Diskussion:Bundeswahlrechtsreform
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Kommentar 1
Hallo Xander,
da es hier noch keine richte Diskussion gibt, rede ich dich mal persönlich an.
Wir haben zu einem neuen Wahlrecht sehr ähnliche Vorstellungen. Auch ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Thema. Im Gegensatz zu dir bin ich noch nicht bis zu derart juristische Ausformulieren gelangt. Ich habe mir jedoch schon so einige Wahlsystem anderer Länder als auch historische Wahlsysteme und deren gewünschte und unerwünschte Wirkungen angeschaut.
An einigen Punkten möchte ich widersprechen. Dies bezieht sich Hauptsächlich auf die Größe der Wahlkreise. Hauptgründe für meine Kritik sind die mangelnde Legitimation von Bewerbern die insbesondere in allzu großen Wahlkreisen durch "Zugpferde" als "Anhängsel" mitgezogen werden, dass wohl kaum ein Wähler sich über so viele Kandidaten informieren würde (und dies den Parteivorständen und Medien zufiele) als auch das Wahlkreise in allzu unterschiedlicher Größe die Gleichheit der Wahl gefährden (in größeren Wahlkreisen gibt es eine größere Auswahlmöglichkeit).
Bei anderen grundsätzlichen Fragen bin ich gleicher Meinung (Herabsetzung des Wahlalter, Ausländerwahlrecht usw.). Insgesamt befürworte alle der folgenden Positionen der Partei die Linke, die im Gegensatz zu diesem Positionspapier aber die Ideen des Panaschierens und Kumulierens nicht weiterverfolgt haben.
"Deswegen schlägt DIE LINKE folgende Maßnahmen vor.1 a) Senkung des (aktiven und passiven) Wahlalters b) Wahlrecht für Einwohner/innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die seit 5 Jahren legal in Deutschland leben c) Erhöhung des Einflusses der Bürger/innen auf die Wahl der Abgeordneten d) Aufhebung des Parteienmonopols bei der Aufstellung der Kandidierenden e) Abschaffung der 5%-Hürde f) Verbot von Wahlcomputern g) Auflösung der Wahlausschüsse und alleinige gerichtliche Prüfung des Wahlverfahrens h) Einführung des passives Wahlrecht für Straftäter/innen" http://blog.wawzyniak.de/wp-content/uploads/2011/03/Überarbeitete-Vorlage-Wahlrecht-ür-PV-21.03.11.pdf
Nun zu meinen Anmerkungen und Vorschägen:
Größe der Wahlgebiete/Wahlkreise: So große Wahlkreise finde ich problematisch. Erfahrungen bei den Bundestagswahlen (Direktmandate) oder den Wahlen in den Niederlanden zeigen, dass davon hauptsächlich Kandidaten profitieren, die sehr bekannt sind. Das macht vor allem die Massenmedien zu einem wichtigen Mitentscheider. Außerdem zentralisiert es den Einfluss auf Parteivorstände. Zumal sich bei allzu großen Wahlkreisen kaum die Möglichkeit ergibt sich wirklich breit über alle Abgeordneten zu informieren. Außerdem verringert sich die Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Abgeordneten im Wahlkreis auch mal in Wirklichkeit zu treffen. Nicht umsonst werden Abgeordneten Wahlkreisbüros finanziert. Auch wenn es anmaßend klingt, aber meiner Meinung zeigt die Erfahrung, dass die Leute ein bisschen "gezwungen" werden müssen, sich mit einzelnen Politikern, die auch "Hinterbänkler" sein können, auseinanderzusetzen. Gibt es nämlich die Möglichkeit überall auf jeder Liste "Zugpferde" aufzustellen, so werden sich auf andere Kandidaten sehr wenig stimmen verteilen, was wiederum deren Legitimation abschwächt, als auch das erfolgreiche Aufstellen "reiner Parteisoldaten ohne eigenes Profil" vereinfacht. Doch soll nicht gerade dies verhindert werden?
