Das Paradigma von Ivo
Das Paradigma von Ivo:
Beim Versuch zu formulieren, was Steuergerechtigkeit in dem von mir vertretenen Paradigma bedeutet, komme ich zu folgender These. Später werde ich versuchen zu formulieren, was dies in dem von mir nicht vertretenen und vorherrschenden Paradigma bedeutet (Ivo):
Besteuerung der Einkommensverwendung
Erst war es der von Bauern zu zahlende Zehnte, dann kam die Einkommenssteuer. Erträge zu besteuern und nicht den Ge- und Verbrauch von Erträgen erscheint als die bessere Wahl. Die Höhe von Netto-Erträgen festzustellen, verlangt aber ein komplexes und striktes System der Buchhaltung. In Ländern, in denen der Staat gar nicht erwartet, dass vertrauenswürdige Unterlagen vorliegen, schätzt man das Einkommen indirekt beispielsweise über die Größe der Yacht. Mit der Globalisierung und Tochter-Unternehmen in verschiedenen Ländern kann durch Fakturierung von Lieferungen zwischen Teilfirmen der Gewinn in beliebiger Höhe in das günstigste Land transferiert werden, abgesehen von allen anderen Möglichkeiten, Gewinne zu manipulieren.
Die Schlussfolgerung ist: Will man Steuergerechtigkeit bei einer Besteuerung der Erträge durchsetzen, ist ein riesiger Kontrollapparat notwendig und selbst der wird wenig effektiv sein. Steuerhinterziehung ist Volkssport. Nur ein schlechter Manager muss auf den Unternehmensgewinn Steuern zahlen. Und wird ein hoher Gewinn durch die Steuerfandung ermittelt, bestimmt nicht der ermittelte Betrag, sondern die abschließende Verhandlung mit dem Finanzamt die Besteuerung. Dies ist keine Schwäche der Finanzverwaltung, sondern ihre Resignation vor den bestehenden Machtverhältnissen. Es ist nicht sinnvoll, gegen den Wind zu segeln.
Die Einkommenssteuer erlaubt, alle zur Erstellung der Leistung notwendigen Kosten vom Umsatz abzuziehen. Der Ertrag der Milch wird um das Futter und andere Kosten gekürzt. Übersetzt in das Input-Output-Denken der klassischen Ökonomie heißt das: Vom Output einer Periode wird der für seine Produktion notwendige Input abgesetzt. Da das Ziel der Klassiker war aber Wachstum. Daher sollte vom Output einer Periode nicht der Input des vergangenen, sondern der Input des nächsten Wirtschaftskreislaufs abgezogen werden. Aller Output, der nicht Input der nächsten Periode wird, sollte besteuert werden. So wird nicht die Voraussetzung des nächsten Kreislaufs besteuert und verringert, sondern das, was für diesen Kreislauf nicht unbedingt notwendig ist. Der Steuersatz wird politisch bestimmt und kann beliebige Höhe annehmen, da die Reproduktion der Wirtschaft und Gesellschaft nicht berührt wird. Besteuert wird der Endkonsum, der nicht wieder Teil des Kreislaufes wird.
Eine Ertragsbesteuerung schont den vergangenen Input. Eine Besteuerung der Ertragsverwendung sollte durch differenzierte Umsatzsteuersätze den zukünftigen Input schonen. Nicht der Output der letzten Periode soll Steuergrundlage sein, sondern der Nicht-Input der folgenden Periode.
Heutige Volkswirte versuchen durch ökonomische Verwendung von Ressourcen den (psychologischen) volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen zu maximieren. Das Ziel der Klassiker aber war objektives Wachstum und jede Verwendung von Ressourcen zur Produktion von Gütern und Leistungen, die nicht wieder Input werden, war bedenklich. Für sie war dies „unproduktive Arbeit“, für deren Konsum nur deswegen Kaufkraft bereit stand, weil jemand Renten bezog. Renten entstehen, wenn Einkommen unter Nicht-Wettbewerbsbedingungen erzielt wird. Langfristig reduziert Wettbewerb Preise auf ihre Produktionskosten und eliminiert Renten. Im klassischen Fall der Grundrente ist dies nicht möglich, weil Land nicht beliebig reproduzierbar ist und somit Monopoleinkommen schafft. Renten sind Einkommen aus Monopolen und Quasi-Monopolen, sie sind unearned income.
