Modell einer Europäischen Föderation

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Piratenpartei /AG Europa /Squad „Europa Systemisch“

Europa und Demokratie - untrennbar! Verfassungsmodell einer demokratischen Europäischen Föderation


I. Europa im systemischen Wandel Die europäischen Nationalstaaten befinden sich inmitten eines tiefgreifenden Systemwandels. Bisher waren sie Hauptträger der Demokratie. Die Übertragung ihrer Rechte und Finanzen an lediglich völkerrechtlich basierte Organisationen (EU und Eurozone) entleeren die europäische Demokratie. Die Bundesregierung betreibt diesen Wandel des europäischen Modells: Es müssten jetzt Teile der nationalen Souveränität in einer „vollkommen anderen Art als im 20. Jahrhundert geregelt werden“. „Wir brauchen neue Formen von internationalem Governance, Global Governance und European Governance”. „Die Europäische Währungsunion ist eine solche neue Form von Governance für das 21. Jahrhundert“. (Schäuble; Interview The Financial Times, 5th December 2010). Das ist der direkte Weg in die Post-Demokratie. Der Finanzkapitalismus will die Demokratie abkoppeln.

II. PIRATEN für einen demokratischen europäischen Rechtsstaat

Diesen Weg gehen wir Piraten nicht mit. Wir sind überzeugte Europäer. Wir wollen aber kein Europa, in dem die Demokratie schleichend abhanden kommt. Europa und Demokratie, das gehört für uns untrennbar zusammen. Der Vorherrschaft von European Governance widersetzen wir uns. Wir wissen aber, dass wir den globalen Kräften nicht mehr national entgegentreten können. Das geht nur über eine Bündelung der europäischen Kräfte. Deswegen wollen wir Europa zu einem starken Pol in einer multipolaren Welt ausbauen. Ein starker Pol muss die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber den Globalisierungskräften bündeln. Dafür ist die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit von Europa unabdingbar. Jetzt und hier! Wir PIRATEN appellieren an alle europäischen Piratenparteien und Piraten, an alle europäischen Parteien und mit besonderem Nachdruck an alle Europäer, mit uns ein neues institutionelles Europa aufzubauen. Dafür brauchen wir einen durch eine gemeinsame Verfassung konstituierten, demokratischen europäischen Rechtsstaat.

Ist das überhaupt denkbar? In der EU geht es nicht. Die EU hat infolge ihrer völkerrechtsanalogen Basis ein „strukturelles Demokratiedefizit“, das dort auch nicht auflösbar ist. Dieses strukturelle Demokratiedefizit lässt sich aber über die Neuschöpfung einer Verfassung heilen, so das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil.


III. Grundprinzipien der Piratenpartei für eine demokratische Verfassung

Zwei Grundprinzipien lassen sich aus der systemischen Entwicklung ableiten.

1. Grundprinzip: Demokratie durchgängig auf allen Ebenen

Der entscheidende Punkt einer solchen Verfassung ist, die notwendigen Strukturen nicht fernab der Völker zu bauen. Vielmehr müssen die Regierungen gleich nah am Volk platziert werden - auf allen Ebenen. Auch auf der europäischen! In Deutschland sieht der föderale Aufbau immer die Stufen vor: Volk --> Parlament --> Regierung o In den Gemeinden werden die Aufgaben nach dem „Allzuständigkeitsprinzip“ definiert; kommunales Parlament und Bürgermeister werden gewählt. o In den Ländern sind die Aufgaben gemäß eigener Verfassung festgelegt; eigene Souveränität; Landesparlamente werden gewählt - eigene Legislative, Exekutive und Judikative; o Im Bund sind die Aufgaben gemäß Grundgesetz festgelegt; Souveränität; Bundesparlament wird gewählt – eigene Legislative, Exekutive und Judikative; In Europa kann es also nur um die Hinzufügung eines Handlungsstrangs nach demselben föderalen Muster gehen: o Aufgaben gemäß neuer europäischer Verfassung; eigene Souveränität; Wahl Europaparlament - Legislative, Exekutive und Judikative.