Auch hat zuletzt der erfolgreiche Wahlkampf der Piraten hier in Berlin gezeigt, dass eine "reale" Präsenz unerlässlich ist und man nicht durch einen reinen Medien-/Internetwahlkampf ersetzt werden kann. "Flächendeckend" zu agieren ist also sowieso eine Notwendigkeit.
Des weiteren sollte in einem föderalen System auch ein gewisser Länderproporz beachtet werden. Darüber hinaus bin ich auch für einen Regionalproporz. Ein einfacher Länderproporz hat die Problematik, dass sehr unterschiedlich große Wahlkreise entstehen würden was dem Anspruch an die Gleichheit der Wahl gefährden würde, dass jemand in einem großen Wahlkreis eine größere Auswahl als jemand in einem kleinen Wahlkreis hätte. Dieses Problem lässt sich niemals verhindern, aber reduzieren. Ich wäre für (nominelle) 6 Personenwahlkreise. Die Zahl 6 entspricht denn auch genau der Zahl an Abgeordneten, die das kleinste Bundesland, nämlich Bremen,zur Zeit entsendet, d.h. das Land Bremen wäre ein Einheitswahlkreis. Das Saarland mit 10 Abgeordneten und Meck-Pomm und Hamburg mit derzeit 13 Abgeordneten bestünde je aus zwei Wahlkreisen. Meine Heimat Berlin mit 25 Abgeordneten aus vier usw. Um so größer die Länder sind, um so weniger fällt es ins Gewicht, wenn die Zahl der Abgeordenetn nicht genau durch sechs teilbar ist. Es sollte aber dennoch eine Bestimmung geben, dass nur 6er Listen anzutreten haben, so dass die Auswahl gleich groß ist (Die Auswahlmöglichkeit des Wählers hat für mich Priorität, da die Wähler, nicht die Kandidaten der Grund und Maßstab für die Wahl sind). Die Anzahl der Wahlkreise kann für ein Land entweder nach der absoluten Bevölkerungszahl, nach der Anzahl der Stimmberechtigten oder nach der Zahl der Wähler (sprich Wahlbeteiligung in absoluter Zahl) bei der letzten Wahl im Anteil zum Bund (599 Mandate) berechnet werden. Ich persönlich bevorzuge Letzteres, es ist mir aber nicht so wichtig. Wichtiger aus Gleichheitsgesichtspunkten wäre mir, das die Wahlkreise innerhalb eines Landes in ihrer Größe nicht stark von einander abweichen sollen, wobei hier der selbe Parameter gelten soll.
Nach meinem Vorschlag würde die Zahl der Abgeordneten bei 599 verbleiben. Eine Reduzierung erscheint mir nicht sinnvoll, im Vergleich von Bevölkerungsanzahl zu Volksvertretern sind die Deutschen im europäischen Vergleich eher "schlecht" vertreten. Es gebe also ca. 100 Wahlkreise.
Zu Bedenken ist auch, dass um so mehr Kreuzchen gemacht werden müssen, und um so länger bestimmte Kandidaten gesucht werden müssen, um so länger dauert der ganze Wahlvorgang.
Der Einfachheit halber bekommt jede Wählende 6 Stimmen . Offene Listen mit der Möglichkeit zu panaschieren und zu kumulieren wie in deinem Vorschlag. Die Zahl 6 ergibt hier die Möglichkeit, sämtliche Stimmen gleichmäßig über eine Liste zu verteilen, aber auch drei oder zwei Kandidaten genau die gleiche Anzahl an Stimmen zu geben, falls jemanden keinen der persönlichen Favoriten besser oder schlechter als andere seiner Favoriten stellen will. Die Zahl 6 ist also sehr schön zu teilen (Zugegeben, die Zahl 12 wäre noch schöner zu teilen, aber zu viel bei 6er Wahlkreisen). Wie bei deinem Vorschlag können bis zu drei Stimmen auf einen Kandidaten kumuliert werden.
