatverdachts und nicht in Abwesenheit jeglicher Gefahr oder jegli- chen Tatverdachts. So etwas ist einer Demokratie fremd, und das wollen wir deswegen nicht haben. (Beifall PIRATEN) Wenn wir die Geheimdienste abschaffen würden, könnten wir doch die Kapazitäten des Staates bei der sozialen Prävention von Kriminalität, aber auch bei der strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten, maßgeblich verstärken. Da werden doch die Leute gebraucht und müssten sie einge- setzt werden und nicht bei einem Dienst, der bloß informiert und zusehen kann, der völlig im Trüben fischt und gar nicht konkret dort ermittelt, wo ein Anlass dafür besteht.4124 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 51. Sitzung - Mittwoch, 19. März 2014 (Dr. Patrick Breyer) Bedauerlich ist aber auch, dass es nicht einmal mehr zu einer massiven Stärkung der parlamenta- rischen Kontrolle konkrete Pläne gibt. Ich freue mich über die Offenheit, Herr Kollege von Pein, die Sie hier gezeigt haben, und ich kann Ihnen an die- ser Stelle ankündigen: Wir PIRATEN werden einen ganz konkreten Vorschlag - Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet! Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: - mein letzter Satz -, einen ganz konkreten Gesetz- entwurf, vorlegen, um die öffentliche Kontrolle des geheim operierenden Verfassungsschutzes zu stär- ken. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lars Harms, es ist kein Geheimnis, dass wir PIRATEN den Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst ablehnen. Wenn Sie als Mitglied des Innen- und Rechtsausschusses unsere Anträge sorgfältig gelesen haben, werden Sie sehen, dass im letzten Jahr die Piratenfraktion genau das schon beantragt hat, und zwar die gesamte Piratenfraktion. Was mich an diesem Verfassungsschutzbericht wirklich stört, ist, dass der Verfassungsschutz eigentlich nicht über seine Tätigkeit berichtet, sondern nur über seine Ergebnisse. Das heißt, er beschreibt gar nicht, welche Maßnahmen er eingesetzt hat. Wir finden keine Statistik darüber, welche geheimdienstlichen Mittel er eingesetzt hat. Wir finden keine Zahlen darüber, wie viel überwacht worden ist, was das Ergebnis dessen war. All dieses Maß an Transparenz, das es in anderen Ländern und auf Bundesebene längst gibt - dort gibt es diese Überwachungsstatistiken -, wird der Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein verweigert. Zu dem CDU-Antrag kann ich nur sagen: Nachtigall, ick hör dir trapsen, wenn ich lese, dass die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden angepasst werden soll. Was das heißt und worauf das hinauslaufen soll, können wir uns wieder vorstellen. Sie wollen den Inlandsgeheimdienst noch weiter aufrüsten, und das lehnen wir ganz klar ab. Zu der Debatte, die meines Erachtens Burkhard Peters als Erster aufgemacht hat, möchte ich sagen: Was soll Verfassungsschutz überhaupt leisten? Mich stört ein bisschen, Kollegin Nicolaisen, dass Sie das Thema Extremismus mit Gewalt fast gleichgesetzt haben, beziehungsweise als ob dies logisch miteinander in Verbindung stünde. Da möchte auch ich noch einmal hervorheben, was Burkhard Peters bereits gesagt hat: Extremismus als extreme Meinung ist in Deutschland legal. Es ist nicht verboten, von einem anderen Staat zu träumen. Das Bundesverfassungsgericht hat auch gesagt, warum das so ist, nämlich, ich zitiere: Die Verfassung setzt darauf, dass auch eine totalitäre Ideologie gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird. Das ist genau richtig. Die Demokratie kann nur geschützt werden, wenn sie von den Menschen freiwillig und aus Überzeugung heraus getragen wird. Deswegen darf sich auch der Staat nicht in die politische Auseinandersetzung einmischen. So entschieden wir gegen politisch motivierte Gewalttaten vorgehen müssen, so falsch ist es, wenn sich der Staat in die politische Auseinandersetzung, die eine gesellschaftliche sein muss, einmischen würde.
Ausländische Geheimdienste/Snowden
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Stellen Sie sich vor: Wir werden von ausländischen Geheimdiensten ausgespäht, und wir wehren uns dagegen. (Beifall PIRATEN) Der erste Teil dieser Vorstellung ist leider Realität, der zweite Teil noch nicht. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden im letzten Jahr wissen wir, dass ausländische Geheimdienste in einem gigantischen Ausmaß wahllos und ohne jeden Verdacht Informationen über alle Bürger weltweit sammeln: mit wem wir in Verbindung stehen, wo wir mit unserem Handy hingehen, was wir im Internet lesen oder schreiben. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage, alles, was ich tue, aufgezeichnet wird.“ - Das ist übrigens ein Zitat von Edward Snowden. (Beifall PIRATEN) Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Wenn die Freiheitswahrnehmung der Bürger total erfasst und registriert wird, verletzt das die verfassungsrechtliche Identität unserer Demokratie. Wenn ich sehe, was seit den Enthüllungen im letzten Jahr passiert ist, ergreift mich wirklich ein Gefühl der Ohnmacht. Man hat den Eindruck, man kann nichts dagegen tun, und es wird auch nichts dagegen getan. Bundeskanzlerin Merkel ist neulich in die USA gereist und hat in der Pressekonferenz danach vor dem Weißen Haus erklärt, es gebe Meinungsverschiedenheiten über die Überwachungsintensität, (Lachen Uli König [PIRATEN]) die Diskussionen erforderlich machten. Im gleichen Atemzug hat sie aber gesagt, eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste sei völlig unverzichtbar. Das US-Handelsabkommen TTIP werde natürlich weiter verhandelt. Jetzt ist auch noch bekannt geworden, dass sogar die Einladung von Edward Snowden vor unseren Untersuchungsausschuss abgelehnt wird, weil das ja die Beziehungen zu den USA gefährden könnte - ganz zu schweigen von einem Aufenthaltsrecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was für ein jämmerliches Bild geben wir hier eigentlich ab? Wir sind doch nicht der Büttel der USA, und Menschenrechte sind doch keine Meinungsverschiedenheit, sondern geltendes Recht. Das, was die USA hier an Massenüberwachung machen, was Großbritannien macht und andere Geheimdienste machen, ist doch eine Verletzung unserer Souveränität und internationaler Menschenrechtsabkommen, sehr verehrte Damen und Herren. (Beifall PIRATEN) Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Haus wird verwanzt und abgehört. Sie rufen die Polizei zu Hilfe. Die kommt und sagt dann: „Wir gehen mal zum Täter hin und sagen, wir müssen mal reden.