LiquidFeedback/Themendiskussion/2082

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Es wird beantragt, im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 an geeigneter Stelle folgendes zu dem Themenfeld Transparenz des Staatswesens einzufügen:

Modernisierung des Berufsbeamtentums

Die Piratenpartei Deutschland fordert eine Modernisierung des Berufsbeamtentums, insbesondere die Abschaffung der Ernennung von Beamten auf Lebenszeit

In dem bisherigen Programm heißt es zutreffend:

„In der heutigen Gesellschaft ist eine rapide Entwicklung zu beobachten. Immer mehr Informationen werden angehäuft, die in immer stärkerer Weise miteinander verknüpft werden. Verknüpfte Informationen aber werden zu Wissen, Wissen wiederum bedeutet Macht. Verengt sich also der Zugang zu Wissen auf einen kleinen Kreis von Nutznießern, so kommt es unweigerlich zu einer Ausbildung von Machtstrukturen, die wenige Personen, gesellschaftliche Organisationen oder stattliche Organe bevorzugt und so letztlich den demokratischen Prozess einer freiheitlichen Gesellschaft gefährdet. Dieser basiert nämlich auf einer möglichst breiten Beteiligung der Bürger an der Gestaltung und Kontrolle der gesellschaftlichen Vorgänge und ist somit unvereinbar mit dem Informationsvorsprung, den Wenige auf Kosten der Allgemeinheit zu sichern versuchen. Der Einblick in die Arbeit von Verwaltung und Politik auf allen Ebenen der staatlichen Ordnung ist daher ein fundamentales Bürgerrecht und muss zum Wohle der freiheitlichen Ordnung entsprechend garantiert, geschützt und durchgesetzt werden.“

Es ist aber nicht ausreichend, nur ein Einblick in die Arbeit von Verwaltung und Politik zu erhalten.

Denn der Grundgedanke der Demokratie ist, dass die Bürger – das Volk – sich selbst beherrschen, für sich also eigene Entscheidungen treffen und sich selbst verwalten. Dafür ist es wichtig, stets einen lebendigen Austausch zwischen den Bürgern („dem Volk“) und dem Staat (Parlament, Verwaltung) zu gewährleisten. Es muss der Tendenz entgegen getreten werden, dass die Verwaltung, insbesondere die Ministerialverwaltung in Bund und Ländern, ein Staat im Staate wird, der nicht der lebendigen Kontrolle durch demokratische legitimierte Instanzen unterworfen ist.

Darüber hinaus muss es – ähnlich wie im Parlament – möglich sein, einen Austausch der personellen Besetzung der elementaren staatlichen Einrichtung zu ermöglichen. Dieses folgt aus dem Demokratieprinzip wie aber auch aus dem Bedarf an einer modernen und effektiven Verwaltung.

Ein solcher Austausch verhindert auch die Ausbildung von Machtstrukturen, in denen wenige Personen, nämlich Lebenszeit-Beamte, Wissen anhäufen und dieses gegenüber demokratischen Kontrollinstanzen als „closed shop“ abschirmen können. Offenbarung von Wissen zu fordern, bedeutet zunächst von der Existenz dieses Wissens Kenntnis zu haben. Bereits an dieser Schnittstelle scheitert oft die Durchsetzung der Forderung nach Transparenz staatlicher Prozesse.

Es ist zwar richtig und notwendig, dass für den Staat tätige Bürger in einer besonderen Weise verpflichtet sind. Deswegen ist ein Beamtenrecht notwendig.

Als überholt ist aber der Grundsatz des Lebenszeitbeamten zu betrachten. Tatsächlich gibt es keinen sachlichen Grund, warum es – anders als in anderen Bereichen der Gesellschaft – im Staat es eine lebenslange Verpflichtung des Bürgers geben sollte.

Eine solche Verpflichtung ist für beide Seiten im Ergebnis nachteilig:

Der Beamte ist nach seiner Lebenszeitverbeamtung möglicherweise nicht mehr ausreichend motiviert, sich aus eigenem Interesse beruflich weiter zu bilden und zu entwickeln, da er die finanzielle Absicherung seiner Existenz bereits erreicht hat. Seine Motivation wäre eine völlig andere, wenn er davon ausgehen müsse, dass die Möglichkeit besteht, dass er nach fünf oder acht Jahren wieder in die private Wirtschaft zurück wechseln müsse. Die Möglichkeit der zeitlichen Befristung oder auch normalen Beendigung durch Kündigung des Beamtenverhältnisses heißt nicht automatisch, dass es nicht auch Bürger geben kann, die ihre Berufszeit komplett als Beamter verbringen. Nur wäre eben dieses nicht mehr Grundsatz.

Auf den Staat kommen zu jeder Zeit die größten Herausforderungen zu. Von ihm wird gefordert, hierauf immer schnell, angemessen und sachlich zu reagieren.