Parteien müssen ihre Kandidaten bzw. Wahlkreislisten durch Mitgliederversammlungen in den Wahlkreisen wählen, nicht durch Landes- oder Bundesdelegiertenkonferenzen. (Auch dies ein Vorteil kleinerer Wahlkreise) bzw. die Möglichkeit zur Einberufung einer Delegiertenkonferenz sollte nur gegeben sein, wenn eine Mitgliederversammlung in einem Wahlkreis sehr groß wäre, käme quasi nur für SPD und CDU in Frage. Zur Wahl werden auch Bürgerlisten zugelassen, die genug Stimmen zur Zulassung im Wahlkreis gesammelt haben. Die Parteienfinanzierung bleibt auch auf Grund des organisatorischen Aufwandes "richtigen" Parteien vorbehalten, die Wahlkostenerstattung gilt für alle Wahlvorschläge (Dabei sollten auch die Sperrklauseln abgeschafft werden).
Die Wahlkreislisten müssen eine genau festgesetzte Zahl von Kandidaten umfassen, dies soll verhindern, dass eine Partei, wie die CDU das in Hamburg tut, wenig Kandidaten aufstellt um die direkte Auswahl durch den Wähler zu beschränken, da fast alle Listenplätze sicher ein Mandat erhalten.
Wahlkreislisten derselben Partei werden jeweils innerhalb der Länder zu "Landesverbandslisten" zusammengeschlossen, "Landesverbandslisten" zu einer "Bundesverbandsliste". Bündnisse von parteiunabhängigen Listen sind durch Erklärung der Vertrauensleute zu schließen (Vorbild ist hier das Wahlgesetz der Weimarer Republik, wo das nur so gehandhabt wurde, da Parteien in diesem System eigentlich gar nicht vorgesehen waren).
Es findet also eine dreimalige (Für Bremen zweimalige) Verteilung statt, und zwar jeweils nach Sainte-Laguë.
1. Oberverteilung, bzw. Verteilung nach Parteien (und anderen Bündnissen): Alle Mandate werden auf "Bundeslistenverbände", d.h. in erster Linie auf die Parteien verteilt. Einzelne Landeslisten und Wahlkreislisten werden genauso behandelt wie Bundeslisten.
2. Mittelverteilung (die ehemalige Unterverteilung), bzw. Verteilung auf die Länder: Innerhalb der "Bundesverbandslisten" wird nun (in Tradition der BRD) auf die "Landesverbandslisten" verteilt. Einzelne Wahlkreislisten werden genauso behandelt wie Landeslisten.
3. Unterverteilung, bzw. Verteilung auf Wahlkreise Nun die erste große Änderung im Vergleich zum jetzigen System und zu deinem Vorschlag: Es findet eine dritte Mandatsverteilung nach proportionaler Art statt (wieder Sainte-Laguë) und zwar werden die den Landesverbundlisten zustehenden Mandate auf Wahlkreislisten verteilt.
4. Vergabe der Mandate auf Kandidaten Nach dem nun feststeht, wie viel Mandate jeder Wahlkreisliste zustehen, werden die Mandate konkret an Personen vergeben. Und zwar ganz einfach: Die Anspruchsreihenfolge ergibt sich, wie in deinem Vorschlag, aus der Anzahl der Stimmen für einen Kandidaten. Nachrückende Kandidaten (weil jemand während der laufenden Periode aus dem Bundestag ausscheidet) werden dann auch nach dieser Reihenfolge bestimmt.
Antwort 1
Hi Bastian!
Ich stimme Dir erst einmal in dem Punkt zu, dass bei extrem unterschiedlich großen Wahlkreisen wie es die Bundesländer nunmal sind, keine Wahlgleichheit herrscht. Ich habe daher bereits auf meiner Homepage einen Alternativentwurf erstellt, bei dem kleine Bundesländer zusammengelegt und zu große aufgeteilt werden, sodass zumindest all diese Wahlregionen in derselben Größenordnung liegen. Man könnte natürlich auch nur zusammenlegen – und z.B. das Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zusammenfassen um auf das Niveau von Nordrhein-Westfalen zu kommen oder nur aufteilen um auf die Größe von Bremen herunterzukommen. Letzteres würde effektiv in Mehrmandatswahlkreisen enden.