“ Das ist alles. Es wäre doch völlig unvorstellbar, dass bei uns auf eine Rechtsverletzung so reagiert wird: Man lässt weiter gewähren und redet miteinander. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Jahr nach Bekanntwerden dieser skandalösen Massenüberwachung ist die Zeit der Worte vorbei, und jetzt müssen wir Taten sehen. Die USA und Großbritannien müssen zur Rechenschaft gezogen werden für ihre maßlose und, wie ich finde, auch unverschämte Bespitzelung wahlloser Bürger. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 58. Sitzung - Donnerstag, 15. Mai 2014 4729 (Vizepräsident Bernd Heinemann) (Beifall PIRATEN) Das Europäische Parlament hat im März mit den Stimmen aller Parteien, aller hier auch im Landtag vertretenen Parteien mit Ausnahme des SSW die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, bei der UNO Beschwerde gegen diese maßlose Massenüberwachung einzureichen. Diesen guten Beschluss gilt es jetzt hier bei uns umzusetzen. (Beifall PIRATEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Und dann durchzusetzen!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, diese Beschwerde ist erforderlich, um endlich die gefährliche Behauptung der USA zu widerlegen, außerhalb ihres Staatsgebietes hätten wir überhaupt keine Menschenrechte und eine Totalregistrierung unserer Kommunikation sei gar kein Eingriff in unsere Privatsphäre. Damit verteidigen ernsthaft die USA ihre Praxis. Dazu kann ich nur sagen: Wer sein Recht nicht wahrt, der gibt es auf. Deswegen erwarten die Menschen zu Recht von uns, dass wir ihre Rechte verteidigen und durchsetzen. (Beifall PIRATEN) Ich füge hinzu: Wir müssen auch Edward Snowden, dessen mutige und selbstlose Enthüllungen uns diesen Widerstand überhaupt erst ermöglicht haben, einen sicheren Aufenthalt bei uns in Deutschland gewähren; denn wer wegen der Aufdeckung schwerster Menschenrechtsverletzungen verfolgt wird, der muss bei uns hier willkommen sein. (Beifall PIRATEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Europa gilt das Recht. Wir sind ein Rechtsstaat, und Recht braucht Unrecht nicht zu weichen. Das sollten wir auch allen klarmachen. Vizepräsident Bernd Heinemann: Kommen Sie bitte zum Schluss. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN)
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern etwas zu den Gegenargumenten von Kai Dolgner zu unserem Antrag sagen. Diese lassen sich erstens in dem Argument zusammenfassen, „Das bringt doch eh nichts“, und zweitens: „Wir verletzen selbst doch auch Menschenrechte, dagegen sollten wir erst einmal etwas tun“. Zum ersten Argument, das würde nichts bringen, kann ich nur sagen: Wir müssen natürlich alle Möglichkeiten ausschöpfen und alle Punkte der Resolution des Europaparlaments umsetzen. Wir dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen. Wer sagt, eine Beschwerde Deutschlands vor dem UN-Menschenrechtsausschuss gegen die USA bringe nichts, verkennt doch völlig, was das für ein politisches Signal wäre. (Beifall PIRATEN) Wenn die Bundesregierung erstmals sagen würde: „Wir lassen euch nicht so weitermachen und reden nur ein bißchen mit euch“, sondern sagen würde: „Das ist eine Verletzung der Menschenrechte, und wir ziehen euch vor den zuständigen Ausschuss“, wäre das ein massives Signal. Das würde natürlich den Druck auf die USA massiv erhöhen. Ich kann nur sagen, andere Staaten, zum Beispiel Brasilien, sind sehr viel mutiger, und wir brauchen dieses Signal. Im Übrigen haben Sie aus unserer Sicht auch nichts Überzeugendes zum zweiten Punkt im Antrag gesagt. Großbritannien vor dem Menschengerichtshof zu verklagen, ist ein wirksames Instrument. Großbritannien setzt diese Urteile um. Sie sind schon einmal verklagt worden, weil ihre Geheimdienste immer wieder über die Stränge schlagen. Deshalb müssen wir das auch machen. (Beifall PIRATEN) Zum Vorschlag von Burkhard Peters, über die EU zu gehen, kann ich nur sagen: Das bringt überhaupt nichts, weil die EU für die Geheimdienste der nationalen Mitgliedstaaten nicht zuständig ist. Deshalb geht das nicht. Das hat auch der Präsident des Anwaltvereins, Herr Ewer, neulich in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ festgestellt. Vielleicht haben Sie das gelesen. Zum zweiten Argument, wir verletzten doch selbst die Menschenrechte. Da muss ich - so weh mir das auch tut - tatsächlich unsere Geheimdienste einmal in Schutz nehmen. Unsere Geheimdienste nehmen nämlich keine Totalregistrierung aller unserer Kommunikation, mit wem wir telefonieren und was wir sprechen, also von Telekommmunikationsinhalten, vor. Wer das, was wir hier in Deutschland machen, mit dem gleichsetzt, was die NSA macht, der verharmlost die Praktiken der NSA. Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall PIRATEN und Jürgen Weber [SPD]) Natürlich ist es richtig, dass es auch bei uns massiv verfassungswidrige Überwachungsgesetze gibt, oft übrigens mitgetragen von der SPD, die vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden. Aber gegen diese Gesetze klagen wir auch. Das heißt ja nicht, dass wir nicht auch gegen die menschenrechtswidrigen Praktiken anderer Staaten vorgehen müssen. Noch einmal: Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um die Massenüberwachung zu stoppen, bei uns genauso wie im Ausland. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Unter Staaten gibt es keine Freunde. Das hat einmal ein kluger französischer Präsident gesagt. Davon abgesehen, vergegenwärtigen wir uns einmal, worum es hier geht: Da hat jemand massenhaft millionenfache Rechtsverletzungen aufgedeckt. Dann sagt die Bundesregierung als Vertreter der Opfer: Die Zusammenarbeit mit dem Täter dieser Rechtsverletzungen ist uns wichtiger, deswegen schützen wir den Hinweisgeber nicht vor Verfolgung durch den Täter, wir unternehmen auch nichts gegen die Menschenrechtsverletzungen selber, sondern fragen umgekehrt den Täter: Lässt du uns bitte auch weiterhin mitlesen? Dafür, dass wir geradezu darum betteln, weiter ausgespäht zu werden, schäme ich mich, ein Bürger dieses Landes zu sein, dass wir mit den Grundrechten und ihren Verteidigern so schäbig umgehen. Diese Art und Weise finde ich unglaublich. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 75. Sitzung - Freitag, 14. November 2014 6197 Leider ist das auch nicht der einzige Fall. Es gibt andere Whistleblower, gerade hier in Schleswig- Holstein. Ich nenne den Fall Magret Herbst. Auch da ist es so gewesen, (Volker Dornquast [CDU]: Das kann man nicht vergleichen!) dass sie die Leidtragende dafür war, dass sie die Öffentlichkeit auf Missstände in einem Schlachthofbetrieb aufmerksam gemacht hat, den sie zu kontrollieren hatte. (Beifall Uli König [PIRATEN] - Zurufe Wolfgang Kubicki [FDP] und Lars Harms [SSW]) Der Umgang mit Whistleblowern bei uns ist allgemein beschämend. Wir müssen Verantwortung für sie übernehmen. Zum Fall Edward Snowden möchte ich noch einmal eines festhalten: Wir können ihn in Deutschland so gut schützen, wie wir auch jeden anderen Staatsbürger schützen können. Wir müssen ihn nicht ausliefern. Denn die Bundesregierung hat ein Gutachten für den Untersuchungsausschuss zum NSA-Skandal geschrieben, das veröffentlicht worden ist. Darin heißt es wörtlich - Herr Kollege Dr. Klug, ich zitiere -: Die Bewilligungsbehörde wird nur durch eine negative Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts gebunden. Das bedeutet, wenn das Oberlandesgericht sagt, eine Auslieferung ist nicht zulässig, darf auch nicht ausgeliefert werden. Wenn das Oberlandesgericht aber sagen sollte, eine Auslieferung ist zulässig, dann hat das Bundesamt für Justiz Ermessen, ob es diese Auslieferung bewilligt oder nicht. Das ist ein politisches Ermessen nach § 12 des Rechtshilfegesetzes. Wir müssen ihn also nicht ausliefern. Wenn Herr Maas sagen würde, wir wollen ihn nicht ausliefern, dann müssen wir das auch nicht. (Beifall PIRATEN, Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gerade deshalb gibt es auch keinen Grund, ihn auf andere EU-Länder zu verweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Sie haben selbst doch im Bundestag beantragt, ihn nach Deutschland zu holen. Wir PIRATEN wollen ihn mit unserem Antrag nach Deutschland holen. Ich muss sagen: Ich finde es wirklich erschreckend, dass diejenigen, die in solchen Unrechtssystemen oder bei solchem Unrecht wegsehen, die mitlaufen oder mitmachen, immer ein ruhiges Leben führen, dass sie Geld dabei verdienen, dass sie belohnt werden. Aber wehe, wenn jemand versucht, dagegen vorzugehen, dann wird er gemobbt, dann wird ihm gekündigt, er wird verfolgt oder bestraft. Das ist eine Diskrepanz und schreiende Ungerechtigkeit, gegen die wir etwas unternehmen müssen. (Beifall PIRATEN)
eCall
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wollen Sie Ihr Auto entscheiden lassen, ob Sie Hilfe brauchen? Ein Vorschlag der EU-Kommission und des EU-Parlaments sieht vor, dass ab nächstem Jahr in jedes neu verkaufte Kraftfahrzeug eine Box eingebaut werden soll, die im Falle eines schweren Unfalls automatisch eine Meldung der Position des Fahrzeugs und der Fahrzeugidentität an die Leitstelle sendet. Sicherlich ist der Vorschlag gut gemeint für die Fälle, in denen man selber einen Notruf wegen eines Unfalls nicht absetzen kann. Diese Fälle, dass auch kein anderer einen Notfall meldet, kann es geben. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 57. Sitzung - Mittwoch, 14. Mai 2014 4645 (Minister Dr. Robert Habeck) Aber es gibt auch Fälle, in denen eine solche Zwangsmeldung die Rettung von Menschen behindern oder gefährden kann, nämlich zum Beispiel, wenn ein Fahrzeugführer nicht von der Polizei aufgegriffen werden will, zum Beispiel weil er von Abschiebung bedroht oder weil er alkoholisiert gefahren ist. In diesen Fällen kann es sein, dass betroffene Autofahrer die Unfallstelle verlassen, anstatt Erste Hilfe zu leisten. Dadurch können Menschen also auch eher gefährdet werden. Ein weiterer Fall ist sicherlich dort gegeben, wo sehr viele solcher Notrufe die Leitstellen geradezu überfluten, zum Beispiel wegen einfacher Sachschäden. Wenn Sie allein mit Ihrem eigenen Fahrzeug etwa aus Unachtsamkeit gegen die Garage fahren, kann es sein, dass ein solcher Notruf abgesetzt wird. Das wiederum bindet sehr viele Kapazitäten in den Leitstellen und könnte die Bearbeitung der wirklichen Notfälle behindern. Schließlich kann es sein, dass Fahrzeugführer wegen dieses automatischen Notrufs nicht mehr telefonisch bei der Rettungsleitstelle anrufen. Eine telefonische Meldung kann aber sehr viel genauere Informationen über den einzelnen Unfall vermitteln und den Rettungskräften helfen, Hilfe vor Ort zu organisieren. Deswegen glauben wir, dass unter dem Strich nicht feststeht, ob im Endeffekt mehr Menschen durch einen solchen Zwangsnotruf geholfen als geschadet wird. Umgekehrt hat das Verfahren verschiedene Nachteile. Die erste Frage ist zum Beispiel: Kostet es eigentlich Geld, wenn es zu einem Fehlalarm kommt? Im Falle von Alarmanlagen fordert die Polizei in einigen Bundesländern schon Geld, wenn ein Fehlalarm losgegangen ist. Das könnte auch auf Autofahrer zukommen. Zum Zweiten wird schon diskutiert, ob solche Systeme nicht auch zur Erhebung einer Pkw-Maut eingesetzt werden können, was wir alle ja nicht wollen. Aber das könnte der Türöffner dafür sein. Zum Dritten ist das schon der erste Fall, dass Maschinen entwickelt werden, die ein bestimmtes Verhalten automatisch erkennen und melden sollen. Das ist auch aus dem Bereich der Videoüberwachung bekannt, wo es zunehmend zu einer Verhaltenserkennung kommt, wobei auffälliges Verhalten - das kann schon längeres Stehen an einem Ort sein, weil man eine Zigarette raucht - automatisch gemeldet wird. Eine solche automatische Meldung führt zu einer uniformen, angepassten