Dieses gelingt nur, wenn in den staatlichen Einrichtungen, vor allem in der Verwaltung, Personen sitzen, die diesen Ansprüchen jederzeit gerecht werden. In Anbetracht der schnellen Entwicklung gerade im Bereich der Informationsverarbeitung ist es für einen Staat essenziell, entsprechende Fachkräfte kurzfristig zu verpflichten und sie gegen Andere auch austauschen zu können. Jegliche Modernisierung der Verwaltung ist nicht möglich, wenn sie über Jahrzehnte mit dem gleichen Personalbestand weiter geführt werden muss. Aufgrund ggw. beamtenrechtlicher Vorschriften kann man sich von einem Großteil nicht trennen. Das Bewusstsein der Staatsbediensteten muss weg von der Frage, wie sie selbst optimal dauerhaft versorgt sind, hin zu der Frage, wie sie optimal den staatlichen Prozess unterstützen, ggf. unter Hintenanstellung ihrer persönlichen Belange.

Dieser Perspektivenwechsel ist dabei nicht einmal revolutionär, denn genau diese Haltung wird von den zahlreichen Ehrenbeamten – vor allem tausende von ehrenamtlichen Bürgermeistern und Leiter von Feuerwehren – auf der kommunalen Ebene verlangt.

Obwohl diese in einem besonderen Maße Verantwortung tragen und auch für die Entscheidung ihrer Körperschaft persönlich haften, sind sie nur auf Zeit berufen (ihnen wird auch nur eine geringe Aufwandsentschädigung von einigen Euro gewährt) und sie können jederzeit durch Wahl abberufen werden.

Das Lebenszeitbeamtentum ist dabei ein Relikt monarchischer Strukturen, in denen ein Fürst oder König, der selbst auf Lebenszeit das Amt hatte, eine Struktur um sich aufbauen wollte, die sich ihm entsprechend loyal gegenüber verhält, da sie durch ihn dauerhaft abgesichert ist.

Mit Beendigung der Monarchie ist diese Struktur aber nicht mehr passend. Die Demokratie ist davon geprägt, dass es ein Wechsel an Verantwortlichen gibt und genau dieses auch gewollt ist. Demokratie kann sich nur dann in ihrer Stärke entwickeln, wenn die Möglichkeit zum Wandel besteht. Dann muss der Wandel, der durch Wahlen im Parlament stattfindet, aber auch in den Verwaltungsstrukturen umsetzbar sein. Dazu gehört auch, dass nicht nur die Verwaltungsspitze, also der Minister und der Staatssekretär, sondern auch weitere Positionen in der Folge austauschbar sind. Die hierdurch größere Flexibilität ist für die Entwicklung des Gemeinwesens im überragenden öffentlichen Interesse, so dass der Anspruch des Beamten auf lebenslange Versorgung und Beschäftigung dahinter zurück tritt. Anderenfalls würde man die Ausrichtung und Gestaltung eines demokratischen Gemeinwesens von der Interessenlage einer Personengruppe, nämlich der Lebenszeitbeamten, abhängig machen. Damit hätte aber nicht mehr das Volk, sondern die Beamten die tatsächliche Macht im Staat. Mit Beendigung der monarchischen Strukturen ist es auch praktisch unmöglich geworden, die Dienst- und Treuepflicht zum Staat effektiv einzufordern, da dem Beamten als Person keine tatsächliche Person gegenüber steht. Während früher der Monarch und seine Familie der personifizierte Staat war und damit es konkrete Personen gab, die „ihre“ Beamten kannten und – selbstverständlich – auch entlassen konnten, gibt es solche Personen als „Gegengewicht“ zu dem Beamten nicht. Die Staatsebenen „Land“, „Bund“, „Kommune“ bleiben in ihrer persönlichen Besetzung undeutlich und sind einem ständigen Personalwechsel unterworfen.

Auch dieses führt zu einem gewissen Überlegensheitsbewusstsein der Lebenszeitbeamten, die oft den Wechsel an ihrer Spitze als notwendiges Übel hinnehmen, von dem ihre „Sacharbeit“ aber nicht betroffen ist.

Der „Chance“ auf Konstanz der Verwaltungsarbeit auf der einen Seite steht aber die Unfähigkeit zur Veränderung auf der anderen Seite gegenüber.

Eine freiheitliche demokratische Rechtsordnung muss hierauf eine passende Antwort finden. Diese besteht darin, von der Regel des Lebenszeitbeamten abzurücken und auch mehr Möglichkeiten zu Entlassung von Beamten zu schaffen.


Diese Initiative entstand in enger Zusammenarbeit mit einem befreundeten NichtPiraten.
-- Frank Schultz 23:58, 30. Jun. 2012 (CEST)