Presse:24-11-2009 - Internetzensur - betriebsbereite Infrastruktur - zunehmende Forderungen

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Pressemitteilung
Thema: Internetzensur - betriebsbereite Infrastruktur - zunehmende Forderungen
Ersteller: Daniel Flachshaar, CvN
Status: geprüft
Verantwortlicher Redakteur: Daniel Flachshaar
Lektoren:
Erstellt und kategorisiert: Bund
Veschickt: 24.11.2009


Internetzensur - betriebsbereite Infrastruktur - zunehmende Forderungen

Es wurde schon länger angenommen und nun bestätigen auf Wikileaks aufgetauchte Prozessunterlagen [1], dass die Internet-Provider technisch dazu bereit sind, mit der Sperrung von Webseiten zu beginnen. Sollte es dazu kommen, werden höchstwahrscheinlich nicht nur Seiten betroffen sein, die kinderpornographische Inhalte anbieten. Anfang November veröffentlichte beispielsweise die Junge Union ein Papier, das die Sperrung von Internetinhalten mit islamistischer Propaganda fordert [2]. Außerdem trafen sich kürzlich mehrere Anti-Piraterie-Verbände, um über mögliche Sperrungen von Internetseiten zu diskutieren, die illegal urheberrechtlich geschützte Inhalte verbreiten [3].

Die Piratenpartei Deutschland weist zum wiederholten Male darauf hin, dass Zensur in unserer Demokratie keinen Platz hat. Die Zugangssperren werden von Experten aufgrund ihrer Wirkungslosigkeit abgelehnt. Strafrechtlich relevante Inhalte müssen entfernt und nicht gesperrt werden.

Der Provider Arcor hatte bereits im September 2007 gezeigt, dass er über die Strukturen zum Sperren von Internetinhalten verfügt und seinen Kunden den Zugang zu verschiedenen Seiten mit pornographischem Material verwehrt. Bei der damals erfolgten Sperrung auf IP-Ebene wurden allerdings zusätzlich etwa 3 Millionen Domains von unbeteiligten Dritten gesperrt.

Die nun öffentlich gewordene 10-seitige Dokumentation eines Verwaltungsstreitverfahrens zwischen dem Webhoster Julian Kornberger und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundeskriminalamt (BKA), behandelt das Thema Datenschutzrecht bei den geplanten Sperrungen von Webseiten. Aus den Unterlagen wird unter anderem deutlich, dass die deutschen Internet-Provider vom BKA dazu angehalten waren, eine technische Zensurinfrastruktur für deutsche Internetnutzer aufzubauen. Diese ist nun beim BKA und auch bei den Providern einsatzbereit. Laut BKA kann »die Fachabteilung [...] jederzeit loslegen.« Die Infrastruktur zur Sperrung wurde bereits ausgiebig mit Hilfe von Testdaten in internen Netzwerken getestet.

In dem Verfahren konnte die angestrebte Offenlegung der Sperr-Verträge nicht erwirkt werden, da der Wirkbetrieb der Sperren noch nicht aufgenommen wurde und die Internet-Provider noch keine Sperrlisten vom BKA erhalten haben. Gestützt ist diese Aussage allerdings lediglich durch eine Bitte des Bundesinnenministeriums. Ob die Sperr-Verträge nun tatsächlich zum Einsatz kommen, hängt nur von den Anweisungen der Bundesregierung ab. Eine Annullierung konnte nicht erwirkt werden, die Verträge bleiben weiterhin in Kraft.

