Lobbyismus heute oder: Warum Transparenz so wichtig ist

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Gerade sechs Monate nachdem Günter Verheugen (SPD) als Industriekommissar aus der Europäischen Kommission ausgeschieden ist, hat er vier Beratungstätigkeiten in der Wirtschaft ergattert, unter anderem als Chefberater bei der Royal Bank of Scotland und im internationalen Beirat der Lobbyagentur Fleishman-Hillard. Jetzt kam heraus, dass er bereits im April eine eigene Lobbyberatung gegründet hat. Unterschreiben Sie unsere Online-Aktion, um diese Seitenwechsel zu unterbinden!

Verheugen (SPD) schlägt aus seinen alten Kontakten und internen Kenntnissen als Kommissar kräftig Kapital. Auch fünf weitere Ex-Kommissare haben in den letzten Monaten Lobby- und Beraterposten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände ergriffen. Die Kommission hat alle Seitenwechsel großzügig genehmigt und bietet sich damit selbst zum Ausverkauf an.

Dass Industrie, Unternehmen und Verbände die Politik seit langem missbrauchen, um ihre eigenen Interessen zu vertreten, dürfte wohl jedem hinlänglich bekannt sein.

Lobbyismus ist heute aber inzwischen zu einem unkontrollierten Macht- und Gefahrenpotenzial geworden, das mittlerweile selbst so manchem Politiker Angst macht!

Für Gegenleistungen gibt es Politikfinanzierungen in Form von Spenden o.ä., Lobbyisten können sich normalerweise also ohne große Probleme den Zugang zur Politik erkaufen. Doch damit nicht genug, Gesetzesformulierungen und Verordnungen werden von Kanzleien erarbeitet, die gleichzeitig die betroffenen Mandanten (z.B. im Bankensektor) vertreten, der direkte Wechsel von Spitzenpolitikern, Ministerpräsidenten und Staatssekretären in die Industrie hat enorm zugenommen. Aber auch in den Kommunen findet die dortige politische Klasse offenbar nichts Ehrenrühriges dabei, wenn es um den Wechsel in die Privatwirtschaft und den damit verbundenen Einfluss der regionalen Wirtschaft auf politische Entscheidungen geht. Besonders dreiste Einzelfälle wollen ihr politisches Mandat dabei sogar noch behalten!

Als „fünfte Gewalt“ bearbeitete die Lobby Spitzenpolitiker und Parlamentarier in der Wirtschaftskrise massiv, so löste die Politik „Rettungsaktivitäten“ aus, die von den Banken selbst gefordert wurden – für diese eine durchaus bequeme Lösung, dafür geradestehen muss ja letztendlich der Steuerzahler!

Mahnungen und Initiativen für die Abwehr nicht legitimierter Einflussfaktoren bringen gar nichts und auch das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich ist vom betonten „Gegensatz von Lobbyisten und Politikern“ weit und breit nichts zu sehen. Dafür herrscht ein „konstruktives Einvernehmen“, enge, seit Jahren gepflegte Kooperationsbeziehungen und verschmolzene Interessen und Ziele von Politik und Lobby. Und obwohl dies offensichtlicher nicht sein könnte, tun die gegenwärtigen Politiker nicht mehr, als sich in Hinterzimmern heimlich darüber zu beschweren. Damit entmachten sie sich selbst und vermindern somit unseren ohnehin schon viel zu geringen Einfluss als Bürger und Wähler! Immer mehr gilt, wer in den Fraktionen gute Kontakte zu den Top- Lobbyisten unterhält, der hat auch die besten Aufstiegschancen.

Dabei sind wirksame außerparlamentarische Impulse durchaus möglich, wie der Bundesrechnungshof (BRH) bewies. Die Konsequenz nach einem 2008 gesendeten Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages folgte auf den Fuß, so muss das Bundesministerium des Innern (BMI) nun dem Haushalts- und Innenausschuss halbjährig schriftlich über den jeweiligen Personalstand der „externen Positionen“ berichten. Ein Schritt in Richtung Transparenz, die die Lobbyisten zu Recht fürchten!

Doch obwohl belegbar ist, dass die persönlichen Interessen die politischen Motive überlagern, reagiert die Bundesregierung ausweichend, schlimmer noch, lehnt Regeln, die den Lobbyismus be­grenzen können, sogar ab. Die Fraktionen im Deutschen Bundestag wirken gleichgültig und ohne jeden Tatendrang, die Sensibilität der politischen Klasse scheint unterentwickelt und die politischen Akteure selbst sind offenbar nicht in der Lage, die Gefahren für die Demokratie wahrzunehmen.

Es stellt sich die Frage, wie autonom die Politik eigentlich noch ist, schließlich soll sie die Interessen des Gemeinwohls vertreten, und nicht die einzelner Lobbyisten.

Deshalb fordern wir einen Rat von Lobbybeauftragten, der alle gefährlichen Tendenzen beobachtet, analysiert und bewertet sowie eine mindestens dreijährige „Abkühlungsphase“ nach dem Ausscheiden aus der Politik, wobei ein Verstoß eine strafbare Handlung darstellen muss!

Die gezielte Intransparenz der Branche muss aufgegeben werden und wenn unsere bisher gewählten Politiker allein nichts dazu beitragen können oder wollen, dann muss der Bürger selbst Initiative zeigen, „seine“ Abgeordneten konkret ansprechen (siehe abgeordnetenwatch.de), selber mitmischen, statt einfach alles hinzunehmen!

Wir fordern Kommissionspräsident Barroso auf, Demokratie, Moral und Verantwortung zu schützen und die Seitenwechsel von EU-Kommissaren zu stoppen.