Wir versuchen im Folgenden die komplexe europäische Krise analytisch zu deuten und nachvollziehbar zu machen. Wir sind zu der Überzeugung gelangt: Lösungen für die Krise müssen bevorzugt aus gesamteuropäischer Sicht gedacht werden.
Die Analyse der Situation:
Durch ein unzureichendes Verständnis von Finanzmärkten, eine falsch konstruierte Währungsunion, Deutschlands Export- und Wettbewerbsfixierung sowie unterschiedlicher Wirtschaftspolitiken kam es zu Verwerfungen in der Währungsunion. Man war fixiert auf die Staatsverschuldung und hat die private Verschuldung ignoriert. Man hat die Währungsunion nach den Grundsätzen effizienter Finanzmärkte konstruiert, die sich in der Krise jedoch als falsch erwiesen. Dies war dem damaligen Zeitgeist in der Ökonomie und Wirtschaftspolitik geschuldet. Die "vermeintliche" wirtschaftliche Stärke Deutschlands, die auch mittels Regelverstößen (gegen das gemeinsame Inflationsziel) und auf Kosten der Nachbarn erkauft wurde, ist dabei durch ein Auseinanderfallen der Währungsunion in hohem Maße gefährdet. Ein ungeeignetes Krisenmanagement, das sich alleine durch Sparpolitik äußert, verstärkt die Krise noch.
Im folgenden betrachten wir die Teilaspekte der Krise detailliert:
Teilkrise 1: Als erstes zu nennen ist hier eine aus einer privaten Überschuldung (Kreditblase) hervorgegangene Staatsschuldenkrise in einigen Ländern Europas.
In vielen Ländern die dem Euro-Raum beitraten entwickelten sich auf im Detail jeweils unterschiedliche Art und Weise "Kredit-Blasen". Die gemeinsame Währung, bei fehlender gemeinsamer Bankenaufsicht lies es zu, dass sich in diesen Ländern Marktteilnehmer mit billigen Krediten eindeckten, die zu Finanzblasen führten, deren "Platzen" nur eine Frage der Zeit war. Die Schulden wanderten im Rahmen der jeweiligen nationalen Rettungsmaßnahmen zunehmend in die jeweilige öffentliche Bilanz. Dadurch wurde aus einer privaten Überschuldungskrise eine Staatsschuldenkrise (Ausnahme - Griechenland). Wie bei jeder Kreditblase kam es auch hier zu Korruption und Betrug. Aber es wäre fatal sich darauf zu beschränken die Gier der Banken zu beklagen. Die Kriminalität einzelner erscheint fast als Symptom einer Krise, die System hat. Außerdem muss man sich die Frage stellen wie aus einer lokalen Krise am Rande Europas eine umfassende Erschütterung der Eurozone werden konnte. Die Antwort darauf, liefert der nächste Teilaspekt der Krise:
Teilkrise 2: Die falsche Konstruktion der Eurozone: Eine Gemeinsame Währung mit 17 unterschiedlichen Staatsanleihen, das erweist sich nun als fatal.
Eine Art Wettbewerb, bei dem es darum geht welches Euro-Land die vertrauenswürdigsten Staatsanleihen herausgibt ist nicht kompatibel mit einer gemeinsamen Währungsunion oder gar einer gemeinsamen Solidarität untereinander. Und dies war auch gar nicht gewollt: Als die Euro-Zone nach 1992 konstruiert wurde setzte sich die deutsche Position durch. Es wurden Kriterien festgelegt ("Bail-out" Verbot, Defizitgrenze und Staatschuldengrenze) und auf eine disziplinierende Wirkung der Märkte auf die Regierungen der jeweiligen Mitgliedsländer gesetzt. Folge: Bei einer kritischen Entwicklung können die Markteilnehmer zwischen den jeweiligen Staatsanleihen wechseln und bringen so einzelne, auch wirtschaftlich gesunde Staaten, ins Wanken. Genau dies ist während der Euro-Krise passiert. Vergrößert wurden die Probleme dann noch zusätzlich durch massive Kapitalfluchtbewegungen.
Die EZB hat sich lange gesträubt Staatsanleihen zu erwerben. Erst im Juli 2012 griff sie entschieden ein und EZB-Chef Draghi kündigte an "alles" zu tun um den Euro zu retten. Allein schon die psychologische Wirkung dieser Ankündigung hatte ausgereicht um die Anleger zu beruhigen. Die Europäische Zentralbank ist ganz offensichtlich die einzige Institution in Europa, die in der Euro-Krise, wenn auch verspätet, handlungsfähig war und ist. Die Politik der Bundesregierung hat sich hingegen als eine echte Gefahr für den Euro herausgestellt und führt uns zum nächsten Krisenpunkt.