Die Punkte a) bis f) aus dem Zitat zur LINKEN sind auch schon in meinem Entwurf umgesetzt, wobei ich beim Punkt d) noch an einer Verbesserung arbeite. Die Wahlausschüsse auflösen würde ich nicht, diese haben schließlich mehr Aufgaben als nur Wahlprüfung. Aber eine gerichtliche Instanz, die auch im Schnellverfahren gegen Entscheidungen des Bundeswahlausschuss vorgehen kann, sehe ich als eine absolut dringliche Notwendigkeit an und das ist auch eine der wichtigsten Baustellen, an denen noch an meinem Entwurf weitergemacht werden muss. Den Punkt h) hatte ich bislang jedoch nicht als Problem wahrgenommen. Das Wahlrecht (aktiv wie passiv) verliert man bislang schon vergleichsweise schwierig – selbst Mörder und Vergewaltiger verlieren dieses ja nicht automatisch. Nicht einmal für Raubkopierer ist das als Mindeststrafe vorgesehen ;)
Zu Deinem nächsten Punkt: Ja, bekannte Kandidaten haben beim Kumulieren und Panaschieren einen Vorteil. Ein Wähler, der sich vor der Wahl nicht informiert hat, kennt nur eine Handvoll der Kandidaten auf dem Stimmzettel, weil diese z.B. als Spitzenkandidaten, Minister, Kanzler und dergleichen häufig in den Medien auftreten. Das lässt sich aber in keinem demokratischen Wahlsystem vermeiden. Und wer die Kandidaten garnicht, nicht genug oder nicht mit Namen kennt, der entscheidet sich vielleicht einfach für ein Listenkreuz. Ich sehe die Medien auch nicht in der Verpflichtung, jeden einzelnen Kandidaten vorzustellen. Die Wahlleiter dagegen veröffentlichen ja bereits im Vorfeld die zugelassenen Wahlvorschläge. Von da aus kann man sich als interessierter Wähler schon fast jeden Kandidaten ergooglen. Ansonsten ist es schließlich die Aufgabe der Kandidaten und Parteien, sich selbst zu verkaufen – sie wollen ja gewählt werden. Demokratie ist dadurch aber eben bisweilen anfällig für Demagogen, da hilft nur, die Wähler dazu zu motivieren, sich zu informieren. Und ich denke, dass das mit den kürzeren Kommunikationswegen der Gegenwart auch immer besser funktioniert. Als schönes Beispiel nenne ich mal Abgeordnetenwatch.
Einerseits kritisierst Du das Aufstellen „reiner Parteisoldaten ohne eigenes Profil“, andererseits forderst Du es geradezu. Damit meine ich konkret die 6er-Wahlkreise und den Satz „Es sollte aber dennoch eine Bestimmung geben, dass nur 6er Listen anzutreten haben, so dass die Auswahl gleich groß ist“. 100 Wahlkreise mit je 6 Kandidaten bedeuten, dass jede Partei, die überall wählbar sein will, 600 Kandidaten aufstellen muss. Mal zum Vergleich die Anzahl der Listenkandidaten der im Bundestag vertretenen Partein zur Bundestagswahl 2009: SPD: 428, CDU 397, FDP 359, LINKE 227, GRÜNE 200, CSU 63. Also selbst CDU + CSU kommen zusammen nur auf 460. Damit müssten selbst diese beiden nochmal weitere 140 Parteisoldaten zu Kandidaten machen. Die Piratenpartei müsste bei ihrer aktuellen Mitgliederzahl ungefähr 4% ihrer Mitglieder zur Wahl stellen, für alle noch kleineren Parteien würde dieser Anteil doppelt so hoch und größer. Damit würden kleine Parteien – und damit meine ich in dem Fall alle außer SPD und CDU/CSU – extrem benachteiligt, da sie nicht mehr flächendeckend antreten könnten. Parteilose Einzelbewerber wären per se gänzlich ausgeschlossen. Zur Landtagswahl 2011 in Rheinland-Pfalz stellten sich 15 Kandidaten zur Wahl, wobei Rheinland-Pfalz nach Deinem System in fünf Wahlkreise gegliedert werden müsste. Auch wenn seitdem die Mitgliederzahl des Landesverband RLP um mehr als 20% gewachsen ist, bezweifle ich, dass mehr als zwei dieser fünf Wahlkreise besetzt werden könnten ohne auf Leute zurückzugreifen, die eigentlich garnicht kandidieren wollen sondern nur die 6er-Listen auffüllen müssen. Und wenn man nur in 40% oder selbst bundesweit 50% aller Wahlkreise antritt, sinken die Chancen oder zumindest der Anteil zu erhaltender Sitze enorm.