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Hinzuzufügen wären Elemente der direkten Demokratie. Der konventionell und allein indirekt aufgebaute Einfluss des Volkes hat in den letzten 60 Jahren gezeigt, dass es den gewählten Abgeordneten leicht gemacht worden ist, sich weit vom Volkswillen unabhängig zu machen. In eine Verfassung sind deshalb politische Entscheidungsverfahren mit direkter Beteiligung der Bevölkerung einzubauen (zeitgemäß ist die „Virtuelle Bürgerbeteiligung“: Bürgerinnen und Bürger der Föderation bringen sich direkt ein; und: Volksabstimmungen für aus dem Volk initiierte Vorlagen zu Wesentlichem; z.B. Erweiterungen des europäischen Staatsgebietes, neues Währungssystem, Änderungen der Finanzverfassung).

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2. Grundprinzip: Vertikale Gewaltenteilung Zweitens ist die Souveränität der Mitgliedsländer verfassungsrechtlich festzuschreiben (vertikale Gewaltenteilung). Die Konstruktion muss dauerhaft verlässlich sein. In die EU ist von Anfang an keine Regel eingebaut worden, die die vertikale Gewaltenteilung klar definiert hätte. Genau dieser Mangel führte zur schleichenden Abtretung von 84 % aller Rechtsakte nach Brüssel. Das hat zu der heute allerorts beklagten Exekutivlastigkeit geführt. Genauer: Das hat den Weg hin zu European Governance geöffnet. Dieser Mangel ist im neuen Europa zu beheben. Die Geltungskraft unseres Grundgesetzes kann nicht schleichend und zuletzt unter offenem Bruch völkerrechtlicher Verträge immer weiter demokratischem Einfluss entzogen werden. Am Ende bleibt dann in der Tat nur noch Markt statt Staat. Allenthalben ist das „Subsidiaritätsprinzip“ als grundlegendes Prinzip der EU vertreten worden. Ihm zufolge sollen staatliche Eingriffe und öffentliche Leistungen auf der tiefst möglichen hierarchischen Ebene erfolgen. Das wurde zwar stets als wichtiges Prinzip für die EU herausgestellt, allein – gerichtet hat sich danach niemand. Im Gegenteil. Auch die deutschen Alt-Parteien haben 50 Jahre lang dazu beigetragen, dass sich eine schwere Exekutivlastigkeit herausbilden konnte. Wir PIRATEN wollen das ändern. Die zeitgemäße Option zur Weiterentwicklung Europas ist eine demokratische Föderation. In ihr müssen die beiden Ziele „Souveränität“ und „Rolle in der Welt“ neu ausbalanciert werden. In einer Föderation sind jeder Ebene klar voneinander abgegrenzte Aufgaben zuzuweisen. Der europäischen Ebene sind vor allem solche Kompetenzfelder zuzuweisen, die diese für die Vertretung der Bürgerinteressen in der Globalisierung benötigt. Hierzu stehen zwei Felder im Vordergrund: • die gemeinsame Außenwirtschaftspolitik • die gemeinsame Außenpolitik (zeitgemäße Formierung des europäischen Kontinents, wie z. B. die Mitarbeit an einer internationalen Friedensordnung) • Bestandteil der Verfassung der Europäischen Föderation sind eine Finanzverfassung und Regelung eines gemeinsamen Währungssystems.

Ein wirksames Mittel gegen ein Zerfleddern dieses Erstzuschnitts in den danach folgenden Jahren ist die verfassungsrechtliche Festschreibung der Verteilung der Aufgaben zwischen der Europäischen Föderation und den Mitgliedstaaten. Die Europäische Föderation muss bei Zugriffsversuchen auf Barrieren stoßen, wie etwa auch der Bund, wenn er sich Bildungsaufgaben der Bundesländer anzueignen versucht. Veränderungen der Grundstruktur müssen vom Volk gewollt sein, also nur über Volksabstimmungen möglich sein.


