HE:Struktur/AK/Soziales/BA120904

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

Gespräch mit der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Hessen

4.9.2012, 10:00h
Saonestr. 1-3, Frankfurt a.M.-Niederrad

Teilnehmende

  • Dr. Frank Martin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Hessen
  • Peter Weißler, Geschäftsführer Arbeitslosenversicherung (SGB III)
  • Jürgen Erkmann
  • Christian Fleißner
  • Michael Kittlaus
  • Michael Passlack



Das Gespräch begann damit, dass Hr. Martin einen Überblick über die Entwicklung der BA seit 2000 gab:

seit Anfang 2000:

  • fachliche Mitarbeiter (Fallbearbeitung, Telefondienst, Eingangssituation) durchlaufen jetzt eine 3-jähriger Ausbildung (eigener Ausbildungsgang) oder sind studiert (Fallbearbeiter, höhere Positionen)
  • Einführung eines eigenen Telefondienstes mit umfangreichen Möglichkeiten, Anliegen und notwendige Dinge ohne persönlichen Besuch einer Agentur zu erledigen
  • Abwicklung in den Agenturen vollständig auf Terminierung umgestellt, seitdem kaum noch Wartezeiten für Klienten
  • Erarbeitung strukturierter Gesprächsabläufe und Training der Mitarbeiter im Klienten-Kontakt in Gesprächsführung, Deeskalation etc.
  • vor allem in höheren Führungspositionen wurden erfolgsabhängige Lohnanteile eingeführt

ab 2005 (Verabschiedung der Agenda 2010):

  • aufgrund der Organisation von Hartz IV entstanden erhebliche Probleme
  • die bisherigen erfolgreichen Prozesse blieben auf den Bereich ALG I beschränkt
  • im Bereich ALG II gab es erhebliche Probleme z.B. mit verteilten oder unklaren Zuständigkeiten zwischen Kommunen, Ländern und der BA und in der Folge davon wieder weniger Transparenz
  • dazu kommen Schnittstellen-Probleme und viel Aufwand für Transfer von Daten zwischen den neu entstandenen Einrichtungen der Optionskommunen mit oft eigenen IT-Systemen und der BA; Daten zu bekommen ist z.Tl. kompliziert geworden

Aktuell stehen erneut Umstrukturierungen und eine Schrumpfung der BA an (17.000 Stellen sollen eingespart werden) an, da sich zurückgehende Arbeitslosenzahlen in Einsparungen im Etat widerspiegeln sollen; der Abbau von Stellen erfolgt dabei unterproportional, d.h. im Ergebnis müssten danach immer noch weniger Klienten auf einen Fallmanager kommen als gegenwärtig.

Die Qualität bzw. Qualifikation des Personal in der Arbeitsvermittlung war ein Thema:

  • das ursprüngliche Modell des universell zuständigen Mitarbeiters erwies sich als nicht realisierbar
  • Spezialisierung als Ausweg: jetzt Leistungs-/Vermittlungs-/Berufsberatung sowie Arbeitgeber- u. Arbeitnehmervermittlung getrennt
  • Mitarbeiter z.B. im Eingangsbereich müssen i.d.R. den eigenen Ausbildungsgang der BA durchlaufen haben (Voraussetzung mittlere Reife)
  • Vermittler müssen i.d.R. studiert sein (Sozialpädagogik etc. oder an der eigenen Hochschule der BA in Mannheim und Schwerin)
  • der Betreuungsschlüssel Vermittler/Klienten beträgt derzeit ca. 1:80
  • in den gemeinsamen Einrichtungen mit den Kommunen ist z.Tl. im Rahmen des übereilten Aufbaus der neuen Betreuungs-/Vermittlungsstrukturen nach 2005 völlig sachfremdes Personal zum Einsatz gekommen

Wir fragten, welche Verbesserungswünsche die BA für sich selbst hat:

