NRW:Arbeitskreis/Rechtspolitik

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Zum Einstieg ein paar Gedanken von mir zum Thema Selbstverwaltung der Justiz. Dies soll lediglich ein Gedankenanstoß sein. Eine Art Positionspapier. Ich würde weitere Anregungen oder auch Kritik begrüßen.

Worum geht es?

Seit Montesquieu ist die Gewaltenteilung im Staate eine feste Größe im Staatsaufbau. Demnach erfolgt die Organisation des Staatswesens mittels Legislative, Exekutive und Judikative. Auf diese Weise soll eine Machtkonzentration und ein damit einhergehender, möglicher Missbrauch dieser Macht unterbunden werden.

Wie sieht die Realität aus?

Nun muss man jedoch feststellen, dass dieser Gewaltenteilungsgrundsatz in der Bundesrepublik Deutschland bei genauerem Hinsehen nur sehr unzureichend umgesetzt ist. Denn das Parlament entscheidet nicht nur über die Gesetzgebung. Aufgrund der vorhandenen Machtverhältnisse im Parlament wird auch der Bundeskanzler bestimmt und darüberhinaus natürlich auch auch die Besetzung der Ministerposten.

Der Justizminister kann dann als Dienstherr über die Aufnahme in den Richterdienst und Beförderungen innerhalb der Richterschaft entscheiden. Damit läuft sämtliche Machtverteilung allein über das Parlament. Zugespitzt formuliert könnte man genauso gut fordern, dass ein Oberhaupt für 4 Jahre gewählt wird, das dann sowohl für den Erlass von Gesetzen als auch für deren Umsetzund zuständig ist, und auch indirekt auf die Richterschaft über eine entsprechende Personalpolitik Einfluss nehmen kann. Nun muss man natürlich zugestehen, dass dieser Vergleich etwas hinkt und die Richterschaft nach dem Grundgesetz grundsätzlich unabhängig arbeiten kann. Jedoch bleiben indirekte Einflussnahmen über die Personalpolitik der Gerichte möglich. Im politischen Alltag können letztlich die im jeweiligen Land bzw. im Bund dominierenden politischen Parteien die Personalpolitik wesentlich beeinflussen, da sie doch meistens zumindest über zwei Legislaturperioden, wenn nicht gar länger, an der Regierung beteiligt sind. In manchen Bundesländern sogar über Jahrzehnte. Dass dies zu Verfilzungen führen muss, ist offensichtlich. Das Regulativ der Wahlen hat aufgrund des Verhältniswahlrechts einen guten Teil seiner reinigenden Funktion eingebüßt.

Was will die Richterschaft?

In der Richterschaft hat dies zu Bestrebungen geführt, sich nicht mehr länger von der Politk gägeln lassen zu wollen. Nach deren (zumindesten in Teilen der Richterschaft vorhandenen) Reformvorstellungen soll eine Selbstverwaltung der Justiz eingeführt werden. D.h. dass Richter und Staatsanwälte selber über die Organisation ihrer Arbeit entscheiden sollen. Dies hätte natürlich den Vorteil, dass damit die Möglichkeit geschaffen wird, eher sachorientierte Entscheidungen herbeizuführen, da man die getroffenen Entscheidungen vor sämtlichen Kollegen vertreten muss, die naturgemäß genau wissen, wo die Probleme in der Sache liegen und sich nicht von Politkergeschwätz einlullen lassen.

Dieses Modell hat jedoch einen schweren Konstruktionsfehler. Denn wenn die Richterschaft autonom über ihre Arbeit und deren Organisation entscheiden kann, könnten sich Abläufe einschleichen, die die Arbeit vor allem für die Richter erleichtert, ohne dass den Belangen der Bürger ausreichend Rechnung getragen wird. Dies muss nicht sofort geschehen, wird sich aber so sicher wie das Amen in der Kirche über den Lauf der Zeit einschleichen. Besonders wenn Entscheidungen unter dem Eindruck von knappen Finanzresourcen zu treffen sind, dürfte man sich im Zweifel für den "einfacheren" Weg entscheiden, und diesen Konflikt dann einfach zu Lasten des Bürgers entscheiden, bevor man zum Beispiel höhrere Arbeitspensen für die Kollegen durchsetzt. Dies wäre ja für eine Wiederwahl in das Entscheidungsgremium der Richterschaft nicht förderlich. Dies würde also in der Konsequenz dazu führen, dass die Qualität der Rechtsprechung weiter reduziert wird bzw. der Zugang zu den Gerichten für den Bürger tendenziell erschwert wird. Dann hätte man zwar den Einfluss der Seitschaften aus der Politik reduziert, aber hätte sich andere unschöne Effekte eingehandelt. Und man darf nicht so blauäugig sein, und annehmen, dass die alten (bislang intakten) Seilschaften nicht versuchen werden, auch innerhalb des neuen Systems ihren Einfluss zu wahren.

