Forscherpiraten/Grundsatzprogramm/Änderungsantrag Wissenschaft und Forschung

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

Antragstext

Der folgender Abschnitt zur Ethik in der Wissenschaft im Grundsatzprogramm soll wie folgt ersetzt werden:

Alt:
Ethische Neutralität und Ideologiefreiheit der Wissenschaft
"Wissenschaftliche Erkenntnisse an sich unterliegen keiner ethischen Bewertung, eine Beeinflussung der wissenschaftlichen Entwicklung insbesondere in Form von Einschränkungen und Verboten aus politischen, religiösen oder sonstigen ideologischen Gründen ist deshalb abzulehnen. Konkrete Verfahrensweisen sowie praktische Anwendungen neu gewonnener Erkenntnisse müssen hingegen auf deren Vereinbarkeit mit ethischen und gesellschaftlichen Normen überprüft und bei Notwendigkeit eingeschränkt werden. Eine solche Überprüfung darf sich dabei nicht einseitig auf die möglichen Gefahren und Risiken fokussieren, sondern muss vorrangig den Nutzen sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft als Ganzes in Betracht ziehen."

Neu:
Verantwortung und Freiheit der Wissenschaft
"Wissenschaftliche Erkenntnisse stehen in einem ethischen und sofern auch politischen Zusammenhang und müssen diesbezüglich bewertet werden. Dies gilt insbesondere für die Zielsetzung wissenschaftlicher Arbeiten. Die Piratenpartei fordert daher eine obligatorische Auseinandersetzung mit den Konsequenzen wissenschaftlichen Fortschritts. Die Gesellschaft und im Besonderen die Forschenden haben eine Verantwortung für die durch Wissen entstehenden Veränderungen und Möglichkeiten. Die wichtige vom Grundgesetz Art. 5, Abs. 3 geforderte Freiheit der Wissenschaft steht daher nicht im Widerspruch zu Einschränkungen in der Forschung, vielmehr sind diese legitimer Ausdruck eines demokratisch, freiheitlichen Werturteils. In der Auseinandersetzung mit möglichen Einschränkungen sind aufgrund des irreversiblen Charakters von Wissen im Zweifel Gefahren und Risiken einem Nutzen den Vorrang zu geben. Insbesondere sind Alternativen auf Basis des vorhandenen Wissens zu prüfen."


Antragsbegründung kurz

Der bisherige Abschnitt "Ethische Neutralität und Ideologiefreiheit der Wissenschaft" ignoriert die letzten 200 Jahre der Wissenschaft- und Moralphilosophie.

Die Dimensionen menschlicher Handlungen haben eine neue Qualität erreicht. Einzelne Entscheidungen haben Globale, irreversibel Auswirkungen auf unser Zusammenleben bis hin zur gesamten Biosphäre. Ursächlich dafür ist die Entwicklung neuer Technologien. Zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen, unter dem Mantel der Lebensqualität, wird die Erforschung neuer Technologien forciert ohne eine Betrachtung möglicher Folgen durchzuführen. Die offensichtliche ökologischen Probleme sind nur ein Ausdruck dessen. Aufgrund dessen gilt es diese Wissenschaftssystem radikal in Frage zu stellen und den ethischen Ansprüchen der "Permanenz echten Menschlichen Lebens auf der Erde" (Hans Jonas) gerecht zu werden. Wissenschaftler verstehen Freiheit als alles zu tun was sie wollen, meist unfähig die eigene Unfreiheit darin zu erkennen.
Daher ist es nötig Technologische Entwicklungen zu präventiv, gesamtgesellschaftlich, demokratisch zu Diskutieren und nicht einfach geschehen zu lassen. Eine bewusste, gemeinsame Entscheidung eine Technologie abzulehnen oder nicht erforschen zu wollen ist daher legitimes Mittel einer Demokratischen Gesellschaft. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft ist daher obligatorisch.


Antragsbegründung lang

1.
Alt:Wissenschaftliche Erkenntnisse an sich unterliegen keiner ethischen Bewertung,
Neu: Wissenschaftliche Erkenntnisse stehen in einem ethischen und sofern auch politischen Zusammenhang und müssen diesbezüglich bewertet werden.