Beim Kumulieren und Panaschieren gehst Du auf das bei den Kommunalwahlen in Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern übliche Schema mit so vielen Stimmen wie maximal Mandate zu vergeben sind über. Das ist bei einer so niedrigen Zahl von möglichen Mandaten je Wahlkreis durchaus stimmig. Ich bin in meinem Entwurf vorwiegend deswegen davon abgewichen, weil ich sehr viel größere Wahlkreise/-regionen/-wieauchimmer und damit auch potentiell längere Listen haben möchte.
Bei Deinem System sehe ich die Mittelverteilung auf Landesebene schon garnicht mehr als notwendig, denn auch die Unterverteilung auf die Wahlkreise bewirkt ja einen Länderproporz mit.
Als weitere Kritik zu Deinem Gegenvorschlag will ich hier noch die Beibehaltung der Unterschriftensammlung ansprechen: „Zur Wahl werden auch Bürgerlisten zugelassen, die genug Stimmen zur Zulassung im Wahlkreis gesammelt haben.“ Ich will die Unterschriftensammlung gänzlich abschaffen. Damit werden Wahlvorschlagsträger förmlich gezwungen, große Mengen personenbezogener Daten zu sammeln und auch noch an die entsprechenden Behörden weiterzuleiten. Zwar ist ein Unterzeichner nicht verpflichtet, die Partei, für die er unterschrieben hat, auch zu wählen, aber bei sehr vielen ist das der Fall. Das verletzt daher meiner Meinung nach sowohl den Datenschutz als auch das Wahlgeheimnis.
MfG Xander
P.S.: erlaubst Du mir, Deinen Kommentar auch auf meiner Homepage als Leserbrief zu veröffentlichen?
Rückantwort auf 1
Die Zwischenverteilung auf Länder in meinem Vorschlag macht denke ich Sinn, da sich hier doch noch der ein oder andere Platz verschieben könnte. Insbesondere wenn eine Partei in einem Land sehr wenig Stimmen erhält, besteht sonst eine Gefahr, dass dort keiner ihrer Abgeordneten einzieht (Statt nach Zwischenverteilung z.B. 1 oder 2). So hätte z.b. die Linkspartei sonst bestimmt Schwierigkeiten, überhaupt Abgeordnete aus dem Westen einziehen zu lassen.
Die Wahlkreise, wie du sie vorschlägst, erscheinen mir ein auf jeden Fall aus genannten Gründen zu groß. Ich weiß nicht, ob jene, die sich die Mühe machen werden, sich über 10 - 25 Kandidaten pro Liste zu informieren, nicht eine zu kleine Minderheit sein werden. Sich über Kandidaten verschiedener Parteien zu informieren um anschließend zu panaschieren könnten sich viele nicht mal aus Zeitgründen erlauben.