Heutige Volkswirte können all dies aufgrund ihrer Begriffswelt nicht verstehen, denn jede Arbeit bedient eine Nachfrage und schafft somit Nutzen. Unproduktive Arbeit ist eine Contradictio in adjecto. Was für die Klassiker und britisch geprägte Ökonomen bis 1930 Renten waren, wird – seit in den USA das „allgemeine Gleichgewicht“ als volkswirtschaftliches Ziel erklärt und durch die Hegemonialmacht weltweit verbreitet wurde – als produktives Einkommen verstanden, dem Patentlizenzen und Honorare zustehen.
Wenn nicht der Ertragsanteil des Outputs, sondern die nicht-produktive Verwendung des Outputs besteuert werden soll, kann dies durch eine stark differenzierte Umsatzsteuer geschehen. Die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit ist nicht scharf. Die Höhe der Steuersätze muss die Nähe eines Produktes zur produktiven bzw. unproduktiven Arbeit widerspiegeln. Wein würde am Mittelmeer geringer besteuert als in Nordeuropa aufgrund unterschiedlicher Konsumgewohnheiten. Grundnahrungsmittel, Babynahrung und Bücher haben den Satz Null, während Lachs, Ananas und Mangos mit 30 – 40 % besteuert werden. Die Besteuerung von Fahrzeugen richtet sich nach dem Kraftstoffverbrauch. Die Festsetzung ist in vielen Einzelfällen willkürlich und durch den politische Steuerungswillen der Regierung bestimmt.
Das Einkommen von Personen und Firmen sowohl bei der Entstehung wie bei der Verwendung zu besteuern, ist widersinnig, aufwendig und abzuschaffen. Das Mehrwertsteuer-System ist praktisch und eingeführt, aber als Besteuerung der Differenz von Umsatzsteuer und Vorsteuer nur eine wieder andere Form der Ertragsbesteuerung und somit redundant.
Ein nur auf der Umsatzsteuer und an der Nähe zu produktiver Arbeit aufgebautes Steuersystem ist konjunkturempfindlich. In einer Depression sinkt zuerst der Konsum unproduktiver Arbeit, da die produktive Arbeit für den nächsten Wirtschaftskreislauf benötigt wird. Um diese Risiken zu mindern, scheint es notwendig, auf weitere, einfach zu erfassende direkte Steuern zurückzugreifen: Alkohol und andere Drogen, Treibstoffe, Tiersteuern, Autobahn-Maut. Diese Doppelbesteuerung kann im Satz der entsprechenden Umsatzsteuer berücksichtigt werden. Auch sollten die Steuersätze der Haushaltslage flexibel angepasst werden.
Ein Großteil des Konsums der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen richtet sich nicht nach objektiven Kriterien. Unter Einschränkung der Konsumbandbreite werden oft hochpreisige Güter bevorzugt, da damit soziales Prestige einkauft wird, das andere Bevölkerungsteilen durch Bildung oder Beruf erreichen. Darauf sollte bei der Besteuerung keine Rücksicht genommen werden, da eine weitere Verteuerung bestimmter Güter auch das mit ihrem Kauf verbundene Sozialprestige erhöht.
Eine Konkretisierung der dargelegten Vorstellungen verlangt eine Durchrechnung bisheriger Konsumgewohnheiten mit verschiedenen Umsatzsteuersätzen, damit bestimmt werden kann, welche Steuersätze den Staatshaushalt finanzieren.
Die bisherigen Steuereinnahmen aus einer Vielzahl von Quellen bedeuten für die Regierung eine Risiko-Minimierung. Andererseits sind sie Ergebnis von Wildwuchs. (Die Sektsteuer führte ein dementer Kaiser ein, um seine Flotte zu finanzieren.) Die Risiken einer konsistenten Besteuerung müssen scharf ausgeleuchtet werden.
Eine Folge einer differenzierten Umsatzsteuer würde sein, dass im Vergleich mit dem benachbarten Ausland in Deutschland Löhne höher sind und Waren teurer. Es lohnt sich dann, hier zu arbeiten und in Luxemburg einzukaufen. (Wie das bei Benzin schon immer war.)
Wie jede technologische Neuerung würde dieses System Arbeitslosigkeit schaffen, da das Finanzsystem drastisch vereinfacht und Steuerberater weithin unnötig würden.
Eine Diskussion dieses Vorschlags sollte zwischen der Konsistenz der Argumente und den Möglichkeiten der Verwirklichung trennen.