HE:Arbeitstreffen/rheingold-institut-202307

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Relevante Themen der Piratenpartei

Dienstag, den 18. Juli 2023 von 10 Uhr bis 16 Uhr im beehive, Frankfurt

Hintergrund

Als Partei sind unsere beiden Säulen einerseits die programmatische Arbeit und Positionierung, andererseits die Kommunikation. Mit Letzterer versuchen wir zu transportieren, was unsere Werte, Ziele und Maßnahmen sind, und wie wir damit den Menschen einen Nutzen stiften wollen. Das ist notwendig, damit wir bei Wahlen eine ausreichende Menge an Stimmen erhalten, um unsere Ziele demokratisch umzusetzen.

Während wir in der Vergangenheit uns viele Gedanken gemacht haben, die zu Programm- und weiteren Anträgen führten, wurde der Aspekt der gewinnenden Kommunikation meist außen vorgelassen. Mit Bauchgefühl erarbeiteten sich Piraten oft aus dem Stegreif, wie sie Interessenten ansprechen oder antworten, und wie sie öffentlich auftreten. Eine strukturierte Vorgehensweise, die auch den immer knapper werdenden Ressourcen gerecht wird, war nicht beobachtbar. Diese ist aber notwendig, weil wir weder von außen die Aufmerksamkeit erhalten, die uns erlaubt, über alle Themen zu sprechen, noch haben wir intern die Kapazitäten, jedes Thema aufzubereiten. Und über allem steht die Frage, in wieweit wir die Summe unserer Programmatik als Ganzes so vermitteln, dass der Zuhörer oder Leser anschließend weiß, was uns antreibt. Daher haben wir das rheingold institut angesprochen und um Unterstützung gebeten.

Die Lebenssituation und Befindlichkeit der Menschen verstehen

Das rheingold institut ist kein klassisches Umfrageinstitut, das nur einer Vielzahl an Probanden einen Fragebogen vorlegt. Ihre Methode ist, im Vorfeld der quantitativen Erhebungen eine große Menge an Tiefeninterviews mit Menschen zu führen, in denen sie erfahren bzw. erarbeiten, was die Menschen im innersten tatsächlich bewegt. Mit dem Hintergrundwissen aus allen diesen Interviews ermittelt rheingold dann fokussiert in den quantitativen Erhebungen, welche Gemütslage die Menschen derzeit haben, ausgehend, von welcher Lebenssituation, und aus welchen Motiven sie beispielsweise eine bestimmte politische Position eher befürworten, als eine andere.

Das Verständnis der Lebenssituation der Menschen hilft uns als Partei zu begreifen, auf welche Ausgangslage (mental, finanziell, sozial, ... ) unsere Kommunikation trifft. Wir müssen unsere Programmatik betrachten und daraus ableiten, für welche der aktuellen Probleme wir welche Vorschläge und Ideen haben, welchen Nutzen wir den Menschen in ihrer aktuellen Verfassung bieten können. Das wäre ein erster Schritt, den wir als Grundlage unseres kommunikativen Außenauftritts zu erledigen haben.

Unsere Lösungen validieren

Nachdem wir über die Ausgangssituation gelernt haben, wäre der nächste Schritt dann, unserer Vermutung, wie wir die Menschen am besten von uns überzeugen können, zu testen. Herauszufinden, ob unsere Vermutung richtig ist, also dass wir das Thema auf die richtige Weise ansprechen und verständlich vermitteln. Und in wieweit das dazu beiträgt, dass uns jemand wählt, der uns bisher nicht gewählt hat. Sprechen wir auf die richtige Weise über die Themen, die wir als Lösung betrachten, so dass wir die Menschen dazu bekommen, uns eine Stimme zu geben, anstatt jemand anderen zu wählen oder nicht zu wählen.

