Die multilaterale und zu entwickelnde föderale EU-Staatlichkeit muss endlich wie endgültig konsequent und umfassend als parlamentarisches Regierungssystem konstituiert werden. Denn nur dieses System bietet erfahrungsgemäß die höchste auch tatsächliche Gewährleistung von Geist und Funktion einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Für die EU heißt das, die Zentralität der Willensbildungs-, Initiativ- und Entscheidungskompetenzen von den administrativen Institutionen weg ausschließlich auf die politischen bzw. parlamentarischen zu verlagern.
Zum einen ist dafür eine voll umfängliche Initiativ- und Gesetzgebungskompetenz des EU-Parlaments wenigstens übergangsweise durch umfassende EU-Vertragsreformen zu gewährleisten. Zum andern ist zur ganzheitlichen Umwandlung des EU-Administrationssystems in ein parlamentarisches Regierungssystem die Gründung einer Zweiten Kammer, eines sog. EU-Senats, erforderlich.
Hierfür hat die EU endgültig die (formale) Dominanz der Nationalstaatlichkeit durch angemessenen Souveränitätsverzicht zu überwinden. Daher überzeugt der Verweis auf den EU-Rat und dessen Einordnung als „Zweite Kammer“ neben dem EU-Parlament natürlich nicht, da der EU-Rat auch praktisch lediglich die Politiken der Mitgliedsstaaten intergovernmental additiv koordiniert und vor allem nicht im Rahmen einer verfassungsstaatlichen Gewaltenteilung legitimiert ist. Denn ein weiteres Legitimationsdefizit ergibt sich auch aus der Verschränkung aktueller EU-Ratsfunktionen mit exekutivem Regierungshandeln („Doppelhut“ jedenfalls in der Außenpolitik).
Auch eine Institutionalisierung der sog. „Vereinigung der Senate Europas“ („Senateurope“), am 8. November 2000 in Paris gegründet, könnte nicht der Forderung nach Gründung einer Zweiten Kammer im Rahmen eines parlamentarischen Regierungssystems der EU entsprechen. Die politische Ausrichtung dieser zwischenstaatlichen Organisation - Förderung des Zwei-Kammersystems in der parlamentarischen Demokratie, Stärkung der europäischen Identität und des europäischen Bewusstseins – verdient zwar ungeteilte Zustimmung. Dennoch: Die Mitglieder des einmal jährlich tagenden „Senateurope“ (aus 15 Mitgliedsstaaten auch außerhalb der EU) sind Delegierte nationaler Zweiter Kammern und also wiederum nicht originär europäisch legitimiert.
Die volle demokratische Legitimation kann also nur im Rahmen eines parlamentarischen EU-Regierungssystems, d. h. eines wirklich europäisch konstituierten Zweikammer-Systems erzeugt werden. Die dafür erforderliche Gründung eines EU-Senats hat für die Piraten dabei vor allem folgende weitere Voraussetzungen und Ziele zu berücksichtigen:
1. Zusätzlich zur repräsentativ-demokratischen Funktion des EU-Parlaments (freies Mandat der EP-Abgeordneten) ist zur Gewährleistung einer umfassenden und vollständigen Bürgerbeteiligung in der realen wie digitalen europäischen Gesellschaft die direkt-demokratische Funktion durch eine Zweite Kammer, eben den EU-Senat, zu organisieren.
2. Dabei stehen EP und EU-Senat grundsätzlich in einem unabhängigen, zugleich konkurrierenden Gesetzgebungsverhältnis. Dies ist auch durch die Ansiedlung der Institutionen an getrennten Sitzen auszudrücken. So könnte der EU-Senat etwa in Straßburg (F) angesiedelt werden, da die Parlamentsfunktionen des EP ohnehin in Brüssel (B) zentriert sind.
3. Zur Erfüllung des direkt-demokratischen Auftrags sind die Repräsentanten eines EU-Senats, Senatorinnen / Senatoren, mit einem imperativen Mandat auszustatten und nur ausnahmsweise etwa im Falle höchstpersönlicher Gewissensentscheidung davon freizustellen.
4. Die EU-Senatsmitglieder sollen direkte Vermittler und Koordinatoren des freien Bürgerwillens sein und gemäß direkter Beauftragung „von unten“ oder im Rahmen von jeweils alternativen Vorlageverfahren „von oben“ auf der Grundlage einfacher, klarer und transparenter Verfahrens- und Abstimmungsregeln agieren.
5. Die Senatorinnen / Senatoren haben dabei unter Maßgabe umfassender Funktions- und Sachtransparenz europapolitische Themenführungen direkt mit den vertretenen Bürgern angemessen zu kommunizieren, daraus jeweilige Willensbildungen und Entscheidungsfindungen zu erzeugen und abzufragen, um diese dann im EU-Senat vorzutragen bzw. in dessen Entscheidungsprozesse einzugliedern.
6. Über den daraus folgenden Sachstand in den jeweils anhängenden oder abgeschlossenen Abstimmungsverfahren ist dann in direkter Rückverbindung zum mitbestimmenden Bürger dieser zeitnah und vollständig zu informieren und aufzuklären; je nach Lage ist ggf. auch ein weiteres Vorgehen neu zu verabreden.
7. Die Mitglieder des EU-Senats sind EU weit und gleichzeitig zu wählen. Über die rechtsstaatlichen Anforderungen der Wählbarkeit und über die tatsächliche Üblichkeit hinaus sind die Kandidaten zum EU-Senat frei, sich auch und gerade ohne die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei zur Wahl zu stellen. Darüber hinaus sind die formalen Voraussetzungen für die Wählbarkeit einer Person nicht auf das Herkunftsland, sondern ausschließlich auf den Wohnort zu beziehen.
