Initiative gemeinsames Wahlprogramm/Anträge für die Umfrage 2013/Wahlprogramm BPT - 105

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Innen- und Rechtspolitik
Nummer: 105
Antragsteller: LunaLoof
Bundesparteitag: 2013.1
Zusammenfassung: Der Antrag verallgemeinert Forderungen zur Reform des materiellen Strafrechts und führt sie so in einem Antrag zusammen. Hieran haben neben einigen anderen Personen, die mich bei der Formulierung des Antrags unterstützt haben, also auch viele andere Antragsteller früherer Parteitage Anteil gehabt. Leider gibt es noch kein LQFB-Ergebnis hierzu, da ich den Antrag gerade erst eingestellt habe.
Schlagworte: Strafrechtsreform, Kriminalprävention, Entkriminalisierung, wissenschaftliche Evaluation, Strafrecht als schwerer Grundrechtseingriff
Ranking: 1
Datum der letzten Änderung: 12.03.2013
Inhalt
Titel: Strafrechtsreform durch Prävention und Entkriminalisierung
Text: Der Bundesparteitag möge beschließen, folgenden Text an geeigneter Stelle in das Wahlprogramm aufzunehmen:

Evaluation vergangener Strafrechtsreformen

Die Strafrechtspolitik der anderen Parteien hat sich in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich durch die Kriminalisierung von bisher straffreiem Verhalten und Strafverschärfungen ausgezeichnet. Häufig erfolgten entsprechende Reformen überhastet nach intensiver Diskussion von spektakulären Einzelfällen in den Medien. Einem solchen blinden Aktionismus wollen wir entgegentreten und das Strafrecht wieder sinnvoll weiterentwickeln, indem wir uns hierzu wissenschaftlicher Untersuchungen bedienen. Leitender Maßstab soll hierbei sein, dass so wenig wie möglich in das grundlegende Recht aller Menschen auf Freiheit eingegriffen werden soll. Haftstrafen sollen nur für solche Fälle vorgesehen werden, wo dies aufgrund der Schwere der Tat und dem Ausmaß der Schuld des Täters angemessen ist.

Schwerpunkt muss die Verhinderung von Straftaten sein und nicht die Bestrafung

Zwar kann jemand der im Gefängnis ist, zunächst einmal keine weiteren Straftaten begehen, aber dort kommt er mit anderen Personen zusammen, die ebenfalls Straftaten begangen haben und denen er sich dann zugehörig fühlt. Erst durch die Bestrafung fühlt sich der Täter als Krimineller abgestempelt und verhält sich nach seiner Haftentlassung auch entsprechend. In der Haft haben die Gefangenen zudem viel Zeit sich gegenseitig Fähigkeiten beizubringen, die sie nach Ende der Haft für weitere Straftaten nutzen können. So hat eine Studie aus den frühen 80er Jahren zu dem Ergebnis geführt, dass weniger oft mehr ist, also die Personen, die nicht oder kaum bestraft wurden, seltener rückfällig wurden (1). Auch ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere junge Menschen vermehrt straffällig werden. Ab Mitte 20 geht die Anzahl der straffällig werdenden Menschen drastisch zurück, ohne dass hierfür eine Erklärung in besonders strengen Strafgesetzen oder einer abschreckenden Bestrafung gefunden werden könnte (2). Auf diese schwierige Entwicklungsphase junger Menschen sollte daher auch besonders Rücksicht genommen werden. Auch wenn wir gesellschaftliche Integration für die beste kriminalpräventive Maßnahme halten, sollen auch andere Maßnahmen, die sich stärker an besonders gefährdeten Personengruppen, z.B. Vorbestrafte oder bestimmte Milieus, wenden, gefördert werden (3). Unser Ziel ist es durch solche Maßnahmen die Kriminalitätsrate insgesamt zu senken.

Überprüfung aller Straftatbestände unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten

Um eine kontraproduktive Stigmatisierung durch Strafe generell zu verhindern, wollen wir alle Straftatbestände dahingehend überprüfen, ob sie sinnvoll und erforderlich sind.

Auch gilt es zu bedenken, dass ein Haftplatz pro Tag ca. € 80,- bis € 100,- kostet (4), monatlich damit ca. € 2.700,- und jährlich ca. € 32.000,- , finanziert vom Steuerzahler, ganz abgesehen von den Kosten für die Strafverfolgung und den Gerichtsprozess. Ob sich das rechnet, wenn jemand z.B. durch Schwarzfahren nur ein paar Euro Schaden verursacht hat?

Heutige Straftatbestände, die nicht strafwürdiges Verhalten unter Strafe stellen, sollen zu Ordnungswidrigkeiten oder Antragsdelikten herabgestuft, im Strafrahmen gesenkt oder gänzlich straffrei gestellt werden.

Strafrecht muss dem realen Rechtsgüterschutz dienen

Strafwürdig sind nur solche Handlungen, die individuelle Rechtsgüter anderer Menschen, wie z. B. Leben, Gesundheit oder Eigentum, verletzen oder erheblich gefährden.

Rein abstrakte Gefährdungsdelikte sollen darauf untersucht werden, ob konkrete, individuelle Rechtsgüter gefährdet werden (z. B. körperliche Unversehrtheit, konkrete Menschenwürde), eine Gefährdung bewiesen ist (wie die verringerte/fehlende Fahrtüchtigkeit durch Trunkenheit) und die Gefährdung ein nennenswertes Ausmaß erreicht (also nicht nur in absoluten Einzelfällen zur Verletzung eines Rechtsguts führt). Falls diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, sollte eine Entkriminalisierung im Einzelfall angedacht werden.