Wie gesagt, ich verweise auch auf Erfahrungen z.B. in den Niederlanden. Es geht mir dabei eben nicht nur um die "Demagogen", sondern umgekehrt auch darum, dass dann über die "hinteren Plätze" der über eine Liste einziehenden Abgeordneten nur mit sehr wenig Stimmen entschieden wird. Wenn es dagegen kaum vorkommt, dass eine Partei in einem Wahlkreis mehr als drei Abgeordnete entsendet ist die Wahrscheinlichkeit für so etwas bei weitem geringer, zumal die sechs Stimmen sowieso auf mehr als einen Kandidaten verteilt würden. Die Wortwahl "Demagoge" finde ich übrigens nicht ganz glücklich, da sich z.B. in den Niederlanden das Problem bei jeder(!) im Parlament vertretenden Partei eingestellt hat. Es überwiegen meiner Meinung nach die Vorteile kleinerer Wahlkreise.
Hier zur Anschaung mal das letzte niederländische Wahlergebniss:
Zu sehen ist, dass die Spitzenkandidaten der großen Parteien oftmals 7 stellige Ergebnisse "produzierten", während nur ein einziger "Nicht-Spitzenkandidat" ein 6-Stelliges Ergebnis bekam und einige Abgeordnete mit drei-stelligen Ergebnissen in die Tweede Kammer einzogen. Die Stimmzahl die die jetzigen Abgeordneten jeweils hinter sich wissen, schwanken genau genommen zwischen 1,6 Millionen für Rutte und 167 für Ellison. Ohne es nachgerechnet zu haben, so scheint es mir, als ob bei allen (!) im Parlament vertretenden Parteien 80-90% der Stimmen für die Partei jeweils an ihren Spitzenkandidaten gegangen zu sein. Dass alles sehe ich als Legitimitätsproblem oder -krise.
Konstatieren müssen wir also, dass sich ein Großteil der Wähler (zumindest der Niederlande) nicht so verhält, wie wir uns das beide wünschen. Nach meinem Vorschlag wären solch unterschiedliche "Einzelergebnisse" dann gewählter Kandidaten zwar möglich (Lokale Politikprominenz einerseits und Kleinstparteien mit nur einem Abgeordneten bundesweit andereseits) aber sehr unwahrscheinlich. Und in dem oben gezeigten äußerst drastischen Ausmaß rein rechnerisch nicht möglich, wenn wir davon ausgehen dass ein Wahlkreis ca. 400.000 aktive Wähler umfasst und es für einen Parlamentsplatz bundesweit ca. 40.000 Stimmen bedarf, das heißt im Durchschnitt schon über 400 pro Wahlkreis wobei der eine Platz ja dann (mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit) aus einem überdurchschnittlichen Wahlkreis besetzt würde.
Des weiteren hat das Bundestagswahlsystem eine Tradition der Mischung aus Unitarismus und Föderalismus, war in der Frühzeit sogar gänzlich föderalistisch. Ich wäre mir nicht mal sicher, ob das Bundesverfassungsgericht nicht irgendwelche Argumente aus dem Hut zaubern würde, die eine Zusammenlegung von mehreren Ländern zu Einheitswahlkreisen verbieten. Mir fiele außer Mexiko auch kein Bundesstaat der Welt ein, der dies täte. Die (bzw. eine) Rolle der Gliedstaaten bei bundesweiten Wahlen könnte also ein Teil der Definition von Bundesstaat sein, welcher wiederum in Artikel 20 vorgeschrieben ist und sogar der "Ewigkeitsklausel" unterliegt. Und im Mexikanischen Grabenwahlsystem werden nur 200 der 500 Mandate über die bundesweite Verhältniswahl vergeben. Z.B. in der Schweiz und den USA regeln die Gliedstaaten die Wahlgesetze zur Verteilung "ihrer" Mandate weitgehend selbst. Das Wahlsystem der BRD war unter den Bundesstaaten der Welt schon eines der unitaristischsten (Das neue ist ja etwas föderaler, aber eine einzige Katastrophe). Ein Wahlsystem eines Bundesstaates, dass die Gliedsaaten in keiner Weise mehr berücksichtigt, könnte wahrhaftig Probleme auf Grund mangelnder Legitimität (im politikwissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Sinne) verursachen.