Gesellschaft, um nicht aufzufallen. Diese wollen wir nicht. (Beifall Uli König [PIRATEN]) Wir fordern deswegen ein Recht auf automobile Selbstbestimmung. In Umfragen stört 76 % der Bürgerinnen und Bürger, dass Daten aus ihrem Fahrzeug ohne ihre Kontrolle weitergegeben werden können. Die Pläne zur Zwangseinführung des eCall-Verfahrens haben dementsprechend dieses Jahr auch einen Big-Brother-Award bekommen, einen Negativpreis für Überwachungsverfahren. Natürlich wollen wir, dass der Staat für uns da ist, wenn wir ihn brauchen. Wir wollen aber auch, dass er uns in Ruhe lässt, wenn wir ihn nicht brauchen. Und wir wollen selbst darüber entscheiden, ob dieses oder jenes der Fall ist, und diese Entscheidung nicht einem staatlich verordneten Apparat überlassen. (Beifall PIRATEN) Wir brauchen keinen Nanny-Staat, der besser weiß, was für uns gut ist, als wir selbst. Wenn Hilfe unerwünscht ist und aufgedrängt wird, wird sie eben zur Bevormundung und Entmündigung der Bürger, und das wollen wir nicht. Deswegen fordern wir PIRATEN mit unserem Antrag eine Wahlmöglichkeit. Das heißt, jeder Autofahrer soll selbst entscheiden können, ob er dieses Gerät, diese Meldung anstellt oder abstellt. Eine Umfrage hat schon ergeben, dass doch immerhin eine starke Minderheit von jedem vierten Autofahrer ein solches Gerät nicht einstellen würde. Deswegen bitte ich Sie, auch wenn Sie selbst dieses Verfahren für sinnvoll halten, dass Sie doch akzeptieren und nachvollziehen können, dass es viele Menschen gibt, die aus guten Gründen so etwas nicht anstellen wollen (Beifall PIRATEN und Dr. Heiner Garg [FDP]) und die deswegen das Recht haben sollten, sich dagegen zu entscheiden. Leider haben wir keine Zeit, um diesen Antrag im Ausschuss näher zu beraten, weil jetzt die Entscheidung der Bundesregierung im Ministerrat ansteht, ob sie diesem Entwurf von EU-Parlament und EUKommission zustimmt. Deswegen bitte ich Sie, gemeinsam mit uns heute hier an die Bundesregierung zu appellieren, Zwangsnotrufe zu verhindern, damit wir die Kontrolle über unser Fahrzeug behalten und selbst darüber entscheiden können, ob Unfälle automatisch gemeldet werden sollen oder nicht. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN und vereinzelt FDP)
Gefahrengebiete
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir PIRATEN wollen die Ermächtigung zu verdachtslosen Jedermannkontrollen in Grenzund Gefahrengebieten aus dem Gesetzbuch streichen, um unbescholtene und rechtstreue Bürger vor Kontrollen zu schützen, zu denen sie keinerlei Veranlassung gegeben haben. (Beifall PIRATEN) Seit jeher darf die Polizei dort einschreiten, wo eine Gefahr droht, natürlich auch anhalten und durchsuchen, wenn es zum Beispiel um die Entwaffnung gefährlicher Rockerbanden geht. Das ist gut und richtig. Aber kontrolliert werden dürfen nur Personen, die zumindest verdächtig sind, dass von ihnen eine Gefahr ausgeht. Nur an Orten, an denen die Begehung von Straftaten konkret zu erwarten ist, erlaubt das Gesetz herkömmlich die Kontrolle und Durchsuchung auch anderer, beliebiger Personen. Daran würde auch unser Gesetzentwurf nichts ändern. (Beifall PIRATEN) Nur: Seit den Terroranschlägen aus dem Jahr 2001 sind unsere Bürgerrechte in dramatischem Ausmaß weiter abgebaut worden. Hier in Schleswig- Holstein haben SPD und CDU im Jahr 2007 ein hoch umstrittenes Anti-Terrorgesetz eingeführt. Verdachtslose Anhalte- und Sichtkontrollen x-beliebiger Personen einschließlich Öffnen ihrer Fahrzeuge und Einsehen in ihre Kofferräume ohne irgendeinen Gefahrenverdacht sind gesetzlich erlaubt worden. Wo polizeiliche Erkenntnisse - wie auch immer die zu verstehen sind - es rechtfertigen, darf seither ein Gebiet zum Gefahrengebiet erklärt werden. Aber auch in einem 30 km breiten Streifen entlang der dänischen Grenze und entlang der gesamten Küste unseres Landes sind sozusagen kraft Gesetzes Gefahrengebiete vorhanden. Das Ergebnis ist, was im Fernsehen schon auf einer Karte gezeigt worden ist, dass kaum noch ein Gebiet in Schleswig-Holstein nicht in diese Gefahrengebiete fällt und noch nicht zum Gefahrengebiet erklärt worden ist. Dazu kann ich nur sagen: Wir PIRATEN akzeptieren nicht, dass weite Teile unseres Landes zum Gefahrengebiet und damit zu einer Sonderrechtszone Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 19. Juni 2014 4961 (Katja Rathje-Hoffmann) erklärt werden, in der sich jeder Mensch Kontrollen gefallen lassen muss. Schleswig-Holstein ist kein Gefahrengebiet. Diese Kontrollzonen sind eine Misstrauenserklärung gegen ganze Regionen und gegen Millionen von Menschen, die darin leben. Das haben sie nicht verdient, und das nehmen wir PIRATEN auch nicht hin. (Beifall PIRATEN, Dr. Heiner Garg [FDP] und Wolfgang Kubicki [FDP]) Mit Sicherheit haben diese Sichtkontrollen überhaupt nichts zu tun. Dass auch nur einmal bei dieser Anhalte- und Sichtkontrollen auch nur eine Straftat verhindert worden wäre, mit der die Einrichtung dieser Gefahrengebiete begründet worden ist, hat der Innenminister auf unsere Anfrage nicht bestätigen können. Mehr noch: In mehreren polizeilichen Anordnungen zur Verlängerung von Gefahrengebieten, die uns seit gestern vorliegen, heißt es wörtlich - ich zitiere -: Bisherige Ermittlungsmaßnahmen und operative Maßnahmen haben nicht zum Erfolg geführt. Das heißt, in den Verlängerungsanordnungen bestätigt die Polizei selbst die Wirkungslosigkeit ihrer Kontrollmaßnahmen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich will klarstellen: Niemand bestreitet, dass es Wohnungseinbruchsdiebstähle oder Rockerkriminalität gibt. Nur kommen Sie denen eben durch ungezielte Anhalte- und Sichtkontrollen nicht bei. Wenn Sie einen Nagel in die Wand schlagen wollen, brauchen Sie dazu einen Hammer. Eine Säge hilft Ihnen dazu nicht. (Zuruf Olaf Schulze [SPD] - Birgit Herdejürgen [SPD]: Man kann das auch mit einer Säge machen!) Deswegen wollen wir diese Säge aus dem Werkzeugkasten des Gesetzes herausnehmen. Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, das dürfte zumindest Sie interessieren: Jedermannkontrollen zur Suche nach grenzüberschreitender Kriminalität, wie sie in diesem Gesetz zugelassen sind, leisten auch einem Ethnic Profiling Vorschub. Untersuchungen zeigen leider, wenn beliebige Personen kontrolliert werden dürfen und Menschen für solche Kontrollen herausgegriffen werden müssen, neigt man dazu, Menschen ethnischer Minderheiten herauszuziehen. Deshalb fordert unter anderem das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung, die Initiative schwarzer Menschen in Deutschland und auch das Institut für Menschenrechte die Aufhebung solcher Ermächtigungen. (Beifall PIRATEN, Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Wolfgang Kubicki [FDP]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei Einführung dieses Gesetzes haben auch Grüne und auch der SSW vehement gegen diese anlasslosen Anhalte- und Sichtkontrollen gestritten. Die heutige Justizministerin Anke Spoorendonk kritisierte Sicherheitsaktionismus und sagte, es werde einfach gesagt, ein bisschen mehr Überwachung trage zur Gefahrenabwehr bei. - Jetzt stehen Sie in der Verantwortung, es besser zu machen. Jetzt wird sich zeigen, ob eine rot-grün-blaue Koalition unsere Freiheitsrechte besser achtet als SPD und CDU. Für uns PIRATEN ist Freiheit keine Gefahr und Privatsphäre keine Schutzlücke. Für uns ist Freiheit die Grundlage einer offenen und starken Zivilgesellschaft. Wir setzen auf Freiheit statt Angst. Deswegen müssen diese Gefahrengebiete weg. (Beifall PIRATEN) Geben Sie diese Sonderrechtszonen auf, und stellen Sie die Grundrechte wieder her.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir heute hier hören mussten, insbesondere das, was der Herr Innenminister hier gesagt hat, setzte dem die Krone auf, ist kompletter Irrsinn. (Zuruf Volker Dornquast [CDU]: Das war sehr gut!) Das ist kompletter Irrsinn. (Vereinzelter Beifall PIRATEN und Beifall Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Herr Breitner, Sie haben sich mit dem, was Sie gesagt haben, komplett vom Grundgesetz und den zugrundeliegenden Gedanken verabschiedet. Herr Jefferson, der ehemalige US-Präsident hat gesagt: Misstrauen lässt uns Sicherungsvorschriften in die Verfassung aufnehmen. Der Grundgedanke der Verfassung und der Grundrechte ist die Erfahrung, die man mit einem Missbrauch staatlicher Gewalt gemacht hat. Sie sind begründungspflichtig, wenn Sie unsere Grundrechte einschränken wollen. Wir müssen doch nicht erklären, warum wir Ermächtigungen aufheben wollen. Sie stellen die Sache auf den Kopf. Ja, wir wollen Gefahrenabwehr. Es geht uns aber um die Abwehr tatsächlicher Gefahren und nicht von Ihnen vorgestellter Gefahren. Deshalb brauchen wir diese Befugnis zu Gefahrengebieten nicht. (Beifall PIRATEN und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Kollegin Damerow, Sie haben gesagt, es gehe um begrenzte Gebiete. (Abgeordneter Dr. Breyer hält eine Karte hoch) - Schauen Sie sich diese Karte an. Ist das ein begrenztes Gebiet? Das ist ein Gebiet, bei dem kaum noch etwas von Schleswig-Holstein übrig ist, das kein Gebiet für eine anlasslose Sicht- und Anhaltekontrolle ist. Das ist kein begrenztes Gebiet. Es ist keine Beleidigung von Polizeibeamten, wenn wir sagen: Der Gesetzgeber hat ein schlechtes und falsches Gesetz gemacht, das verfassungswidrig und untauglich ist. Sie reden von der Polizei. Die Wahrheit ist doch, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Deutschland Polizeistellen abgebaut worden sind. Bei der Polizei wurden Tausende von Stellen abgebaut. Gleichzeitig haben Sie die Überwachungsbefugnisse immer weiter ausgebaut. Sicherheit ist für uns PIRATEN eben auch Sicherheit vor willkürlichen Kontrollen ohne Anlass. Das gehört für uns auch zur Sicherheit. Ich rede sehr gern mit der Polizeidirektion Ratzeburg. Ich lese auch ihre Anordnungen. Ich sage aber: Allein, dass bei zufälligen Kontrollen irgendein Beifang gefunden wird, rechtfertigt es nicht, beliebige Bürger anzuhalten und zu kontrollieren. Sonst könnten wir der Polizei auch jederzeit erlauben, unsere Wohnungen zu stürmen und Razzien durchzuführen. Ich bin sicher, dabei würden sie fündig werden und zum Beispiel Drogen finden. Das wollen wir nicht. Wir wollen keine Sicherheit durch ständige Polizeikontrollen bei uns. (Beifall PIRATEN und Christopher Vogt [FDP]) Ja, Frau Kollegin Lange, uns fällt noch einiges ein, was man abschaffen und ändern müsste. Wir wollen nämlich ein Freiheitspaket, das alle unnützen und exzessiven Befugnisse der letzten Jahre abschafft, die im Zuge des Antiterrorwahns eingeführt worden sind. Wir haben ein Sicherheitskonzept, das können Sie in unserem Wahlprogramm nachlesen. Wir wollen wegen des historischen Erbes an unseren Freiheitsrechten und im Sinne der effizienten Polizeiarbeit auf verdachtslose und massenhafte Datenüberwachung und Kontrollmaßnahmen verzichten und uns stattdessen auf das konzentrieren, was funktioniert, nämlich auf gezielte Maßnahmen. (Beifall PIRATEN) Zum Instrumentenkasten kann ich nur sagen: In Nordrhein-Westfalen gab es dieses Instrument der Polizei noch nie. Das Bundesverfassungsgericht hat 4972 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 61. Sitzung - Donnerstag, 19. Juni 2014 (Minister Andreas Breitner) Ihren Instrumentenkasten sowieso schon zusammengestutzt und die verfassungswidrige Befugnis zum Kfz-Markenabgleich aus dem Instrumentenkasten gestrichen. Der damalige Innenminister Lothar Hay hat dazu zutreffend gesagt, das Kennzeichen- Scanning habe sich als ein ungeeignetes Instrument zur Gefahrenabwehr erwiesen, es binde Personal, das an anderen Stellen sinnvoller für operative Polizeiarbeit eingesetzt werden könne. Genauso ist es mit den Gefahrgebieten. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Mein letzter Satz dazu: Sollten Sie nicht dazu bereit sein, im Gesetzgebungsverfahren diesen Sonderrechtszonen ein Ende zu setzen, bieten wir allen Fraktionen, den Grünen und auch der FDP-Fraktion, ausdrücklich an, dieses Gesetz vom Verfassungsgericht überprüfen zu lassen. Ich glaube, es wird vor unseren Grundrechten keinen Bestand haben. (Beifall PIRATEN - Angelika Beer [PIRATEN]: Das fordert Amnesty auch!)