Das können wir mithilfe der oben beschriebenen Tiefeninterviews herausarbeiten. Im Ergebnis erfahren wir, ob wir „die richtige Sprache sprechen“, wir die Menschen verstehen und unsere Positionen und Ideen die Probleme treffen, und auch in wieweit die Menschen uns aktuell als glaubwürdige Option im politischen Spektrum wahrnehmen.

Diese Erkenntnis erlaubt uns beispielsweise auszusortieren, wo wir unsere Positionen „an den Menschen vorbei“ beschlossen haben, wo wir kommunikativ nachschärfen müssen, wo wir vielleicht von einer anderen Perspektive aus unseren Lösungsvorschlag präsentieren sollten. Im Ergebnis haben wir nach diesem Schritt unsere Botschaften so beisammen, dass wir über die Themen sprechen, die relevant sind, auf eine Weise, dass unser beschlossenes Programm den Menschen einleuchtet und wir als ernsthafte Wahlalternative erscheinen.

Wie viele Menschen können wir damit erreichen

Als Folgeschritt wäre dann die quantitative Abschätzung, die am ehesten dem ähnelt, was man so kennt. Also das Befragen von vielen Hunderten Menschen, ob sie nach Präsentation unserer Vorschläge die Piratenpartei wählen würden. Nach dem Tiefenverständnis der Menschen zielt dies nun nicht mehr darauf ab, mehr über die Menschen zu lernen, um die Kommunikation anzupassen, sondern um zu erheben, mit welchen Themen wir wie viele Menschen für uns gewinnen können. Diese Frage ist wichtig, da wir ein schmales Aufmerksamkeitsfenster in der Medienlandschaft haben. Alle Themen gleichzeitig zu positionieren würde dazu führen, dass die ausschlaggebenden Themen mangels Sichtbarkeit nicht so oft wahrgenommen werden, als dass wir in Erinnerung bleiben. Und ohne sich an uns zu erinnern, wird das Kreuzchen dann auch nicht bei uns auf dem Wahlzettel stehen. Außerdem erlaubt uns diese Frage dann auch, erstmalig zu quantifizieren, wie viele Menschen uns weswegen wählen. Bisher wurde dies mit Bauchgefühl beantwortet, nachdem Wahlen mit Prozentzahlen im Bereich des statistischen Rauschens ausgingen. Eine solche erstmalige quantitative Erhebung könnte für uns – auch wenn sie immer dem aktuellen Zeitgeist unterworfen ist – interessante Ergebnisse produzieren. Ergebnisse, die nicht unbedingt gefallen müssen. Die aber für uns richtungsweisend sein können.


Der Workshop

Am 18. Juli fand in Frankfurt der Workshop mit der Referentin Birgit Langebartels statt.

Im ersten Teil trug Frau Langebartels die Ergebnisse vor, die das Institut über die Verfassung der Menschen in Deutschland erforscht hatte. Den Vortrag zusammenzufassen wird der Aufarbeitung des Themas nicht gerecht, es ist schwierig das gesamte Bild zu transportieren und vor allem, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Daher empfehle ich, den gesamten Vortrag hier anzuschauen.

Der Vortrag

Sollte man dennoch einen Eindruck mit wenigen Worten vermitteln wollen, dann könnte man sagen „Festgefahren zwischen Klimawandel und Krieg ist ein Großteil der Bevölkerung mit Blick auf Politik und Gesellschaft desillusioniert und reagiert auf die gespürte Aussichtslosigkeit mit einer Flucht ins private Glück“.

