SH:Aufgaben/Presse/PU20111216-01
Repressionsfreie Drogenpolitik - Die Antragsteller im Gespräch
Der Beschluss zur Sucht- und Drogenpolitik auf dem Bundesparteitag in Offenbach hat einige Diskussionen verursacht. In einem Interview mit den beiden Antragstellern wird noch einmal aufgearbeitet, worum es eigentlich geht und was Ziel des Antrages ist.
Simon: Hallo Andreas, Hallo Benny, Danke für euer Kommen.
Benny: Hallo Simon. Vielen Dank für die Einladung.
Simon: Habt ihr mitbekommen, dass die angenommenen Anträge ziemlichen Wirbel in der deutschen Politik- und Presselandschaft ausgelöst haben?
Benny: Was ich mitbekommen habe, ist, dass die Beschlüsse erwähnt und teilweise auch falsch wieder gegeben wurden.
Andi: Natürlich habe ich nach dem Bundesparteitag eine ausführliche Medienschau gemacht. Aber wie schon nach dem fast textgleichen Beschluss der NRW-Piraten vor zwei Wochen konnte ich auch diesmal fast nur relativ neutrale Berichterstattung finden. Über kleine Ungenauigkeiten, gezieltes Missverstehen weniger konservativer Medien, oder fachlich völlig ungeeignetem CSU-Personal sehe ich gerne hinweg.
Simon: Inwiefern wurden die Programmanträge falsch wiedergegeben?
Benny: Nun, ein Nachrichtensender hat getickert: „Piraten wollen Drogenkonsum freigeben“. Allerdings ist der Drogenkonsum bereits jetzt in Deutschland nicht wirklich verboten, sondern nur der Besitz.
Andi: An manchen Stellen wurde mir der Fokus zu sehr auf „harte“ Drogen gelenkt oder allgemein nur von völligen Freigaben gesprochen, ohne dabei unsere Positionen zu Prävention und Jugendschutz zu erwähnen. Das Ganze funktioniert aber nur im Paket. Das Herausgreifen von Einzelsätzen aus dem Antrag führt dann natürlich leicht zu Fehlinterpretationen.
Simon: Wieso habt ihr in euren Anträgen die Freigabe aller Drogen gefordert und nicht nur zum Beispiel von Marihuana?
Benny: Weil bei allen Genussmitteln Suchtgefahr besteht. Durch die Freigabe hat man die Möglichkeit, den Absatz und die Qualität zu kontrollieren, den Schwarzmarkt einzudämmen, die Beschaffungs- und die organisierte Kriminalität effektiver zu bekämpfen als jetzt. Wenn es einen legalen Markt gibt, können Risikokonsumenten außerdem einen niedrigschwelligen Zugang zu Hilfsangeboten erhalten.
Andi: Da möchte ich einen bewährten Satz bemühen: „Es gibt keine gefährlichen Drogen, es gibt nur gefährliche Konsummuster.“ Dennoch wollen wir keine Gleichmacherei betreiben, denn unterschiedliche Stoffe bringen durchaus auch unterschiedliche Anforderungen bei der Art der Handhabung mit sich. „Freigabe“ ist hierbei nicht die beste Wortwahl, denn es geht uns ja darum, legale Erwebsstrukturen zu erhalten, die durchaus zum Beispiel Alterseinschränkungen beinhalten können.
Simon: In Portugal sind ja seit 2001 alle Drogen erlaubt bzw. ist ihr Besitz bis zu einer gewissen Menge nicht mehr strafbar. Glaubt ihr, die positiven Entwicklungen, die dort eingetreten sind, würden sich auch in Deutschland einstellen?
Benny: Davon bin ich sogar überzeugt. Wenn man den Menschen vor dem ersten Kontakt zu Genussmitteln aller Art das notwendige Wissen vermittelt, werden sie eigenverantwortlich und selbstbestimmt konsumieren, oder eben nicht. Gibt es einen legalen Drogenmarkt, dann kann man mit dem sogenannten „Drug Checking“ die Qualität kontrollieren, wie zum Beispiel mit dem Reinheitsgebot. Auf einem illegalen Markt ist das natürlich nicht möglich und auch ein Grund für zu viele Drogentote.
