LiquidFeedback/Themendiskussion/497

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https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/1094.html https://lqfb.piratenpartei.de/pp/issue/show/497.html


Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem [GpW-1]

Abstimmungsempfehlung 'Seahorse' - besser Ablehnen!!!!

Antrag besser ablehnen.

Zitat: "(2) Die PIRATEN unterscheiden zwischen bürgerlichem und staatswesentlichem Wirtschaften: Das Bürgerliche Wirtschaften dient unmittelbar dem Bürger, das Staatswesentliche (Staatliche) Wirtschaften dient unmittelbar dem Staatswesen. Es ist zu betonen, daß für das Staatswesen jede Politik verantwortlich und vernünftig für sich selbst wirtschaftet."

Diese disjunkte Trennung ist doch ziemlicher Schwachsinn. Den Staat als Institution, die das Gemeinwohl aller Bürger schützen und befördern soll, kann man nicht von einer "bürgerlichen Wirtschaft" trennen.
Wenn ich (als Bürger, Privatperson oder privates Unternehmen) eine 60 Jahre altes Atomkraftwerk betreibe, das jeden Augenblick explodieren kann (weil es technische veraltet ist) und halb Deutschland für die nächsten 10 Mio Jahre verseucht, ist das dann Teil der "bürgerlichen Wirtschaft" ? Darf die "Staatswirtschaft" dann nicht eingreifen und meinen Reaktor bestimmten Sicherheitsrichtlinien unterwerfen oder, wenn ich unzuverlässig oder unverantwortlich handele (weil ich nur meinen persönlichen Gewinn rücksichtslos auf Kosten der Gesellschaft-aller Bürger- maximieren möchte) mir es untersagt diesen weiter zu betreiben.
Private Entscheidungen führen in der Regel nicht zu wohlfahrtsoptimialen Zuständen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht. Darum kann ein Eingreifen und Steuern des Staats auf die Privatwirtschaft durch Gesetze, Verordnungen, Steuern, Subventionen oder andere Maßnahmen zum Vorteil aller Bürger und einer Gesamtwirtschaft beitragen. Privates Handeln hat im Regelfall verschiedenste Externe Effekt auf anderer Akteure und Gesellschaftsbereiche, die in den freien Entscheidungen von gewinn- oder nutzenmaximierenden Akteuren nicht genügend berücksichtigt werden (zB Gesellschaft trägt das Risiko einer Reaktorkatastrophe und versichert implizit den Betrieb eines gefährlichen Reaktors - Staat und Gesellschaft sitzen immer im Boot mit der privatwirtschaftlichen "bürgerlicehn Wirtschaft" ). Es gibt Informationsasymmetrien und Unsicherheit, die i.d.R. zwangsläufig zu suboptimalen Entscheidungen privater Akteueren (risikoaverser Einzelpersonen und Unternehmen) führen (zB (1)Banken- und Finanzkrise oder zB (2)Anfang 90er Jahre - alle bauen parallel Unmengen von Multiplex-Kinos, Überinvestition privat handelnder Akteure oder z.B. (3)Ohne EEG und Subventionen würde der Private Sektor die Risiken der Investion in alternative Energien (Wind, Solar, Biomasse usw) nicht in dem gesellschaftlich gewünschten Maße vornehmen - PeakOil, Geopolitische Abhängigkeiten von Energieimporten, Umweltschutz, sinkende oder geringe Energiekosten in der Zukunft ). Die "bürgerliche Wirtschaft" (besser vielleicht neoliberale-naturrechtliche Privatwirtschaft nach angelsächsischen Vorbild) führt, wenn sich sich selbst überlasse wird zu ziemlich suboptimale oder katastrophalen Zuständen.
Wie ordnet sich eigentlich das System der Sozialen Sicherung in Deutschland in dieses Zwei-Welten-Wirtschaftsideologie ein? Sind Gesetzliche Krankenkassen (GKV) unter dieser Prämisse nicht mehr zulässig oder möchte man diese zugunsten eines "bürgerlichen System" einer privaten Krankenversicherung (PKV) aufgeben? Wenn jemand die teuren Prämien einer überteuerten PKV nicht mehr bezahlen kann, soll die "Staatswirtschaft" ihn dann unterstützen. Das deutsche GKV System bezieht viele Leistungen aus der "bürgerlichen Wirtschaft" - vielleicht möchten die Antragsteller, dass das System selbst unternehmerisch tätiger Ärzte, die in einem staatlich hochregulierten Markt für Gesundheitsdienstleistungen ("Staatswirtscahft") sehr hohe garantierte Einkommen beziehen, zugunsten eines Systems verändert sehen, in dem das System der GKV selbst die ärztliche Grundversorgung über eigenen Gesundheistzentren kostengünstig und angestellte Ärzte effizient und produktiv bereitstellen. Aus dem Wischi-Waschi des Antragstextes lassen sich solchen grundlegenden Fragen leider nicht beantworten.
Die Realität ist immer komplizierter, wenn der Staat ("Staatswirtschaft") bestimmte Sicherheits- und Zulassungsanforderungen für Kraftfahrzeuge erläßt, dann greift er damit in die von der Initiative konstruierte "Bürgerliche Wirtschaft" der Automobilhersteller und -importeure und der Automobilnachfrager ein, um damit nach Möglichkeit die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt u erhöhen. Warum gibt es den TÜV? Man kann natürlich alles übertreiben, aber in enem bestimmte Rahmen sind Staatseingriffe in den "freien Markt" sehr angebracht und sinnvoll.