Die Behauptung das wissenschaftliche Erkenntnisse keiner ethischen Bewertung unterliegen ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht nachvollziehbar. Positivistische Wissenschaften unterliegen einem Werdensziel und sind somit stets in einen ethischen Rahmen einzuordnen. So ist ihre Methode stets die Manipulation und ihre Konsequenz die Beherrschung. Schon aus diesen Begriffen wird die ethische Dimension ihrer klar. Für die Betrachtung innerhalb des Systematischen Rahmens kann der Aussage sicher kein Werturteil zugeordnet werden, jedoch ist diese Betrachtung im politischen Zusammenhang nicht angebracht.

Beispiel: Die Aussage eines Genetikers das eine Änderung von Gen A eine Veränderung in Eigenschaft A' bedingt ist ethisch neutral. Jedoch ist das Wissenschaftsprinzip dahinter (Werdensziel) ethisch nicht neutral. Den das Wissen, dass mit Gen A die Eigenschaft A' verändert werden kann ist manipulativen Charakters. Es gibt die Möglichkeit der Veränderung, Einflussnahme (Positivismus). Die Möglichkeit von Beeinflussung, Herrschaft wirft aber die Frage nach der Guten Herrschaft auf und ist somit ethischer Natur (Lehre vom guten Leben).[1]

2.
Alt: eine Beeinflussung der wissenschaftlichen Entwicklung insbesondere in Form von Einschränkungen und Verboten aus politischen, religiösen oder sonstigen ideologischen Gründen ist deshalb abzulehnen.
Neu: Die wichtige vom Grundgesetz Art. 5, Abs. 3 geforderte Freiheit der Wissenschaft steht daher nicht im Widerspruch zu Einschränkungen in der Forschung, vielmehr sind diese legitimer Ausdruck eines demokratisch, freiheitlichen Werturteils.

Die Ethik, das sittliche Gesetz (Kant) und die damit verbundenen Maxime sind überhaupt erst die Basis für einen Freiheitsbegriff. Am Beispiel Kant: Erst durch die Vernunft sind wir in der Lage uns von unseren Trieben und Gelüsten, welche uns unfrei machen, zu befreien. Und die Vernunft entwirft das sittliche Gesetz (Ethik), welche in dem kategorischen Imperativ ihren allgemeinen Ausdruck findet. Der Prozess der Bildung einer Ethik, und somit der Vorgaben von Maximen, ist somit Freiheit.


Beispiel: Ein Affe ist alleinig von seinen Trieben gesteuert und nicht Vernunft begabt. Der Mensch unterscheidet sich in der Vernunft vom Affen. Die Vernunft sagt uns das Töten unsittlich ist. Man könnte sagen die Vernunft schränkt uns ein in dem sie uns das Töten verbietet, das Gegenteil ist der Fall. Erst durch sie werden wir frei von den Urtrieben. Im allgemeinen Bezeichnet man dies als Ruflektionsvermögen. Eine vernünftige Beschränkung der Forschung ist also Ausdruck unserer Freiheit, so wie die Fähigkeit sich gegen den Tötungstrieb zu entscheiden.[2]

Weitere Verweise zum Freiheitsbegriff kann man in der Debatte um die Willensfreiheit der letzten 200 Jahre ziehen. Allgemeiner Konsens unter den Philosophen ist dabei, dass Freiheit in der Art der Bedingtheit liegt (Kompatibilisums). Die Bedeutung für die Begriffe der politischen als auch, juristische Freiheit sind dabei immanent.[3]

3.
Alt: Eine solche Überprüfung darf sich dabei nicht einseitig auf die möglichen Gefahren und Risiken fokussieren, sondern muss vorrangig den Nutzen sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft als Ganzes in Betracht ziehen.
Neu: In der Auseinandersetzung mit möglichen Einschränkungen sind aufgrund des irreversiblen Charakters von Wissen im Zweifel Gefahren und Risiken einem Nutzen den Vorrang zu geben. Insbesondere sind Alternativen auf Basis des vorhandenen Wissens zu prüfen.
Neu: Dies gilt insbesondere für die Zielsetzung wissenschaftlicher Arbeiten

Sowohl Nutzen als auch Risiken mit keiner Sicherheit abschätzbar. Daher ist eher dem Risiko Vorrang zu Gewähren als dem Nutzen. Dies gilt besonders solange es keine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Folgen möglicher Technologien gibt, ist daher Forschung unter dem Aspekt des Risikos zu sehen als des Nutzens.

