Rechtliche Grundlagen von Piratenstreaming
Bild- und Tonaufnahmen aus kommunalen [1] Vertretungen (Gemeindevertretung, Kreistag, Amtsausschuss, Verbandsversammlung = untechnisch auch Kommunalparlament) bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeitsgrundsatz und Funktionsfähigkeit des Vertretungsorgans [2]. Der Grundsatz der Öffentlichkeit folgt aus dem Demokratieprinzip. Öffentlichkeit wird traditionell als Saalöffentlichkeit verstanden, das heißt der Zugang zur (öffentlichen) Sitzung ist im Rahmen der Kapazität einschränkungslos jedermann zu gewähren. Eine Erweiterung der Öffentlichkeit auf die Medienöffentlichkeit, also die Aufzeichnung von Bild und Ton durch Medien, ist eine neuere Tendenz.
Dagegen wird eingewandt, dass Medienöffentlichkeit die Funktionsfähigkeit der Vertreterversammlung beeinträchtige [3]. Das Recht auf freie Rede werde eingeschränkt, weil sich weniger redegewandte Abgeordnete angesichts von Übertragung und Aufzeichnung gehemmt fühlen könnten. Andere Abgeordnete könnten sich zu besonderer Polarisierung herausgefordert fühlen. Letztlich richte sich Medienöffentlichkeit damit gegen das Ehrenamt und begünstige eine Professionalisierung der kommunalen Selbstverwaltung.
Für die Medienöffentlichkeit streiten das Grundrecht der Rundfunkfreiheit sowie das gewandelte Informationsbedürfnis und -verhalten der Gesellschaft. Zudem ist gerade bei überörtlichen Körperschaften wie einem Großkreis einzustellen, dass die Anreise zu Kreistagssitzungen für Zuschauer einen erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand darstellt und die Saalöffentlichkeit damit zunehmend erschwert wird.
Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat diesen Konflikt in der Kommunalverfassung [4] aufgelöst. Danach sind in öffentlichen Sitzungen der Gemeindevertretung (§ 29 Absatz 5 Satz 4), des Kreistages (§ 107 Absatz 5 Satz 4), des Amtsausschusses (§ 135) und der Verbandsversammlung (§ 154) Film- und Tonaufnahmen durch die Medien zulässig, soweit dem nicht ein Viertel aller Mitglieder der Vertretung in geheimer Abstimmung widerspricht [5].
Zählt das Piraten-Streaming zu den Medien in diesem Sinne?
Es kann davon ausgegangen werden, dass Medien in diesem Sinne jedenfalls alle Tätigkeiten sind, die der Rundfunkfreiheit unterfallen. Als Rundfunk im Sinne von Artikel 5 Grundgesetz wird die Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art für einen unbestimmten Personenkreis (allgemeine Zugänglichkeit) verstanden, wobei Online-Medien der Rundfunkfreiheit und nicht der Pressefreiheit zuzuordnen sind [6]. Das Rundfunkrecht unterliegt einem Landesparlamentsvorbehalt. Es ist ein freiheitssicherndes Organisationsgesetz erforderlich. Telemedien nach dem Telemediengesetz rechnen verfassungsrechtlich zum Rundfunk [7]. Weblogs werden nach allgemeiner Auffassung vom Telemediengesetz erfasst. Dass hier eine politische Partei als Betreiber auftritt, ist rechtlich unerheblich. Auch Parteien können sich auf die Rundfunkfreiheit berufen [8].
Nachweise
[1] Für den Landtag als Staatsorgan gelten eigene Regeln. § 15 Abs. 2 Hausordnung des Landtages Mecklenburg-Vorpommern bestimmt, dass Geräte zur Aufzeichnung, Übermittlung, Übertragung oder Wiedergabe von Bild und Ton sowie PC-Technik (sic!) im Plenarsaal nur mit Genehmigung der Präsidentin des Landtages benutzt werden dürfen. Andererseits kommt der Landtag dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit selbst nach, indem er die Plenarsitzungen überträgt.
[2] Eine gute Zusammenfassung der allgemeinen Grundsätze findet sich bei Wohlfarth, LKRZ 2011, 130 ff.
[3] Persönlichkeitsrechte der Abgeordneten spielen hier keine Rolle. Die Abgeordneten nehmen aufgrund eigener Willensentscheidung ein öffentliches Amt wahr.
[5] Interessant ist dazu die Gesetzesbegründung (Landtagsdrucksache 5/4173, S. 133): »Durch die Neuregelung zur Zulässigkeit von Filmaufnahmen und Tonmitschnitten in Absatz 5 wird es erstmals rechtssicher möglich, dem Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach unmittelbarer Bild- und Tonberichterstattung durch die Medien Rechnung zu tragen. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung, die die Bereitschaft bzw. die Fähigkeit zur freien unvoreingenommenen Rede durch Film- und Tonaufnahmen gefährdet sieht, ist es bisher selbst im Falle des Einverständnisses sämtlicher Mandatsträger rechtlich umstritten gewesen, ob den Medien diese Art der Berichterstattung gestattet werden kann. Die Neuregelung verbessert die Transparenz des Sitzungsgeschehens gegenüber der Öffentlichkeit, gewährleistet aber auch einen Minderheitenschutz. (...) Soweit die Hauptsatzung neben den Medien auch Dritten mit berechtigten Interessen - bspw. Bürgerinitiativen - Film- oder Tonaufnahmen gestatten will, steht dem die gesetzliche Regelung nicht entgegen.« http://www.dokumentation.landtag-mv.de/Parldok/tcl/PDDocView.tcl?mode=show&dokid=30415&page=0
[6] Umbach/Clemens, GG, Art. 5, Rn. 98a
[7] Bethge, in Sachs, GG, 6. Aufl., Art. 5, Rn. 90b, 98
[8] BVerfGE 121, 30, 57. Das Bundesverfassungsgericht stellt in dieser Entscheidung fest, dass »die Kommunikationsfreiheiten aus Art. 5 Abs. 1 GG die besondere, durch den Mitwirkungsauftrag des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG geprägte Funktion der Parteien [ergänzen]. Die Parteien sind dabei mehr als ein Sprachrohr des Volkes, sie werden auch als Mittler tätig: Sie sammeln die auf politische Macht und deren Ausübung gerichteten Meinungen, Interessen und Bestrebungen, gleichen sie in sich aus, formen sie und versuchen, ihnen auch im Bereich der staatlichen Willensbildung Geltung zu verschaffen. Politisches Programm und Verhalten der Staatsorgane wirken auf die Willensbildung des Volkes ein und sind selbst Gegenstand seiner Meinungsbildung. Innerhalb dieses von den Parteien vermittelten mehrdimensionalen Prozesses steht es den Parteien frei, ob und, wenn ja, welcher Medien sie sich zur Erfüllung dieses Auftrags innerhalb der verfassungsrechtlich gesetzten Grenzen bedienen wollen.«
--StK 21:26, 2. Jan. 2012 (CET)