Zu der Mindestzahl an Kandidaten: Eine Partei ist nicht verpflichtet, nur Mitglieder aufzustellen. Es gibt bestimmt einige Leute, die sich in Parteien nicht engagieren wollen, aber dennoch bei einer Wahl antreten würden. Die Linke ist (zumindest) in Berlin schon mit "bunten" Listen angetreten. Einzelbewerber wären nach meinem Vorschlag schon ausgeschlossen, aber um fünf Mitstreiter zu finden, braucht man keine Partei (Wobei das jetzt natürlich eine Frage der Definition von Partei wäre). Andererseits wäre es doch aber auch Schade, wenn ein Einzelbewerber "zu viele" Stimmen erhielte, also mehr als nur für ein Mandat. Dann wäre "der Rest" "verfallen". Genauso könnte die Möglichkeit eröffnet werden, das verschiedene Parteien Wahlbündnisse schließen dürfen und so zu bestimmten Wahlen gemeinsam die Listen aufstellen. Aber dieser Punkt ist mir tatsächlich nicht so wichtig wie andere.
Doch vorsicht: Ein Wahlsystem, das "Verfallen" von Stimmen möglich macht könnte bei verbundenen Listen auch zu negativen Stimmgewicht führen. Beispiel: Eine Regionalliste, Wahlkreisliste, Landesliste o.ä. erhält durch etwas mehr Stimmen in der inneren Verteilung 1 Mandat mehr, ohne das sich die Gesamtmandatszahl der Partei erhöht. Diese Liste ist allerdings schon erschöpft, d.h. es kann über sie kein Mandat mehr zugeteilt werden. Auch hier muss, wenn ich mich recht erinnere, noch nachgebessert werden (wäre bei meinen Entwurf auch noch nicht korrigiert gewesen) da sich hier wieder ein Legitimiätäsproblem oder gar -krise einstellt. Und wahrscheinlich ein Problem mit dem Bundesverfassungsgericht.
Eine Möglichkeit zur Aberkennung des Wahlrechts finde ich ganz grundsätzlich in jedem Fall falsch. Wenn es tatsächlich so wenige betrifft, dann dürfte das keinen großen Einfluss auf das Ergebnis haben, sollte es dagegen viele betreffen, wäre es eben weil es einen (bedeutenden) Einfluss auf das Ergebnis haben kann falsch und sogar gefährlich. Das aktive und passive Wahlrecht sehe ich als Teil der Menschenwürde.
Deine Einwände gegen die Unterschriftensammelei sehe ich ein.
MfG.
P.S. Du kannst diesen und den vorherigen Eintrag ruhig veröffentlichen.
Rück-Rückantwort auf 1
Ja, die Anzahl jener, die z.B. Briefwahl beantragen um mit dem ihnen vorliegenden Stimmzettel allen Kandidaten nachzurecherchieren ist sehr gering. Aber das wird sich bei einer geringeren Anzahl von Kandidaten in Mehrmandatswahlkreisen nicht wesentlich ändern. Stattdessen haben die Wähler bei größeren Wahleinheiten eine größere Chance, genügend Kandidaten auf dem Stimmzettel bereits zu kennen, bei denen sie Stimmen kumulieren möchten. Das spricht für mich für möglichst groß zu wählende Gebiete, eigentlich sogar am ehesten für Bundeslisten, aber da wird leider der Stimmzettel zu groß.
Das niederländische Wahlsystem ist mit dem hier diskutierten nicht vergleichbar, da dort jeder Wähler nur eine Stimme hat. Daher können Wähler nicht mehrere Kandidaten unterstützen und daraus resultiert dieses enorme Gefälle zwischen Spitzenkandidaten und den nachfolgenden.
http://www.wahlrecht.de/ausland/kieswet.html
Eine durch das Grundgesetz vorgeschriebene Länderquotierung bei Bundestagswahlen sehe ich nicht. Die Vertretung der Länder bzw. Landesregierungen erfolgt schließlich im Bundesrat, wohingegen in Artikel 38 (1) Satz 2 über die Abgeordneten des Bundestages heißt: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes...“
Das mögliche Verfallen von Stimmen bei Listenerschöpfung ist ein guter Punkt. Das kann man aber, außer bei Einzelbewerbern, noch ausgleichen. Werde ich auch noch nachbessern.