Nun könnte man natürlich, um Entscheidungen zu Lasten des Bürgers aufgrund knapper Finanzmittel zu vermeiden, der Justizverwaltung ein eigenes Haushaltsrecht zugestehen, so wie das auch dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesrechnungshof zugestanden wird, so dass quasi immer ausreichend Geld vorhanden ist. Nun ist aber das BVerfG ein Verfassungsorgan, dessen Funktionieren nicht von dem good will der Exekutive abhängig gemacht werden kann. Dieses Argument trifft auch für den in Art. 114 GG genannten Bundesrechnungshof zu, der die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung überprüfen soll. Zudem handelt es sich um - im Vergleich zum Gesamtetat - kleinere Ausgabenposten. Dies wird man bei der gesamten Justizverwaltung nicht mehr behaupten können. Es wäre daher kurios, wenn die Richterschaft ihren Finanzbedarf selbst ermitteln und dann auch politisch durchsetzen könnte, ohne dass diese Mittelverwendung demokratisch legitimiert wäre. Denn bei knappen finanziellen Resourcen müsste ja im Zweifel an anderen Stellen im Staat gespart werden, um den Ausgabenwünschen der Richter nachzukommen. Ob aber ein Kindergarten oder eine Schule geschlossen wird und dafür neue Richterstellen entstehen, ist eine Frage, die demokratisch (vom Souverän) zu entscheiden ist.

Was wären die Optionen für die Piratenpartei?

Die Reformbestrebungen der Richterschaft sind grundsätzlich zu begrüßen. Die Justiz befindet sich einem erbärmlichen Zustand. Wie auch in anderen Politikbereichen wird hier kaputtreformiert und kaputtgespart. Allerdings sollte eine stärkere demokratische Kontrolle der dritten Gewalt das Ziel der Piratenpartei sein, um auch hier alte Machtstrukturen aufzubrechen und Machtmissbrauch zu verhindern. Es ist zu überlegen, ob es für eine bürgernähere Justiz ausreichend ist, dass ein Gremium die Verwaltung der Justiz übernimmt, in dem Parlamentarier ausreichend vertreten sind, oder ob mein darüberhinausgehend ein Element der unmittelbaren Demokratie einbaut und das Verwaltungsgremium oder zumindest dessen Vorsitzenden direkt vom Volk wählen lässt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Politisierung des Amtes auch zu Wahlkämpfen führen wird, so wie es beispielsweise auch bei Bürgermeisterwahlen der Fall ist. Bei einer politischen Auseinandersetzung könnte das Amt allerdings beschädigt werden.Und da es sich um ein sehr begrenztes und zum Teil sehr weit entferntes, abstraktes Politikfeld handelt, dürfte es schwierig sein, die Bevölkerung für einen solchen Wahlkampf und dessen Themen zu begeistern.

Eine Lösung dieses Problems könnte so aussehen, dass man zwar auf das Instrument der unmittelbaren der Mitglieder des Leitungsgremiums verzichtet, aber bei Streit über die Haushaltsmittel die Möglichkeit eines Volks-/Bürgerentscheids vorsieht. Somit wäre eine bessere Führung der Gerichte möglich, die sich mehr an der Sache orientiert, und andererseits wäre die notwendige Legitimation durch das Volk gegeben, die sich entscheiden können, wohin ihre Steuergelder fliessen.

Zur Vertiefung der Problemfelder:

NRV-Position

Hamburger Reform Modell

Kritik

--Teiler Döhrden 18:47, 17. Jun. 2009 (CEST)