Beispiel: Die Folgen des Einsatzes von Pestiziden führt womöglich zum Sterben der Bienen, welche unabdinglich für die Landwirtschaft sind. Durch eine Heilversprechen der konventionellen Landwirtschaft wird zum allgemein Risiko, auch weil keine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit den Folgen durchgeführt wurde (daher die zweite Ergänzung). Darüber hinaus wäre die Lösung des Problems der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln durch die ökologische Landwirtschaft möglich.


Zum angenommen Liquid Feedback Antrag: Initiative i5859: Bekenntnis zu Forschungsfreiheit nach Artikel 5 GG

Antragstext (Alt):
Freiheit der Forschung
"Die Piratenpartei bekennt sich zur Freiheit der Forschung nach Artikel 5 GG. Dies bedeutet, dass die Piratenpartei staatliche Einschränkungen der individuelle Forschung ablehnt. Einschränkungen der Forschung können sich lediglich aus Art 1 GG (Menschenwürde) sowie anderen Artikeln des Grundgesetzes ergeben. Als Beispiele seien Forschungen an Massenvernichtungswaffen oder Menschenversuche genannt. Verantwortungsvolle Forschung beinhaltet ethische Ruflektion der Forschungsziele und Methoden."

Wie Bereits in der ausführlichen Begründung das Antrags in Punkt 2. beschrieben sind ethische Richtlinien keine Einschränkung der Forschungsfreiheit. Somit stellt der Antrag eine Präzisierung der Initiative i5859 dar. Darüber hinaus können diese ethischen Richtlinien legislativ bestimmt werden, auch über den Rahmen des Grundgesetzes hinaus. Das in Initiative i5859 ausgedrückte Bekenntnis zum Grundgesetz ist im Antrag enthalten.

Quellen

[1] Von der Verantwortung des Wissens. Positionen der neueren Philosophie der Wissenschaft. Edition Suhrkamp 1122, Frankfurt a.M. 1982,mit Beiträgen von P. Feyerabend, H.G. Gadamer, K. Hübner, St. Toulmin, P. Good.
[2] Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten,1785.
[3] Johannes Brachtendorf: Peronalität und Freiheit, zur Kritik des Kompatibilismus. In Bruno Niederbacher, Edmund Runggaldier(Hrsg.): Was sind menschliche Personen?: Ein akttheoretischer Zugang. Frankfurt, Ontos Verlag,2008, s. 157-180.
[4] Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979.
br

Anregungen

Ethikkomissionen ermächtigen?

Niemand hat von Ethik-Kommissionen geredet. Die Diskussion dar nicht ausgelagert werden sondern muss allen Interessierten und Betroffenen möglich sein. Öffentlichkeit,Transparenz, Bürgerbeteiligung etc. sind da die Stichworte.
(Hannah Arnedt, Abstrakte Arbeit und destruktive Sehnsucht; http://www.dradio.de/dlf/sendungen/essayunddiskurs/1408616/)

Man könnte zu Beispiel fordern:

  • Das bei jeder Publikation eine Folgenabschätzung oder Forschungsruflektion stattfinden muss. (zugegebener maßen schwierig)
  • Bei Projektanträgen ist es eine Folgenabschätzung oder Forschungsruflektion schon realistischer. Vor der Zulassung gibt es eine öffentliche Diskursphase (vielleicht wie beim Liquid).
  • Lehrstühle an jedem Institut dazu verpflichten einrichten.
  • schlussendlich kann sie Systematik der Forschung geändert werden, weniger Verwetungs mehr Problemorientiert. (z.B. wie beim Cardle to Cardle Prinzip)

Beispiel: Genomsequenzierung, warum wird da nicht im Vorfeld drüber diskutiert, es wird billiger, zugänglicher. So wies Aussieht wird es eingeführt und Versicherungssysteme und Medizin grundlegend ändern. Da sind Datenschutzrechtliche Probleme, der Umgang mit Krankheit wird sich ändern usw. Wenn es erst mal da ist, wird es schwer dagegen vorzugehen. Wollen wird das oder nicht. Die Frage muss vorher gestellt werden, Gesammtgesellschaftlich.