Karenzzeiten
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Nach einer Umfrage im Auftrag der EU-Kommission kritisieren in keinem anderen Land Europas wie in Deutschland so viele Menschen einen übermäßigen Einfluss der Wirtschaft auf die Politik. Den Menschen drängt sich leider zunehmend der Eindruck auf: Wer Geld hat, kann sich politischen Einfluss erkaufen - durch bezahlte Lobbyisten, durch Parteispenden, durch Sponsoring von Parteitagen, durch Nebenbeschäftigung von Abgeordneten oder indem sogar ganze Gesetzentwürfe vorgefertigt werden. Wir PIRATEN haben bereits eine Initiative zur Veröffentlichung wirtschaftlicher Interessen von Abgeordneten und einen Antrag zur Offenlegung von Gesetzgebungsoutsourcing gestellt. Beide Initiativen sind von den Koalitionsfraktionen bisher leider verschleppt worden. Besonders virulent aber ist die Gefahr von Interessenkonflikten, wenn Spitzenpolitiker für viel Geld in Wirtschaftskonzerne überwechseln, die sie zuvor im Interesse der Allgemeinheit regulieren sollten. So etwa der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der sich als Bundeskanzler für eine Ostseepipeline starkmachte und dann zu Gazprom wechselte, oder der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der als Bundesinnenminister die Zwangserhebung biometrischer Merkmale in Pässen forcierte und dann in der Biometriebranche wirtschaftlich aktiv war. Der vielleicht krasseste Fall ist jetzt der ehemalige Innenminister von Schleswig-Holstein, Herr Breitner, der zunächst für den Wohnungsbau zuständig war und jetzt in einen Verband der Wohnungswirtschaft wechseln will. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Klug? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Herr Kollege Breyer, würden Sie den Wechsel früherer Minister in Bereiche im öffentlichen Dienst, für die sie vorher in ihrem Ministeramt selber zuständig gewesen sind, gleichgewichten mit einem Wechsel in die Privatwirtschaft? - Können Sie ein Beispiel dafür nennen? - Wenn der Wechsel in eine öffentlich-rechtliche Institution, beispielsweise vom Wissenschaftsminister in das Amt eines Universitätspräsidenten erfolgt. Das hat es in der Vergangenheit in anderen Bundesländern gegeben. - Herr Kollege Dr. Klug, wenn Sie unseren Gesetzentwurf gelesen haben, werden Sie festgestellt haben, dass wir auch dafür eintreten, dass Verträge von Ministern offengelegt werden, die vorsehen, dass nach ihrer Amtszeit eine andere Beschäftigung fortgesetzt wird. Es kann wie bei der ehemaligen Wissenschaftsministerin durchaus der Fall sein, dass man ein Rückkehrrecht vereinbart hat. Auch das kann Interessenverflechtungen oder Interessenkollisionen begründen und sollte deswegen offengelegt werden. Dass Minister und Staatssekretäre im Moment nahtlos die Seiten wechseln und sozusagen für Lobbyismus im Amt noch fürstlich belohnt werden können, gefährdet das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit und Gemeinwohlorientierung ihrer Amtsführung noch während der Amtszeit. Deswegen muss die Drehtür zwischen Politik und Wirtschaft blockiert werden. Unser Gesetzentwurf zur Einführung einer Karenzzeit soll deswegen ein dreijähriges Verbot von Ministerwechsel in die Privatwirtschaft einführen, von dem nur der Landtag als unabhängige Stelle in einem transparenten Verfahren Ausnahmen beschließen kann. (Unruhe) Über das üppige Übergangsgeld sind die Minister ohnehin mehr als gut abgesichert. Herr Kollege Kubicki, der Schutz des Vertrauens in die Demokratie und in die Integrität ihrer Amtsführung muss uns an dieser Stelle auch etwas wert sein. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) Unser Gesetzentwurf verhindert außerdem, dass sich Staatssekretäre von der bestehenden Karenzzeitregelung, die es jetzt schon gibt, durch Verzicht auf Ansprüche freikaufen können. Vor allem sollen Minister nach unserem Gesetzentwurf endlich auch Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 71. Sitzung - Donnerstag, 9. Oktober 2014 5801 (Vizepräsidentin Marlies Fritzen) öffentlich Rechenschaft über ihre wirtschaftlichen Interessen in Form von Nebentätigkeiten, von Kapitalbeteiligungen, von Nachfolgetätigkeiten oder Rückkehrrechten abzulegen haben, wie sie etwa im Fall Wende der Öffentlichkeit lange Zeit verschwiegen worden sind. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung nicht des Abgeordneten Kubicki, sondern des Abgeordneten Lars Harms? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das tue ich. Lars Harms [SSW]: Herr Kollege Breyer, ich möchte gern eine Erklärung von Ihnen haben. Da das Ministergesetz vorsieht, dass das Übergangsgeld nur für zwei Jahre gezahlt wird, und Ihr Gesetzentwurf vorsieht, dass man als Exminister drei Jahre lang nicht mehr arbeiten gehen darf, können Sie mir sagen, wovon ein Minister im verbleibenden dritten Jahr leben soll? Soll er Sozialhilfe beantragen, oder was soll er dann machen? (Unruhe) - Herr Kollege Lars Harms, wenn Sie unseren Gesetzentwurf durchgelesen haben, werden Sie feststellen, dass es uns um die Vermeidung von Interessenkollisionen geht. Das heißt, jeder Minister hat die freie Wahl, was er nach dem Ende seiner Amtszeit tun möchte, es sei denn, er will genau in die Branche wechseln, in der er vorher im öffentlichen Auftrag tätig gewesen ist. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) Das heißt, jeder Minister kann frei in die Wirtschaft wechseln, kann selbstständig tätig werden, völlig unbenommen. Nach unserem Gesetzentwurf entscheidet der Landtag darüber, ob durch die beabsichtigte Nachfolgetätigkeit eine Interessenkollision auftritt oder nicht. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Abgeordneten Harms? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Lars Harms [SSW]: Das heißt im konkreten Fall, dass einem Arzt, der an einem privaten Klinikum beschäftigt ist und danach Gesundheitsminister wird, die Arbeit an seinem ehemaligen privaten Klinikum verboten und ihm damit seine Existenzgrundlage entzogen wird, jedenfalls zumindest für ein Jahr? - Jede Person, die ein Ministeramt übernimmt und hier auch schwört - wie gestern -, es im öffentlichen Interesse zum Wohl der Allgemeinheit auszuüben, (Lars Harms [SSW]: Das macht er sowieso!) weiß nach unserem Gesetzentwurf, dass sie sich darauf einlässt, in diesem Bereich innerhalb von drei Jahren nach dem Ende der Amtszeit nicht tätig werden zu können. (Lars Harms [SSW]: Hartz IV!) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Bemerkung? (Zurufe - Unruhe) - Kolleginnen und Kollegen, hey! (Heiterkeit) Es gibt diverse Möglichkeiten, sich ordnungsgemäß zu Wort zu melden und eine Zwischenfrage zu stellen oder -bemerkung machen zu können. Es ist schwierig, wenn dann von den Plätzen selbst auch noch dauernd dazwischengeredet wird. Deshalb möchte ich Sie bitten, von diesen Möglichkeiten, die wir vereinbart haben, Gebrauch zu machen. Ich frage den Abgeordneten Breyer, ob er eine Bemerkung oder Zwischenfrage des Abgeordneten Habersaat gestattet. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Dann hat Herr Habersaat jetzt das Wort. Martin Habersaat [SPD]: Herr Kollege, es kommt ja nicht selten vor, dass Ministerinnen und Minister aufgrund der Qualifikation, die sie in einem bestimmten Bereich haben, für dieses Ministeramt ausgewählt werden. (Beifall SSW und Wolfgang Kubicki [FDP]) Nun bieten sich ja für eine Anschlussverwendung in erster Linie Berufe an, die sich auch auf diese Qualifikation beziehen. Was Sie vereinfacht sagen, ist ja: Taxifahren ist in 5802 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 71. Sitzung - Donnerstag, 9. Oktober 2014 (Dr. Patrick Breyer) Ordnung - außer vielleicht für den Verkehrsminister, der für Verkehr zuständig war -, aber ein Einsatz eines Ministers in dem Bereich, für den er qualifiziert ist und wegen der Qualifikation er vielleicht auch das Ministeramt übertragen bekommen hat, scheidet per se aus. Verstehe ich das richtig? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Herr Kollege Habersaat, selbstverständlich entscheidet der Ministerpräsident über sein Kabinett und wen er in das Kabinett beruft. Das sollten Leute mit Sachverstand sein, aber es sollten keine Lobbyisten sein. Ihnen ist vielleicht bekannt, dass im Moment, wo es um die Besetzung der neuen EUKommission geht, im Europäischen Parlament äußerst kontrovers debattiert wird, dass eine Person Finanzkommissar werden soll, die vorher im Banken- und Finanzbereich sozusagen als Lobbyist aktiv gewesen ist, und dass auch Kollegen von Ihrer Fraktion - sozialdemokratische Mitglieder des Europäischen Parlaments - das sehr stark kritisieren und thematisieren. Das heißt, diese Drehtür ist problematisch. Nach unserem Gesetzentwurf soll auf dem Weg hinaus der Landtag entscheiden, ob ein Interessenkonflikt zu befürchten ist oder nicht. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Nun gibt es die Bitte um eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Heiner Garg. Ich frage Sie, ob Sie diese zulassen. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Garg, Sie haben das Wort. Dr. Heiner Garg [FDP]: Vielen Dank, Herr Kollege Breyer. Da es mich vermutlich nicht mehr betrifft, will ich Sie fragen, ob Sie das wirklich ernst meinen, was Sie in Ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben. Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Ja. - Ich mache seit 25 Jahren Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik, durfte auch mal Gesundheitsminister dieses Landes sein. Wollen Sie ernsthaft beispielsweise der Fleischindustrie zumuten, dass ich mich im Zweifel dort betätige oder in einem Bereich, wo ich mich zugegebenerweise nicht so gut auskenne? (Zuruf Wolfgang Baasch [SPD] - Weitere Zurufe - Heiterkeit) - Herr Kollege Heiner Garg, ich würde niemandem Ihre Mitarbeit zumuten wollen. Aber ganz unabhängig davon: Ich glaube, es ist klar, was die Intention dieses Gesetzentwurfs ist, nämlich Interessenkonflikte auszuschließen. Wenn jetzt, wie im Fall des ehemaligen Ministers Andreas Breitner, den Sie wohl hoffentlich auch nicht für unproblematisch halten, (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) wenn ein Minister, der für Wohnungsbau zuständig ist, gleichzeitig Verhandlungen mit einem Verband über seine eigene berufliche Zukunft während seiner Amtszeit und während er dieses Thema Wohnungswirtschaft auch in öffentlichen Reden behandelt, führt, halten Sie das für unproblematisch? - Ich glaube, dass niemand in diesem Hause das wollen kann. Deswegen begrüße ich auch ganz ausdrücklich, dass der Vorsitzende der SPD-Fraktion schon angekündigt hat, dass man im Bereich Karenzzeit tätig werden will. (Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP]) Allerdings möchte ich Sie, Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, auch davor warnen, diesen Kompromiss aus Hamburg zu übernehmen, denn dieser sogenannte Kompromiss sieht eigentlich überhaupt keine Karenzzeit vor, er sieht erst einmal nur eine Anzeigepflicht vor. Eine Karenzzeit ist das gar nicht. Ob ein Interessenkonflikt vorliegt, soll in Hamburg gar nicht unabhängig entschieden werden, sondern durch die Regierung selbst. Die ist aber keine unabhängige Stelle. Wenn Sie sich die Modelle von Transparency oder anderen Nichtregierungsorganisationen ansehen, stellen Sie fest, dass diese durchaus eine Entscheidung durch eine unabhängige Stelle fordern, sei es eine Ethikkommission (Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Volksabstimmung!) oder sei es der Landtag, wie es in unserem Entwurf vorgesehen ist, um Bürokratie nicht weiter aufzubauen. Im Übrigen fehlt in Hamburg jede Regelung zu Staatssekretären. Die können durch Aufgabe ihrer Ansprüche jederzeit weiter wechseln. Wir müssen es in Schleswig-Holstein besser machen. Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 71. Sitzung - Donnerstag, 9. Oktober 2014 5803 (Vizepräsidentin Marlies Fritzen) (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kann jeder Beamte!) Vizepräsidentin Marlies Fritzen: Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Abgeordneten Eichstädt? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Das tue ich. Peter Eichstädt [SPD]: Herr Breyer, vielleicht darf ich Sie daran erinnern, dass es in Hamburg ein gestuftes Verfahren gibt. Einmal ist es ohnehin so, dass angezeigt werden muss und dass dann zunächst der Senat entscheidet, ob es einen Interessenkonflikt gibt, und dass dann im zweiten Gang, wenn es eine Empfehlung gibt und gesagt wird, es liegt eine Kollision vor und es soll eine Karenzzeit bis zu zwei Jahren in dem Fall geben, die Bürgerschaft entscheidet. - Sie beschreiben das Verfahren komplett richtig, Herr Kollege Eichstädt. (Peter Eichstädt [SPD]: Danke! - Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD]) Das Problem an dem Verfahren ist nur: Das ist keine Karenzzeit. Es gibt keine Regelung, dass erst einmal solche Tätigkeiten in der Privatwirtschaft ausgeschlossen sind, außer wenn festgestellt wird, dass ein Interessenkonflikt vorliegt. Ich glaube, dass gerade, wenn es um Wechsel im eigenen Zuständigkeitsbereich geht, das grundsätzlich ausgeschlossen werden muss. Deswegen ist unser Vorschlag wie gesagt: ganz klare Karenzzeit mit Befreiungsvorbehalt. Sehen Sie sich an, was in der freien Wirtschaft üblich ist, wenn da Manager eingestellt werden, was die in ihren Verträgen stehen haben: Da darf auch keiner nach dem Ende der Tätigkeit einfach zu dem Konkurrenzunternehmen wechseln. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Das muss auch nicht bezahlt werden!) - Das wird bei den Ministern auch ordentlich bezahlt. (Wolfgang Kubicki [FDP]: Gerade nicht!) Herr Kollege, ich glaube, die Frage ist beantwortet. Es darf jedenfalls nicht bei einer Empörung über die Rücktritte der Minister Wende und Breitner bleiben, sondern wir müssen solchen Fällen in Zukunft wirksam einen Riegel vorschieben. (Beifall Wolfgang Dudda [PIRATEN] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen haben wir PIRATEN einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und besonders die Anhörung von Sachverständigen, um ihn gern noch zu verbessern. Für uns PIRATEN steht fest: Es darf keinen Ausverkauf politischen Einflusses an den Meistbietenden geben. Es gilt, die Vorherrschaft der Demokratie über wirtschaftliche Interessen zu verteidigen. Ich glaube, die geringe Beteiligung an den letzten Wahlen hat gerade wieder deutlich gemacht, dass das Vertrauen der Bürger in unsere Demokratie dringend gestärkt werden muss. Dafür brauchen wir klare Regeln und volle Transparenz, wie es unser Gesetzentwurf vorsieht. Ich bitte um Ihre Unterstützung. (Beifall PIRATEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Dafür brauchen Sie Minister, die keine Ahnung haben!)
