LiquidFeedback/Themendiskussion/2041
Allg. Menschen- und Bürgerrechte durchsetzen und Transparenz in den UN- und anderen internationalen Gremien schaffen Innen- und Außenpolitik gehen von den selben Prämissen aus. An Stelle freier selbstbestimmender Bürger haben wir es mit souveränen Staaten als Subjekte des Handelns zu tun. Transparenz ist auf allen Ebenen nötig, um Vertrauen zu schaffen.
Diese Anregung werde ich auf gar keinen Fall übernehmen, da sie dem gesamten Antrag widerspricht.
Sie bietet jedoch die Möglichkeit, die Intention dieses Antrags zu erklären.
Kern dieses Antrags, unter dem der gesamte Antrag zu sehen ist, ist der Satz
"Der Souverän eines Staates ist sein Staatsvolk".
Und dieser Satz ist m.E. vollkommen piratig, denn nicht anders sehen wir das für unseren Staates auch: der Souverän Deutschlands sind wir, Deutschlands Bürger. So sieht es auch das Grundgesetz, was vielen nicht klar ist. Deswegen an dieser Stelle:
GG Art. 20: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."
Das Volk steht als Souverän - also in der gleichen Position, die im Feudalstaat der Monarch innehatte - über allen Gesetzen, selbst über der Verfassung. Das ist, bitte zu beachten, keine Meinung, sondern geltendes Verfassungsrecht.
Als Souverän hat einzig und allein das Volk das Recht, sich selbst eine Verfassung zu geben und mit dieser Verfassung seine Organe, nämlich den Staat, auf seinen Willen zu verpflichten. Auch das ist vielen nicht bewusst: die Verfassung verpflichtet nicht die Bürger, das kann sie gar nicht, die sind ja der Souverän, sondern den Staat.
Siehe Präambel GG: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." Klar und eindeutig.
Dieses gleiche Grundprinzip der Demokratie sollten die Piraten genau so allen anderen Staatsvölkern zuerkennen, und das mit dem Satz "Der Souverän eines Staates ist sein Staatsvolk".
Trotz seiner Kürze hat dieser Satz es also in sich. Er ist genau so knapp, klar und umfassend, wie der berühmte, von den Müttern des Grundgesetzes ohne wenn und aber erzwungene Satz: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Punkt. Fertig. Der jedoch in einer noch von Männern dominierten Gesellschaft (als er in's Grundgesetz aufgenommen wurde, galt z.B. noch das Gesetz, wonach ein Mann die Arbeitsstelle seiner Frau ohne Rücksprache mit ihr kündigen konnte) erhebliche Konsequenzen hatte. Genau so erhebliche Konsequenzen hat der Satz "Der Souverän eines Staates ist sein Staatsvolk".
In der Erklärung der Anregung steht: "An Stelle freier selbstbestimmender Bürger haben wir es mit souveränen Staaten als Subjekte des Handelns zu tun." Genau das aber ist nicht gemeint. Denn der souveräne Staat kann auch z.B. eine klassische Monarchie sein (oder eine moderne, wie Nordkorea). In einer solchen Monarchie übt der Monarch (oder auch Diktator), zivilrechtlich gesprochen, eine Geschäftsführung ohne Auftrag aus. Und es ist oft höchst zweifelhaft, ob diese 'Geschäftsführer' das tun, was ihr Souverän, nämlich das Staatsvolk, will. Genau das sollten wir sorgfältig trennen und nicht vermischen. Das tun wir aber, wenn wir sogar noch sagen würden, "an Stelle freier selbstbestimmernder Bürger". Denn wer hat das Recht, in irgend einem Staat an der Stelle des Souveräns zu stehen? Wem wollen wir das zuerkennen? Kim dem III.? Oder Ahmadinedjad? Robert Mugabe? Oder Assad? Selbstverständlich sind die Staaten souverän. Aber sie sind souverän, weil die Staatsvölker souverän sind. Und diese Souveränität sollte unserer Ansicht nach nicht übertragbar sein auf irgend einen Diktator, der sein Volk zu Unmündigen erklärt und sich selbst zu ihrer aller Vormund, womöglich auch noch das Recht beansprucht zu entscheiden, ob ein Bürger zum Volk gehört oder nicht und ihn ggf. umzubringen.
Wenn die Sache mit dem Souverän geklärt ist, so folgt für uns daraus aber noch etwas anderes: nämlich dass auch wir, ebensowenig, wie jeder andere Staat, das Recht haben, nun unsererseits ein Staatsvolk zu Unmündigen zu erklären und die Vormundschaft zu übernehmen. Wir haben nicht das Recht, für andere Völker Menschen- und Bürgerrechte durchzusetzen und ihnen unsere politischen Vorstellungen überzubraten. Ihnen, wie mancher so gern sagt, ihren Staat aufzubauen. Selbstverständlich haben wir als Demokraten die Pflicht, den Staatsvölkern bei ihren Bemühungen, Kämpfen gar für ihre Rechte als Souverän gegen diejenigen, die sich anmaßen, selbst Souverän zu sein, beizustehen und sie zu unterstützen. Die Frage ist aber, wer denn der Herr der Sache ist. Und der Herr der Sache sind nicht wir, sondern das betroffene Staatsvolk. Wir können und sollten natürlich Rat geben, so wir danach gefragt werden. Doch wir müssen uns klar machen, ob dieser Rat angenommen wird oder nicht, ist nicht unsere Entscheidung, sondern die Entscheidung des souveränen Staatsvolkes. Und alles andere ist m.E. altes kolonialistisches Denken.
Wir haben das Beispiel Irak (und in Afghanistan sieht es ähnlich aus). Dort hatte Bush (u.a.!) beschlossen, den Irakern den Segen der Demokratie und eines anderen Staatssystems zu bringen. Saddam Hussein hat gewiss kaum jemand eine Träne nachgeweint. Aber dass ein anderer Staat sich nun seinerseits zum Souverän über ein Volk aufschwingt und beschließt, wie sein Staat auszusehen habe, das duldet kein Volk. Darauf reagiert es selbstverständlich mit Feindseligkeit und mit dem Willen, sich seine Souveränität auch mit Gewalt zurück zu erobern.
Und noch etwas anderes ist zu bedenken: der Preis für den Sturz einer Diktatur ist Blut, und zu zahlen hat ihn das Volk. Wer hat das Recht darüber zu bestimmen, ob und wann das Volk diesen Preis zahlen will? Über sein eigenes Leben zu bestimmen, das Recht hat nun wirklich niemand außer dem, dessen Leben es ist.
Die unter Punkt 4. erwähnten Dinge, auch die Transparenz, sind dem gegenüber nachrangig, aber deswegen nicht unbedeutend. Denn damit stehen wir dafür ein, den Völkern überhaupt die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Souveränitätsrechte auszuüben. Man kann nicht entscheiden über etwas, von dem man gar nicht weiß, dass es zu entscheiden ist (Transparenz). Man kann nicht an Diskussionen teilnehmen, wenn man von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, weil die Eliten ihr Herrschaftswissen für sich behalten (Bildung). Und man kann nicht seine eigene Existenz sichern und sein Land entwickeln, wenn alle Produktionsfaktoren, insbesondere Boden und Kapital, in den Händen Weniger sind, die die Macht haben und ausüben, zu verhindern, dass tüchtige Bürger ein eigenes Unternehmen aufziehen, Arbeitsplätze schaffen und ihnen womöglich unliebsame Konkurrenz machen. Die statt dessen sagen, wir brauchen euch hier nicht, ihr seid überflüssig, verhungert oder haut ab, dann sind wir euch los.