Gefahren abwenden ohne Stoppschilder zu verteilen

Verantwortung der Wissenschaft

"Meiner Ansicht nach dürfen wir Risiken und Gefahren nicht von ihrer eigentlichen Quelle auf die Wissenschaft projizieren. Die Wissenschaft ist NICHT schuld am massiven Missbrauch genetisch manipulierter Pflanzen und ist auch nicht Schuld an Hiroshima. Dies sind in meinen Augen die Konzerne oder Regierungen, die diesen Missbrauch wissenschaftlicher Ergebnisse beauftragen. Hier ist anzusetzen. Nicht bei der Forschung."

Da möchte ich Entschieden widersprechen. Wissenschaft findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie wirkt direkt in die Gesellschaft, ist Teil dieser und Verändert diese. Wissenschaft von gesellschaftlichen Verhältnissen und Prozessen zu tränen ist meiner Meinung nach grob fahrlässig und falsch.

Es gibt in der Historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus einen prominenten Fall: Adolf Eichmann. Ich empfehle dazu Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität das Bösen.
Eichmann hat die Transporte der Juden aus West und Südeuropa organisiert. Vom Schreibtisch aus. sein Argument: Er habe nur Transporte organisiert, was mit den Transportierten passiert liegt nicht in seiner Verantwortung. Die Richter in ihrem Urteilsspruch:

"Das Verantwortlichkeitsausmaß wächst vielmehr im allgemeinen, je mehr man sich von demjenigen entfernt, der die Mordwaffe mit seinen Händen in Bewegung versetzt."

Dies Bezieht sich auf die Organisationsstruktur des NS Regimes. Interessanter weise ist unser Wissenschaftssystem in Teilen immer noch nach selben Prinzipien aufgebaut. Damit ist die strikte Trennung der Zuständigkeiten und Themen gemeint. (Klingt ja bei vielen Anmerkungen zum Thema an, Philosophie ist woanders).

Was ist die Konsequenz daraus? Wenn ich als Wissenschaftler Wissen und Somit die Macht dinge zu verändern in die Hände einer Gesellschaft lege, die Nachweislich unverantwortlich damit umgeht dann liegt das sehr wohl in meinem Verantwortungsbereich! Es ist schiere Bequemlichkeit der Forschenden, dass sie die Verantwortung von sich weisen und sie an die Gesellschaft delegieren. Dabei sind sie die diejenigen die das Gefahrenpotential erst erzeugen.

Beispiel:Es ist doch absurd zu Argumentieren, dass ich, wissend das Person X labiel ist und jederzeit mit der von mir entwickelten Waffe um sich schießen könnte, aber keinen Anteil daran habe, da es ja die Psychologen sein die für das Seelenheil zuständig sein. Dies könnte im übrigen Unendlich fortgesetzt werden. Viel wichtiger ist aber die Frage nach der Zukunft und Dimension des Einflusses. Die Menschheit ist ja nicht mal annähernd in einem Zustand das wir ausschließen können, dass in 100 Jahren nicht Irgendwelche Biokriege ausbrechen und Megakillerviren erzeugt werden. In unseren Krankenhäusern fangen wir ja schon an. Wir sind anscheinend noch nicht Reif für den mündigen Umgang mit diesen Gefahren. Das ist offensichtlich und wird sich so schnell nicht ändern.

Risikobewertung

"Aber wie können wir, ohne uns selbst zu lähmen, möglichen Gefahren und Risiken einem Nutzen den Vorrang geben? [...] Dies würde einen Großteil der bestehenden Forschung im Keim ersticken."

Es kommt drauf an was wir als Lähmung verstehen. Mir gefällt es auch nicht das ein Großteil der Forschung dieser Betrachtung nach verwerflich ist. Aber am Beispiel ökologischen Fragen hat sich ja schon gezeigt das wir in erheblichem Ausmaß destruktiv handeln und dies als normal empfinden. Es ist die nur Konsequentz aus den Überlegungen.

Sowohl Nutzen als auch Risiken mit keiner Sicherheit abschätzbar. Und es ist klar das da eine graduelle Unterscheidung nötig ist. Ich sehe durchaus deine Argument. Alles Hat Risiken. Was ich gemeint habe, bei einer Grenzentscheidung ist eher dem Risiko Vorrang zu Gewähren. Dies gilt besonders solange es keine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Folgen möglicher Technologien gibt.

Änderung: "In der Auseinandersetzung mit möglichen Einschränkungen sind aufgrund des irreversiblen Charakters von Wissen im Zweifel Gefahren und Risiken einem Nutzen den Vorrang zu geben.