Jugendarrest/Justizvollzug
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Chor der Einmütigkeit kommt mir nun die Aufgabe zu, eine andere Stimme zu singen. Wenn wir uns fragen, ob dieses Gesetz zum Vollzug des Jugendarrests gut ist, stellt sich natürlich zuerst die Frage: Ist Jugendarrest als solcher gut, und macht er Sinn? Keine Frage: Jugendkriminalität ist ein ernstes gesellschaftliches Problem und eine Herausforderung in unserer Gesellschaft. Gerade deswegen aber dürfen wir uns nicht von Rachedurst leiten lassen, sondern von der Frage: Welches ist das wirksamste Mittel dagegen? Sicherlich, Opfer von Straftaten werden oft eine harte Strafe verlangen. Aber ich glaube, auch die Opfer wären noch mehr daran interessiert, dass diese Straftat erst gar nicht begangen worden wäre. Deswegen müssen wir unser Augenmerk darauf lenken: Was gewährleistet die Sicherheit am besten? Insoweit, muss ich sagen, ist der Jugendarrest ein kaum geeignetes Mittel. 70 % derjenigen, gegen die Jugendarrest vollstreckt worden ist, werden wieder straffällig. Selbst bei Jugendstrafe ohne Bewährung sind es nur wenig mehr, während bei Jugendstrafe mit Bewährung weniger, nämlich nur 60 %, wieder straffällig werden. Bei ambulanten Sanktionen, wie zum Beispiel sozialem Training Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 75. Sitzung - Freitag, 14. November 2014 6205 (Burkhard Peters) oder Täter-Opfer-Ausgleich, werden sogar nur 32 % rückfällig. Das heißt, nicht zu strafen erhöht in diesem Bereich unsere Sicherheit. Im Übrigen ist der Jugendarrest auch außerordentlich teuer. Wenn wir uns überlegen, wie viel Geld für jeden Arrestplatz anfällt, muss man ehrlich sagen: Dieses Geld wäre in sozialer Prävention und in unsere Sicherheit sehr viel besser investiert. Kein Geringerer als die Jugendstrafrechtsreformkommission hat ausdrücklich festgehalten - ich zitiere -: „dass die Alltagstheorie von der Abschreckung durch den kurzen Freiheitsentzug nicht der Wirklichkeit entspricht.“ Ein weiteres Zitat aus dem Kommissionsbericht zum Thema Jugendarrest: „Sie misst ihm keine positive pädagogische Wirkung zu.“ Sie fordert eine Abschaffung des kürzeren Freiheitsarrestes. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund war doch unsere Aufgabenstellung bei dem Jugendarrestvollzugsgesetz, den Jugendarrest möglichst so wie eine ambulante Maßnahme zu gestalten und die Jugendlichen möglichst wenig aus ihrem Lebensumfeld herauszureißen. Daran gemessen ist der Gesetzentwurf nicht gelungen. Präsident Klaus Schlie: Herr Abgeordneter Dr. Breyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Peters? Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]: Gern. Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Lieber Herr Kollege Dr. Breyer, was machen wir denn, wenn weiterhin unabhängige Gerichte in Schleswig-Holstein Jugendarrest verhängen? Was sollen wir denn dann mit denen machen, wenn Sie hier sagen, wir sollen das abschaffen? - Lieber Burkhard Peters, Sie sind aufgestanden, bevor ich meinen letzten Satz sagen konnte. Darin habe ich die Antwort schon vorweggenommen. Natürlich sind wir bundesrechtlich dazu gezwungen, ein Jugendarrestvollzugsgesetz überhaupt auf den Weg zu bringen. Aber die Aufgabe war eben vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse zu lösen: Wenn wir es schon machen müssen, dann müssen wir den Jugendarrest möglichst so ausgestalten, dass er nach Möglichkeit nicht wie ein Arrest, sondern eher wie eine ambulante Maßnahme gestaltet wird, die möglichst wenig in das Lebensumfeld des betreffenden Jugendlichen eingreift. Das ist in diesem Gesetzentwurf nicht gelungen. Warum das so ist, erläutere ich sogleich. Sicherlich ist auch in diesem Gesetzentwurf das Bemühen um einen aufgeklärten und progressiven Vollzug erkennbar. Das will ich gar nicht bestreiten. Wir wissen auch, dass das Land Alternativen zum Beispiel zur Jugendstrafe mit modernen Mitteln fördert. Das ist ausdrücklich anzuerkennen. Wenn es aber in diesem Gesetzentwurf um den Kern des Gewaltverhältnisses zwischen Arrestanten und der Anstalt geht, dann ziehen Sie wirklich das volle Register, das volle Arsenal von Grundrechtseingriffen, die wir eigentlich nur aus dem Strafvollzug - im Volksmund „Gefängnis“ - kennen. Herr Kollege Rother, da können Besuche videoüberwacht werden, da können Telefongespräche mitgehört werden, da kann Post geöffnet werden, da werden Durchsuchungen weitreichend autorisiert. Das geht bis hin zum Einsatz von Hiebwaffen in einem bloßen kurzen Arrest. Insoweit kritisieren nicht nur wir das, sondern unter anderem auch der Richterverband, Professor Walkenhorst von der Universität Köln oder auch die Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen. Alle diese Institutionen oder Personen haben das Ausmaß dieser Grundrechtseingriffe kritisiert. Sie werden in ihrem Ausmaß eben auch nicht der Erkenntnis gerecht, dass wir den Arrest möglichst so gestalten müssten, wie wenn wir die Jugendlichen in ihrem Umfeld belassen würden. Das gelingt diesem Gesetzentwurf nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch etwas allgemeiner Folgendes sagen: Beim Jugendstrafrecht sehen wir exemplarisch die große Bedeutung von sozialer Präventionsarbeit gerade für die Sicherheit der Menschen. Deshalb fordern wir PIRATEN auch eine Kriminalpräventionsstrategie des Landes durch umfassende Förderung von Präventionsmaßnahmen und Projekten, deren Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen ist. Denn nur so kann den eigentlichen Ursachen von Kriminalität entgegengewirkt werden. Es wäre falsch, wenn wir bei den sozialen Maßnahmen weiterhin den Rotstift ansetzen würden und wenn am Ende vielleicht nur noch für Polizei und 6206 Schleswig-Holsteinischer Landtag (18. WP) - 75. Sitzung - Freitag, 14. November 2014 (Dr. Patrick Breyer) Gefängnis Geld vorhanden wäre. Der richtige Weg besteht darin, auf wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeit zu setzen. Weil wir dafür natürlich auch die öffentliche Unterstützung brauchen - das Problem sehe ich durchaus -, wollen wir PIRATEN ein Programm zur Stärkung des Sicherheitsbewusstseins, um zur sachlichen Information der Öffentlichkeit über Kriminalität beizutragen, über ihre Ursachen und über Reaktionsmöglichkeiten, die funktionieren oder auch nicht. Kriminalität ist eine zu wichtige Herausforderung an unsere Gesellschaft, als dass wir nach Bauchgefühl oder gar auf „Bild“-Zeitungs- oder Stammtischniveau darüber diskutieren dürfen. Aufklärung und Vorbeugung schaffen Sicherheit, nicht Überwachung und Wegsperren. - Vielen Dank. (Beifall PIRATEN)