Auch solche Delikte, bei denen es keine Opfer gibt, wie z. B. Besitz und Kauf von Drogen durch volljährige Konsumenten, sollten straffrei sein, denn es ist nicht Aufgabe des Strafrechts, mündige Bürger vor sich selbst zu schützen.

Keine Bestrafung bei nur geringem Unrechtsgehalt

Aber auch hier wollen wir überprüfen, ob nicht bestimmte Taten straffrei bleiben sollen, wenn diese nur einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen, z.B. weil nur ein sehr kleiner Schaden entstanden ist, oder sie nicht sozialschädlich sind.

So ist beispielsweise fraglich, ob jemand, der weggeworfene Lebensmittel aus einer Mülltonne oder Gegenstände vom Sperrmüll holt, dafür bestraft werden sollte.

Zu den nicht sozialschädlichen Straftaten gehört das sog. "White-Hat-Hacking", bei dem Hacker ohne Beauftragung testen, ob Firmen oder Behörden Sicherheitslücken in ihrem Computernetzwerk haben, und diese bei Entdecken solcher Lücken darüber informieren. Auch Whistleblower (Personen, die auf Missstände aufmerksam machen) müssen häufig Straftaten begehen, um ihre Vorwürfe unter Beweis stellen zu können. Insbesondere solche, die private oder staatliche Geheimnisse schützen sollen (z.B. §§ 94, 95, 96, 109g, 203, 353b und 355 StGB), hier aber ausnahmsweise nicht schützenswert sind. Die Mitteilung solcher Geheimnisse im Rahmen des Whistleblowings sollte zumindest begrenzt auf den notwendigen Umfang legalisiert werden.

Abschaffung von bloßem Moralstrafrecht

Auch stellt sich die Frage, ob ein moderner Staat das Recht hat, bestimmte Moralvorstellungen durchzusetzen, indem er entsprechende Verhaltensweisen unter Strafe stellt, obwohl sonst kein Rechtsgut eines Anderen verletzt wurde. Beispiele hierfür sind die §§ 173 und 184 StGB, die den Beischlaf zwischen einwilligungsfähigen volljährigen Verwandten und die Verbreitung pornografischer Schriften und sei es nur durch den Versand an einen willigen Empfänger unter Strafe stellen. Diskriminierend ist auch § 183 StGB, der nur exhibitionistische Handlungen von Männern, nicht aber von Frauen und Eichhörnchen unter Strafe stellt.

Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Rechtsstaats

Nicht abgeschafft werden sollen dagegen solche Verbote, die notwendig sind, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und den Rechtsstaat zu verteidigen. Deutschland muss wehrfähig gegen Bestrebungen bleiben, die sich gegen das Grundgesetz und die darin verbürgte verfassungsrechtliche Ordnung wenden, aber auch hier sollte geprüft werden, ob einzelne Bestimmungen des Strafgesetzbuches tatsächlich hierzu erforderlich sind, wie z.B. das Verbot auf die Bundesrepublik Deutschland zu schimpfen oder die Farben, die Flagge oder die Nationalhymne Deutschlands zu verunglimpfen. Hier sollten insbesondere die Meinungs- und Kunstfreiheit stärker berücksichtigt werden.

Verhängung von Strafen muss besonders gerechtfertigt sein

Das Strafrecht ist das schärfste Mittel des Staates gegen die Freiheit seiner Bürger und sollte daher nur mit Augenmaß angewendet werden. Strafe sollte daher - wie die Juristen sagen - ultima ratio, also letztes Mittel sein, wenn es um die Einwirkung des Staates auf seine Bürger geht. Haftstrafen greifen besonders empfindlich in das Grundrecht des Menschen auf Freiheit seiner Person ein und bedürfen daher auch einer besonderen Rechtfertigung. Als liberale Partei sollten wir an eine solche Rechtfertigung besonders strenge Maßstäbe anlegen. Hierfür wollen wir uns einsetzen.

Fußnoten (Nicht Bestandteil des Antrags):

(1) Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren: jugendrichterliches Handeln vor dem Hintergrund des Brücke-Projekts / Pfeiffer, Christian, 1983.

(2) Prof. Dr. Wolfgang Heinz, Kriminalität von Deutschen nach Alter und Geschlecht im Spiegel von Polizeilicher Kriminalstatistik und Strafverfolgungsstatistik, 2004, http://www.uni-konstanz.de/rtf/kik/krimdeu2002.pdf, S. 28.

(3) Beispiele z.B. hier: http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak2/krimi/DVJJ/Aufsaetze/Roessner2004.pdf; hier: http://www.bpb.de/veranstaltungen/dokumentation/130091/jugendgewalt-jugendkriminalitaet-und-praevention-was-koennen-wir-tun?p=all und hier: http://www.polizei-beratung.de/medienangebot/details/form/7/36.html.

(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/gefaengnis-privatisierung-hinter-gittern-ist-ein-traum-geplatzt-1.262934

Begründung: Der Antrag verallgemeinert Forderungen zur Reform des materiellen Strafrechts und führt sie so in einem Antrag zusammen. Diese werden als Beispiele für möglicherweise abzuschaffende Straftatbestände gewählt, aber es wird auch signalisiert, dass nicht alle Straftaten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung straffrei gestellt werden sollten. Da der Antrag seine Begründung größtenteils bereits enthält, wird hier von einer weiteren Begründung abgesehen. Eine Auflistung aller miteinbezogenen Forderungen in diesem Themenbereich kann man hier finden: http://wiki.piratenpartei.de/Initiative_gemeinsames_Wahlprogramm/Wahlprogramm/Innen_und_Rechtspolitik/Links#.28Strafrecht.29
Piratenpad: -
Liquid Feedback: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/6141.html
Wiki-Antragsfabrik: -


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