Teilkrise 3: Der Krisen-Aspekt der bisher im politischen Diskurs zu kurz kommt, der aber mitentscheidend ist: Alle Bundesregierungen seit Schröder haben gegen das gemeinsam vereinbarte Inflationsziel in der Währungsunion verstoßen. Deutschland betreibt Lohndumping und verzerrt so den Wettbewerb in der Eurozone. Die Agenda 2010 hat den Niedriglohnsektor gefördert und treibt den Euro auseinander. Diese Politik funktioniert nur in dieser einmaligen Situation der Währungsunion. Man kann durch Lohnzurückhaltung (interne Abwertung) sich einen Vorteil verschaffen. Bei einer eigenen Währung ist dies nicht möglich, da durch deren automatischer Aufwertung dieser Vorteil wieder zu Nichte gemacht würde. Andere europäische Länder, die sich an die Spielregeln halten und in denen reguläre Löhne (nach Produktivitätsentwicklung) gezahlt werden, können da nicht mithalten. Selbst solche Länder, deren Volkswirtschaften eigentlich intakt und produktiv sind kommen unter Druck. Ein Teil der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands resultiert also aus einer mehr als zweifelhaften Sozial- und Lohnpolitik und wird mit einer rein auf Export fixierten Wirtschaftspolitik auf Kosten der europäischen Nachbarn erkauft. Kein Wunder also, dass wir ihnen nun helfen müssen. Aber selbst bei diesen Hilfen werden die falschen Schwerpunkte gesetzt.
Teilkrise 4: Krisenmanagement. Die europäischen Regierungschefs haben mit ihrer Entscheidung für Austerität (Sparpolitik), eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Das schlimmste was man machen kann, ist sofort zu sparen sobald sich irgendwo Krisensymptome zeigen. Wir haben Arbeitslose, vor allem junge Leute, in Europa die gerne arbeiten würden, wir haben Menschen die gerne konsumieren würden. Dieses produktive Potential wird aber erstickt durch die Spardiktate, die den Krisenländern auferlegt werden und dort die Wirtschaft weiter zum Erliegen bringen.
Lösungen
Zentrale Frage: Wer kann welche Last bei der Krisenbewältigung übernehmen ohne dass das demokratische und ökonomische System ins Wanken gerät? Folgende Möglichkeiten, die teilweise neue Verträge oder institutionelle Änderungen erforderlich machen, ziehen wir in Betracht:
- Direkte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank mit geringer Zinsbelastung (vgl. auch den Antrag 132: Staatsschulden neu denken)
- Übernahme und Verlängerung von Staatsanleinen in die Zentralbankbilanz (Beispiel Irland). Konsequenter Einsatz der EZB als "lender of last ressort" (letzter Kreditgeber)im gemeinsamen Währungsgebiet
- Bankenunion, Bankenrestrukturierung mit Bail In Verfahren (Reduzierung des überdimensionierten Bankensektors, Beteiligung von Eigentümern, Anleihenhaltern und gegebenenfalls von Einlagen (bei angemessener Bemessungsgrenze). Dies benötigt parallel eine effektive Finanzmarktregulierung
- Koordinierte Wirtschafts-und Lohnpolitik auf europäischer Ebene (die notwendigen Anpassungen werden Jahre benötigen). Orientierung an der Entwicklung der Lohnstückkosten und am gemeinsam vereinbarten Inflationsziel.
- Schließung von Steueroasen, Steuerharmonisierung um Steuerflucht und Steuerwettbewerb zu vermeiden. Dies erfordert eine teilweise Souveränitätsverlagerung bei der Steuerpolitik auf die europäische Ebene.
- Maßnahmen die zu einer gerechteren Einkommensverteilung führen. Prüfung von Vermögens- und Erbschaftssteuern um der zunehmenden Ungleichverteilung zu begegnen.
- Die Forderung nach einem stärkeren Einsatz der Fiskalpolitik zur Ankurbelung der Wirtschaft in den Krisenländern. Investitionsprogramm (Marshall Plan) über z. B. Europäische Entwicklungsbank (sollte jedoch dezentral organisiert werden).
Um die Krise dauerhaft unter Kontrolle zu kriegen, müssen Geld -und Fiskalpolitik in der Eurozone koordiniert und im richtigen Mix eingesetzt werden.
Die Lösungen werden von uns aus der Sicht des Nutzens für die gesamte Eurozone konzipiert. Sie erfordern daher auch hier eine Abkehr von kurzfristigen nationalen (auch deutschen) Interessen hin zu einer gemeinsamen Vorgehensweise, die langfristig zudem auf demokratischen Fundamenten ruhen muss. Nur so wird die neue Ausgestaltung der Währungsunion als gerecht für alle Beteiligten empfunden werden.
Einer zentralen Rolle kommt hierbei der europäischen Zentralbank zu. Sie ist derzeit einzige Institution in Europa die Handlungsfähig ist und mit dem Versprechen Staatsanleihen der Krisenländer notfalls unbegrenzt aufzukaufen wahrscheinlich den Euro vorerst gerettet hat. So bildet die EZB zur Zeit eine nicht demokratisch legitimierte De-Facto Regierung der Eurozone. Doch der eingeschlagene Weg ist grundsätzlich der richtige.