8. Jedes Mitglied des EU-Senats repräsentiert die Bürger einer jeweiligen Region in der EU. Zur Bestimmung der Regionen kann es sinnvoll erscheinen, auf die geopolitische Aufteilungslogik und Organisationsstruktur des „Ausschusses der Regionen“ (AdR) der EU zurückzugreifen.
9. Die durch die Etablierung des EU-Senats bedingte Dynamisierung europäischer Politikentwicklung kann zur Folge haben, dass dem heutigen EU-Rat eine zumindest noch beratende Position verbleibt, d. h. eine aktuell noch führende Funktion in der Vertretung strategischer Interessen leerläuft. Dadurch „entfällt“ auch die Position des EU-Präsidenten. Dieser ist dann im Rahmen einer neuen, angepassten Regelung durch die beiden parlamentarischen EU-Kammern vorzuschlagen und zu wählen.
10. Die Einführung eines Zwei-Kammersystems und damit eines parlamentarischen EU-Regierungssystems setzt freilich die Ausarbeitung einer EU-Verfassung und also die Einsetzung eines EU-Verfassungskonvents als verfassungsgebender Versammlung voraus.
Um die Ausarbeitung einer wirklich europäischen Bürgerverfassung zu gewährleisten, ist über die Initiative zu entscheiden, (partei-) unabhängige kommunale / regionale EU-Bürgerkomitees auch womöglich bereits als Teil des Wahlkampfs zum EP 2014 zu bilden. Durch die frühzeitige Teilhabe und Mitbestimmung im verfassungsgebenden Prozess kann so eine wirklich transformative Entwicklung der EU und ihrer Gesellschaftswelten hin zu einer realen, auf Dauer angelegten Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit der EU eingeleitet werden.
11. Eine EU-Verfassungsinitiative und Initiative zur Gründung eines EU-Senats etwa im Rahmen der sog. „Europäischen Bürgerinitiative“ (EBI) gemäß Lissabon-Vertrag erfolgversprechend zu organisieren, ist hier trotz naheliegender Lösung zu bezweifeln, da diese sehr wahrscheinlich nicht den Zulassungsvoraussetzungen der EU-Kommission entsprechen kann.
12. Daher ist durch die Piraten als auch treibender Kraft und politischer Bewegung einer EU-Transformation zu prüfen und zu entscheiden, die neu gegründete europäische Piratenpartei, die PPEU, mit der Initiierung und Koordinierung der Gründung und Umsetzung von „verfassungsgebenden“ EU-Bürgerkomitees vor allem auch als gesellschaftliche, tatsächliche Vorstufe zur Einrichtung eines EU-Senats zu beauftragen.
13. Denn es ist nicht zu verkennen oder zu übersehen, dass ein EU-Senat auch als Arbeitsergebnis einer EU weiten politischen Bürgerbewegung mit zusätzlich verfassungsvorschlagender Funktion eingerichtet werden kann. Die europäische Staatlichkeit ist schließlich für und von Menschen und Gesellschaften zu betreiben – und nicht umgekehrt. Für die Arbeit der EU-Bürgerkomitees ist daher auch eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem EU-Parlament zu empfehlen.
Die zu Beginn noch nicht vollständig formalisierte demokratische Willensbildung im Rahmen der im Zweifel nicht hinreichend repräsentativen EU-Bürgerkomitees ist dann durch schnellst mögliche Direktwahlen zum EP und EU-Senat nachzuholen und damit zu heilen. Dieses anfängliche Legitimationsdefizit ist dann im übrigen wesentlich geringer als das der aktuellen Gesamtfunktionen der EU-Institutionen und somit für eine kurze Übergangszeit hinnehmbar, da andernfalls ein transformativer Ausstieg aus den aktuellen begrenzten Rechtsbedingungen (etwa im Rahmen der EBI) und ein freier demokratischer Neuanfang auch nicht zu leisten wäre.
Das Engagement der Piraten für die Gründung eines EU-Senats ist letztlich vor allem vor dem Hintergrund zu begreifen, dass die historische Idee eines integrierten Europas nur durch die endgültige wie vollständige Demokratisierung und direkte Bürgerbeteiligung gerettet und umgesetzt werden kann. Das heißt jetzt zuerst, das Regieren Europas mit den Menschen rück zu verbinden und damit die EU aus der immer offensichtlicher werdenden Sackgasse raus zu führen.
Die Regulierungsdichte durch die letztlich reine Verwaltung der EU wird immer unverständlicher sowie zunehmend als illegitim und als Bevormundung erfahren und begriffen. Zugleich wird das gesamte Defizit bzw. Politik-Vakuum aufgrund der Ohnmacht in der EU offensichtlich, menschengerechte und für die Menschen konstruktiv wirksame Politik zu gestalten.
Während die EU in der internationalen Politik ihr Renommee als Friedensmacht verspielt hat, ist sie in der europäischen Innenpolitik auf dem direkten Weg in die Oligarchie bzw. Oligokratie angekommen. Damit wird der Rückfall in die traditionelle nationale Egozentrik und in auch nicht auszuschließende Gewalteskalation in Europa beschleunigt, wenn nicht sogar unausweichlich.
Nur die von den Piraten leidenschaftlich und dringlich eingeforderte Demokratisierung der EU durch direkte EU-Bürgerbeteiligung ist geeignet, diesen Prozess umzukehren und die Weiterentwicklung der Stärken der EU aus der Vielfalt ihrer Kulturen zu integrieren und zu transformieren.
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