Andi: Unbedingt. Es gibt eigentlich kein Beispiel weltweit, bei dem genau das nicht funktioniert hätte. Ob im Kleinen, wie gerade mit der kommunalen Cannabislegalisierung in Kopenhagen geschehen, in den alterfahrenen Niederlanden, in der Tschechei oder auch im Musterland Portugal. Nie dauert es lange, bis sich unübersehbar positive Effekte zeigen. Und auf der Gegenseite beweisen uns Länder, die eine noch stärkere Prohibition als Deutschland praktizieren, ein um's andere Mal, dass ihr Weg stets nur zu noch mehr Elend, sozialem und gesundheitlichem Absturz, Straßenkriminalität und einem bestens verdienenden organisierten Verbrechen führt. Mir ist kein einziges Beispiel dafür bekannt, dass es durch verstärkte Prohibition irgendwo auf der Welt weniger Konsumenten gab. Russland, Indonesien und auch die USA sind hier gute Beispiele dafür, dass man so nur unnötig die Gefängnisse überfüllt, Existenzen zerstört und den Kartellen die Millarden sichert. Die Drogenkriege in Mexiko, bei denen jährlich eine fünfstellige Anzahl Menschen getötet wird, sollten der Welt eigentlich eine deutliche Mahnung sein.
Simon: Welche Gründe gab es für euch, sich in der AG Drogen bzw. IG Suchtpolitik zu betätigen?
Benny: Neben dem Interesse an der Thematik ist es vor allem meine Überzeugung, dass die bisherige repressive Drogenpolitik gescheitert ist. Ich glaube, dass wir durch eine pragmatische Suchtpolitik mehr bewirken können. Es kann auch nicht sein, dass Drogen wie Alkohol und Nikotin erlaubt sind, Drogen die weniger Schaden anrichten aber nicht. Außerdem weiß ich, dass Aufklärung besser als Strafe ist. Daher muss jetzt endlich ein Paradigmenwechsel stattfinden.
Andi: Bei mir ist es vor allem das über 25 Jahre immer stärker gewordene Ungerechtigkeitsgefühl, das Festhalten unserer Volksvertreter an einer nachweislich nicht funktionierenden Politik und die Tatsache, dass hier sämtliche zukunftsweisenden Erkenntnisse - selbst in Studien der Ministerien - hartnäckig ignoriert werden. Je mehr man sich mit dem Thema auseinander setzt, desto deutlicher werden einem auch die Missstände bei Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechten durch die Prohibition. Keine andere deutsche Partei wagte es bisher, in dieser Thematik wirklich andere Wege einzuschlagen. Ich glaube, dass nun nach vielen politisch enttäuschenden Jahren die Zeit gekommen ist, es anzupacken – und zwar diesmal richtig. Das Wissen dazu habe ich mir als Autodidakt über fast zwei Jahrzehnte angeeignet.
Simon: Also Therapie statt Strafe?
Benny: Genau, das ist Teil unseres Ansatzes. Dafür benötigen wir ein flächendeckendes Netz an Beratungs- und Hilfseinrichtungen, das nicht nur die größte Not lindert, sondern auch betroffene Angehörige und Co-Abhängige miteinbeziehen kann. Das ist immens wichtig für den positiven Verlauf einer Therapie.
Andi: Ja, sehr richtig. Das beschreibt der Abschnitt „Helfen und Leiten statt Strafen“ unseres neuen Programms. Nur ein gewisser Anteil der Konsumenten verfällt in kritische Konsummuster und braucht dann Hilfe. Die wollen wir umfangreich gewährleisten. Und durchlaufene Präventionskonzepte sollen bewirken, dass möglichst wenige Konsumenten überhaupt in diese Lage kommen.
Simon: Konsumiert ihr selbst Drogen?
Benny: Jeder Mensch konsumiert Drogen, Koffein ist zum Beispiel sehr beliebt bei den Piraten. Wenn man das so auslegt, dann konsumiere ich natürlich eine Droge.
Andi: Ja, wie fast jeder Bundesbürger.
Simon: Ging es auch darum, eine Legalisierung eures eigenen Drogenkonsums zu erreichen?
Benny: Nein, darum geht es uns bestimmt nicht. Wir sind davon überzeugt, dass wir durch eine vernünftige, frühestmögliche Aufklärungs- und Präventionsarbeit von Kindesbeinen an mehr erreichen als durch Prohibiton.
Andi: Nein, auch mir geht es darum überhaupt nicht. Soweit es mich selbst betrifft, bewege ich mich auch heute schon im legalen Bereich. Den einen oder anderen Mitwirkenden wird aber sicher ein persönlicher Hintergrund an das Thema gebracht haben. Erst durch die Arbeit daran stellt man auch wirklich fest, dass viel größere Bevölkerungsteile von unserer derzeitigen verfehlten Drogenpolitik betroffen sind, als man oberflächlich betrachtet glauben könnte. Das reicht vom Kleinkind bis zum Senior.