Es herrschen derzeit vier Ängste vor:

  • Die Angst vor einem Autonomie-Verlust ist die drängendste Angst. Sie zeigt sich in zunehmenden Ohnmachtsgefühlen und fehlenden Gefühlen der Selbstwirksamkeit. Zusätzlich geraten basale Bedürfnisse ins Wanken. Zum Beispiel stellen sich durch immer teurer werdenden Wohnraum in Städten und die Inflation neue Fragen: Wie kann ich meinen Lebensstandard halten und meine Miete bezahlen?
  • Die Angst vor dem sozialen Klimawandel. Politische Radikalisierungen von rechts und links werden mit Sorge beobachtet. Der Wille zu Kompromissen fehlt, wodurch das Gefühl der Spaltung wächst. Von Gemeinschaftsgefühl und gegenseitiger Unterstützung wie in den Anfängen der Corona-Zeit ist kaum etwas geblieben.
  • Die Angst vor Systemverlust macht sich an einem gefühlten Niedergang Deutschlands fest. Politiker streiten, die Wirtschaft strauchelt, Bildungsdefizite und eine marode Infrastruktur vervollständigen das desolate Bild.
  • Die Angst vor dem globalen Klimawandel ist die Angst, die vielen Menschen bislang am wenigsten nahekommt. Die Klimakrise rückt erst in den Blick, wenn Dürre, Brände oder Überflutungen die eigene Welt bedrohen. Viele sehen sich insgeheim als Krisenprofiteure, weil beispielsweise der milde Winter dabei hilft, Heizkosten zu sparen. Und viele hegen zudem die Hoffnung, der vollen Wucht der Klimakrise doch noch entkommen zu können. Daher polarisiert das Thema Klima stark in der Bevölkerung. Für nur 43 Prozent der 18-65-Jährigen gehört die Klimakrise zu den fünf derzeit wichtigsten Krisen.

Aus Flucht vor diesen Ängsten ziehen sich die Menschen immer mehr in ihr Schneckenhaus zurück. Das bedeutet, sie suchen ihr Glück im eigenen Zuhause, machen dieses zu ihrer sicheren Wohlfühl-Oase. Sie schaffen sich soziale Bollwerke. Seit der Corona-Pandemie rücken kleine, aber enge soziale Kreise aus Gleichgesinnten immer stärker in den Fokus. Kleine Gruppen, die sich über die Krisen hinweg als stabile Bezugspunkte erwiesen haben, werden gut gepflegt. Allerdings werden die Gemeinschaften immer hermetischer und grenzen sich von Andersdenkenden ab. Menschen, die anstrengend sind, weil sie eine andere Meinung oder Haltung vertreten, werden oft aussortiert. Und den Menschen wird ihr selbst wichtiger. Das eigene Ich wird zum Drehpunkt für Selbstwirksamkeit und Zuversicht spendende Erfolgserlebnisse.

Besprechung zur Partei

Im Anschluss an den Vortrag diskutierten wir das Gehörte und stellten unsere Fragen. Wir machten uns die Werte der Partei bewusst, und worin sie deutlich werden. Ebenso sprachen wir über die Vision der Partei, wobei die bisherige Diskussion im Landesverband zu diesem Thema uns eine große Hilfe war. Denn so konnten wir relativ schnell festlegen, dass wir die Version verfolgen, dass jeder selbstbestimmt in Würde leben können soll, mit den Möglichkeiten, die das Zeitalter der Digitalisierung bietet.

Zu welchen Fragen passen unsere Antworten

Um Menschen anzusprechen und für sie eine ernstgenommene Wahlmöglichkeit zu sein, müssen wir (unter anderem) passende Antworten auf die Probleme liefern, die die Person sieht. Der nächste Schritt war als nun, die Gemütslage und die vor diesem Hintergrund von den Menschen als drängendste Probleme wahrgenommenen Themen aufzugreifen. Für welche dieser Themen bieten wir verständliche und relevante Antworten? Welche unserer Programmteile haben hier Lösungen parat, die wir schlüssig den Menschen vermitteln können? Mit denen sie verstehen, dass die Wahl der Piratenpartei einen Nutzen bietet, den sie von anderen nicht bekommen?

Wir erinnern uns an die fünf dringlichen Themen der Bevölkerung. Es sind vor allem jene, die sich am unmittelbarsten auf das persönliche Leben auswirken:

  1. Inflation (51 Prozent),
  2. Altersarmut (46 Prozent),
  3. Klimawandel (43 Prozent),
  4. bezahlbarer Wohnraum (41 Prozent)
  5. Energiekrise (41 Prozent).