  • die BA sollte weitere Unabhängigkeit v.a. in Ressourcenfragen bekommen
  • die BA sollte freie Verfügung über ein zugewiesenes Budget haben anstelle von Mittelzuweisungen, die derzeit z.Tl. nach überkommenen Kategorien erfolgen
  • der strukturelle Umbau wird z.B. erschwert durch Vorgaben des öffentlichen Dienstes (Bsp.: wenn es aufgrund der Bedarfssituation an einem Ort sinnvoll wäre, eine Abteilung umzubesetzen – z.B. statt 4 Sachbearbeitern und 3 Teamleitern künftig 7 Sachbearbeiter zu haben –, geht das nicht, weil das im Stellenplan nicht vorgesehen ist)

...und welche Probleme die BA in der aktuellen Sozialgesetzgebung sieht:

  • eine grundlegende Revision der SGB II und III erscheint nicht wünschenswert
  • allerdings: in den Bereichen „Ausbildungsvermittlung“ und „Rehabilitanten“ führen verworrene Schnittstellen zwischen SGB II und III, unklare bzw. verteilte Zuständigkeiten dazu, dass Klienten zwischen verschiedenen Stellen hin- und hergeschoben werden
  • der Bereich ALG II ist steuerfinanziert, d.h. hier ist die BA in ihren Gestaltungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt (im Ggs. zum ALG I-Bereich, der versicherungsfinanziert ist)

Als ein Problemfeld stellt sich nach Ansicht der BA der Bereich Ausbildungsförderung in der Verteilung zwischen ARGE- und Options-Kommunen dar:

  • die BA darf keine Jugendlichen in Ausbildungen vermitteln, deren Eltern einer Bedarfsgemeinschaft (ALG II) angehören (das führt bei Beratungsterminen der BA in Schulen sogar dazu, dass Einzelberatungsgespräche mit diesen abgebrochen werden)
  • die Jobcenter in den Optionskommunen verfügen nur über Informationen zu Ausbildungsmöglichkeiten (d.h. -berufe und -stellen) in ihrem regionalen Zuständigkeitsbereich, aber nicht über das, was es bundesweit gibt; ein Datenaustausch ist datenschutzrechtlich und IT-technisch kaum möglich. Die Folge ist ein deutlich eingeschränkteres Angebot für die Jugendlichen
  • die Lösung sieht die BA darin die Ausbildungsvermittlung in eine Zuständigkeit zu überführen
  • das wird eigentlich auch von allen Parteien unterstützt, aber bislang nicht angegangen
  • Optionskommunen können diese Aufgabe freiwillig an die BA übertragen, z.B. Fulda hat das gemacht
  • Den Nutzen vieler berufsfachschulischer Angebote sieht die BA als „Warteschleifen“ und daher skeptisch, da die Qualifikationen auf dem Berufsmarkt keine Anerkennung finden.
  • In solchen und anderen Übergangsmaßnahmen befinden sich derzeit 24.000 Jugendliche alleine in Hessen (das bedeutet Kosten von mehreren hundert Mio. pro Jahr) – diese Zahl soll nach Vorstellung der BA bis 2020 auf 10.000 reduziert werden.

Anschließend wurden kurz über einige Aspekte des ALG II-Bereiches gesprochen:

  • „Hemmnis Kinder“: 50% der hess. arbeitslosen alleinerziehenden ALG II-Empfänger suchen Stellen in nur 3 Berufen: Küchenhilfe, Reinigungskraft und Verkäufer/in im Einzelhandel; in diesen Berufen sind die Arbeitszeiten aber kaum mit denen zusammenzubringen, in denen üblicherweise eine Kinderbetreuung zur Verfügung steht (das ist insbesondere für Alleinerziehende ein Vermittlungshemmnis, aber nicht nur).
  • Aufteilung der als arbeitssuchend Gemeldeten:
    • „arbeitsmarktnahe“ Klienten (eher jung, ausgebildet, brauchen ggf. Anstoß)
    • „gut förderfähig“ (d.h. mit Erfolgsaussichten z.B. nach Umschulung)
    • arbeitsmarktfern (pers. Probleme,überschuldet, Sucht, schlechtes Deutsch, obdachlos...)