Schuldenschnitte sind mit ihren Folgen nicht kalkulierbar. Sie untergraben das Vertrauen in den Euro und durch die Verlagerung der Schulden auf die Staatshaushalte gibt es für die Allgemeinheit keinen wirklichen Nutzen mehr. Das größere Problem liegt in den Bilanzen der Banken (die private Verschuldung), sie sind aggregiert mehr als dreimal so groß im Verhältnis zum BIP der Eurozone wie die Staatsschulden. Dort präferieren wir bei der Restrukturierung des europäischen Bankensektors ein Bail-In Verfahren. Verweisen jedoch darauf, dass die Gewinner aus den vergangenen Finanzblasen so nicht mehr ausreichend an den Kosten der Restruktierung des Bankensystems herangezogen werden können. Hier müssen umverteilende Maßnahmen zusätzlich angedacht werden (Vermögens- und Erbschaftssteuern).
Anleiheinkäufe durch die Zentralbank, also quasi Staatsfinanzierung durch die Notenbank, löst das Problem ohne dass Gläubiger auf Vermögen verzichten müssen. Die Gefahr der Inflation ist dabei praktisch vernachlässigbar weil in dieser Situation, dank des Versprechens der Zentralbank und des dadurch gestiegenen Vertrauens, nicht alle Anleger ihre Wertpapiere gleichzeitig loswerden wollen..
Als Reaktion auf die ungleiche Inflationsentwicklung in der Eurozone braucht es eine koordinierte Lohnpolitik. Nur dann, wenn sich Löhne einheitlich entwickeln, kann die Geldpolitik ihre volle Wirkung entfalten. Die Löhne müssen sich an der Produktivität orientieren. Dabei sind zu hohe Lohnabschlüsse (Inflationsgefahr) ebenso zu vermeiden wie zu niedrige (Deflationsgefahr). Wir befürworten eine europaweite Tarifautonomie. Das wird flankierende politische Maßnahmen erfordern wie ein abgestimmtes Vorgehen beim Thema Mindestlohn.
Die gemeinsam beschlossene Zielinflation der EZB sollte dabei die Richtschnur für die gemeinsame Lohnpolitik darstellen. Die auseinandergelaufenen Lohnstückkosten werden in einer koordinierten Anpassung über einen längeren Zeitraum zurückgeführt werden müssen.
In Deutschland gilt es die Binnennachfrage durch eine bessere und breitere Einkommensverteilung zu stärken damit die Leistungsbilanzüberschüsse abgebaut werden können. Das ist nach unserem Verständis der beste Weg um die Ungleichgewichte in der Eurozone abbauen zu können.
Während die Bundesrepublik Deutschland alleine einen überschaubaren Wirtschaftsraum abbildet, wo es einigermaßen sinnvoll war eine konservative Geldpolitik (Bundesbank) zu verfolgen, wird im gesamteuropäischen Wirtschaftsraum eine andere Geldpolitik notwendig. Aus Sicht der gesamten Eurozone gibt es keinen Leistungsbilanzüberschuss gegenüber der restlichen Welt. Deutschland alleine hingegen hat einen gewaltigen Überschuss. Ein Ungleichgewicht im Welthandel geht von Europa als Ganzes also nicht aus.
Was vor allem von deutscher konservativen Ökonomen und Geldpolitikern als Lösungsvorschlag propagiert wird, ist Teil des Problems. Was wir stattdessen brauchen ist eine mutige neue unkoventionelle Geldpolitik, wie sie die EZB in den vergangenen Monaten konsequenterweise aber ohne demokratisches Mandat angefangen hat. Positiven Wettbewerb der gesellschaftliche Innovationen hervorbringt befürworten wir. Es gibt jedoch auch einen destruktiv wirkenden Wettbewerb. Wettbwerb auf staatlicher Ebene führt uns zu einem "Race to the bottom" , der sich in einem Steuersenkungs- und Sozialabbau spiegelt.
Die Weiterentwicklung der Union erfordert in einigen wenigen Bereichen eine gemeinsame Wirtschaftspolitik die von den europäischen Bürgern legitimiert ist. Wer in dieser Situation mit halbseidenen Argumenten Stimmung macht gegen einen Souveränitätsverlust Deutschlands, der kann sich vielleicht einiger Stimmen aus gewissen politischen Kreisen sicher sein, handelt aber verantwortungslos gegenüber den europäischen Nachbarn und langfristig auch unverantwortlich gegenüber den deutschen Bürgern, die später "Zur Kasse" gebeten werden müssen, wenn heute Europa nicht gemeinsam gerettet und auf eine stabile Basis gestellt wird.
Natürlich ist erkennbar, dass sich auch in den Krisenländern eine finanzstarke "Oberschicht"/"Oligarchie" gebildet hat, die darauf hofft, dass der europäische Steuerzahler seinen Wohlstand sichert. Dieses Problem muss durch Umverteilung, die eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes bewirkt, und durch europaweite Steuerharmonisierungen angegangen werden. Gleichzeitig müssen Investitionsprogramme die Wirtschaften aufbauen, damit die Jugend nicht verloren geht und die Krisenländer ihr wahres wirtschaftliches Potential entfalten können.
Alles in allem zeigt sich, dass ein Mehr an Europa die Lösung ist.
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