Arbeit mit den Themen

Hiervon haben wir nun eine Schnittmenge erarbeitet, um zu ermitteln, wie die Positionen der Partei auf die einzelnen Issues „laden“.

Zum Thema Inflation, die aus gebrochenen Lieferketten und hohen Strompreisen resultiert, haben wir Anknüpfungspunkte für unsere Kommunikation, in den Bereichen

  • Wirtschaftliche Unabhängigkeit (Stärkung Wirtschaftsstandort Deutschland (u.a. Medikamentenherstellung)
  • Günstigerer Strom durch erneuerbare Energien
  • Mindestlohn 18 € (wirtschaftliche Unabhängigkeit, individuelle Wirtschaftlichkeit)
  • Wirtschaftsförderung
  • Sozialer, nachhaltiger Wohnungsbau
  • Bedingungsloses Grundeinkommen

Zum Thema Energiekrise haben wir sicher die umfangreichste Beschlusslage.

Darüber hinaus gibt es das „Querschnittsthema“ Selbstbefähigung und Selbstwirksamkeit der Menschen. Hierzu haben wir das Thema Bürgerbeteiligung und Selbstwirksamkeit bearbeitet.

  • Wichtig ist hier kommunikativ die konkrete Ansprache der Bürgerinnen und Bürger
    • gestaltend nach vorne
    • Blick zurück und visionär nach vorne
    • Über Negativkampagnen hinaus gehen.
  • Die Piratenpartei als Enabler: Heldenreise des Bürgers begleiten.
  • Bei den Bürgerinnen und Bürgern kommunikativ ankommen, die sich nicht gehört, nicht gesehen fühlen (Bild: wir sind das Schwert, die Bürgerinnen und Bürger sind Held/Heldin)
  • für etwas sein, statt dagegen

Wie kann die Kommunikation dazu aussehen

Wir griffen den letzten Punkt (Bürgerbeteiligung, Selbstwirksamkeit) auf und überlegten konkrete Beispiele für Kommunikationsideen: Wie können wir das Thema glaubwürdig nach außen präsentieren (und damit Wähler gewinnen)?

Mögliche Kampagnentitel dafür wären

  • Es ist auch Dein Hessen. Was machen wir als nächstes?
  • Wann wurdest Du zuletzt gefragt?
  • Wie hättest Du es gemacht?
  • Wie möchtest Du leben?
  • Demokratie ist, wenn du gefragt wirst.

Hierbei müssen wir immer vor Augen haben, dass wir ein Problem lösen möchten, das Wähler mobilisiert, aber die Mobilisation nicht zwingend zu uns als Partei führt.

Konkret könnte man das so lösen, indem man direkt auch einen „Aktionsplan“ ergänzt, um den Menschen zu zeigen, dass die Piratenpartei aktiv ist und gestalten möchte: Politik mit den Menschen sähe so aus: (Plan z.B. aus dem Bereich Energiepolitik, Verkehrspolitik, ...) Der grundsätzliche Tenor muss dabei sein, für etwas zu sprechen, nicht gegen etwas. Bürgerbeteiligung entsteht meist aus dem Wunsch, dass etwas NICHT gemacht wird. Das muss aber positiv gedreht werden.


Nächste Schritte

Nach dem Workshop empfiehlt sich nun, die behandelten Themen weiter auszufeilen, Konzepte/Kampagnen zu entwickeln und diese einem qualitativen Test zu unterziehen. Mit einem solchen qualitativen Test sollen dann die Fragestellungen beantwortet werden:

  1. Haben die Themen Relevanz in der Gesellschaft?
  2. Werden sie glaubhaft mit der Piratenpartei in Zusammenhang gebracht?
  3. Auf welche Art und Weise (inhaltlich und look & feel) sollten die Themen kommuniziert und transportiert werden (nach außen und nach innen)?