Xander
Bundesstaat und Niederlande
Der Unterschied im Wahlrecht ist mir schon klar. Die Niederländer haben nur eine Vorzugsstimme und können weder kumulieren noch panaschieren.
Ich habe die Befürchtung, das das Gros der Stimmen sich dann auf sehr wenige Kandidaten beschränken wird. Mit allen Folgen ("ungleiche Wahl", Medienmacht, Machtzuwachs eben dieser Kandidaten usw.). Wie gesagt, über so viele verschiedene Kandidaten wird sich kaum jemand informieren, es grenzt ja für viele schon an Unmöglichkeit dieses zu tun (Gleichheit der Wahl). Wer ließt denn 100 Profile bei Abgeordnetenwatch, geschweige denn weitere Recherchen? So würde im Übrigen die Möglichkeit des Panaschierens wohl kaum genutzt.
Das Grundgesetz ist ein Leitfaden. Natürlich steht da nichts von Länderquotierung. Aber etwas von Bundesstaat. Nun handhabt das meines Wissens jeder Bundesstaat der Welt so, das die Länder mehr oder weniger quotiert sind. Wie gesagt war die BRD schon immer sehr Unitaristisch (Das deutsche Reich 1918-1933 aber auch). Nun kann man darüber Entscheiden, was der Begriff Bundesstaat nun alles beinhaltet. Am Ende wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Und dieses legt nun vieles sehr eng aus, interpretiert Teilweise sehr viel ins Grundgesetz hinein. So las es z.B. in den Gleichbehandlungsgrundsatz bestimmte Berechnungsmethoden für das Vermögen, bzw. die Vermögenssteuer hinein. Steht da auch nicht wortwörtlich.
Der Satz "Vertreter des ganzen Volkes" kann nun auch wieder verschieden interpretiert werden. Wenn man einen Parteien- oder Listenproporz z.B. als Grundlage für die Vertretung eines ganzen Volkes sieht, warum nicht einen Länder- oder Regionalproporz? Auch das Mehrheitswahlrecht halten die meisten (wenn ich mich recht erinnere, sogar das BVG) trotz dieses Satzes für möglich. Er scheint mir keine praktische Bedeutung zu haben...
Der Bundesrat ist indes auch keine wirkliche legelative Vertretung sondern eine Institution sui generies. Er hat bei bestimmten Sachgebieten sowohl in Legeslativ als auch in Exekutivfragen (z.B. Verordnungen) eine Mitspracherecht. Eine Ländervertretung, Länderkammer oder ähnliches haben auch fast alle Bundesstaaten. Im Gegensatz zur BRD sind diese meist auch mächtiger, d.h. haben Mitspracherechte bei allen Gesetzen, beschränken sich aber auf legislative Aufgaben.
Bastian
P.S. Ein bisschen Off-topic: Der Bundesrat (wie auch der Rat der europäischen Union, für den er wohl Pate stand) ist sowieso großer Mist. Ein Monstrum an Politikverflechtung und ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Mir wäre eine "echte" Länderkammer mit vollem Mitspracherecht (außer beim Haushalt und der Regierungsbildung) mit unmittelbar gewählten Vertretern oder zumindest eine Wahl über Länderparlamente (wie im Minderheitsvorschlag "Senat" einst auch fürs Grundgesetz vorgesehen) deutlich Lieber. Allerdings wäre dazu eine Verfassungsreform notwendig, die der Bundesrat wohl kaum zustimmen würde. Unter einer solchen Bedienung würde ich die Länder auch Legislativ ausreichend vertreten sehen.