Was sollen die Piraten aus den Antrag eigentlich zu den Milliarden an Steuerzahlermitteln, die für die Rettung von Privatbanken und Wirtschaftsunternehmen aufgewendet wurden (internationale Finanzkrise), für Schlußfolgerungen ziehen? Erlaubt, Nicht Erlaubt? Sind Privatbanken, die sich verspekulieren und als "systemrelevant" bezeichnen jetzt schon "Staatswirtschaft"? Treten nach den Grundsätzen dieses Antrags die Piraten dann für eine Sozialisierung aller systemrelevanter Privatbanken und Finanzkonzerne ein? Die Beantwortung dieser wichtigen Fragen kann man leider aus dem Antrag heraus nicht ableiten, obwohl er sich ja ausdrücklich mit Grundsätzen der Wirtschaftspolitik aus Sicht der Piraten beschäftigt .


In Berlin versucht der Senat ("Staatswirtschaft") die explodierende Zahl von Spielhallen ("bürgerliche Wirtschaft") zu begrenzen und einzuschränken. Privat Spielhallen haben keine produktiven Beitrag für eine Volkswirtschaft ("es wird nichts produziert", nur Ressourcen verbraucht, um eine Vermögensumverteilung von den Spieler zu den Spielhallenbetreibern und Staat(Steuern) zu ermöglichen) zudem eigenen sie sich wunderbar Drogengelder oder anderer Einnahmen aus kriminellen Geschäften zu waschen. Sind die Piraten jetzt für noch mehr Spielhallen und noch mehr organisierte Kriminalität und für noch mehr Spielsüchtige und zerstörte Familien? - weil "bürgerliches Wirtschaften" nciht vom "Staatswesen" eingeschränkt und gesteuert werden darf?


Eine "bürgerliche Wirtschaft" (diesen Begriff habe ich noch nie im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext irgendwo gelesen und gehört) basiert immer auf den Rahmenbedingungen, die eine demokratischen Gesellschaft nach ihren Präferenzen setzt. Wenn alte Omas von aalglatten Finanzberatern um ihre Lebensersparnisse betrogen werden ("Bürgerliche Wirtschaft") dann kann die "Staatswirtschaft" im Interesse des Gemeinwohls bestimmte Regeln und Gesetze erlassen, die die "bürgerliiche Wirtschaft" gegen deren Interessen einschränkt.
Märkte existieren nur, wenn es eine Rechtsordnung und einen Staat gibt, der bestimmte Ordnung und Regeln setzt und durchsetzt. Der Staat, als Hüter des Gemeinwohls aller Bürger legt die Rahmenbedingungen und Rechtsordnung fest, in deren Grenzen Menschen/Bürger privatwirtschaftlich unternehmerisch tätig werden können. Eine "bürgerliche Wirtschaft", die auf Naturrecht beruht, führt zu aus der Sicht aller Bürger i.Z. zu katastrophalen Zuständen, die mit den Zielen des Grundgesetzes und eines demokratischen Staates, der die Rechte aller Bürger schützen soll, unvereinbar ist. "Naturrecht" bedeutet Recht des stärkeren, dann sind wir ganz schnell im ausbeuterischen Frühkapitalismus (Manchesterkapitalismus).

Der ganze Antrag und die skizzierten Thesen sind ziemlicher neoliberaler Müll (Trennung zwischen "bürgerlicher Privatwirtschaft" und "Staatswirtschaft") auf Kindergartenniveau. Damit machen sich die Piraten lächerlich.



Zitat: "(3) Das Staatswesen stößt mit der Einflußnahme auf das Bürgerliche Wirtschaften an seine durch die Grundrechte bestimmten Schranken. Die PIRATEN lehnen eine unmittelbare Einflußnahme auf das Bürgerliche Wirtschaften durch den Staat ab"

Welche Grundrechte meint der oder die Antragsteller hier eigentlich und welche Schranken? Die behaupteten Gegensätze zwischen "Staatswesen" und "Bürgerlichem Wirtschaften" sind im GG zugunsten der Orientierung am Allgemeinwohl gelöst. Will der Antrag dieses (Gemeinwohlorientierung, Sozialbindung des Eigentumsbegriffs) etwas zugunsten Privater Interessen aufgehoben sehen?
Was ist mit Art 14 GG?
"(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. ..."


Der ganze Antrag ist mal offen und ehrlich gesprochen unausgegorener neoliberaler frühkapitalistischer ideologischer "Müll" - ich hoffe er wird abgelehnt. (Ich weiß, die Wortwahl ist nicht angemessen und respektvoll, aber es beschreibt meine Meinung zu den Ansammlungen von Gedanken sehr zutreffend) Deutschland ist mit seinem Wirtschaftsmodell bisher ziemlich erfolgreich gefahren (Rheinischer_Kapitalismus) - was nicht heißt, dass man eine Menge daran wiederherstellen und verbessern muss und vielleicht mit einigen anderen neune visionären Elementen zu eine stabilen nachhaltigen (zum Nutzen aller Bürger und nicht nur der Vermögenden 20%) Wirtschaftsmodell, das zukunfstfähig ist, gestalten kann.

Warum sollten die Piraten Deutschland ordnungs- und wirtschaftspolitisch in eine neoliberale Steinzeit zum Naturrecht zurückbomben? (Deutschland ist nicht die USA oder UK)

Wen es interessiert, der könnte mal ein Blick auf folgende Links werfen:
LQFB#24 BGE-Diskussion BGE und "libertäre" Piraten, Naturrecht pur, BGE-Lunchpaket, PIRATEN haben bisher keine tragfähigen Konzepte für ihre Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik
oder
LQFB#50-BGE vs Mindestlohn - Ausführungen zu falschen Mythen über seegenbringende "freier Märkte"="Bürgerliches Wirtschaften"


--Seahorse 11:50, 14.Oct 2010 (CEST)