Simon: Wo soll man die Drogen dann kaufen können?
Benny: Hier gibt es unterschiedliche Absatzmodelle, wir werden bis zum nächsten Parteitag sicherlich verschiedene Modelle ausarbeiten. In Spanien gibt es sogenannte „Cannabis Social Clubs“, in denen Marihuana konsumiert werden darf und in Holland die „Coffeeshops“. Bei Drogen mit höherem Gefährdungspotential tendiere ich zum Modell der Drogenfachgeschäfte. Jeder Substanz muss dann auch ein Beipackzettel mit Inhaltsangaben beiliegen, um den Verbraucher besser zu informieren und zu schützen. Apotheken wären auch eine Möglichkeit, jedenfalls würde ich sagen, dass geschultes Fachpersonal nötig ist. Dort könnte man auch hochprozentigen Alkohol verkaufen und den Konsumenten ebenfalls über dessen Risiken aufklären.
Andi: Ich kann mich hier Benny weitgehend anschließen. Es gibt für verschiedene Stoffgruppen auch unterschiedliche Modelle. Auch mir sind zum Beispiel die spanischen „Cannabis Social Clubs“ sehr sympatisch, da sie von der Produktion bis zum Konsum einen ganz pragmatischen Kreis bilden. Bei den niederländischen „Coffeeshops“ funktioniert zwar die Entkriminalisierung des Endkonsumenten gut, jedoch bleibt dort das organisierte Verbrechen dennoch Lieferant der Shops. Wir sollten in Deutschland besser diesen Weg auch bis zum Ende gehen, um das Kernproblem zu eleminieren. Die Mafia kennt eben keinen Jugend- oder Verbraucherschutz. Und Steuern zahlen sie schon garnicht,noch tragen sie auch nur das Geringste zum Gesundheitswesen bei. Bei stark suchtgefährdenden Stoffgruppen würde auch ich zu einer Art Apothekensystem tendieren. Wichtig ist mir dabei, dass Vertriebswege und Verkauf in ein Umfeld kommen, dass unsere Grundansprüche wie Jugendschutz, Verbraucherschutz, Konsumentenberatung und Information gewährleisten kann.
Simon: Ab welchem Alter soll der Drogenkauf erlaubt sein?
Benny: Das ist eine schwierige Frage, da Kinder so etwas wie Konsum erst einmal erlernen müssen. Bei Alkohol ist es ja so, dass Kinder damit meist das erste Mal in der Familie in Berührung kommen und dort auch sehen, dass ein paar Bier auch ein paar Bier zu viel sein können. Daher würde ich persönlich hochprozentigen Alkohol und Drogen mit hohem Suchtpotential erst ab einem Alter von 21 Jahren freigeben. Das ist aber nur meine persönliche Meinung, die Altersgrenze müssen wir erst noch in der Partei diskutieren.
Andi: Meine Idealvorstellung ist es, durch fortlaufende Schulungs- und Präventionsarbeit über die ganze Schullaufbahn hinweg dahin zu kommen, dass mündige und selbstbestimmte junge Erwachsene dann vielleicht mit 18 das erste Mal offiziell etwas konsumieren dürfen, dann aber bereits sehr genau wissen, was sie tun. Auch eine weitere Abstufung bei gefährlicheren Substanzen, die dann erst mit 21 erworben und konsumiert werden dürfen, kann ich mir vorstellen. Diese Frage wird aktuell heiß diskutiert, denn hier begibt man sich schnell auf eine Gratwanderung zwischen dem Jugendschutz und der Tatsache, dass man so ganz ohne Praxis viel schwerer persönliche Kompetenz im Umgang mit psychoaktiven Stoffen vermitteln kann. So ist die Klärung dieser Frage wohl eine der größten Herausforderungen für eine neue Drogenpolitik.
Simon: Vielen Dank für das interessante Interview und eure Zeit.
Das Interview führte Simon Engel für die Piratenpartei Deutschland mit
Benjamin Meyer (Benny), Alter: 35, Systemadministrator, Berlin - gebürtiger Franke
Andreas Rohde (Andi), Alter: 43, Elektrotechniker/Handwerksbetrieb, Wesel (NRW)
Quelle: Homepage der Piratenpartei Deutschland