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Die Föderation löst die ihr zugewiesenen Aufgaben gemäß dieser Verfassung. Die Mitgliedstaaten lösen die ihnen zugewiesenen Aufgaben souverän gemäß ihrer jeweiligen Verfassungen. So ist Vielfalt und Einheitlichkeit zusammenzubringen. So ist Europa zeitgemäß zu positionieren, ohne seine einzigartigen Stärken aufzugeben.

IV. Grundzüge eines Modells der Europäischen Föderation Die demokratische Föderation ist in einer multipolaren Welt handlungsfähiger als der einzelne Staat. Sie ufert aber nicht zu einer global kraftlosen und damit bürgerfeindlichen Völkerrechtsunion aus. Aus diesen beiden Eckpunkten leiten wir die Grundzüge unseres Verfassungsmodells ab. Für detaillierte Einzelstränge in einem solchen Modell ist jetzt nicht die politische Zeit. Jetzt geht es alleine um die prinzipielle Ausrichtung. Vier Grundzüge einer solchen Föderation stellen wir PIRATEN in den Mittelpunkt: o In den Mitgliedstaaten werden die nationalen Organe nach ihren bisherigen Verfassungen gewählt. o Die Völker Europas wählen das europäische Parlament auf der Basis konkurrierender demokratischer Parteien ebenfalls nach dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl (one man, one woman - one vote) o Das Parlament der Europäischen Föderation wählt den Ministerpräsidenten/ Kanzler/ Premier, der sein Kabinett zusammenstellt. Dem Parlament steht die Gesetzesinitiative uneingeschränkt zu. o Die Regierungs- und Staatschefs formen den Europäischen Rat als 2. Kammer.

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Die wichtigsten Grundprinzipien einer neue Verfassung wären also: - Gleichheit der Wahl und durchgehende Demokratie - keine kaskadisch übereinander getürmten, sondern flache Hierarchien - mehr direkte Demokratie, virtuelle Bürgerbeteiligung - Sicherung der nationalen Souveränität durch verfassungsrechtlich festgeschriebene Aufgabenteilung, um vom Volke nicht zugestimmten Strukturänderungen und Transfers zu verhindern. Wer kann eine solche Verfassung erarbeiten? Das Bundesverfassungsgericht hat darauf in seinem Lissabon-Urteil eine klare Antwort gegeben. Nicht die EU, nicht die Regierung, nicht die Abgeordneten. Sondern: „Die in den Mitgliedstaaten verfassten Völker der Europäischen Union sind die maßgeblichen Träger der öffentlichen Gewalt, einschließlich der Unionsgewalt“. „Die Verfassungsidentität ist unveräußerlicher Bestandteil der demokratischen Selbstbestimmung eines Volkes“. FAZIT: Weit haben wir uns in den letzten 50 Jahren treiben lassen. Die Mängel einer Demokratie sind zwar unübersehbar. Aber es ist die einzig politische Organisationsform, die überhaupt eine Vertretung der Interessen von Bürgerinnen und Bürgern zulässt. Zur Verteidigung schwindender Rechte und zur Wahrnehmung unserer Interessen muss Europa wieder einen starken Pol von Bürgerinteressen darstellen. Diesen kann es nur in demokratisch verfasster Form geben. Angesichts der politischen Herausforderungen, die gerade derzeit durch eine nicht regulierte Globalisierung entstehen und die im nationalstaatlichen Rahmen nicht mehr adäquat gestaltet werden können, rufen wir alle Demokraten Europas auf, gemeinsame Eckpunkte für eine solche demokratische europäische Verfassung zu erarbeiten.

Unser Modell bringen wir dafür ein.


Squad: Fassung endg. 3. August 2012