Optionskommunen

Die Leistungsfähigkeit der sogenannten Optionskommunen ist auch nach knapp 8 Jahren nur eingeschränkt beurteilbar, da vielfach Daten noch immer nicht vorliegen bzw. nur begrenzt vergleichbar sind. Die dortigen Strukturen sind aus diesem Grund nur wenig transparent und die Frage, ob ggf. auch sachfremde Interessen wie bspw. die Auslastung kommunaler Beschäftigungsgesellschaften im Vordergrund steht, schwer beantwortbar. Der oft hohe Anteil beschäftigungsschaffender Maßnahmen (sog. 1-EUR-Jobs) bzw. die teils niedrigen Integrationsquoten sind jedoch auffällig. Nach den aktuell vorliegenden Daten gibt es aber auch positiv herausragende Beispiele unter den Optionskommunen. Die BA ist in 10 von 26 hessischen Kreisen noch vertreten, der Rest sind Optionskommunen. Motivation für eine Option kann nicht zuletzt sein:

  • sie erhalten für die dabei übernommenen Aufgaben ein eigenes Budget, über das sie relativ frei verfügen können – so entsteht die Möglichkeit, damit in der kommunalen Finanznot eine zusätzliche Ressource aufzutun
  • Mitarbeiter, die woanders nicht mehr gebraucht werden, aber aufgrund der Anstellungsverhältnisse im öffentlichen Dienst nicht gekündigt werden können, können in das Jobcenter umgesetzt werden…
  • ...und dadurch den Kommunalhaushalt auch noch entlasten: in der Arbeitsvermittlung werden diese Mitarbeiter dann aus den dafür erhaltenen Mitteln bezahlt
  • das wird noch unterstützt dadurch, dass Optionskommunen (wie auch gemeinsame Einrichtungen) ziemlich weitgehende Umschichtungsmöglichkeiten innerhalb des für die Aufgaben zugewiesenen Budgets haben, sie können sogar Fördermittel zu Verwaltungsmitteln machen (->Bezahlung der Angestellten)
  • es werden auch immer wieder 1€-Jobs (künftig Bürgerarbeit) genutzt, um bestehende kommunale Aufgaben billig erledigen zu lassen (Straßenreinigung, Grünflächen...), auch, wenn das eigentlich nicht sein dürfte
  • Kommunen können ihre eigene Beschäftigungsgesellschaft mit der Durchführung von Fördermaßnahmen beauftragen und so mit geringer Kostenkontrolle (keine Ausschreibung nötig) Mittel zum eigenen Nutzen lenken
  • bei Vergaben sitzt die Kommune als Auftraggeber (Vermittler der Fördermaßnahmen) und Auftragnehmer (Eigentümer der Beschäftigungsgesellschaft) an beiden Seiten des Tisches und kann so Preise machen, wie sie will
  • kommunale Beschäftigungsgesellschaften, weil ihnen dadurch ohne Ausschreibung Aufträge und damit eine Existenzsicherung (nach dem Wegfall von ABM-Maßnahmen) zufallen (bei Ausschreibungen der BA landen die Aufträge häufig bei Trägern von außerhalb)

Bei der Einführung der Agenda 2010 wurden die Jahre 2005 bis 2011 als Probephase für das Modell des Optierens von Kommunen angesetzt. Am Ende davon gab es eine Reihe wissenschaftlicher Studien, die alle eindeutig ausfielen – Veränderungen eingeleitet wurden danach jedoch nicht; vermutlich, weil sich in dem ganzen Komplex zu viele verschiedene Interessen gegenseitig blockieren: Bund, Land, Spitzenverbände, Kommunen, ...