Geht es nach der Jungen Union, werden die einsatzbereiten Infrastrukturen nicht nur zur "Bekämpfung" von Kinderpornographie genutzt. Sie hat kürzlich das Papier "Herausforderung politischer Extremismus: Unsere Demokratie festigen, Engagement stärken" veröffentlicht. Neben einer Definition des Demokratieverständnisses und der Forderung, Extremismus durch Prävention und Repression zu bekämpfen, behandelt das Dokument auch die Rolle des Islams. In dem Kapitel „Kampf gegen islamistischen Terror – Herausforderung für die innere Sicherheit?“ fordert Dorothee Bär (MdB) »das im Kampf gegen Kinderpornographie bereits erfolgreich angewendete sog. "Access-Blocking"«, die Sperrung von Internetseiten, die »demokratiefeindliche Inhalte mit islamistischem Hintergrund« enthalten. In ihrem Beitrag schreibt sie, dass das Internet von Islamisten als Propagandaplattform mißbraucht wird. Dabei übersieht sie, dass der Unterschied zwischen Propaganda und politischer Information vom Standpunkt des Betrachters abhängt. Die Einstufung und Zensur von politisch unangenehmen Äußerungen ist eines der Merkmale einer Diktatur.

Die Piratenpartei Deutschland vertritt die Auffassung, dass die Demokratie unseres Landes und unsere Gesellschaft stark genug sein muss, es jedem Mitbürger zu erlauben, sich frei zu informieren und auch kontroverse Standpunkte zu beziehen. Diese uneingeschränkte Informationsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind die Grundpfeiler unserer demokratischen Grundordnung.

Doch die bisherigen Wunschlisten von zu sperrenden Internetinhalten bilden erst den Anfang. Knapp 130 Teilnehmer trafen sich auf Einladung der Anti-Piraterie-Verbände GVU, SAFE und VAP kürzlich zum dritten Branchenforum "Prävention und Aufklärung". Auf dieser Konferenz wurde auch erwähnt, dass man der illegalen Verbreitung urheberrechtlichen Materials durch die Sperrung von entsprechenden Anbieterseiten entgegentreten kann. In der jüngsten Vergangenheit wurde außerdem von verschiedenen Politikern der Wunsch geäußert, dass der Zugriff auf Webseiten, die sogenannte "Killerspiele" enthalten, verweigert werden muß.

Weitere Forderungen werden mit Gewißheit folgen und viele Internetseiten werden fälschlicherweise gesperrt. Doch schon bei der Betrachtung der genannten Beispiele, unter Beachtung der bereits funktionierenden Infrastruktur zur Sperrung von Webseiten, wird deutlich, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, dass Internet wie bisher zu nutzen. Es wird irgendwann nur noch ein Instrument des Staates sein, in dem den Bürgern der Zugriff auf die Information geboten wird, die für sie als legitim eingestuft werden.

Daniel Flachshaar, Bundespressekoordinator der Piratenpartei und Autor dieses Artikels meint: »Es war erschreckend für mich, all die aufgezählten Fakten zu recherchieren und dabei festzustellen, wie weit fortgeschritten die Zensurinfrastruktur in Deutschland bereits ist. Ich bin in der damaligen DDR geboren und aufgewachsen und mir wurde von Kindheit an erklärt, was ich zu lesen, zu denken und zu sagen habe. Ich bin dann vor 20 Jahren auf die Straße gegangen und habe in dieser Zeit täglich gegen das unterdrückende Regime demonstriert, damit ich den Rest meines Lebens in Freiheit verbringen kann. Und nun muß ich mit ansehen, wie meiner kleinen Tochter das gleiche Schicksal droht. In mir kocht die Wut.«


Quellen:

[1] https://secure.wikileaks.org/leak/vwg-wiesbaden-zugangssperren.pdf
[2] http://www.junge-union.de/media/info/pages/attachments/165004_Booklet_DLT09_Onlineversion.pdf
[3] http://bit.ly/6l6axp


Verantwortlich für den Inhalt dieser Pressemitteilung: Bundespressestelle der Piratenpartei Deutschland
Verantwortlich für den Versand dieser Pressemitteilung: Bundespressestelle der Piratenpartei Deutschland

Diese Pressemitteilung finden Sie im Internet unter: http://www.piratenpartei.de/Pressemitteilung-091124-Internetzensur---betriebsbereite-Infrastruktur---zunehmende-Forderungen

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